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Deutsche Überarbeitung nach dem Text von Wilhelm Wägner (1878/1882) mit vielen Abbildungen
Ausgabe:
Inhaltsverzeichnis
Nibelungensage und Nibelungenlied
Hugdietrichsage
Dietrichsage
Hageling- und Gudrunsage
HagenBeowulf-Sage
König Hettel und seine Helden
Gudrun und die Brautwerbung
Gudrun und Gerlinde
Gudruns Befreiung und große Hochzeit
Es klingen und singen von Lust und Leid
Die Sänger der alten vergangenen Zeit;
Sie singen von Liebe und heiliger Treu',
Ein Lied, das alt ist und ewig neu.
Zu Balian, der stolzen Burg des Königs Siegeband in Irland, wurde das Sonnenwendefest gefeiert. Auf Wunsch seiner Frau hatte der Herrscher die Edlen seines Reiches und noch manchen Helden geladen, um Gemeinschaft und Gastfreundschaft im Reich zu pflegen. Man beging das Fest in Wonne bei Schmaus und Becherklang. Da waren der Turnierspiele und Wettkämpfe kein Ende, während treffliche Spielleute mit Saitenspiel und Gesang die Gäste ergötzten. Auch die Kinder waren frohen Mutes, die Knaben warfen Speere und schossen mit Bogen und Pfeilen, und Königin Ute freute sich, dass ihr kleiner Sohn Hagen seine Gespielen an Kraft und Geschick übertraf. Jetzt stürmten die Knaben fort, die Geschosse wiederzuholen. Der junge Königssohn war den anderen weit voraus und bemühte sich, den Speer aus der durchbohrten Scheibe zu ziehen. Da rief ein greiser Mann den Kindern zu, sie sollten eilends zurückkehren und sich verstecken, denn es drohe ihnen Gefahr. Er deutete nach oben, indem er hinzufügte: „Ein Greif!“ Frau Ute blickte in die Höhe und sah hoch am Himmel einen dunklen Punkt, der ihr ungefährlich schien. Aber er näherte sich mit der Schnelligkeit eines Blitzes und wurde immer größer. Schon hörte man ein Brausen, wie Sturmwind, und gewaltigen Flügelschlag. Die anderen Knaben hatten sich geflüchtet, nur Hagen stand kühn mit dem Speer in der kindlichen Hand und schleuderte ihn dem entsetzlichen Vogel entgegen. Die Waffe prallte wirkungslos von dem Gefieder zurück, und im nächsten Augenblicke hatte das Untier den Knaben mit den Fängen ergriffen, flog mit ihm hoch in die Luft und entschwand bald in weiter Ferne.
So war die festliche Freude in Klage und Jammer verkehrt. Denn wenn auch mancher Held gern den Kampf mit dem Greif gewagt hätte, so konnte er ihn doch mit dem besten Ross nicht erjagen, und wohin er geflogen war, wusste niemand. Also schieden die Gäste von den leidgetroffenen Gastgebern, jeder in seine Heimat. Der König und die Königin blieben allein zurück, und nur der herzzernagende Harm war ihr Gefährte, der auch jahrelang nicht von ihnen wich und ihnen das traurige Bild zeigte, wie der grimmige Räuber ihr süßes Kind mit Schnabel und Fängen zerriss.
Doch verhielt es sich anders mit dem Knaben. Der Vogel trug ihn über Länder und Meere bis in sein Nest, das er sich auf einem aus der Meeresflut aufragenden Felsen erbaut hatte. Daselbst legte er seine Beute den jungen, nach Äsung gierigen Greifen vor und flog dann wieder nach neuem Raub aus. Die Jungen fielen sogleich über den vorgeworfenen Fraß her, aber Hagen hatte sich schon von der luftigen Reise erholt. Auf seine Verteidigung bedacht, wehrte er kräftig die hackenden Schnäbel ab, indem er die Vögel an den Hälsen ergriff und sie würgte, dass sie laut aufschrien. Endlich aber fasste ihn einer der Vögel, der schon flügge war und trug ihn auf einen Baumast, um die leckere Beute allein zu verspeisen. Der Ast war jedoch zu schwach, er bog sich, brach und das Untier fiel mit dem Knaben in die darunter wuchernden Dornhecken. Der Greif flatterte wieder empor, Hagen dagegen kroch in das Dickicht, wie sehr ihn auch die Dornen zerrissen, und gelangte in eine dunkle Höhle, wo er vor Entkräftung liegenblieb. Als er aus seiner Betäubung erwachte, sah er ein Mägdlein etwa seines Alters in einiger Entfernung stehen, das ihn mit Verwunderung betrachtete, aber sogleich tiefer in die Felsenhöhle entfloh, sobald er sich aufrichtete. Er hatte in der Tat ein schreckliches Aussehen. Von den Schnäbeln der Vögel und von den Dornen war er am ganzen Leib wund und blutig, dazu waren seine Kleider zerrissen, so dass sie in Lumpen um ihn hingen. Indessen hinkte und kroch er, so gut er konnte, dem Mägdlein nach und gelangte in einen größeren Raum, wo er die flüchtige Maid nebst zwei Gefährtinnen erblickte. Sie schrien laut vor Schrecken, denn sie hielten ihn für einen bösen Zwerg oder ein Meerwunder, das sie nur verfolge, um sie mit Haut und Haaren aufzufressen. Als er ihnen aber sagte, er sei ein Königskind, von dem Greif geraubt und nur mit Not dem Ungetüm entronnen, wurden sie getrost, erzählten ihm auch ihre ganz ähnlichen Schicksale und teilten mit ihm ihre spärliche Kost, die aus allerlei Wurzeln und wildwachsenden Beeren bestand. Die eine Maid, die er zuerst erblickte hatte, nannte sich Hilde, eine Königstochter aus Indien, die zweite war Hildburg aus Portugal, und die dritte stammte aus Isenland. Die Mägdlein pflegten den jungen Gefährten, so dass seine Wunden bald heilten. Er ging nun selbst auf Beschaffung der nötigen Kost aus und wagte sich tiefer ins Land, was jene aus Furcht vor den Greifen nicht taten. Er verfertigte sich einen Bogen und mit Fischgräten zugespitzte Pfeile, womit er kleineres Wild erlegte. Aus Mangel an Feuer mussten die Kinder das Fleisch roh verzehren. Aber sie wuchsen bei solcher Kost kräftig heran, und Hagen erreichte schon im zwölften Jahr fast männliche Größe.
Unterdessen waren auch die jungen Greife groß wie die Alten geworden. Sie flogen jetzt alle auf Raub aus, und der Knabe durfte aus Furcht vor ihnen keine weiten Wanderungen mehr unternehmen, weshalb seine Jagdbeute spärlicher wurde. Dennoch wagte er sich eines Abends an den Strand des Meeres. Von einer überhängenden Klippe vor seinen Feinden geschützt, sah er über das weite Meer. Im Westen sank die Sonne, dunkle Wolken stiegen auf, dumpf grollte der Donner in der Ferne. Doch darauf achtete er nicht, denn dort auf den glänzenden Wogen schwamm ein Schiff. Es kam näher und näher, brachte es Rettung, Heimkehr? Wilder schäumte die Brandung, Blitze zuckten, der Sturm erhob sich, hoch schlugen die Wellen am Ufer, und es war wie der Dichter sagt:
Es atmet tief und mächtig
Der Ozean; sein Abgrund grollt;
Die Wogen lässig schäumen,
Die Wolken dunkel säumen
Das glühende Abendsonnengold.
Er will nicht länger dulden
Der Endlichkeit umwallend Kleid;
Schon heben sich die Wellen,
Die Schranke zu zerschellen,
Die Form und Schönheit ihm verleiht.
Hinüber und herüber
Strebt er, im Zorn aufwallend schön,
Der Himmel, sein Gefährte,
Die dunkle Mutter Erde,
Schaut ihn mit Lust von sicheren Höhn.
Nur sie, der Erde Kinder,
Erbeben in dem rauhen Spiel,
Treibend auf seinem Rücken;
Wie mag vor seinen Tücken
Sie bergen noch der lecke Kiel!
Der Knabe sah auf die wildbewegten Fluten, die bald dunkel wie die Nacht dahinrollten, bald von Blitzen durchglüht ihre Wellenhäupter emporhoben. Er hörte furchtlos den schmetternden Donner, das Heulen des Sturmes und des Meeres, dessen Gischt ihn durchnässte. Er blickte auf das Schiff, das im ungleichen Kampf mit den wilden Elementen rang, und seine Seele war bewegt von Furcht und Hoffnung. Jetzt sah er es dem Felsenriff zutreiben, ein gellender Aufschrei, und der Ozean hatte Schiff und Mannschaft verschlungen. Sturm und Wellen tobten fort, bis der Morgen erschien, der, wie der Knabe glaubte, mit seinem freundlichen Licht die Elemente beruhigen werde. Am Strand lagen Schiffstrümmer und Leichname. Schon wollte Hagen aus seinem Versteck hervortreten, um nach Mundvorräten und Gewändern zu spähen, doch da hörte er den Flügelschlag der Greife und gewahrte, wie sie von ihrem Felsenhorst herunterflogen, Menschenleichen aufgriffen und damit in ihr Nest zurückkehrten. Während sie mit ihrem Fraß beschäftigt waren, verließ der Knabe seinen Schlupfwinkel, um gleichfalls etwas Essbares zu suchen. Er fand jedoch nur Holzwerk und einen ertrunkenen Mann in voller Rüstung mit Schwert, Bogen und einem Köcher voll scharfgespitzten Pfeilen. Da hätte er laut aufjauchzen mögen, denn nun besaß er Waffen, wie er sie einst am Hof seines Vaters gesehen hatte. Eilig legte er die Rüstung des Toten an, bedeckte sein Haupt mit dem Helm, gürtete das Schwert um und nahm den Stahlbogen und die Geschosse mit scharfen dreikantigen Stahlspitzen zur Hand.
Es war auch Zeit, dass er sich mit dem Rüstzeug versehen hatte, denn einer der Greife stürmte rauschenden Flugs auf ihn nieder. Da zog er die Bogensehne kräftig an, und sein Pfeil traf den argen Feind mitten in die Brust, dass er zappelnd dem Schützen vor die Füße fiel und verendete. Ein zweites Ungetüm hatte das gleiche Schicksal. Nun stürmten die drei übrigen Vögel auf ihn ein, allein er erlegte sie alle mit gewaltigen Schwertstreichen. Die abgehauenen Köpfe der toten Untiere brachte er seinen Freundinnen in die Höhle. Sie hatten unter ängstlichen Sorgen um ihn die stürmische Nacht durchwacht. Ihre Freude war daher umso größer, da sie nunmehr durch seinen starken Arm von ihren Verfolgern befreit waren. Die Mädchen begleiteten darauf ihren Helden nach der Stätte seines Sieges. Sie halfen ihm, das spukhafte Geflügel ins Meer zu wälzen und über den toten Recken, dessen Rüstung Hagen trug, nach frommer Sitte einen Grabhügel aufzuschichten. Vergebens suchten sie jedoch unter den Schiffstrümmern nach Speisevorräten, dagegen fanden sie eine wohlverwahrte Kiste mit Stahl, Stein und Schwefelfaden, was sie in den Stand setzte, Feuer anzuzünden. Freudig eilten die Mädchen in ihre Behausung zurück, wo bald die Flamme lustig emporloderte, während Hagen mit Pfeil und Bogen dem Weidwerk nachging. Es währte nicht lange, so brachte er schon einen feisten Rehbock heim, den er mit seinem Geschoß erlegt hatte. Er wurde zerstückelt, ein Teil davon gebraten, und die vier Unglücksgefährten hielten eine Mahlzeit, die ihnen besser mundete als manchem Schlemmer seine ausgesuchten Leckerbissen.
Der junge Geselle ging nun täglich auf die Jagd, aber er erlegte nicht bloß scheues Wild, sondern auch Bären, Wölfe, Panther und andere Raubtiere. Einstmals sah er aus einem Versteck ein seltsames Untier vorüberrennen. Es war mit glänzenden Schuppen bedeckt, seine Augen glühten wie Kohlen, und aus dem blutroten Rachen starrten grässliche Zähne hervor. Er sandte ihm einen scharfen Pfeil in die Seite, aber das Geschoß biss nicht ein, und das Ungeheuer wandte sich sogleich gegen den Schützen. Hagen griff zum Schwert und ein langer und wilder Kampf begann. Schließlich nahm er das Schwert in beide Hände und schlug mit allerletzter Kraft den Kopf des Untiers ab. Ganz erschöpft setzte er sich auf den noch zuckenden Körper. Er sehnte sich nach einem Tropfen Labung, und weil kein Wasser in der Nähe war, schlürfte er begierig das strömende Blut des Tieres. Da fühlte er, wie seine Leibesschwäche wich, und wie eine ungewöhnliche Kraft ihn durchdrang. Er sprang auf und wünschte sich einen Gegner, um auf Tod und Leben zu kämpfen. Er hätte es jetzt mit allen Greifen und Riesen der Welt aufgenommen. Er zog sein Schwert und spaltete einem anrennenden Bären mit einem Hieb den steinharten Schädel, den Hals und die Brust. In gleicher Weise erlegte er zwei Panther und ein grimmiges Einhorn. Er war blutig vom Haupt bis auf die Sohlen und ganz verwildert, als er, den Bären auf den Schultern, in die Klause zu den Mädchen trat. Erst bei dem Anblick der sanften Hilde gewann er wieder die gewohnte Ruhe.
Noch manches Jahr verging den Siedlern auf der Felseninsel in der Einsamkeit. Sie hatten reichliche Nahrung, machten sich Kleider von Tierfellen und schmückten sich mit frischen, duftigen Blumen, dem einzigen Putz, den ihnen die gütige Mutter Natur darbot. Sie wünschten sich indessen in menschliche Gesellschaft zurück und schickten früh und spät sehnsuchtsvolle Blicke über das wogende Meer, ob sich nicht etwa ein Rettungsboot dem Ufer nähere.
Eines Morgens, während der junge Held, vom nächtlichen Jagen müde, auf der Bärenhaut ruhte, standen die Gefährtinnen am Ufer und blickten über die bewegte Fläche. Da tauchte abermals ein weißes Segel am Horizont auf, und allmählich stiegen Mast, Takelwerk und Verdeck aus den Wellen hervor. Sogleich eilten die Siedlerinnen nach der Höhle, nahmen vom Herdfeuer Brände, um am Ufer ein mächtig loderndes Feuer anzuzünden, und weckten den Genossen, der sein Schwert umgürtete, die Geschosse ergriff, die Bärenhaut umwarf und sich so seinen Gespielen zugesellte. Die Signale waren vom Schiff aus bemerkt worden, denn ein Boot wurde entsendet, das sich dem Ufer näherte. „He, wer seid ihr, Pelzunholde?“, rief der Bootsführer: „Seid ihr Menschen oder Meerwunder?“ - „Wir sind arme, verschlagene Menschen“, antwortete Hagen, „nehmt uns auf um Gotteswillen!“ Das Boot legte an, und die Unglücksgefährten stiegen ein. Die Matrosen ruderten zum Schiff, und schon bald waren sie an Bord. Auch der Schiffsherr betrachtete die Geborgenen mit Verwunderung. Auf sein Befragen berichtete Hagen, wie er, gleich den Mädchen, von den Greifen aus dem elterlichen Haus geraubt worden sei, wie er darauf Waffen gefunden und nun die Vögel getötet habe. Auf weiteres Befragen sprach er von seinem Vater Siegeband, dem mächtigen König von Irland. „Hei, Jüngling“, sprach der Schiffsherr, „du schlägst Greife wie Mücken tot! Aber du bist mir ein glücklicher Fang, denn ich bin der Graf von Garadie, dem dein Vater schon großen Schaden getan hat. Du sollst mir nun Geisel sein, bis ich für den Schaden reichliche Buße gewinne. Heda, Bootsleute, legt die Bärenhaut in Ketten und steuert nach Garadie!“
Kaum hatte der Graf diese Worte gesprochen, so geriet Hagen in Berserkerwut. Die Schiffsleute, welche ihn festnehmen wollten, schleuderte er mit riesiger Kraft über Bord ins Meer. Das Schwert in der Rechten stürzte er auf den Schiffsherrn los, der bei dem Anblick der übermenschlichen Kraft des jungen Helden wie erstarrt stand. Schon schwebte die blitzende Klinge über seinem unbehelmten Haupt, da legte sich eine weiche Hand auf Hagens Arm und hemmte den tödlichen Streich. Ergrimmt kehrte er sich um und blickte in das liebliche Angesicht seiner Gefährtin Hilde, und wie von einem Zauber gebannt, wich der schreckliche Zorn von ihm. Hilde sprach sanfte Worte zur Schlichtung und Einigung, die ein williges Ohr fanden. Daraufhin verhieß Hagen dem Grafen, zwischen ihm und dem König Versöhnung zu stiften, wenn er nach Irland zur Burg Balian steuere, und verpfändete dafür sein Haupt. Jener gelobte, die Unglücksgefährten wohlbehalten nach der Heimat des jungen Helden zu führen. Günstige Winde schwellten die Segel, und das Schiff zog stolz durch das wogende Meer. Am zehnten Morgen stiegen ragende Türme und Zinnen aus den Wellen empor, dann die ganze Burg, der Strand und der von Booten und Schiffen wimmelnde Hafen. Das fremde Schiff legte an, und die Mannschaft stieg ans Land. Misstrauisch betrachtete das Volk die Zeichen und Gewänder der Leute von Garadie, mit denen stets Feindschaft gewesen war. Doch schienen sie nicht als Raubfahrer zu nahen, denn sie hatten die weiße Friedensfahne aufgerichtet. Sie sprachen auch friedlich und wünschten sicheres Geleit für eine Botschaft an König Siegeband. Als ihnen das gewährt wurde, gingen die Boten zur Burg, voran der kühne Hagen in seinem Bärenfell mit den drei Jungfrauen, die gleichfalls noch ihre rauhen Gewänder trugen, desgleichen etliche Männer von Garadie. Der König und die Königin sahen vom Fenster herab die Fremdlinge. Als sie aber die Leute von Garadie erkannten, rief Siegeband nach seiner Rüstung. Er sei, sagte er, noch nicht so alt, dass er nicht mit dem Schwert Rache an den Landesfeinden nehmen könne. Bevor er noch sein festes Sturmgewand angelegt hatte, traten die Gäste herein. Er wähnte, Raubfahrer hätten seine Burgleute überwältigt, und zog sein Schwert, um nicht Schmach zu erdulden. Darauf rief der junge Held: „Kennst du mich nicht, lieber Vater? Ich bin es, dein lange verlorener Sohn Hagen.“ - „Ungetreuer, falscher Verräter!“, rief der König: „Schleichst im Bärenfell herein und solltest einen Fuchspelz umhängen, da du mich mit arger List fangen willst. Aber nun musst du sterben!“ Er hob sein Schwert, aber Frau Ute warf sich zwischen Vater und Sohn. „Er ist es!“, rief sie: „Unser langbeweintes Kind! Ich erkenne ihn an dem kleinen Mal auf der Stirn und seinen dunklen Augen. Auch das Mutterherz ruft mir zu: Es ist Hagen, unser Sohn!“ Da hatte sie ihn schon in die Arme geschlossen, und bald ruhte der Held auch an der Brust des glücklichen Vaters.
Große Freude und Wonne waren im Königshaus. „Ich bin so viele Jahre krank gewesen“, sagte Frau Ute, „und nun bin ich gesund geworden. Dessen sollen sich Land und Leute erfreuen.“ Ein fester Friede wurde mit dem Grafen von Garadie geschlossen, und derselbe blieb als Gast bei der Feier, die man veranstaltete. Natürlich wurde auch der Jungfrauen gedacht, der treuen Pflegerinnen des Königssohnes in seiner Verlassenheit. In fürstlichem Schmuck und umgeben von anderen edlen Jungfrauen folgten sie der Königin zum Festmahl und später zu den Schranken, wo die Helden im Wettkampf und Turnierspiel ihre Kraft und Kühnheit zeigten. Unter den Kämpfern sah man auch Hagen den Stein stoßen und den Speer schwingen, und er hatte vor allen die höchste Ehre, denn keiner vermochte sich mit ihm zu vergleichen. Da berief ihn der alte König zu sich auf den Hochsitz, und das Volk rief, der junge Held sei würdig, die Krone zu tragen, denn er werde mit starker Hand das Land vor Schädigung bewahren. Nach den festlichen Tagen blieb Hagen nur kurze Zeit ruhig im Vaterhaus. Mit manchem kühnen Mann fuhr er hinaus in ferne Länder, bestand schwere Kämpfe und kehrte mit reicher Beute in die Heimat zurück. Da nun der hochbejahrte König von den Taten und dem Ruhm seines Sohnes hörte, übertrug er ihm nach dem Wunsch der Landesherren die Verwaltung des Reiches. Frau Ute bat ihren Liebling, sich eine würdige Ehefrau zu wählen, damit er nicht einsam sei, wenn Gott sie und ihren Ehemann zu sich entbiete. Hagen folgte willig dem Rat der Mutter, aber wählte nicht die Tochter eines benachbarten Herrschers, sondern die schöne Hilde, die liebste Freundin, die ihm zuerst am Felsenstrand unter dem Greifenhorst erschienen war. So wurde die edle Jungfrau schon bald seine Ehefrau, und eine prächtige Hochzeit wurde gefeiert, auf der sich auch ihre Gespielin, die Jungfrau aus Isenland, mit einem jungen Fürsten verheiratete, der ihre Liebe gewann und sie dann in sein Reich nach Norwegen führte, wo sie eine glückliche Königin wurde.
So herrschte nun Hagen als gewaltiger König über Irland mit starker Hand. Die alte Königin Ute hatte noch die Freude, dass sie ein Enkelkind auf ihren Armen wiegte, ein Töchterlein, das nach seiner Mutter Hilde genannt wurde. Auch König Siegeband saß oft an der Wiege der kleinen Enkelin, summte alte Lieder und hatte große Wonne an dem Kind, das schon als Kind ein Wunder an Schönheit war. Indessen sah er es nicht mehr zur Jungfrau erblühen, denn er und seine treue Lebensgefährtin wurden zuvor zu ihren Ahnen berufen.
Hagen hatte gleichfalls seine Lust an der Tochter und ließ sie von Hildburg aus Portugal und anderen edlen Jungfrauen wohlbehüten, so dass sie die Sonne nur selten sah und auch der Wind nicht berühren durfte. Er selbst war oft auswärts auf Heerfahrten und ließ sein Schwert nicht rasten, denn im Kampfgetümmel war ihm wohl. Da schallte weithin sein Schlachtruf, da fällte er die Recken, die sich ihm entgegenstellten, und da gewann er Sieg und Ruhm durch seine große Kraft. Er hieß „der Schrecken der Könige“, weil ihm kein Fürst Widerstand leisten konnte. Als die schöne Hilde erwachsen war, sah er in ihr das Ebenbild ihrer Mutter und wollte sie aus herzlicher Liebe nicht von sich lassen. Wohl warben um ihre Liebe viele Fürsten, aber er forderte jeden Freier zum Kampfspiel mit Speer und Schwert, weil er die Tochter nur dem geben wolle, der ein besserer Kämpfer sei als er selbst. Wer aber das Spiel mit ihm wagte, der verlor den Sieg und auch das Leben. In seinem Übermut ließ er sogar die Boten töten, die man als Brautwerber sandte. So wurde der wilde Hagen, der Schrecken der Könige, auch ein Schrecken für alle Freier, so dass sich bald niemand mehr in seine Nähe getraute und sein Haus immer öder wurde.
In Dänemark auf Burg Matelane saß König Hettel von Hegelingen, ein mächtiger Held, dem Ortland, Waleis und Dithmarschen untertänig waren. Fürstliche Helden umgaben und stützten seinen Thron in großer Zahl. Unter ihnen war besonders der alte Wate angesehen und von den Feinden des Königs gefürchtet. Er war der ehemalige Erzieher des Königs und sein Lehrmeister in ritterlicher Kampfkunst, ein Verwandter, der in Sturmland (Stormarn) durch seltene Kühnheit und große Taten gewaltig herrschte. Nicht minder mächtig waren der sangesreiche Horand und der weise Frute, die beide aus dem Dithmarschen stammten, sowie andere tüchtige Recken, die dem Reichsoberhaupt allezeit zum Dienst bereit waren.
Der junge König Hettel fuhr öfters hinaus in blutigen Streit und feierte, wenn er mit Raub und Siegesruhm heimkehrte, Feste mit seinen Kämpfern. Vater und Mutter waren ihm früh gestorben. So war der junge König verwaist, und der weise Frute sprach einstmals beim festlichen Gelage: „Herr, wohl ist dein Haus reich an Schätzen, und deine Hand spendet deinen Gesellen köstliches Gut, aber ungern sehen wir dich so einsam. Wir wünschten eine holdselige Königin, die uns mit Met und feurigem Südwein die Becher fülle. Du solltest um Hilde, die königliche Jungfrau auf Irland, werben, denn sie ist wegen ihrer Schönheit und hohen Zucht in allen Landen berühmt.“ - „Wohl“, sprach der kühne Horand, „mit gutem Recht wird die Jungfrau gepriesen. Aber ihr Vater, der wilde Hagen, lässt keinen genesen, der es wagt, um sie zu werben. Schon manchem tüchtigen Helden hat er statt des ersehnten Brautringes den Tod gegeben.“
Das Lob der schönen Hilde erregte in dem König den Wunsch, sie zu sich auf den Thron von Hegelingen zu erheben. Er forschte, wer für ihn die Werbung übernehmen wolle. Da rieten die Hofleute, er solle den alten Wate zum Boten wählen. Gar unlieb war dem Recken die üble Botschaft, doch verhieß er seine guten Dienste und meinte, wenn Horand und Frute ihn geleiteten, dann möchte doch die Werbung gelingen. Die Recken waren sogleich zur Fahrt bereit. Sofort wurden stattliche Schiffe gerüstet und mit reicher Habe beladen, auch stiegen viele gewappnete Männer an Bord, und als dies alles vollendet war, gingen die Schiffe in See. Von Osten her wehte günstiger Morgenwind und führte sie durch die grauen Meereswogen nach Balian, der aufragenden Festung, wo der wilde Hagen Hof hielt. Mit Verwunderung sahen die Leute am Land die fremden Fahrzeuge, denn solche Pracht und Herrlichkeit hatte man im grünen Irland noch nicht erblickt. Die Mastbäume waren von glänzendem Zypernholz, die Segel von purpurner Seide, die Anker von lichtem Silber. Bootsleute in reichen Gewändern trugen Waren aus fernen Ländern aus den Schiffen und breiteten sie vor der staunenden Menge aus. Die Schiffsherren boten reichen Schmuck und schöne Gewänder zum Verkauf, denn sie sagten, sie seien Kaufleute und des Handels wegen hierhergekommen.
Als König Hagen die überraschende Botschaft von den fremden Gästen vernahm, ging er selbst mit Frau Hilde, seiner Ehegenossin, an den Strand, um die Fremden näher kennenzulernen und ihren reichen Kram zu besehen. Da trat Frute als ein Bittender zu ihm und flehte um seinen Schutz. Er sprach, sie seien nicht des Handels wegen nach Irland gefahren, sondern um eine sichere Freistätte vor ihrem König Hettel von Hegelingen zu finden, der sie aus ihren Burgen vertrieben habe und unerbittlich überall verfolge. Darüber lachte der König, denn er wünschte schon lange, im Kampfspiel den König von Hegelingen zu bestehen. Er hieß daher die Recken guten Mutes und seines Schutzes versichert sein und lud sie zu sich auf die Burg ein. Die Herren säumten nicht, dem Befehl Folge zu leisten. Sie traten aber in Gewändern von Samt und Seide einher und trugen schwere Goldketten, an deren Enden Rubine und Diamanten blitzten. Sie brachten dem König herrliche Geschenke, und auch der Königin übergaben sie Straußenfedern, sowie Blumen, die künstlich aus Gold, Silber und Seide gefertigt waren, glänzende Gürtel und Spangen. Sie waren, wie es schien, mit unerschöpflichen Vorräten versehen, weshalb sie Hagen gern im Land behalten und mit Burgen begabt hätte. Aber sie erwiderten, dass in Hegelingen ihre Frauen und Kinder wären, die sie wiederzusehen hofften. Indessen nahmen sie die Herberge an, welche ihnen Hagen nahe bei der Burg einräumen ließ, und ein großes Zelt für ihr Gesinde. Ferner waren am Strand allerlei Buden aufgeschlagen, wo die Waren von den Schiffen feilgeboten wurden. Da kauften dann Männer und Frauen schöne Stoffe und Kleinodien um geringen Preis, und die Armen erhielten Gewänder unentgeltlich. Solch großer Reichtum war in Irland noch nie gesehen worden.
Frau Hilde, die Königin, trug Verlangen, die tüchtigen Gäste im Frauensaal zu schauen, und als solches den Recken kundwurde, säumten sie nicht, dem Begehren zu willfahren. Sie traten in die prächtige Halle, deren Decke auf Marmorsäulen ruhte. Da saßen viele Frauen in reichen Gewändern und unter ihnen die Königin und die liebliche Jungfrau, die mit freundlichem Gruß die Fremden empfingen. Diese aber wussten mit zierlicher Rede zu antworten. Nur Wate sprach wenig und blickte oft nach dem Meer, wo sich die Schiffe auf den Wellen schaukelten. „Geh doch, Hilde“, sprach die Königin leise zur Tochter, „und begrüße den alten Herrn mit einem Kuss.“ Die Jungfrau erschrak, denn der Held von Sturmland überragte zwar die Gefährten schier um eines Kopfes Höhe, aber er sah nicht lieblich aus mit der gekrümmten Habichtsnase, der kahlen Stirn und dem zum Teil ergrauten Bart, der breit auf die Brust herabfloss. „Wohin schaut Ihr, Herr Wate?“, wandte sich die Herrin an den Recken: „Sind am Strand schönere Frauen als hier in der Halle?“ - „Ich blickte nach meinem Schiff“, antwortete der Held, „denn ein wildes Wetter steigt auf.“ Da fasste sich die königliche Jungfrau ein Herz. Lächelnd trat sie zu dem Helden und sagte, seine Hand ergreifend: „Gefällt es Euch nicht bei uns, edler Held? Seid Ihr nicht lieber im friedlichen Kreis der Frauen, als auf der wilden See oder im Kampfgetümmel?“ - „Junge Frau“, sprach Wate, „ich habe nimmer gelernt, der Liebe zu pflegen und mit zierlichen Fräuleins süße Reden zu tauschen, oder mit hüpfenden Jungfrauen den Reigen zu führen. Mir gefällt der Tanz auf der stürmischen Meeresflut und im Sturm der Schlacht, wenn die Hörner von Sieg oder ruhmvollem Tod singen.“ So sprach der grämliche Graubart, doch die Recken Frute und Horand redeten vom schönen Hegelingenland, von seinen Burgen und Höfen, von Sängern und edlen Rittern, die in Zucht und Ehren den Frauen dienten. Darauf nahmen sie Abschied und gingen in ihre Herberge.
Schon folgenden Tages wurden die Gäste wieder zu Hofe geladen. Da gab es mancherlei Kurzweil, Brett- und Schachspiel, was Frute und Horand trefflich verstanden, auch kunstreiche Fechterspiele, an denen der alte Wate viel Wohlgefallen hatte. „Das sind herrliche Schirmschläge, die man hierzulande übt“, sagte er zum König, „ich möchte wohl Lehrbursche sein, um sie zu erlernen.“ Sofort rief Hagen einen Fechtmeister, dass er den Alten in die Lehre nehme. Aber der Held von Sturmland bewies bald dem Fechter seine Meisterschaft. „Nicht übel“, sprach der König, „nun will ich dich selbst drei Schirmschläge lehren. Die kannst du im Land der Hegelingen gegen deinen König gebrauchen.“ So nahm er die Waffen des Fechtmeisters und focht mit dem Alten. Doch der wusste sich wohl zu schirmen und gab die Schläge tüchtig zurück. Beide Kämpfer stritten immer hitziger, bis die Knöpfe von den Schwertern sprangen. „Hei, alter Lehrling“, rief Hagen, „du bist gar schnell Geselle und Meister geworden. Hab ich doch meiner Tage einen solchen Lehrling noch nicht gefunden. Nun aber wollen wir beim vollen Becher unsere Kraft versuchen.“ Die Helden zechten tüchtig, und je mehr sie tranken, desto lauter erhob sich der Jubel. Doch gab es auch scharfe Reden, wildlärmendes Geschrei, und da und dort griff eine Hand nach dem Schwert. Es war ein wüstes Gelage, das blutig zu enden drohte, wie es schon manchmal an des Königs Tafel geschehen war. Da griff der Sänger in die goldenen Saiten und sang gewaltig, dass der Palast erdröhnte, von Heldenmut in heißem Kampf und von Freundestreue in Gefahr und Not. Seine Stimme übertönte das wilde Toben, dass es immer stiller wurde und die trotzigen Recken lautlos dem Gesang lauschten. Da wurde das Getön immer lieblicher und leiser, und Horand sang vom Segen des Friedens, wenn nach dem Sieg die Schwerter ruhen und die Felder von Saaten im grünen Frühlingskleid erblühen. Als die letzten Töne verklangen, saßen die Recken und auch der wilde Hagen noch lange stumm und ließen den Feuerwein im Becher verschäumen. Endlich erhob sich der König auf seinem Thron. Er pries den Sänger, der solche Weise verstand, die noch kein Mensch vernommen habe. Er meinte, Horand könne durch sein Lied allen Streit und Zwist schlichten und feindliche Heere mit Klang und Gesang bezwingen.
Die Gäste und der Gastgeber begaben sich in ihre Herberge, um vom Tagewerk zu ruhen. Am frühen Morgen ertönte Glockengeläut, das zur Messe rief, und der Priester Chorgesang. Aber der Sänger ließ sich gleichfalls hören.
Der Lieder sang er dreie, die waren wundersam;
Keinem wurde es lange, der solchen Ton vernahm.
Die Zeit, die man wohl brauchte, tausend Wegestunden
Zu reiten, waren schnell, wie ein Augenblick entschwunden.
Lauschend verließ die Weide im Wald das scheue Wild;
Die Würmlein, die da krochen im grünen Grasgefild,
Die Fischlein, so im Wasser flossen auf und nieder,
Ließen ihre Wege; denn nicht umsonst sang er die Lieder.
Der Glocken Festgeläute, der fromme Chorgesang,
Verschwanden vor der Stimme, die zu den Saiten klang,
Die Kindlein in den Wiegen weinten nun nicht mehre,
Die Armen und die Kranken vergaßen ihres Kummers Schwere.
So sang Horand am frühen Morgen und am späten Abend jeden Tag und ergötzte am meisten die Königin und die liebliche Jungfrau, deren Tochter. Sie entboten ihn zu sich in ihr Gemach, dankten ihm für seine Lieder und wollten reichen Sold geben. Aber er sprach, er sei selbst reich genug, und er werde gern singen, wenn sie daran Wohlgefallen hätten.
Einstmals war die junge Hilde allein im Saal, weil ihre Mutter ein Fest anordnete. Da sang er ein Liebeslied von einem reichen König, der vor Sehnsucht nach der geliebten Jungfrau krank und siech war und nur genesen könne, wenn ihn die Jungfrau durch ihren Anblick und mit einem Kuss von seinem Leiden erlöse. Er schloss mit den Worten:
„Oh Minne, süße Minne, du hast mir's angetan;
Vielleicht zu meinem Grabe. Schön-Hilde tritt heran,
Weint eine späte Träne auf meine kalte Brust;
Besänftigt alle Schmerzen, schafft noch im Sterben Lust.“
Der Gesang war wie ein Zaubersegen, der den Geist umnebelt und gefangennimmt, dass man nicht weiß, was man redet und tut. So war es der wonnesamen Jungfrau zu Mute. Sie forschte endlich, wer der König sei, der ihrer begehre, und da hielt ihr der Sänger ein Bildnis von König Hettel vor und sprach von der grausamen Strenge ihres Vaters gegen alle edlen und tugendsamen Bewerber, wie aber dennoch sein Herr, wenn er genese, nach Balian kommen werde, auch wenn er von der Hand des wilden Hagen statt der Tochter den Tod empfange. Er sagte ihr auch das ganze Geheimnis der Botschaft und flehte, sie möge an Bord der Schiffe kommen, wo tausend gewappnete Recken verborgen und bereit seien, um sie nach Hegelingen zum königlichen Freund zu führen, der wenn sie lange säume, sterben werde. Dort, fuhr er fort, wolle er ihr täglich Lieder singen, und sein König kenne selbst noch schöneren Gesang. Die Rede bezwang den stolzen Mut der schönen Jungfrau. Sie verhieß ihm, sie wolle den Vater um Erlaubnis bitten, die seltenen Stoffe und Kleinodien auf den fremden Schiffen zu beschauen. Das Wort war gesprochen und wurde in Treue gehalten.
Bald darauf traten die Männer von Hegelingen vor König Hagen und sagten, sie hätten gute Nachricht aus der Heimat erhalten: Ihr König habe erfahren, dass ungetreue Männer sie fälschlich verklagt hatten. Er habe dieselben hart bestraft und ihnen selbst seine Huld wieder zugewendet. Darum wollten sie demnächst die Anker lichten und der lieben Heimat zusteuern. Der König war üblen Mutes, dass die werten Gäste von Balian scheiden wollten, doch sollten sie nicht ohne reiche Gaben das Land verlassen. „Herr“, sprach Frute, der Weise, „wir sind so reich, dass wir wohl Silber oder Gold nicht annehmen mögen. Willst du uns aber eine Huld erweisen, so komme selbst mit den schönen Frauen an Bord unserer Schiffe, dass du unsere Schätze beschauen kannst, die noch unter Deck verborgen sind.“ Der wilde Hagen schüttelte unmutig das Haupt, aber da umschloss ihn mit beiden Armen die Tochter und flehte: „Lieb Väterchen, sei gut und vergönne den Frauen, dass sie die Stoffe, Gürtel und Spangen aus Indien, Arabien, Ninive und Babylon beschauen. Das ist uns allen eine Wonne, wie den Männern der Anblick blanker Helme, Rüstungen und Schilde.“ Als auch die alte Königin ihre Bitte mit der ihrer Tochter vereinte, so versprach Hagen zu willfahren.
Zur festgesetzten Stunde, als die Schiffe schon gerüstet und segelfertig auf den Wellen schaukelten, erschien der König mit den Frauen und zahlreichem Gefolge am Strand. Boote waren bereit, die Menge aufzunehmen. Schön-Hilde sprang mit Hildburg aus Portugal und anderen Jungfrauen eilends in ein Boot, das Horand steuerte. Als aber Hagen mit seiner Frau und seinen Gewappneten andere Boote besteigen wollten, verwehrte es ihnen Wate und Frute, und stießen vom Land ab. Da schwang der wilde König den Speer und stürmte nach in die Flut, bis sie ihm schier über dem Haupt zusammenschlug. Speere flogen hinüber und herüber, doch brachte Horand seine herrliche Beute an Bord. Der Küste entlang tobte Hagen und forderte Schiffe und Mannschaft zur Verfolgung des verräterischen Raubvolks, aber die Fahrzeuge waren nicht gerüstet, und schon schwammen die Schiffe von Hegelingen auf hoher See und verschwanden bald in der Ferne.
Die Fahrt ging manchen Tag und manche Nacht durch die grauen Meereswogen und Schön-Hilde weinte viel um Vater und Mutter. Doch dann sang Horand, bald wie der Sturm sein Lied singt gewaltig zum Brausen der Wellen, bald süß und lieblich, wie der Abendhauch, der sanft über die Fluten hinstreicht und sich in den Blättern des Uferwaldes säuselnd verliert, bald traurig, wie die Klage des Geliebten, der sich nach der fernen Jungfrau sehnt. Da wurde Hilde wieder getrost, denn jeder Tag brachte sie dem königlichen Freund näher, dessen Bildnis sie nimmer von sich ließ. Endlich erblickte man Land, die Zinnen einer Burg und viel Volk am Strand, und inmitten auf hohem Ross in glänzendem Gewand ihn selbst, den harrenden König von Hegelingen. Ein Schnellsegler war vorausgeeilt, hatte dem König die Botschaft gebracht, und hier, am Strand von Waleis, erwartete er die Braut. Da waren prächtige Zelte von Purpur und Seide aufgeschlagen, viel Volk und Edelleute versammelt, um die künftige Königin auch mit königlichen Ehren zu begrüßen. Doch sollte die Hochzeit erst zu Hegelingen gefeiert werden.
König Hettel war vom Ross gestiegen, Horand und Frute führten die Jungfrau an Land, und als Schön-Hilde den König erblickte und seinen freudigen Gruß vernahm, da schwanden ihre Sorgen, und sie freute sich des mächtigen Helden, der mit ihr Ehre und Reich zu teilen bereit war. Auch zierliche Jungfrauen und Kämmerlinge waren zu ihrem Dienst bereit. Dann wurde unter seidenem Baldachin ein Festmahl gefeiert, wobei Hettel neben ihr saß, von seiner Liebe zu ihr sprach und ihr Herz gewann, so dass sie nicht mehr von dem Helden scheiden wollte.
Am folgenden Tag rüstete man sich zur Fahrt nach Hegelingen. Die Lasttiere wurden beladen, die Knechte rollten Zelte und Teppiche auf, die Recken gürteten die Schwerter um, und die Bootsleute takelten die Schiffe ab, die der Ausbesserung bedurften. Während dieser Arbeiten sah man am westlichen Horizont weiße Wolken aufsteigen, doch als sie näherkamen, erkannte man, dass es Segel zahlreicher Schiffe waren, an deren Topp Kreuzesbanner flatterten. Man hielt sie für Kreuzfahrer gegen Ungläubige, aber bald entfaltete sich die Flagge mit dem grimmigen Tiger, Hagens Feldzeichen, und man wusste nun, dass Feinde nahten. König Hettel und der alte Wate ordneten die Streitkräfte am Strand zu Waleis. Der Alte lachte laut vor Wonne, dass er sich nun im ernsten Kampf mit dem streitbaren König versuchen sollte. Die anderen Fürsten traten mit Horand und Frute an die Spitze der einzelnen Rotten, um dem Feind die Landung zu verwehren. Alle Kämpfer waren frohen Mutes, aber die schöne Hilde, die von der Burg herab die Zurüstungen sah, rang die Hände vor Leid, dass um ihretwillen der blutige Streit entbrenne.
Ein stürmischer Abendwind (Westwind) trieb die Flotte im Flug durch die schäumenden Wogen gerade in den bergenden Hafen. Die Schiffe warfen Anker, und Boote führten die gewappnete Mannschaft nach der Küste. Da flogen Wurfspeere und Schleuderäxte hin und her und krachten durch Schilde, Helme und Rüstungen. Hier wurde der Sand, dort die Flut vom Blut rot. Kein Boot vermochte zu landen. Endlich sprang der wilde Hagen, gefolgt von kühnen Männern, in das seichte Wasser. Vor seinen furchtbaren Streichen wich die Landwehr zurück. Er gewann Boden, und alles niederwerfend, was ihm den Weg verwehrte, drang er mit siegender Gewalt vorwärts. Sein ganzes Heer folgte seinem Beispiel, doch ballte sich die Wucht des Streites um ihn und seine auserwählte Schar. Tapfer focht die Landwehr für Heimat, Weib und Kind, aber sie war dem Andrang nicht gewachsen. Sofort warf sich unverzagten Mutes König Hettel dem Würger entgegen. Der Kampf war heiß zwischen den kühnen Männern, doch endlich sank der Held von Hegelingen, aus einer Stirnwunde blutend, zu Boden, und nur mit Mühe gelang es seinen Mannen, ihn aus dem Getümmel zu tragen. Dagegen erschien der alte Wate den weichenden Landwehrmännern zu Hilfe. Er lachte grimmig, dass sein breiter Bart wackelte. „Nun sollst du schauen“, rief er, „ob ich in deiner Schule gelernt habe.“ Die Schläge der zornigen Helden übertönte das Feldgeschrei und Kampfgetöse. Ihre Schilde brachen in Stücke, manche Spalte klaffte in Helmen und Rüstungen, doch ließ der Alte nicht ab. Denn schon hatte er seinem königlichen Gegner das Helmgespänge zerhauen, so dass ihm ein Blutstrom über den Halsberg rann. „Nieder muss er, mein Lehrmeister!“, rief er, indem er ihn mit äußerster Gewalt bestürmte. Doch Hagen wich keinen Fußbreit. Da drängte sich König Hettel, die Binde um das wunde Haupt geschlungen, durch die Menge, an seiner Hand die schlanke liebliche Hilde. Er umschlang den alten Wate, sie den Vater, nicht achtend der Geschosse und geschwungenen Schwerter. Es war, als sei ein Engel des Lichtes und des Friedens zwischen die Streiter getreten. Denn die Waffen ruhten, das Geschrei verstummte. „Lieber Oheim“, sprach Hettel, „schone den Vater meiner Gattin!“ Und die edle Jungfrau sprach: „Vater, lass ab vom Kampf, denn dein Kind soll Königin in Hegelingen sein und in allen Landen, die dem reichen König Hettel untertan sind. Er ist edel und gut und will mich in großen Ehren halten.“
Der Anblick und die Rede der geliebten Tochter bezwangen endlich den wilden Hagen. Er schloss sie liebreich in die Arme, reichte dem Schwiegersohn, dann auch dem alten Helden von Sturmland gütig die Hand und sprach das Wort des Friedens und der Versöhnung. Danach wurde der Verwundeten gedacht, und da schaffte der Alte Rat und Hilfe. Er hatte ein schmerzstillendes Heilkraut, und damit verband er Hettels und Hagens Wunden. Dann ging er, der vorher grimmig mit dem Schwert gewütet hatte, über das Schlachtfeld, und wo ein Mann noch atmete, verband er die Wunde mit dem heilenden Kraut, und die noch am Leben waren, genasen unter seiner Pflege. Am Abend saßen die Helden versöhnt beim Gelage, da sprach der Alte von Sturmland: „König Hagen, Ihr habt mich drei Schläge gelehrt, so will ich Euch drei Züge lehren, die bis auf den Grund des großen Trinkhorns reichen.“ Wie er gesprochen hatte, so tat der mächtige Held, dass nicht ein Tröpflein mehr in dem Horn blieb. „Hei, tüchtiger Meister“, sprach der wilde Hagen, „die Lehre gefällt mir. Schau her, ob ich sie erlernt habe.“ Sofort leerte auch er das Horn bis auf den Grund. Da lachten alle Gäste und taten es ihnen nach, doch so manchem misslang das Meisterstück, und lauter scholl das Gelächter über die Stümper in der edlen Kunst.
Am folgenden Morgen fuhren alle Recken nach Matelane, der stolzen Burg im Hegelingenland, wo die Hochzeit in seltener Pracht gefeiert werden sollte. Eine Botschaft berief auch die gute Frau Hilde zu dem Ehrentag ihrer Tochter, und sie kam freudig mit vielen Frauen und Jungfrauen, welche alle die liebliche Braut in das Münster begleiteten. Nachdem der Priester den Segen gesprochen hatte, kehrte man in die Königsburg zurück, wo man an reich besetzter Tafel die Hochzeit feierte. Da sang Horand ein Lied von der Liebe, die tief, unergründlich sei, wie der Himmelsschoss und leuchtend gleich den Sternen.
Friedlich lebten König Hettel und Schön-Hilde auf Matelane, und die Männer von Hegelingen, Ortland und Dithmarschen dienten willig dem gerechten Herrscher, der sie mit seinen Helden vor feindlicher Schädigung wohl bewahrte. Zwei Kinder entsprossen dem Ehebund, der Knabe Ortwin und das Mägdlein Gudrun, beide von Leib wohlgetan und kräftig, aufblühend wie Nordlands Rosen im lieblichen Lenz. Als der Knabe heranwuchs, nahm ihn Wate, der alte Held von Sturmland zu sich, dass er wie sein Vater bei dem alten Meister die ritterliche Kampfkunst erlerne, die kein anderer Held in gleicher Weise verstand. Die Tochter blieb bei den Eltern. Sie wurde in allen weiblichen Gepflogenheiten wohl unterrichtet, von Hildburg gepflegt, doch vornehmlich lernte sie die Liebe und Treue, welche die Mutter dem Gatten erwies. So erwuchs sie zur Jungfrau und wurde bald in allen Landen nicht nur wegen ihrer Schönheit gepriesen, die sogar ihre Mutter überragte, sondern auch wegen ihrer Sanftmut und Klugheit.
Gudrun war noch jung an Jahren, da kamen schon edle Fürsten, um ihre Hand zu werben. Unter ihnen war auch der mächtige König Siegfried von Moorland (aus Norwegen), stark und groß von Leib, doch bräunlich von Angesicht, weshalb man ihn auch Mohrenkönig (aus Afrika) nannte. Ihm waren sieben Könige untertan, daher brachte er kühn seine Werbung vor. In den ritterlichen Turnieren stand er mit seinen Recken stets an der Spitze, und bot auch dem König seine Dienste an. Gudrun war ihm nicht ungewogen, trotz seiner dunklen Hautfarbe. So hoffte er auf ihre Liebe, aber die Eltern wollten ihm die Schöne nicht zur Frau geben. Aus Stolz auf die Schönheit seiner Tochter versagte ihm König Hettel die liebliche Jungfrau. Das verdross ihn sehr, so dass er auch zum freundlichen Dienst nicht mehr bereit war, und sich vom Land der Hegelingen abwandte, was ihnen noch viele Jahre großen Schaden bringen sollte.
Zu jener Zeit herrschte in der Normandie und den Nachbarlanden König Ludwig, der mit starker Hand sein Reich von Zins frei gemacht und erweitert hatte. Gleich ihm war sein Sohn Hartmut ein kühner Kriegsheld, des Vaters Helfer in Kriegsnot. Als derselbe von Gudrun hörte, beschloss er, um sie zu werben. Der König meinte, das sei ein übler Rat, weil Hagen, der Großvater des Mägdleins als sein ehemaliger Lehnsherr ihm gram sei, und weil Hilde, des Mägdleins Mutter, sicherlich den Übermut ihres Vaters geerbt habe. Dagegen sprach seine Frau Gerlinde, die Königin: „Unser Sohn Hartmut ist wohl der schönsten Jungfrau wert. Darum soll man Boten senden, welche die Werbung ehrenvoll ausrichten. Mich dünkt, man wird nicht wagen, ihm die Jungfrau zu verweigern.“ Dieser Rat gefiel dem jungen Helden. Zwölf Lastpferde wurden mit Silber beladen, und die Boten fuhren mit den reichen Gaben nach Hegelingen. Dort wurden sie zunächst gut aufgenommen, und als Königin Hilde die Geschenke empfing, dankte sie zwar, fügte aber hinzu, sie wähne, der Normannenkönig wolle damit die alte Schuld abtragen, denn er habe einst Burgen und Land von ihrem Vater Hagen zu Lehen erhalten. So wurden die Recken als Gäste wohl bewirtet, doch als König und Königin ihren Antrag vernahmen, zeigten sie ihren Unmut und sprachen, dem Sohn eines Dienstmannes werde nimmer ihre Tochter zu teil. Hartmut solle sich unter den Dienstmannen von Hegelingen einen Schwiegervater suchen, die seien reich begütert und von so edler Abkunft wie der König der Normandie. Darauf nahmen die Recken Abschied und kehrten mit der üblen Nachricht zu ihrem Herrn zurück.
Herr Ludwig war nicht sehr verwundert über die Ablehnung, wohl aber Frau Gerlinde, deren Ahnen reiche Könige gewesen waren. Sie riet dem kühnen Hartmut, die Schmach mit den Waffen zu rächen. Indessen sann der junge Königssohn auf anderen Rat, zumal er von den Boten erfahren hatte, dass die Jungfrau wirklich so vollkommen schön war, wie man sagte. Er beschloss, unter anderem Namen und Gewand mit kleinem Gefolge die Bewerbung selbst zu unternehmen. Denn er war ein ansehnlicher Held, ritterlicher Gepflogenheiten kundig, von stattlichem Wuchs und männlich schönem Angesicht. Wenn er durch die Säulenhallen der Königsburg im fürstlichen Gewand schritt oder in blanker Rüstung zu Turnieren und Heerfahrten auszog, dann wandten sich ihm die Herzen edler Frauen zu, und alle begrüßten freudig den siegreichen Helden bei der Heimkehr. Deshalb vertraute er fest, er werde die Liebe der königlichen Jungfrau zu Matelane im Land der Hegelingen gewinnen, und durch die Tochter auch die ahnenstolzen Eltern. Die Schiffe wurden gerüstet, ein günstiger Wind blähte die Segel, aber bald schlug er um, und die Bootsleute, wie kräftig sie auch mit den Rudern die Salzflut schlugen, konnten die Fahrt nur langsam fördern. So geschah es, dass ein anderer Bewerber, der kühne Herwig, König von Seeland, früher in Matelane angelangte. Auch er war ein ansehnlicher Held, durch manchen Sieg berühmt, tüchtig und treu den Verwandten und Freunden. Blonde Locken umwallten sein Angesicht, und aus seinen blauen Augen strahlte das Feuer seines Geistes. Wohl bemerkte die Jungfrau seine Blicke, wenn sie liebend auf ihr ruhten, ihre Augen erhoben sich schüchtern zu dem kühnen Mann, und sie sagten nicht nein. So verstanden sich beide, ehe noch das Wort Liebe ausgesprochen war. Als darauf Hartmut mit seinen Schiffen im reichsten Schmuck landete und als stolzer Fürst gastliche Aufnahme fand, erkannte derselbe bald das stille Liebesspiel zwischen Herwig und der Jungfrau, ließ sich aber dadurch von der Bewerbung nicht abschrecken.
Ein günstiges Geschick ließ Hartmut einst die schöne Gudrun im Garten allein finden. Er entdeckte ihr frei und offen seine Liebe und sagte auch, wer er sei. Sie erschrak, doch faßte sie sich bald und verhehlte nicht, dass ihr Herz bereits gewählt habe. Sie sprach weiter, dass ihr Vater und ihre Mutter in diese Verbindung niemals einwilligen würden, weil sie den König Ludwig als einen Dienstmann betrachteten, und dass auch sein Leben bedroht sei, wenn ihnen sein Name und seine Abkunft kundwerde. Das Wort Dienstmann erregte den Zorn des jungen Helden, so dass ein glühendes Rot seine Wangen färbte. Indessen ließ er es der Jungfrau nicht weiter merken, sondern nahm mit geziemender Rede Abschied und steuerte, nachdem er noch den König und die Königin begrüßt hatte, zurück nach der Heimat.
Herwig verweilte länger auf der Königsburg. Er hoffte immer, einen glücklichen Augenblick zu finden, da er mit der geliebten Jungfrau von dem reden könne, was ihm das geheime Liebesspiel schon verraten hatte. War es nun Zufall oder Veranstaltung der klugen Königin, er fand die gelegene Stunde nicht. Da trat er offen vor König Hettel und brachte seine Werbung vor. Der Herrscher der Hegelingen nahm die Nachricht kühl auf, denn er meinte, der König des kleinen Reiches Seeland sei kein würdiger Schwiegersohn für das Oberhaupt eines so mächtigen Reiches. Er sagte, die Jungfrau sei noch zu jung und könne sich noch nicht mit der Wahl eines Bräutigams befassen. Mit diesem Bescheid musste sich der kühne Held begnügen und gleich seinen Vorgängern die Segel setzen und dem Land seiner Väter zusteuern.
Doch Herwig fand in seiner einsamen Burg keine Ruhe. Er sammelte bald seine Mannen zur Heerfahrt nach Hegelingen. Er konnte nur dreitausend gewappnete Leute aufbieten, aber es waren unverzagte Recken, die mit ihrem werten König schon in mancher Schlacht gefochten hatten. Sie folgten willig seinem Ruf, bestiegen die Schiffe und landeten unversehens am Strand von Matelane. Hettel war nicht gerüstet, seine Helden fern, dennoch zog er mit der bereiten Mannschaft aus der Burg. Schon schwirrten und krachten die Speere, schon klangen die Schwerter, schon drang der kühne Herwig unwiderstehlich vorwärts und bedrohte das Haupt des Königs. Da schlichtete Hilde, ihrer Vergangenheit gedenkend, den Streit. Sie zog mit der mutigen Gudrun und vielen Frauen aus dem Burgtor, sprach das Wort Frieden und stiftete Versöhnung. Hettel, erkannte den kühnen Sinn und die tapfere Faust des Königs von Seeland und willigte in die Verlobung der schönen Tochter mit dem versöhnten Gegner ein. Der junge Held dachte, er könne nun die Jungfrau gleich mit sich führen, doch Mutter Hilde verwehrte es und sprach, dass die Vermählung erst nach Jahresfrist gefeiert werden solle, denn dafür sein noch einiges vorzubereiten. Bis dahin möge er sich in sein Reich nach Seeland zurückziehen und sich die Zeit mit schönen Frauen vertreiben. Was dann auch geschah.
Mittlerweile hatte auch Siegfried in Moorland von der Verlobung zwischen Gudrun und Herwig erfahren. Er rüstete sich über die Winterzeit, um seinen Unmut darüber zu zeigen, und kündigte Herwig in Seeland die Fede im kommenden Frühling an, so dass er sich zum Kampf bereitmachen solle. Der König vernahm es mit Schrecken, denn er war sich keiner Schuld bewusst, doch sammelte sein Heer. Bald darauf fuhr Siegfried mit zwanzig Schiffen gegen Seeland und eroberte mit der Kraft des Feuers Burg für Burg. Herwig wehrte sich tapfer, der Kampf dauerte lange, doch Siegfried drang immer weiter ins Land, bis sich Herwig schließlich auf seine Burg hinter dicken Mauern retten musste. Ringsherum brannte das Land, Herwig war verzweifelt und sandte in seiner Not Boten an Gudrun und König Hettel, um Hilfe zu bekommen. Die Boten fanden mit großer Mühe einen Weg nach Hegelingen und traten mit ihrer Bitte vor König Hettel, der sie allerdings an Gudrun verwies, die über die Hilfe entscheiden sollte. Gudrun empfing sie mit Tränen in den Augen, denn sie hatte bereits von dem schrecklichen Kampf zwischen Siegfried und Herwig gehört und wusste, dass es hier vor allem um sie selbst ging. So fragte sie die Boten zuerst, ob ihr Verlobter noch lebe, und sie berichteten, dass er sich auf seine Burg zurückgezogen hatte und nun auf ihre Hilfe und Treue hoffte. Daraufhin erhob sich Gudrun und bat mit weinenden Augen ihren Vater, dem Verlobten zu helfen. König Hettel versprach schnelle Hilfe und zog nach wenigen Tagen mit Ortwin, seinem jungen Sohn, sowie dem alten Wate, Frute und Horand an der Spitze einer großen Armee nach Seeland.
Es wurde auch höchste Zeit, denn Herwig konnte sich in seiner Burg kaum noch halten. Da erblickte er auf dem Meer die ersehnte Hilfe. Am Horizont tauchten weiße Segel auf, und die Flaggen der Hegelingen entfalteten sich. Doch der kampferfahrene Siegfried ordnete seine Armee unter dem Schall der Pauken und Trompeten. Ein Teil bestieg die Schiffe, die Hauptmacht hielt die Küste besetzt, um den Hegelingen die Landung zu verwehren. Die Schlacht entbrannte zu Wasser und zu Lande. Nach Frutes Weisung wurden Brände und Feuergeschosse auf die feindlichen Schiffe geschleudert, und alsbald leckten Flammen empor. Da wurde der Himmel rot von der aufsteigenden Glut, die Erde und das Meer vom strömenden Blut der Streiter. Die Schlacht währte ohne Entscheidung fort, doch gewann der alte Wate festen Fuß am Strand, dann auch die anderen Helden. Der junge Ortwin und König Hettel selbst waren mitten im wilden Getümmel. Horand, mit Speer und Schwert arbeitend, sang ein Sturmlied, das die Kämpfer mit höherem Mut erfüllte, und es war fast, als sei es in weite Ferne gedrungen und der kühne Herwig habe es vernommen, denn er brach mit seinen Getreuen unerwartet aus der Burg aus und entschied die Schlacht. Jedoch wandte sich König Siegfried nicht zur Flucht, vielmehr kämpfte er überall, wo die Not drängte, voran und lenkte den Rückzug nach einer festen Burg, die er früher erobert hatte und wo er jetzt Zuflucht suchte.
Der Abend war angebrochen, auf der Walstatt und ringsum die Festung lagerte das siegreiche Heer. Die Moorländer waren in schwerer Bedrängnis, ihre Schiffe verbrannt, ihre Vorräte und viele Gefangene in den Händen der Sieger. Ihre Reihen waren gelichtet, so dass sie nicht weiter auf offenem Feld zur Schlacht ausrücken konnten. Da die Belagerer die Festung rings umschlossen hielten, so entstand bald Mangel unter den Moorländern, doch dachte der kühne Siegfried nicht an Unterwerfung, er wollte lieber mit dem ganzen Heer sterben, als Schmach erdulden. So hoffte er auf irgendeine glückliche Wendung, und nicht vergebens.
Während König Hettel mit seinen Helden und der Reichsmacht in Seeland kämpfte, war ein anderer Feind in sein Land eingefallen, nämlich Hartmut mit einem zahlreichen Heer streitbarer Normannen. Als er zu Hause von dem üblen Ausgang seiner Bewerbung erzählt hatte, war Frau Gerlinde noch mehr erbittert als er selbst und schürte eifrig die Glut des Zornes über die schnöde Abfertigung. Das Wort Dienstmann ertrug auch König Ludwig nicht mit Geduld. Er wolle, sagte er, dem übermütigen Hettel und seiner stolzen Frau wohl beweisen, was der ehemalige Lehnsmann des wilden Hagen für schlimme Dienste leisten könne. Und als sie erfuhren, dass König Hettel mit seiner Armee in Seeland gegen Siegfried kämpfte, wurden sofort umfassende Rüstungen veranstaltet, und die streitbaren Normannen sammelten sich freudig unter das erhobene Banner ihres Königs.
Sobald die Schiffe und Vorräte bereitet waren, ging das Heer an Bord. Die Anker wurden gelichtet, und die Flotte segelte nach Hegelingen. Als die Wächter auf den Zinnen von Matelane die Fahrzeuge und auf den Verdecken die Fahnen, Helme und Schilde der Gewappneten erblickten, stießen sie in die Alarmhörner, worauf die bewaffnete Mannschaft die Mauern besetzte. Aber sie war wenig zahlreich, denn der König hatte seine Recken und Mannen nach Seeland geführt. Man hoffte aber trotzdem, die feste Burg bis zur Rückkehr des Königs zu verteidigen. Die Königin und Gudrun gingen zu den Waffenleuten, reichten ihnen stärkenden Trank und verhießen reiche Gaben. Bald begann der Sturm auf die Festung von zwei Seiten. Hartmut suchte mit Leitern die Mauern zu ersteigen, Ludwig das Haupttor mit Sturmbock und Äxten zu brechen. Wohl mancher Recke und Knecht fiel unter den Geschossen der tapferen Besatzung, aber die kühnen Normannen setzten den ganzen Tag ihren Angriff fort und drangen endlich hinauf und hinein in die erstürmte Festung. König Ludwig wollte das ganze Haus verbrennen und hatte schon das Schwert auf Frau Hilde gezückt, um ihr den Zins des Dienstmannes mit Wucher zu zahlen, da erschien Hartmut, dem Vater wehrend, den Frauen zum Schutz. Nur Gudrun mit ihren Jungfrauen, darunter die treue Hildburg aus Portugal, mussten auf die Schiffe folgen. Die Königin, ihr Gefolge, die gefangenen Burgmänner und das Königshaus selbst blieben von dem edelmütigen Sieger unangetastet. Allerdings wurde der Staatsschatz mitgenommen, um die Macht des Königs zu schwächen, und am folgenden Tag feierte man den Sieg am Strand und belohnte die Krieger. Erst am dritten Tag trat man die Fahrt an, denn der Wind stand ungünstig und die Knechte mussten rüstig in die Ruder greifen.
Königin Hilde schaute wehklagend den abziehenden Schiffen nach und sandte sogleich Boten zu Hettel nach Seeland. Als die schreckliche Kunde von der Erstürmung der Burg, vom Tod der besten Recken in Hegelingen, vom Verlust des Staatsschatzes und dem Raub der edlen Gudrun dort eintraf, dachte niemand mehr an die Bezwingung von Siegfried, sondern an die Verfolgung der frechen Raubfahrer. Der alte Wate rief: „Das sollen sie uns büßen! Noch manches Leid sollen Hartmuth und sein Geschlecht erfahren!“ - „Wie soll das geschehen?“, fragte König Hettel. Darauf sprach der weise Frute: „Wir wollen Frieden mit Siegfried und seinem Heergesinde schließen. Dann ziehen wir alle gemeinsam gegen Hartmuth, um die schöne Gudrun zu befreien.“ Hettel und Herwig fanden diesen Rat gut, und schon am nächsten Morgen sammelten sie die verfügbare Heeresmacht vor der Festung, um Siegfried ihre ganze Macht zu zeigen, und der weise Frute rief: „Wollt ihr Frieden schließen, ihr Helden aus dem Moorland? Sonst werdet ihr nicht entkommen.“ Daraufhin kam es zur Verhandlung. König Siegfried wurden sicherer Abzug und freies Geleit zugestanden. Und als dieser die schlimme Kunde über Gudrun vernahm, gelobte er, mit seiner ganzen Macht den Helden gegen die frechen Räuber Beistand zu leisten. Der Bund wurde geschlossen, die Heere waren gerüstet, alle noch verfügbaren Schiffe wurden beladen und bestiegen. Bald segelten sie auf hoher See zur Verfolgung der Normannen, und ein stürmischer Wind förderte ihre Reise.
Wie wogt so mächtig die salzige Flut!
Wie tragen die Helden so hohen Mut,
Zu befreien die edelste, herrlichste Maid
Von Banden und harmvollem bitterem Leid!
Wohlauf denn, hinein in die blutige Schlacht!
Die Räuber sind nahe: habt acht, habt acht!
So sang Horand mit seiner Stimme Kraft. Wind, Wellen und die Heere auf den Schiffen lauschten auf das Lied, und da war nicht einer, der zaghaft zurückweichen wollte im Sturm der Geschosse und Schwerter. Hoch, allen sichtbar, stand der sangeskundige Held auf seinem Schiff, wie ein Prophet, der Wahrheit verkündigt. Das erkannte man alsbald. Denn aus den grauen Wellen erhob sich eine flache Insel, die Wülpensand genannt wurde. Daselbst lagerte zahlreiches Kriegsvolk, und an den Bannern der streitbaren Scharen flatterte der horngeschnäbelte Rabe mit ausgebreiteten Flügeln, der Normannen Zeichen. Das stürmische Wetter hatte sie auf halbem Weg zur Rast gezwungen, und auf der einsamen Insel glaubten sie sich einige Tage in Sicherheit. Die wachhabenden Krieger dachten zuerst, eine Flotte fremder Händler nähere sich auf der anderen Seit der Insel, doch bald wurde klar, dass ihre Feinde gelandet waren. Schnell ordnete man sich zum Kampf und eine wilde Schlacht begann auf Wülpensand. Die Geschosse fielen dicht, wie die Flocken im Schneesturm. Achtlos der Gefahr, sprang der kühne Herwig in das wogende Meer der Schlacht. Er suchte Hartmut und fand ihn. Beide Recken kämpften mit gleichem Mut und gleichem Geschick. Doch stürmten von beiden Seiten die Streiter hinzu, so dass die Kämpfer wieder geschieden wurden. Auf der anderen Seite traf der alte Wate mit König Ludwig zusammen. Mit großer Kühnheit stritten die beiden Männer, und obwohl der Alte seinen Gegner mit einem furchtbaren Schlage zu Boden fällte, war dieser doch schnell wieder auf und vergalt ihm reichlich die erlittene Schmach. Auch hier wurden die Kämpfer im dichten Gedränge des Gefechts geschieden. Nicht minder mächtig kämpften Frute, Horand, Ortwin und Siegfried.
Die Schlacht wogte ohne Entscheidung hin und her, bis der Abend anbrach. Die Verluste waren auf beiden Seiten gewaltig, der Inselsand ganz rotgefärbt und von Leichen übersät. Da lagerten sich die müden Krieger auf ihren jeweiligen Seiten. Die Wachtfeuer loderten empor und erhellten spärlich die wolkendüstere Nacht. Als König Hettel in ihrem Schein aus dem Lager auf Erkundung ritt, erkannte er seinen Feind, den Frauenräuber Ludwig, der mit gleicher Absicht unterwegs war. Er rief ihn sogleich an, forderte ihn zum Kampf und bezichtigte ihn der Feigheit, als dieser erst den lichten Morgen abwarten wollte. Das ertrug der stolze Normann nicht. Die Schwerter der königlichen Kämpfer blitzten und schmetterten auf Helme und Schilde. Aber Hettel, von einem Lagerfeuer geblendet, gewahrte nicht, wie sein Gegner den Schild zurückwerfend, mit beiden Händen einen mörderischen Streich führte, und sank mit gespaltetem Haupt zu Boden. Das sahen seine Krieger und stürzten unter lautem Schlachtruf auf den Sieger, dem alsbald die Seinen zu Hilfe eilten. So entbrannte die Schlacht von neuem im nächtlichen Dunkel, da man den Freund vom Feind nicht unterscheiden konnte. Da fiel mancher tüchtige Held durch Freundeshand und verfluchte die Waffe, die solches vollbracht hatte. Die Führer erkannten das Verderbliche des nächtlichen Kampfes und ließen die Hörner zum Rückzug blasen. Darauf begaben sich beide Heere wieder in ihre Lager. Einerseits standen die Helden, begierig der Rache, um den königlichen Leichnam, anderseits erwogen die Könige, Vater und Sohn, den erlittenen Verlust, da ihre tapfersten Recken auf der blutigen Walstatt den langen Schlaf schliefen. Da dünkte es den normannischen Helden der beste Rat, unter dem Schutz der Nacht die Schiffe zu besteigen, die Leichen ihrer gefallenen Krieger zurückzulassen und mit ihrem Raub nach der Heimat zu steuern, um der wütenden Rache von Wate und den anderen Feinden aus dem Weg zu gehen. Wohl weinte Gudrun viel, als sie den Tod ihres Vaters vernahm. Wohl trug sie Verlangen, bei den Freunden zu bleiben, aber sie war gefangen, und die Kriegsknechte, die sie und ihr weibliches Gefolge nach den Schiffen geleiteten, achteten ihrer Tränen nicht.
Kaum tagte der Morgen, so rief schon der alte Wate zu den Waffen, und die Krieger hörten seinen Ruf. Wie groß war daher ihr Erstaunen, als sie das Lager der Normannen geräumt und die Schiffe verschwunden sahen. „Die Feiglinge sind entflohen!“, rief der Alte, „Lasst uns die Schiffe besteigen und ihnen bis in ihr Raubnest nachjagen, und wenn sie dort nicht sind, bis an das Ende der Welt!“ Schon waren Ortwin und Herwig bereit, dem Aufruf zu folgen, aber Frute forderte zur Vorsicht auf. Er gab zu bedenken, wie die Reihen ihrer Streiter gelichtet und die Normannen weitgenug voraus waren, so dass man sie erst in der Normandie einholen werde, wo Burgleute und streitbare Landwehr zu einer unbezwinglichen Macht werden würden. „Es bleibt kein anderer Rat“, schloss Frute, „als einige Jahre stillzusitzen, bis die heranwachsende Jugend wehrhaft wird, eine neue Generation der Kämpfer verfügbar ist und mit uns die Heerfahrt gegen die Räuber unternimmt.“ Die ratschlagenden Helden erkannten die Weisheit Frutes, und gelobten sich Treue, dass sie gemeinsam kämpfen werden, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Das Einzige, was sie jetzt tun konnten, war die Bestattung ihrer Toten. So trugen sie die gefallenen Freunde zusammen, und auf Ortwins Rat wurde über ihrem Grab eine kleine Kirche errichtet, ein Gotteshaus zur Einkehr. Nach kurzem Besinnen entschlossen sie sich, auch die gefallenen Feinde zu bestatten. Zuletzt begruben sie ihren König. Dann fuhren sie mit den wenigen Resten der Gefolgsleute traurig in ihre Heimat zurück.
Herwig fuhr nach Seeland, wo er sein Volk trösten und die zerstörten Burgen wieder aufbauen musste. Siegfried kehrte ins Moorland (nach Norwegen) zurück, und herrschte dort als König. Und die Hegelingen fuhren in ihre Heimat nach Dänemark. Ortwin fürchtete sich, der Mutter unter die Augen zu treten. Auch der alte Wate ritt nur zaghaft in das Land, denn mit all seiner Kraft und Meisterschaft war er nicht erfolgreich gewesen, und fürchtete, Hildens Huld zu verlieren. Die Leute waren gewohnt, ihn siegesfroh mit lautem Schall aus dem Krieg heimkehren zu sehen. Diesmal zog er schweigend mit den Seinen daher. Als Hilde den langsamen Trauerzug von der Burgzinne herab erblickte, überkam sie eine dunkle Ahnung. Sie fragte bekümmert, ob niemand den König kommen sehe? Viele liefen Wate entgegen und fragten nach ihren Freunden. Doch er hatte nur eine Antwort: „Sie sind alle erschlagen!“ Da erhob sich überall großer Schrecken, und Königin Hilde rief: „Oh weh meines Leides! Wie ist von mir geschieden der Leib meines Herrn? Wo ist Hettel, der Reiche? Wie schwindet nun alle meine Ehre! Verloren hab ich beide, auch Gudrun sehe ich nimmer mehr.“ Jammer und Weinen durchtönte den ganzen Königssaal. Da sprach der kühne Wate: „Herrin, laß das Klagen! Damit kommen sie nicht wieder. Wenn die Zeit reif und das junge Volk in diesem Land herangewachsen ist, werden wir unseren Schmerz und unsere Schande an Ludwig und Hartmuth rächen.“ Die Worte trösteten die Königin, und sie gelobte, alles zu tun, damit diese in Erfüllung gehen und sie ihre Tochter Gudrun wiedersehen könne. So mussten sich alle in das Unvermeidliche fügen.
Die Schiffe der Normannen segelten mit manchem Ungemach der heimischen Küste zu. Sie landeten im Hafen der stolzen Burg Cassian. König Ludwig zeigte Gudrun vom Schiff aus seine Burgen und das weite Land und forderte sie auf, fröhlich und gnädig zu sein, er werde es ihr reichlich lohnen. Doch die Jungfrau sprach traurig: „Wie könnte ich Gnade zeigen? Von der Gnade bin ich nun geschieden. Auf mich wartet der Kummer, und das Leiden wird mein Los sein. So werde ich eher sterben, als mich mit Hartmut zu vermählen.“ - „Dann stirb!“, rief der König zornig, fasste die Jungfrau an den Haaren und warf sie in die See. Doch Hartmut sprang sogleich hinterher und zog die Versinkende aus der Tiefe wieder hervor. Sie wäre wohl ertrunken, wenn sie der Held nicht an ihren blonden Zöpfen erfasst und gerettet hätte. So zog er die völlig Durchnässte und am ganzen Leib Zitternde in ein Boot und brachte sie ans Ufer. Angesichts dieser unwürdigen Behandlung der Königstochter weinten und jammerten alle ihre Jungfrauen, die nun auch den Weg des Leidens vor sich sahen. Als dann der König ans Ufer kam, sprach Hartmut: „Was ertränkt Ihr meine Frau, Gudrun, die Schöne? Sie ist mir wie mein Leib. Wenn Ihr nicht mein Vater wärt, hätte es Euch Leib und Ehre gekostet.“ Darauf erwiderte Ludwig: „Unbescholten bin ich in mein Alter gekommen, und will auch bis zum Ende in Ehren leben. So bitte nun Gudrun, dass sie ihren Zorn von mir wende.“
Bald darauf erschienen Königin Gerlinde und ihre freundliche Tochter Ortrun mit ihren Frauen und Burgmannen, um die kühnen Helden am Ufer zu empfangen. Als sie König und Königssohn begrüßt hatten, eilte Ortrun zu der trauernden Gudrun, umfing sie mit den Armen, küsste sie herzlich und bat sie, guten Mutes zu sein. Die Liebe der guten Jungfrau tat der Betrübten wohl, sie erwiderte den Kuss, obgleich sie ihre Tränen nicht zurückhalten konnte. Nun nahte auch die Königin, sie mit freundlicher Rede und Küssen zu begrüßen. Aber Gudrun wich zurück, denn die Frau mit den scharfen Zügen und hervorstarrenden Augen erschien ihr wie eine tückische Schlange, die bereit ist, sich auf ihren Raub zu stürzen und ihn mit ihren Windungen zu erwürgen. „Ei, schönes Püppchen“, rief Gerlinde, „was bist du so spröde? Wirst schon noch weich werden unter meiner Zucht.“ Sie wollte noch mehr reden, aber Hartmut trat dazwischen, die Mutter ermahnend, dass sie Gudrun, seine Verlobte, die um ihren Vater in Trauer sei, nicht mit schnöder Rede kränken solle. Er bot darauf der Braut den Arm, und sie musste, wenn auch ungern, an seiner Seite zur Burg gehen. „Wie schön sie ist!“, hörte man da und dort die Burgleute sagen, „Und wie traurig!“, sprachen andere.
Tage und Wochen vergingen, und Hartmut warb eifrig um die Liebe der schönen Jungfrau. Er war ein tüchtiger Held, kraftvoll und wohlgebaut von Gestalt und Angesicht. Seine dunklen, feurigen Augen suchten ihr Herz zu gewinnen, aber es blieb verschlossen, und ihr Mund blieb stumm bei seinen freundlichen Reden. Als er lebhafter in sie drang, dass sie ihm sage, warum, sprach sie: „Ihr seid ein edler Held und der Liebe wert. Aber ich bin mit Herwig verlobt und kann die Treue nicht brechen, auch wenn ich gefangen und in Eurer Gewalt bin.“ Wohl erregten die Worte seinen Unmut, aber er bewies sich darum nicht zornig gegen die Jungfrau. Er vertraute, dass die Zeit ihren Kummer besänftigen und ihren Trotz brechen werde.
Nicht so geduldig ertrug Frau Gerlinde den langen Verzug. Sie trat einstmals mit scheinbarer Freundlichkeit zu der Gefangenen und sprach: „Nun, süßes Täubchen, sage mir doch, wann wird Hochzeit sein mit meinem Sohn?“ - „Niemals“, antwortete Gudrun, „die Tochter des erschlagenen Königs kann nicht den Sohn dessen lieben, der ihn erschlug.” - „Niemals?“, wiederholte die Königin, und ihre Schlangenaugen starrten nach ihr hin, als wolle sie mit ihren Blicken die Jungfrau vergiften. „Ich bin des Zaubers kundig, der ein solches Täubchen zum Gehorsam zwingt“, fügte sie noch hinzu, und ging eiligst zu ihrem Sohn, um ihm die Nachricht vom Trotz der Gefangenen kundzutun und ihn zu versichern, dass sie dieselbe schon zu zähmen gedenke, wenn er sie ihrer heilsamen Zucht anvertraue. Hartmut war dazu wohlgeneigt, doch forderte er von ihr, sie solle mit der königlichen Jungfrau nicht unwürdig verfahren. Er konnte nicht weiterreden, denn eine Heerfahrt stand bevor, und schon harrten die Krieger des Aufbruchs.
„Schau doch, Liebchen, hast gut geschlafen. Aber nun ist es Zeit, an die Arbeit zu gehen, denn willst du keine Krone tragen, dann musst du dein Brot verdienen.“ So sprach Frau Gerlinde, am frühen Morgen in das Gemach tretend, wo Gudrun mit den Jungfrauen von Hegelingen der nächtlichen Ruhe gepflegt hatte. „Aber zu dem Tagwerk taugen die seidenen Gewänder nicht. Dazu sind Kittel aus Leinen dienlicher.“, fügte das schlimme Weib hinzu, indem sie den Mädchen die groben Gewänder zuwarf und allen Schmuck mit sich fortnahm. Darauf wies sie Gudrun an, wie sie Gemächer und Säle fegen, die Feuerung besorgen und in der Küche dienen solle. Auch die anderen Mädchen wurden zur Arbeit angehalten, doch nicht mit solcher Härte wie ihre Herrin. Gudrun ertrug alles geduldig. Ihre zarten Hände wurden voll Schwielen und bluteten von dem ungewohnten Werk, das sie Tag für Tag vom frühen Morgen bis zum späten Abend verrichten musste, und dennoch keifte und schimpfte die Alte auf die träge Dirne, die zum nützlichen Geschäft wenig brauchbar sei. Sie wurde immer härter und zorniger, da die Jungfrau nicht widersprach, sondern ruhig erduldete, was auch über sie erging. Wenn das boshafte Weib aber mit heuchlerischer Zärtlichkeit fragte: „Willst du nicht lieber die Krone tragen, mein Täubchen, als Magddienste tun?“, dann antwortete sie: „Mein Heiland trug die Dornenkrone und sein Kreuz zur Schädelstätte auf Golgatha und blieb getreu bis in den Tod. Wie sollte ich nicht auch mein Kreuz auf mich nehmen und die gelobte Treue halten!“ So tat sie, was man ihr auferlegte, im glühenden Sonnenbrand des Sommers wie in der eisigen Winterkälte, und murrte nicht über das harte Schicksal.
Über drei Jahre vergingen der harmvollen Jungfrau unter den mühseligen Arbeiten, die sie verrichten musste. Da kehrte der kühne Normannenheld mit seinem Vater von der Heerfahrt aus fernen Landen zurück. Er hatte in vielen Schlachten Sieg gewonnen, und stolz erhob er sein von Ruhm umstrahltes Haupt, als er in der Burg einzog und sein Vater ihn freudig lobte. Da forschte er nach der Jungfrau, die er unter Kämpfen und Abenteuern nicht vergessen hatte. Als er sie nun im groben Kittel und bei ihrer rauen Beschäftigung gleich einer leibeigenen Magd erblickte, zürnte er der Mutter, die ihrer so übel gepflegt hatte. Er bat, er flehte um ihre Liebe. Seine Krone, sein Reich und seinen Siegesruhm wollte er zu ihren Füßen legen, wenn sie die Seine werde. Aber sie sprach: „Ich bin nur eine Magd und muss hier dienen, dass ihr die Sünde habt und ich die Schande. Gerlinde hat mir so viel Leid getan, und mit Feindschaft will sie Liebe erzwingen. Das wird nimmer geschehen! Ich bleibe meinem Gelöbnis treu.“
Abermals in seiner Hoffnung getäuscht, verließ er sie. Doch wehrte er der bösartigen Gerlinde, dass sie nicht ferner die Königstochter zu misshandeln wagte. So wurde Gudrun am Abend in ihr früheres Gemach geführt, und am Morgen stand nicht die arge Schlange keifend an ihrem Lager, sondern mit Worten der Liebe die sanfte Ortrun, die sie solange nicht gesehen hatte. „Gudrun“, sprach sie, „du sollst wieder froh werden, denn ich darf bei dir bleiben, und durch meine Pflege wirst du von allem Harm genesen.“ Die Jungfrau, ihres erschlagenen Vaters und des fernen Freundes gedenkend, seufzte tief. Doch küsste sie die gute Freundin, stand auf und zog die seidenen Gewänder an, welche für sie bereitlagen. Beide Jungfrauen verkehrten miteinander und liebten sich, als ob sie zusammen aufgewachsen wären. Den ganzen Sommer hindurch war Ortrun heiter und suchte die Freundin mit Spiel und Tanz zu erfreuen und sang ihr Lieder von der Nordlandrose am stillen See, vom Himmelsstern, der im Menschenauge sein Bildnis sieht und nicht mehr weiterziehen will. Als aber im Herbst die Blumen und Blätter welkten, wurde sie ernst und traurig, spielte und sang nicht mehr. Oft fragte sie Gudrun, warum sie nicht wie bisher frohen Mutes sei, aber sie gab keine Antwort. Indessen, da die Freundin nicht nachließ zu forschen, sprach sie unter Tränen: „Ich wähnte, du werdest um meiner Liebe willen Hartmut deine Liebe gönnen. Weil du dich aber weigerst, gedenkt man, uns wieder zu trennen.“
Nordlandrose (Rosa Noisettiana)
Wo Nordens Klarheit und des Südens Glut
So wunderbar sich wie in Dir vereinen,
Da drängt wohl Alles sich mit freud'gem Mut
Zu huldigen dem lieblichsten Erscheinen.
O horch, wie feiert Dich mit Klang und Schall
Der Chor der Sänger, die Dich wahrgenommen,
Vielleicht nur trauert eine Nachtigall,
Da sie nicht weiß, ob Du ihr Lied vernommen.
(Quelle: Huldigung den Frauen, 1848)
Noch vieles redeten die Jungfrauen, da trat der Normannenheld selbst zu ihnen. „Gudrun“, sprach er, „der Recke, dem du Treue gelobt hast, ist deiner Liebe nicht wert, sonst wäre er nach so vielen Jahren mit Heeresmacht herübergefahren. Er hat dich vergessen, vielleicht eine andere königliche Jungfrau heimgeführt.“ - „Ihr kennt ihn nicht, edler Held“, sprach Gudrun, „uns scheidet nur der Tod, der alle Bande löst.“ - „Und wenn er nun in Kampfesnot gefallen oder in Siechtum gestorben wäre?“, fragte der junge König. „So will ich ihm dorthin die Treue bringen, wo keine Trennung mehr ist“, sprach Gudrun und stand kühn und hehr, wie ein Held in der Schlacht, vor dem Mann, der über ihr Schicksal zu gebieten hatte. „Du weißt nicht, edle Jungfrau, wen du verschmähst.“, sagte er unmutig: „Er hätte Reich, Krone und sein Haupt eingesetzt, um dich von unwürdigen Banden zu lösen. Doch nun muss er ohne Hoffnung fort, weit fort in neue Kämpfe ziehen, ob er Frieden gewinnen könne.“ So schied er von den Frauen.
„Ich soll deiner sorglich pflegen, Schätzchen“, rief Frau Gerlinde, die eilends hereinschlurfte, „das will ich in Treue tun. Du hast gar üble Grillen und Gepflogenheiten. Dagegen ist die Arbeit, reichliche Arbeit eine gute Helferin. Geh, Ortrun, an den Stickrahmen, deine süße Gespielin aber lege wieder das Seidengewand beiseite und nehme dafür den rauhen Kittel. Dann habe ich für sie ein Plätzchen am Waschtrog, denn meine Gewänder sind der Reinigung bedürftig. Es gibt auch viel zu kehren und zu fegen. Fort, Schätzchen, an das Werk!“ So sprach die Königin und bedrohte die edle Jungfrau mit Gerten und Ruten, wenn sie nicht das aufgegebene Werk bis zum Abend fördere. Gudrun aber schaffte früh und spät mit unverdrossenem Fleiß. Sie rieb sich am Waschtrog die Hände wund und ertrug alle Pein und alle Schmähungen der argen Schlange ohne Murren. So vergingen weitere sieben lange Jahre, bis Hartmut mit Ruhm und Beute zurückkehrte. Er tat zwar der Misshandlung Einhalt, aber seine Hoffnung, die Liebe der unvergessenen Jungfrau zu gewinnen, war eitel, denn ihre Treue wich nicht aus ihrem Herzen. Deswegen setzte die bösartige Mutter ihre Zucht wieder fort und wurde von Tag zu Tag unmenschlicher in ihre Behandlung der gefangenen Jungfrau. Die anderen Mädchen von Hegelingen hatten leichtere Arbeit. Sie mussten spinnen und spulen, wenn Gudrun in winterlicher Kälte am Waschtrog stand, bis sie spät abends im durchnässten Kleid todmüde auf ihr Lager von Stroh sank. Das erbarmte alle ihre Jungfrauen, die gar oft ihre geliebte Herrin mit der unwürdigen Arbeit beschäftigt sahen. Hildburg aus Portugal, die Hagen damals unter dem Greifennest fand, konnte ihren Unmut nicht mehr verbergen. „Wie könnt Ihr, stolze Königin“, sprach sie, „einem edlen Königskind solche Schmach antun? Ein übler Höllengeist hat Euch gezeugt und Euch das harte Herz in die Brust gelegt.“ - „Das sollst du büßen, lose Dirne“, keifte Frau Gerlinde, „gleich fort an den Waschtrog zu deinem Königskind! Dort kannst du zusehen und die Hände fleißig regen, dass mein Kleid weiß wird, gleich dem Schnee, der die Felder bedeckt.“
Das war es, was die Jungfrau wünschte. Sie konnte nun der werten Freundin mit emsigem Fleiß Beistand leisten und sie trösten und ihr die Mühsal erleichtern. Doch musste Gudrun auch zuweilen allein ans Meer gehen und in der eisigen Salzflut die Kleider spülen. Da geschah es einstmals, dass sie einen Schwan über das Meer herschwimmen sah. „Ach“, sagte sie, „guter Schwan, hätte ich deine Flügel, so wollte ich mich zum blauen Himmel aufschwingen und nach der Heimat eilen, um zu sehen, wie es der Mutter und den Freunden ergeht.“ Wie sie diese Worte sprach, tauchte der Vogel in die Tiefe, und an seiner Statt stieg eine schöne Jungfrau hervor. „Dein Harm wird schwinden, edle Gudrun“, sprach die Meerjungfrau, „deine Mutter, dein Bruder und dein treuer Herwig sind heil und zu deiner Erlösung gerüstet.“ Die Meerjungfrau tauchte unter, und wieder erschien der Schwan auf der wogenden Flut. Seine Schwingen ausbreitend, umkreiste er Gudrun dreimal im Flug und sang mit menschlicher Stimme:
„Treue Liebe wohnt noch auf Erden,
Sie wankt und weicht nimmermehr,
Schon nah'n im Sturm die bewehrten
Helden mit mächtigem Heer.“
Der Vogel entschwebte in die Ferne, aber seine Tröstung blieb im Herzen der Jungfrau zurück, die nun freudig ihre mühselige Arbeit verrichtete. Die Zucht des bösen Weibes wurde jedoch von Tag zu Tag immer unerträglicher. Die Wäscherinnen mussten im dünnen Kittel und unbeschuht am Strand die Kleider waschen, während die Stürme des scheidenden Winters ihnen die Flocken ins Angesicht trieben. Als sie ihre Zuchtmeisterin nur um Schuhe baten, erhielten sie Schmähworte zum Bescheid, und Gerlinde drohte, sie mit Dornenruten zu züchtigen, wenn sie ihre Tagarbeit nicht am Abend vollendet hätten. Zitternd vor Frost, bei schneidendem Nordwind, die schönen Haare wild zerrauft und barfuß wuschen sie emsig, ohne sich Ruhe zu gönnen. Da erblickten sie ein Boot, in welchem zwei blank gerüstete Recken kräftig die Ruder führten. Sie steuerten den Strand entlang und kamen den edlen Wäscherinnen allmählich näher. Die Mädchen, sich ihrer spärlichen Bekleidung schämend, suchten sich zu verbergen, aber die Männer im Boot hatten sie schon erblickt, riefen sie an und baten um Kunde, wem die stolze Burg gehöre, deren starke Mauern sie vor sich sähen. Dabei stiegen sie ans Land und drohten, sich der Kleider zu bemächtigen, die am Ufer lagen, wenn ihnen nicht Auskunft werde. Daher näherten sich die Jungfrauen verschämt wieder, und Gudrun flüsterte erstaunt zu ihrer Begleiterin: „Ich irre nicht, ich erkenne ihn unter dem Helmvisier. Es ist Herwig, aber er kennt mich nicht mehr.“
In der Tat wusste der Held nicht, dass die lange verlorene Braut ihm nahe war. Der ärmliche Kittel, die nackten Füße, das verworrene Haar, das ihr Antlitz wild umflatterte, machten das Königskind unkenntlich. Als sie aber die wirren Locken zurückstrich und ihr Blick dem seinen begegnete, da erkannte er sie, eilte auf sie zu, schloss sie in die Arme, und im bräutlichen Kuss feierten Liebe und Treue ihren Sieg über die Schmerzen der Trennung und der Mühsale der jüngsten Zeit. Das war ein wonnevoller Augenblick, und nun trat auch der andere Recke hinzu, schlug das Helmvisier auf, und „Ortwin!“ rief die glückliche Jungfrau und herzte und küsste den Bruder. Der aber wandte sich zu der anderen Jungfrau, die noch fern und verlassen stand. „Du bist es, Hildburg?“, sagte er, ihre Hand ergreifend: „Scheue dich nicht, vor den Freunden zu gestehen, dass sich unsere Herzen längst gefunden haben, dass nur der Einbruch der räuberischen Normannen unsere Verlobung verzögert hatte. Hier am Meeresstrand, vor dem Angesicht des allwaltenden Gottes, feiern wir nun die Verlobung.“ Da wurden die Ringe getauscht, und ein Kuss besiegelte den Bund der Herzen. „Sieh doch, Herwig“, sprach Gudrun, „auch dein Ringlein hab' ich treu bewahrt.“ - „Und ich das deine“, antwortete er, auf den Goldring an seiner Hand deutend: „Aber nun rasch in das Boot, ihr edlen Frauen, dass wir zu dem Heer kommen.“ - „Davor behüte uns Gott“, rief Ortwin, „dass ich die Schwester heimlich im Gewand des Elends raube. Als Königinnen begrüßen wir die Jungfrauen morgen, wenn wir siegreich in die Burg einziehen. Gott beschütze euch bis dahin, vertraut auf ihn und unsere Schwerter!“
Noch ein Händedruck und ein Kuss, dann stiegen die Helden in ihr Boot und ruderten in die Ferne. Lange blickten die Mädchen ihnen nach. Dann mahnte Hildburg an die Kleider, die noch der Wäsche bedürftig waren. „Hei, wie sollte ich noch der Wäsche pflegen!“, rief Gudrun: „Zwei Könige haben mich geküsst. Nun bin ich Königin, und die arge Schlange ist es nicht mehr. Ihre Kleider mag die wilde Flut waschen.“ Mit diesen Worten nahm sie ein Kleid nach dem anderen, warf es weit in die treibenden Wogen und klatschte vor Freude in die Hände, wie Wind und Wellen die Gewänder forttrieben, auch wenn ihre Gefährtin, die Hände ringend, von der Strafe sprach, die sie nun erwarte.
Frau Gerlinde stand schon lauernd auf der Warte, als die Jungfrauen angelangten. „Seid ihr schon mit dem Tageswerk zu Ende?“, rief sie ihnen entgegen, „aber wo habt ihr die Gewänder?“ - „Die Arbeit war für uns zu schwer“, sagte Gudrun ruhig, „wir wären damit nicht fertig geworden. Deshalb übergab ich die Kleider den Wellen, die sie weißer waschen werden als der Schnee. Vielleicht bringen sie auch manches Stück wieder in Eure Hände.“ Auf diese kühne Rede war die Königin nicht gefasst, sie starrte Gudrun mit offenem Mund eine Weile an, aber dann fand sie Worte. „Habt ihr etwa mit heimlichen Buhlen gekost?“, rief sie: „Aber dafür sollt ihr Strafe leiden. Man entkleide die losen Dirnen!“, herrschte sie ihren Mägden zu: „Man binde sie fest! Ich will ihnen mit Dornenruten den lüsternen Mut austreiben. Herunter mit den Kleidern! Die Dorngerten her!“ Die Mägde wollten dem Befehl folgen, aber die Jungfrau erhob sich selbstsicher, als ob sie nun die Herrin wäre. „Rührt mich nicht an, ihr Mägde!“, sprach sie: „Morgen bin ich eure Herrin, und ihr sollt mich als Königin der Normandie schauen.“ - „Du willst?“, sprach Gerlinde freudig: „Da schwindet mein Zorn… Aber“, fügte sie hinzu, „ich fürchte, darin liegt eine Tücke verborgen.“ - „Führt den König hierher“, sprach Gudrun, „dass er es aus meinem Mund vernehme.“
Die Königin ging sinnend zu ihrem Sohn und sprach: „Hartmut, die trotzige Jungfrau willigt endlich ein, dir ihre Liebe zu gönnen, aber…“ - „Kein aber!“, rief der kühne Held: „Sie willigt ein! - Mutter, das Wort will ich von ihr selbst vernehmen.“ - Er eilte fort zu Gudrun, dass die Alte ihm nicht folgen konnte, und wollte die edle Braut in die Arme schließen, aber sie wehrte ab. „Nicht jetzt“, rief sie, „nicht hier in dem Gemach des Jammers, nicht in diesem Gewand einer Magd. Am hellen Morgen, in der Versammlung der Recken, gereinigt und im königlichen Schmuck bin ich bereit, mich umarmen und küssen zu lassen.“ - „Es gehe nach deinem Willen“, sprach der kühne Held: „Auf, ihr Mägde, bereitet eurer Herrin ein Bad und auch ihren anderen Jungfrauen! Bringt ihnen geziemende Gewänder, und königlichen Schmuck der, die ich nun Braut nennen darf! Rüstet ein reiches Mahl für alle, dass sie den Tag heiter beschließen!“
Die Befehle des Königs wurden befolgt, und am Abend saßen die Jungfrauen beim festlichen Mahl. Aber nur Gudrun und Hildburg scherzten und lachten laut. Die andern waren traurig, dass sie nun für immer von der Heimat fern in der Fremde bleiben sollten. Frau Gerlinde, immer spähend und lauernd, meinte, das Lachen Gudruns sei wie ein Sonnenblick, ehe der Gewittersturm losbreche, aber davon wollte Hartmut nichts hören. Erst als die Jungfrau mit ihren Gefährtinnen im Schlafgemach allein war, entdeckte sie ihnen, wie ihre Befreier mit Heeresmacht in der Nähe seien, und verhieß derjenigen viel Gold, die am Morgen zuerst die Nachricht vom Anzug des Heeres überbringe.
Ehe der Tag graute, stand schon die erste Jungfrau am Fenster und schaute aus nach der Flotte und dem Heer. Der Morgenstern glänzte am Himmel, und der Horizont war noch von nächtlicher Dunkelheit verhüllt. Dreizehn lange Jahre waren nun seit der großen Schlacht auf Wülpensand vergangen, eine neue Generation fähiger Kämpfer war herangewachsen, Frau Hilde hatte ein mächtiges Heer versammelt, zahlreiche Schiffe wurden gebaut und wohlbeladen, alle ihre Verbündeten hatten sich versammelt und waren nun zum großen Kampf bereit. Viele Hindernisse hatten sie auf der langen Fahrt gemeistert, manchen Sturm durchgestanden, und jetzt trieb sie ein günstiger Wind zur Küste der Normandie. Die Jungfrauen schauten sehnsüchtig auf das wellenreiche Meer hinaus. Da stiegen weiße Wolken am Horizont auf, und wie das Morgenrot seine Strahlen darüber goss, erkannten sie, dass es Segel waren. Und wie die Sonne aufging, fielen ihre Strahlen auf blanke Helme und Schilde. Nun war kein Zweifel mehr: Die Jungfrauen weckten ihre Herrin, und diese hätte laut aufjauchzen mögen. Aber aus Furcht vor Gerlinde hielt sie den Jubelruf zurück und sah mit pochendem Herzen, wie das mächtige Heer landete und der ganze Strand von Waffen erglänzte.
Der Wächter auf dem Turm war eingenickt. Jetzt wachte er auf, stieß mächtig ins Horn und rief mit tönender Stimme: „Wacht auf, wacht auf, Normannen! Feinde vor der Burg!“ Die Könige vernahmen den Ruf, aber sie konnten des Schlafes nicht Meister werden. Da stürzte Frau Gerlinde in ihr Gemach. „Das Heer von Hegelingen!“, rief sie: „Das war Gudruns Lachen! Die üble Maid wusste wohl, warum sie lachte.“ Sofort sprangen Vater und Sohn vom Lager, warfen ihre Mäntel um und eilten auf den Turm. König Ludwig meinte, es könnten auch Pilger sein, die mit ihren Waffen das heilige Grab befreien wollten. Aber Hartmut sprach: „Ich wähne, es sind die Banner, welche am Wülpensand flatterten. Schau, Vater, voran weht die Fahne von Sturmland, ein grimmiger Bär im grünen Feld, des alten Wate Zeichen. Daneben das Drachenbanner aus Hegelingen, das Frau Hilde sendet und von Frute getragen wird, sowie die Sonne mit goldenen Strahlen des jungen Ortwins. Dort Horands Harfe, der Sänger, der uns ein leidvolles Lied spielen wird. Nun stürmt von den Schiffen her auch der unverzagte Herwig. Hoch flattert seine Fahne mit dem Delphin im blauen Feld, und hinter ihm das Löwenhaupt von Moorland, das Banner des Recken Siegfried.“
„Das sind uns schlimme Gäste, ein gewaltiges Heer“, sprach König Ludwig, „aber wir müssen sie, als gute Wirte, draußen auf dem Feld empfangen. „Du sagst, was ich denke“, antwortete Hartmut, „nicht hinter Mauern verbirgt sich der Normanne, wenn solche Gäste mit Speer und Schwert Bewirtung fordern.“ Umsonst mahnte Gerlinde zur Verteidigung der starken Burg. Ludwig wies sie mit rauen Worten zurück, ließ die Burgmannen sich wappnen und rückte durch das geöffnete Tor ins freie Feld, während Hartmut aus einer anderen Pforte mit seiner bewaffneten Schar hervorbrach. Hoch ragte der junge König über alle Recken um eines Hauptes Länge empor, und furchtbar stürmte er in die feindlichen Reihen, dass alles vor ihm zurückwich. Das sah König Ortwin mit Gram. Er erkannte den Sohn dessen, der ihm den Vater erschlagen hatte. „Blut für Blut!“ Mit diesem Ausruf griff er den Normannen an. Die Helden kämpften grimmig, und ihre Recken drängten von beiden Seiten. Doch Hartmut war ein tüchtiger Held und hieb den Gegner durch Halsberg und Brünne, dass die Ringe vom strömenden Blut rot wurden. Schon blitzte sein Schwert zum Todesstreich, da warf sich der kühne Horand dazwischen und fing mit erhobenem Schild die Klinge auf. Indessen konnte auch er vor dem furchtbaren Helden nicht bestehen. Mit Mühe und Not wurde er verwundet von seinen Getreuen aus dem Getümmel geführt, und viele seiner Recken fielen unter den mörderischen Schlägen des kühnen Normannen. Von der anderen Seite drang König Ludwig unaufhaltsam vor. Ihm warf sich Herwig, der Held von Seeland entgegen. Aber nur sein stahlfester Helm bewahrte sein Leben, denn von einem gewaltigen Streich des Königs getroffen, strauchelte und fiel er zu Boden. Seine Getreuen fielen Mann für Mann um ihn her. Als jedoch die Betäubung von seinem Haupt wich, sprang er wieder auf. Da sah er die edle Jungfrau oben am Fenster, wie sie händeringend auf ihn niederschaute. „Gudrun!“, rief er, „Gudrun!“, zum zweiten und dritten Mal. König Ludwig warf verwundert einen Blick rückwärts über den gesenkten Schild. Da traf ihn das Schwert, das sein Gegner mit beiden Händen gefasst hatte, durch Halsberg und Ringe, dass sein Haupt zu Boden fiel. „Der König tot!“, riefen seine Mannen und wichen und flohen vor dem andringenden Sieger, dem mächtigen Horand und dem Moorländer Siegfried. Noch gewaltiger drängte Wate, der alte Held von Sturmland voran. Er schlug Mann und Ross zu Boden. Sein Schwert und sein Gewand trieften von Blut. Die flüchtigen Normannen drängten nach den offenen Toren und schlossen sie erschrocken, als der alte Wate würgend und mordend daher stürmte. Ein Hagel von Steinen und Geschossen empfing den kühnen Helden, aber sein Schild war von dickem Eisen und schützte ihn. Er rief nach Leitern und Sturmgerät und gedachte, die Mauern zu erklimmen.
Noch hielt sich außerhalb, unkundig, dass sein Vater gefallen war, der königliche Hartmut mitten auf dem Feld, wo er bisher siegreich gestritten hatte. Als er die Flucht der Normannen gewahrte, zog er sich mit seinen Kriegern langsam nach der Burg zurück. Da sah er, wie oben auf der Zinne Frau Gerlinde einem Knecht mit blankem Schwert einen Auftrag gab. Er kannte wohl den argen Sinn der Mutter und wusste, sie erteilte dem Mann Befehl, die wehrlosen Frauen zu ermorden. Sofort rief er mit Donnerstimme zum Knecht: „Feiger Hund, regst du eine Hand zum Mord, dann sollst du noch heute am Galgen hängen.“ Der Mann ließ das Schwert fallen und entwich aus Furcht vor dem Zorn des Gebieters.
Indessen sah Hartmut mit Erstaunen den alten Wate an der Pforte der Burg. Er hielt auf einer Höhe, und im Sattel sich erhebend, blickte er weitum, ob nicht sein Vater Ludwig Hilfe bringe. Aber überall wallten die Banner der Helden von Hegelingen und ihrer Bundesgenossen, überall feindliche Schwerter und Rüstungen. Horand, Frute und der Recke Siegfried stürmten mit ihren Mannen auf Hartmut und das Häuflein, das ihn umgab. Der unverzagte Recke suchte sich Bahn zu schaffen. Er dachte nicht an feige Flucht. Nun aber kehrte sich der blutige Alte gegen ihn. Unter seinen furchtbaren Streichen fielen die Normannen wie Halme unter der Sense des Schnitters. Jetzt schwang er das Schwert gegen den bedrängten König, dessen Tod gewiss schien. Es war ein verhängnisvoller Augenblick, aber der alte Held wurde plötzlich gehemmt. Herwig warf sich ihm in den Weg und flehte ihn an, des Feindes zu schonen. Wate führte in seiner Kampfeswut den Streich auf das Haupt des Freundes, dass er betäubt unter die Leichen erschlagener Normannen fiel. Das brachte den wilden Krieger zur Besinnung. Von Hartmut ablassend, hob er den werten Genossen auf und war froh, dass er noch lebte. „Hat es dir der Teufel ins Ohr geraunt, dass du um des Frauenräubers willen das Richtschwert hemmtest?“ - „Nicht der Teufel“, antwortete Herwig, „die edle Gudrun selbst, von der freundlichen Ortrun angerufen, bat mich, deren Bruder zu retten.“ - „Ach, die Weiber!“, rief der Alte von Sturmland: „Ja, die Weiber, eine wie die andere, haben Herzen so weich und schmiegsam, wie die weißen Wolken, die der Wind hin und her weht. Aber nun fort zur Burg Cassian, dass wir die Schlange in ihrer Höhle ergreifen!“
Der Streit mit Hartmut hatte sich in die Ferne gezogen, und der Held von Sturmland drang wieder gegen das Burgtor. Viele seiner Mannen starben unter dem Hagel von Geschossen. Doch wurde die Pforte gesprengt, er stürzte in den Burghof, Krieger und Knechte niederhauend, und die Treppe hinauf, wo auf jeder Stufe Blut floß, und hinein in den Frauensaal, wo sich um Gudrun die erschrockenen Jungfrauen drängten, während Ortrun und Gerlinde zitternd zu ihren Füßen knieten und um Schutz flehten. „Wo ist die Schlange?“, rief der mächtige Held: „Redet, Gudrun und ihr anderen!“ Er war blutig bis an die Achseln, auch sein Schwert triefte von Blut. Er war entsetzlich anzusehen, doch die königliche Jungfrau zitterte nicht, noch kam über ihre Lippen ein Wort, das die bösartige Gerlinde verraten hätte. Still und unerschüttert saß sie voller Hoheit, wie eine duldende Heilige, vor dem grimmigen Helden, der gleich einem schäumenden Eber umherblickte, als suche er den, auf welchen er sich stürzen wollte.
Da winkte eins der Mädchen nach der Königin, und wie er der Verhassten in die Schlangenaugen blickte, wusste er, dass er nicht irrte. Er ergriff sie bei den Haaren, schleppte sie hinaus auf den Söller, schlug ihr das Haupt ab und schleuderte Haupt und Rumpf über die Mauern. „Nun die andere!“, rief er, auf die erschrockene Ortrun zustürzend: „Auch sie wurde im Schlangennest ausgebrütet und soll der Unholdin nachfolgen.“ Er wollte das Mädchen ergreifen, aber Gudrun nahm die Freundin in die Arme, indem sie ihre Liebe rühmte. Das beruhigte den Alten, so dass er der Rache ein Ende setzte.
Inzwischen war der Streit außerhalb der Burg Cassian gleichfalls zu Ende. Todmüde von der langen Blutarbeit, hatte der Normannenheld das Schwert gesenkt und sich mit achtzig Kriegern, dem Überrest seiner tapferen Schar, seinen Feinden ergeben, die ihn umzingelt hatten. Am Abend saßen die Sieger mit den befreiten Jungfrauen von Hegelingen beim festlichen Mahl. Gudrun im königlichen Schmuck neben Herwig, dem Getreuen, die edle Hildburg an der Seite Ortwins, der noch die Binde um die Wunde geschlungen trug. Da wurde manch ernstes und manch scherzhaftes Wort gesprochen. „Nun ist die Arbeit und der Harm zu Ende.“, sprach Herwig zu der Jungfrau: „Wie das lautere Gold aus dem tiefen Schacht und dem schlechten Gestein durch Mühsal und Flammenpein gewonnen wird, so bist du uns endlich gewonnen durch dein langes Dulden und unsere Blutarbeit.“ - „Gold zu Gold“, sprach die Jungfrau, „Liebe zu Liebe, Treue zu Treue, so schlingt sich eine Kette, die nimmer zerbricht.“
Am dritten Tag ging das ganze Heer an Bord der Schiffe, nur einige Recken blieben zum Schutz von Cassian zurück. Hartmut, der gefangene König, und auch die gute Ortrun samt dreißig Mägden mussten den Siegern folgen. Am Wülpensand, wo die kleine Kirche zur Einkehr stand, beteten die frommen Helden. Die Glocken läuteten, der Chorgesang schallte im Gotteshaus, das Heer wallte um den mächtigen Hügel, der die Gebeine der hier in der Schlacht gefallenen Recken barg. „Ach, wäre ich bei euch gebettet!“, seufzte Ortrun, des erschlagenen Vaters und ihrer Verlassenheit gedenkend. Da nahte ihr Gudrun, nahm sie an der Hand und führte sie zu dem kühnen Helden Siegfried von Moorland, der die Liebe der edlen Jungfrau wünschte. Auf der weiten Fahrt ließ die Königin die teure Freundin nicht von ihrer Seite und wusste es einzurichten, dass sie den mächtigen Helden kennen- und schätzen lernte.
Frau Hilde saß mit Hergard, der Schwester Herwigs, in der Burg Matelane am Fenster und gedachte der Tochter und der Helden, die auf der Heerfahrt begriffen waren. „Wird unsere Gudrun die Treue bewahrt haben? Werden unsere Kämpfer heimkehren oder wie ihre Väter auf dem Wülpensand statt des Sieges ein Grab finden?“ So sprach die harmvolle Königin. „Sieh dort, Mutter Hilde!“, rief Hergard: „Ein Schiff und ein zweites, und immer noch mehr! Sie kommen, sie bringen dir Gudrun. Schau, wie sie mit vollen Segeln dem Strand nahen! Geschwind, ihnen entgegen!“ Ehe die Frauen das Ufer erreichten, war allen voran der alte Wate schon gelandet. „Heil Euch, hohe Königin!“, rief der Alte: „Wir bringen, was Ihr gewünscht habt, und sandten keine Boten, denn ich selbst wollte der Bote sein.“ Der frische Wind blähte die Segel, dass auch alle anderen Schiffe schnell ans Land kamen. Da war des Küssens und des Fragens kein Ende, und Frau Hilde fiel selbst dem alten Sturmländer um den Hals und küsste ihn trotz seines stachligen Bartes. Er erwiderte den Kuss so kräftig, dass es durch den Saal schallte, und die Frau hatte Mühe, sich von ihm loszumachen.
Große Freude und Wonne hatte Frau Hilde mit den werten Gästen, die samt dem Heer reichlich bewirtet wurden. In der ganzen Burg war nur ein mächtiger Held voll bitteren Harmes, der hieß Hartmut, der kühne Normannenheld. Nicht schmachtete er in Banden, sondern in ritterlicher Haft, nur gefesselt durch sein Königswort, ging er frei umher. Doch nagte der Unmut an seinem Herzen, der Unmut, weil er Vater, Mutter und Braut, Reich und Freiheit an einem Tag verloren hatte. Darum mied er die Begegnung mit denen, die alles Unglück über sein Haupt gebracht hatten. Er saß am liebsten in einer dunklen Felsengrotte, wo ein sprudelnder Quell aus der Tiefe hervorrieselte. Da sah er einst zwei Frauen in eifrigem Gespräch durch die Laubgänge des Gartens wandeln. Die eine war Frau Hilde, die andere eine schöne Jungfrau, noch jung an Jahren, doch reif an klugem Rat. Sie sprachen von dem gefangenen König, der im bitteren Gram sein Leben hinbringe. „Ja“, sprach Frau Hilde, „gern gewährte ich ihm Reich und Freiheit, aber ich sorge, der kühne Held richtet von neuem die Fahne des Krieges auf und bringt uns des Harmes mehr als zuvor. Du weißt nicht, gute Hergard, was ein Mann und auch ein Weib zu tun vermag, wenn der Geist der Rache ihrer Meister wird.“ - „Wie?“, sprach die Jungfrau, „Erkennst du nicht, dass er ein edelmütiger Held ist, fest und treu in Worten und Taten? Könnte er nicht entweichen, wenn ihn nicht sein königliches Wort bände? Gib ihm die Freiheit, in seine Heimat, in sein väterliches Erbe zurückzukehren!“ So bat und flehte die Jungfrau, und der gefangene König sah und hörte sie, und sie schien ihm noch schöner als Gudrun selbst, deren Liebe ihm sonst als das höchste Gut der Erde erschienen war. Frau Hilde dagegen schüttelte das Haupt und meinte, mit Freiheit und Macht wachse auch das Begehren nach Rache. Sie verließ die Jungfrau, die sinnend zurückblieb. Hergard blickte einer aufsteigenden Lerche nach, die, wie sie wähnte, ein Lied von der süßen Freiheit sang, und bemerkte darum nicht, wie Hartmut hervortrat, bis er nahe bei ihr stand. Sie wollte entfliehen, aber er beruhigte sie. Er hatte auch nicht mehr das finstere, feindselige Wesen, sondern sprach so freundlich, dass sie Vertrauen fasste. In traulichem Gespräch lernten sich die beiden edlen Menschen kennen und schätzen, und da sie sich noch manchen Tag in der Felsengrotte zusammenfanden, wurde der Bund der Liebe geschlossen.
Frau Hilde überraschte sie eines Tages, aber der Held trat kühn vor die Königin und sprach, die Liebe habe den Hass bezwungen. Hergard sei das Pfand, das den Bund zwischen Normannen und Hegelingen unauflöslich mache. Gern gab die hohe Frau ihre Zustimmung und führte den freien, mit dem Schwert umgürteten Helden zu den Recken von Hegelingen. Nach einigen Wochen wurde ein großes Hochzeitsfest gefeiert. Da traten vier Paare an den Altar und empfingen den kirchlichen Segen, nämlich Herwig und Gudrun, Ortwin und Hildburg, Siegfried und Ortrun, sowie Hartmut und Hergard. Danach saßen sie beim frohen Hochzeitsmahl alle gemeinsam zusammen, denn die vergangenen Leiden und Kämpfe waren vergessen und verziehen. Horand aber, der greise Sänger, ergriff die Harfe mit den goldenen Saiten und sang sein letztes Lied.
Nun sang der Töne Meister von Liebe, Lust und Leid,
Vom Blumentod im Hagen und seliger Maienzeit;
Wie sang er hell und trübe! Das war ein Sonnenaug'
Ein Gottesaug', das weinte, und Menschen weinten auch.
Da hub er an zu singen die Weise (der Meerfrauen) von Amile,
Da wurde Frau Hilde, der Königin, in süßem Gedenken weh.
Sie war in ihrer Jugend, sie war bei dem, der tot;
Sie konnte sich nicht wehren, sie weinte in süßer Not.
Wie sang er nun gewaltig von Reckenkampf und Zorn,
Von Waleis, vom Wülpensand, vom Lager bei dem Born;
Da hoben die alten Recken empor den stolzen Mut;
Wie blitzten Wates Augen, wie Frutes von Kampfesglut!
Nun fing er an zu klagen vom Ehrentod im Streit,
Vom heiligen Gedenken fern über Grab und Zeit;
Da sprangen auf die Jungen, im Auge lodernd Feuer,
Hoben die Hände und schwuren: „Wir denken ewig euer!“
Doch weh', nun sang er leise von schöner Zeiten Flucht,
Vom Winterschnee im Haar und letzter stiller Bucht.
Da rannen die hellen Tränen aus Augen noch so hart,
Den Frauen über die Wangen, den Männern in den Bart.
Und waren sie so traurig, so voll von schwerer Pein?
O nein, sie waren so selig, wie's mag im Himmel sein.
War doch Herr Wate selber ein stille weinend Kind;
Ich wähn', in solcher Stunde vergäb' er selbst Frau Gerlind.
So kamen die Königspaare, so stieg Frau Hilde vom Thron,
Sie nahmen von ihren Häuptern die goldne Königskron';
Sie legten sie ihm zu Füßen und sprachen zum Sängergreis:
„Du bist der König der Könige, du, aller Sänger Preis!“
Da nahm der alte Sänger die Harfe ein wenig zurück,
Sah auf die goldnen Kronen lächelnd mit stillem Blick.
„Tragt sie, bis eure Stirn die weiße Locke umzieht;
Die Kronen sind vergänglich, doch ewig ist das Lied.“
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