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Deutsche Überarbeitung nach dem Text von Wilhelm Wägner (1878/1882) mit vielen Abbildungen,
sowie nach dem altenglischen Urtext
Ausgabe:
Inhaltsverzeichnis
Nibelungensage und Nibelungenlied
Hugdietrichsage
Dietrichsage
Hageling- und Gudrunsage
Beowulf-Sage (nach Wilhelm Wägner)
Der Grendel-KampfBeowulf-Sage (Urtext)
Die Meerwölfin
Der Königsweg
Der Drachenkampf
König Scyld der DänenQuellenverzeichnis
1. Die gehörnte Hirschhalle Heorot
2. Grendels Angriff
3. Beowulfs Dienstbereitschaft
4. Beowulfs Herkunft
5. Wulfgar empfängt Beowulf in der Halle
6. Beowulfs Auftritt und Ansprache vor dem König
7. Die Antwort des Königs
8. Unferth und der Wettkampf mit Breka
9. Ausgang des Wettkampfes und Begrüßung durch Wealhtheow
10. Gelöbnis zur Nacht im Hirschsaal
11. Der nächtliche Kampf beginnt
12. Der Sieg über Grendel und das Siegeszeichen
13. Ein neuer Morgen und die Geschichte von Siegmund
14. Danksagung
15. Gabenspende für Beowulf
16. Gaben für das Gefolge und Geschichte von Hildburg und Finn
17. Geschichte von Hengest über Erbe und Ehre
18. Die Gabenspende der Königin
19. Grendels Mutter greift an
20. Äschere und das Moor
21. Der Moor-Weg und Unferths Schwert Hrunting
22. Im Wasserreich der Meer-Wölfin
23. Grendels Haupt
24. Beowulf übergibt die Trophäen und Hrodgars Rede
25. Weitere Betrachtungen des Königs
Einst sandte den Sohn der selige Odin,
Auf schimmerndem Schild schwimmend, zur Erde.
Unkundig des Gottes, die Menschenkinder
Empfingen doch festlich den freundlichen Knaben,
Den wilden Wellen ihn rasch entwindend.
Sie nannten den Namenlosen Scyld („Schild“).
Er wuchs und wurde ein mächtiger Held,
Ein König und Recke im Dänenland,
Inmitten der Meere, mit Ruhm und Macht.
Ihm gaben die Götter Kinder und Enkel,
Beow und Healfdene, dem Ahnherrn gleichend,
Verherrlichte Herrscher, auf dem Hochsitz thronend,
Auch sein Urenkelsohn, wie die Sonne leuchtend:
Hrodgar, der Kühne, kundig des Schwertes,
In blutigen Schlachten schlug er das Raubvolk
Zur Freude des friedlichen Volkes, das emsig,
Des Pfluges pflegend, fördert das Ährengold.
Der herrliche Herrscher erbaute die Halle,
Die festlich geschmückte, darin wir feiern
Den kraftvollen Krieger, gekrönt mit Ehren,
Den Völkergebieter, des Landes Schatz.
So sang ein Spielmann zur Harfe in König Hrodgars großer Halle, die man die gehörnte oder Hirschhalle nannte, weil ihre Zinnen gleich dem Geweih des Edelhirsches emporragten. Der König hatte sie von der den Raubfahrern abgenommenen Beute erbaut, nachdem er dieselben durch ruhmvolle Siege überwunden und völlig vertilgt hatte. Da saß der edle Scylding (Nachkomme von Scyld) mit seinen Helden beim frohen Mahl, und emsig füllte der Schenke die Hörner mit süßem Met und südländischem Wein, bis die leuchtenden Sterne zum Schlafen einluden. Aber nicht alle Recken hatten außerhalb Herberge gefunden, deswegen waren in dem geräumigen Saal Lager bereitet, wo müde Gäste der nächtlichen Ruhe pflegten. Dreißig kampfberühmte Helden fanden hier gut Gemach und träumten friedliche Träume nach den erfochtenen Siegen. Doch als am Morgen die Burgleute in die Halle eintraten, fanden sie die edlen Gäste nicht mehr, wohl aber Spuren von Kampf, Blutflecken, die Lagerstätten zerrauft und andere Zeichen nächtlicher Störung.
König Hrodgar, der Sohn von Healfdene, wurde von dem schreckhaften Spuk benachrichtigt und kam selbst, um nach den werten Freunden zu suchen. Er folgte den Spuren von der Halle weiter, denn da sah man in die weiche Erde eingedrückt riesige Fußstapfen, die zu einem unheimlichen, unergründlichen Moor führten. So wurde er alsbald der Sache kundig, denn in dem Moor wohnte der Unhold Grendel, der vor Zeiten viele Untaten verübte, aber durch einen zauberkundigen Mann gebannt worden war. Das Ungetüm hatte, wie es schien, den Bann gelöst und die nächtliche Greul angerichtet. Als das Unglück ruchbar wurde, erboten sich zehn Helden, des Nachts in der Halle zu wachen und den Unhold, wenn er neuen Einbruch wage, zu bekämpfen. Aber sie konnten sich entweder des Schlafes nicht erwehren, oder sie waren dem Feind nicht gewachsen. Am Morgen fand man im Saal dieselbe Verwüstung wie zuvor, die Männer aber waren in den Moorsumpf fortgeschleppt. Das Dänenvolk der Scyldinge ist jedoch unerschrocken und weicht vor keinem Schrecknis zurück. Daher waren abermals zwölf Recken, unter ihnen der Spielmann bereit, das Abenteuer zu bestehen.
In voller Rüstung, die Schwerter in den Händen, streckten sie sich auf die Ruhebetten. Nur der Sänger kauerte vorsichtig in einem Winkel, um wachsam zu bleiben. Um Mitternacht kam es heran, schlürfenden Schrittes, schmatzend, wie der Wurm, der den Raub wittert. Der Spielmann sah und hörte, aber Entsetzen fasste ihn, so dass er schier besinnungslos zu Boden sank. Als man ihn am Morgen zum Bewusstsein brachte, wollte er keinem Menschen sagen, was er gesehen und gehört hatte. Er nahm seine Waffen und seine Harfe, deutete auf die blutbespritzten Lager und schritt fort, ohne Gruß und Abschied nach dem Strand, wo er ein segelfertiges Schiff bestieg, das ins Land der Goten steuerte. Die kühnen Recken aber waren, gleich den früheren, erwürgt und nach dem Moorsumpf geschleppt.
Im Land der Goten herrschte Hygelak, ein siegreicher König, und unter seinen Helden war sein Neffe Beowulf, der Sohn Ecgtheows, der noch großen Ruhm erreichen sollte. Als der Harfner ankam, fand er die Goten in Kriegsnot, und das hatte sich so begeben: Die drei Söhne des Königs Hredel, Herebald, Hädkyn und Hygelak, mit denen Beowulf nach seines Vaters frühem Tod erzogen worden war, herrschten im Reich der Goten. Hädkyn, ein trefflicher Bogenschütze, übte sich täglich in der edlen Kunst. Einst schoss er nach der Scheibe, doch sein gewaltiger Pfeil fuhr durch das dünne Holz und traf den vorüberwandelnden Herebald ins Herz. Groß war die Wehklage des unglücklichen Schützen um den Bruder, und das ganze Volk beweinte mit ihm den Tod des Helden. Zur selben Zeit fielen schwedische Raubfahrer verwüstend in das Land, grimmige Horden, die keine Schonung kannten. Der gramvolle Hädkyn fuhr mit Heeresmacht gegen die Räuber. Er suchte den Tod in der Schlacht, aber fand ihn nicht, sondern kehrte mit Beute und Siegesruhm zurück. Die Raubfahrt zu rächen, beschloss er einen Kriegszug gegen die Schweden. Beowulf riet ab, weil, wie er sagte, in der Winterzeit die Krieger im feindlichen Land keine Unterkunft finden würden. Doch als man ihn deshalb der Feigheit bezichtigte, war er mit seinen Dienstmannen in der Heerversammlung und im Kampf stets allen voran. Er verrichtete unglaubliche Taten, so dass man meinte, er habe die Kraft von dreißig Männern. Indessen kam es, wie er gesagt hatte: Mühsal und Mangel schwächten die Krieger, und in der Schlacht fiel König Hädkyn samt vielem Volk. Den Überrest führten Beowulf und der kühne Breka, feindliche Scharen zurückschlagend, glücklich nach der Heimat.
Der Schwedenkönig Ongentheow verfolgte mit zahlreichem Heervolk und vielen Schiffen den geschlagenen Feind, und bei ihm war Däghrefn, ein unbezwinglicher Held, an der Spitze der wilden Hugen. König Hygelak, der nach dem traurigen Ende seiner Brüder allein der Herrschaft im Gotenreich waltete, besiegte und erschlug den König der Schweden. Doch Däghrefn beharrte im Kampf, schlug die gotische Flotte, landete bald da, bald dort mit seinen Raubscharen, ohne dass man seinen Verheerungen Einhalt tun konnte. So war der Landesnot kein Ende abzusehen.
Am Strand stand mit seinen Helden König Hygelak. Gegenüber lagen vor Anker die feindlichen Schiffe, trotzend den Goten, die nicht mehr den Kampf auf dem Meer wagen konnten, weil ihre gerüsteten Drachenschiffe verbrannt oder genommen waren. Am Vordersteven seines Drachenschiffs stand Däghrefn, höhnische Worte herüberrufend. Hell glänzte sein Stahlgewand, und auf seinem Schild leuchtete in rotem Gold ein Wurm mit blutrotem Rachen.
Das alles sah der Spielmann Hrodgars, und er wunderte sich, dass das streitbare Gotenvolk so wehrlos dem Feind preisgegeben war. Da schritt der stattliche Held Beowulf, gewappnet und mit dem Schwert umgürtet, an die ragenden Felsen des Ufers vor, schaute hinüber nach den Schiffen, als ob er die Entfernung mit den Augen messe, und sprang dann plötzlich hinunter in die wilde, kochende Brandung, die alsbald über ihm zusammenschlug. Die Wellen zogen ihre Kreise, der kühne Schwimmer war verschwunden, vielleicht die Beute eines Ungetüms der Tiefe. Harmvoll blickten die Goten über die wogende Salzflut, und siehe, da tauchte der Held hart an Bord von Däghrefns Drachenschiff wieder empor, erklomm das Verdeck und schwang sein scharfes Schwert, dass die herzudrängenden Hugen unter seinen furchtbaren Streichen in Menge fielen. Er öffnete sich einen blutigen Weg nach dem Vorderdeck, wo der Hugenfürst ihm begegnete. Die Schwerter blitzten, die Streiche klirrten auf Schild, Helm und Brünne von beiden Seiten, aber die Klingen bissen nicht ein, denn die Kämpfer trugen Streitgewänder, die einst Wieland, der trefflichste Schmied, gefertigt hatte. Da schleuderte Beowulf die unnütze Waffe weit ins Meer, unterlief seinen Gegner, fasste ihn mit gewaltiger Faust und riss ihn mit sich über Bord in die stürmische Flut. Die Hugen sandten ihm, als er wieder auftauchte, einen Hagel von Geschossen nach, aber Speere und Pfeile glitten wie Graupelkörner von seiner guten Rüstung ab. Er schleppte zugleich den erwürgten Däghrefn mit sich und auch sein Schwert, das er in der Tiefe wiedergefunden hatte. Mit Jubelruf begrüßten die Goten ihren Helden, als er mit seiner Beute den Strand erreichte. Die Schweden und Hugen dagegen lichteten alsbald die Anker und steuerten entmutigt ohne ihren König und ihren ruhmvollen Helden der Heimat zu.
Beim Siegesmahl feierte der Spielmann mit Lied und Harfenklang die Taten der Helden vergangener und gegenwärtiger Zeit. Er sang, wie Siegmund, der kühne Wölsung in allen Landen Abenteuer bestand, das wilde Riesenvolk siegreich bekämpfte, aber auch mörderische Gräueltaten verübte, die niemand ganz erfuhr als nur sein Neffe Fitela, der in aller Not sein Geselle war, und wie er schließlich allein, ohne des Neffen Hilfe, durch die Gnade des Schicksals den schrecklichen Drachen erschlug, dessen Goldhort gewann und mit der glitzernden Fracht sein Schiff belud (was ihm später zum Verhängnis wurde). Danach griff er mächtiger in die Saiten und sang gewaltig, dass die Halle erdröhnte, zum Preis des kühnen Helden, der schwimmend allein das feindliche Drachenschiff enterte, und forderte ihn auf, den grässlichen Moorgeist Grendel zu bekämpfen, der allnächtlich die Halle der Scyldinge verheere und das Blut der Helden mit gierigem Rachen schlürfe. Beowulfs Ruhm, sprach er, werde, wenn er diesen Kampf siegreich bestehe, den Ruhm des Wölsungen noch weit überstrahlen, und solche Tat werde von den spätesten Geschlechtern als die kühnste gepriesen werden.
„Obwohl die Scyldinge mit den Goten schon oft das Schwertspiel versuchten“, sprach Beowulf, „so will ich doch ihr Helfer sein und das Nachtgespenst Grendel bekämpfen. Denn wertvoller als der schimmernde Goldhort dünkt dem Helden das Preislied der Sänger, das durch alle Zeiten klingt.“ Da erhob sich Breka, ein tüchtiger Recke, der gemeinsam mit Beowulf aufgewachsen war, aber nun neidig über dessen Ruhm sprach: „Großes hat mein Heergeselle vollbracht. Doch wähne ich mit besserem Geschick die stürmische Meeresflut und die Ungeheuer der Tiefe zu bekämpfen. Wenn nun die Fürsten der Goten Richter sein wollen, dann versuchen wir uns beide in diesem Wagespiel. Ein Tag und eine Nacht soll der Wettkampf dauern. Wer überlebt und dann zuerst den Strand gewinnt, dem werde der Preis des Sieges zu teil.“ - „Ja, dem reiche ich selbst die Goldkette, die ich hier umgeschlungen habe“, fügte König Hygelak hinzu, auf seinen Halsschmuck deutend.
Der Morgen, als der Wettkampf beginnen sollte, ging blutrot auf. Die sturmbewegte eisige Flut ächzte, stöhnte und heulte, als begehre sie ein Menschenopfer. Da standen die kühnen Schwimmer gepanzert und die Schwerter in den Händen am Ufer und sprangen, als das Horn das Zeichen gab, in die wogende See. Bald bedeckt von der Schaumflut, bald auf dem Rücken der Wellen schwammen sie weiter und immer weiter und verschwanden in der Ferne. Sie hielten sich nahe zusammen, um im Kampf mit dem Seegetier einander Beistand zu leisten. Aber bald wurden sie durch den Wogenschwall getrennt und von der Strömung nach verschiedenen Seiten gerissen. Breka fand ruhigeres Gewässer und schwamm durch die Wellen weiter, bis es Zeit zur Umkehr war. Beowulf geriet in noch wilderes Wasser zwischen Klippen und Bänke, wo Polypen, Seedrachen und gräuliche Nixen auf Beute lauerten, die Schrecken der Seefahrer. Riesige Arme streckten sich nach ihm aus, aber er erschlug sie mit seinem Schwert. Ungetüme wälzten sich über ihn, um ihn zu ersticken, aber er bohrte ihnen den Stahl durch die Schuppenhaut. Ein Nix umklammerte ihn und wollte ihn fort in seine Höhle ziehen, aber er stieß ihm die scharfe Klinge tief ins Herz und schleppte ihn an den grünen Borsten mit sich. So erreichte er wieder das offene Meer und strebte, da die Sonne unterging, rückwärts dem heimischen Strand zu. Der Sturm war vorüber, die Tagbestrahlerin beleuchtete die verwegenen Schwimmer, die gleichzeitig nach dem Ufer steuerten. Breka erreichte es zuerst. Er blickte frohlockend auf den Mitkämpfer, der nach kurzer Frist gleichfalls landete. Doch er, der König und das Volk sahen mit Staunen, wie der Held den gräulichen Nix nachschleppte und ausgestreckt auf den Sand legte. Die Fürsten umstanden die Missgestalt und maßen verwundert die riesigen Glieder. „Nimm hin die goldene Kette!“, sprach der König zu Breka: „Du hast sie durch schwere Arbeit gewonnen. Aber mein kühner Neffe hat Größeres vollbracht, indem er die Untiere der Tiefe bekämpfte und den erlegten Nix hierher vor unser Angesicht führte. Ihm reiche ich mein gutes Schwert Nägling mit dem Goldgriff und goldenen Runen geziert, das Erbstück meines Vaters, die Waffe von König Hredel, dass er es in allen Kämpfen mit Ehren führe.“
Hochgeehrt war Beowulf bei seinem Gotenvolk, doch begehrte er den Königssaal der Scyldinge von dem Unhold Grendel zu befreien. Darum ging er bald nach diesen Taten mit dem Spielmann zum Schiff, und sie steuerten ins Land der Dänen, zum Burghof des Königs Hrodgar. Vierzehn edle Goten, ruhmreich, wie er selbst, hatten mit ihm das Schiff bestiegen und standen, als das Fahrzeug das Land erreichte, um ihn her versammelt. Der Strandwächter jagte hoch zu Ross auf die Fremdlinge zu. Er bewunderte die glänzend gerüsteten Recken, ihre kraftvollen Gestalten, ihre kühne Haltung und forschte, wer sie seien und in welcher Absicht sie das Land der Scyldinge beträten. Als er die Geschichte vernahm, hieß er sie guten Mutes nach der Burg fahren, wo sie der König als werte Gäste empfangen werde. Hrodgar saß auf dem Hochsitz im Hirschsaal, wo keine Lagerstätten mehr zur Ruhe einluden. Er ging den Fremdlingen, die angemeldet waren, freundlich entgegen und wies ihnen Sitze an, dass sie teilnähmen am Gelage der Helden. Auch der Spielmann war eingetreten. Er besang Beowulfs Taten und verkündete wie ein Prophet die Besiegung des Moorunholdes durch die unbezwingliche Faust des mächtigen Helden. Dieses Lob verdross Hunford, einen der Hofmänner, und er sprach mit neidvollem Hohn, der gerühmte Gotenheld habe doch die Goldkette nicht gewonnen. Beowulf sollte sich wohl bedenken, ehe er den Kampf mit Grendel versuche, denn er könne wohl ein eisiges Bett im Moorsumpf finden. Da rief der Held zornig, er habe statt der Goldkette ein gutes Schwert gewonnen, das scharf genug sei, eine Lästerzunge abzuschneiden. König Hrodgar gebot dem Hofmann zu schweigen, aber dem Goten verhieß er, wenn er siegreich den Kampf bestehe, königliche Belohnung und einen dauernden Friedensbund zwischen ihren beiden Völkern.
Als die Nacht anbrach und der Herrscher sich mit seinen Mannen entfernt hatte, wurden von Dienstleuten Betten und Lager für die zurückbleibenden Gäste hergerichtet. Beowulf, voll Mut und Vertrauen auf seine Kraft, legte Helm und Rüstung ab und übergab auch den dienstbaren Gesellen das Schwert. „Nicht mit dem Schwert will ich ihm sein Leben rauben, obwohl ich es könnte. Mit meiner Faust gedenke ich des Unholds Meister zu werden, der ja gleichfalls ungewappnet ist.“ So sprach der Held, indem er sich auf die weichen Polster streckte. Um Mitternacht stieg nach seiner Gewohnheit der Moorgeist aus dem Sumpf empor. Er witterte leckeren Fraß und stampfte nebelumhüllt über die Heide und weiter in die Königshalle. Er grinste vor Freude über die fette Beute und fletschte die Zähne, die gleich Eberhauern aus dem weiten Maul hervorragten, während die borstigen Hände mit stahlharten Adlerkrallen bewaffnet waren. Die Recken lagen alle wie gebannt im Schlaf. Nur Beowulf, den Zauber bezwingend, blinzte mit den Augen verstohlen nach dem grauenvollen Nachtmahr, der hoch aufgerichtet zu sinnen schien, auf wen er sich zuerst stürzen wolle. Jetzt war seine Wahl getroffen, und einer der Schläfer röchelte unter seinen Krallen, womit ihm der Höllenspuk Haut, Fleisch und Eingeweide vom Hals bis zum Gürtel zerriss, während er zugleich gierig sein Blut schlürfte und schließlich den ganzen Leib verschlang. Darauf wandte sich der Unhold zu Beowulf, aber des Helden Hand umklammerte dessen ausgestreckten Arm, wie die Zange einen Eisennagel, dass Grendel ein dumpfes Schmerzgebrüll ausstieß. Noch nie hatte er von einem Menschen im Erdenrund eine solche Kraft gespürt, als würden dreißig Männer gleichzeitig zupacken. Angst stieg in ihm auf, und er wollte davor fliehen, zurück in das dunkle Moor, doch Beowulf packte nur umso fester zu. Nun begann der entsetzliche Ringkampf, davon die ganze Halle erbebte und der Einsturz drohte. Die Schläfer erwachten, zogen ihre Schwerter, aber die Klingen prallten von der Schuppenhaut zurück wie von einem Felsen, und die Recken versuchten, sich in den Winkeln zu bergen, um von den Kämpfern nicht zertreten zu werden. Das Ungetüm erkannte die Meisterschaft des Gegners und strebte nur noch, sich von seinen kraftvollen Armen loszureißen und schleunigst zu entkommen. Es gelang ihm mit einem verzweifelten Ruck, doch sein umklammerter Arm, aus dem Schultergelenk gerissen, blieb in der Hand des Siegers. Nicht mehr der Recken, sondern des Unholds Blut bezeichnete nun den Weg nach dem Moor, den er fliehend genommen hatte.
Der Gotenheld hielt in der Rechten das schreckliche Pfand des Sieges, den blutigen Riesenarm mit der unwiderstehlichen Greifhand und ihren eisernen Krallen, die kein Schwert zerschneiden konnte. Der glühende Morgenschein umstrahlte ihn wie mit einer Glorie, und seine umstehenden Gefährten begrüßten ihn schier wie einen Gott. Er aber heftete das Zeichen seiner wunderkühnen Tat über das Portal des Saales. Darauf dankte er dem waltenden Allvater, der ihm die Kraft verliehen hatte, den grässlichen Spuk zu bezwingen, und betend knieten neben ihm die Genossen, preisend die Güte und Hilfe der göttlichen Mächte.
Als sich die Recken erhoben, sahen sie den König und seine Hofmänner versammelt, die bald auf sie, bald auf den ausgestreckten Arm Grendels blickten und begierig waren, zu vernehmen, was sich in der Nacht begeben hatte. Da wurde von dem grauenvollen Kampf berichtet. Lange staunte der greise Hrodgar (Rüdiger) über das, was er vernahm. Dann gebot er seinem Neffen Hrodulf (Rudolf), die Gaben zu bringen, die er dem siegreichen Kämpfer verhießen hatte. Es währte nicht lange, so kehrte der tüchtige Recke an der Spitze vieler Dienstmänner mit den königlichen Geschenken zurück, nämlich ein herrliches Banner aus goldgewirktem Stoff, das berühmte Schatz-Schwert des Königs, Schild und Rüstung aus goldenen und silbernen Ringen, einen strahlenden Helm mit einem wertvollen Karfunkel, einen reichen Goldschatz, der den toten Gesellen aufwog, und acht treffliche Rosse mit goldverziertem Zaumzeug, von denen das achte einen kostbaren und kunstvoll gefertigten Sattel trug, auf dem der Herrscher selbst in viele siegreiche Kämpfe zu reiten pflegte. „Nimm hin, kühner Held“, sprach der König, „und nutze gut, was ich dir nebst dem Dank meines Volkes freudig für deine Hilfe spende. Bleibe mein und meiner Söhne Freund, sowie ich dich in Treue meinen Kindern gleich erachte.“ Als Beowulf seinen Dank für die Geschenke ausgesprochen hatte, befahl der Herrscher, die hochgehörnte Halle zu reinigen und zum festlichen Mahl herzurichten.
Während dies geschah, trat noch Hunford hinzu. „Edler Held“, sprach er, „ich habe dich mit höhnender Rede gekränkt, weil ich deiner Heldenkraft unkundig war, mit der sich kein anderer vergleichen darf. Nun aber vergönne mir, dass ich den königlichen Gaben noch mein Schwert Hrunting hinzufüge, das Werk eines Waffenschmiedes aus uralten Zeiten, im Kampfblut gehärtet und mit eingeätzten Schlangen verziert. Es wird dir im Krieg niemals versagen, denn weder Schild noch Stahlhelm widersteht seiner Schneide.“ Die versöhnten Männer gingen in den Königssaal, wo das Mahl bereitet war.
Nachdem sich die frohen Gäste an den köstlichen Speisen gelabt hatten, begann das Gelage. Der Spielmann sang ein Heldenlied von Hnäf, dem mächtigen Scylding, Healfdenes Held, der ruhmreiche Dänenfürst, der im Lande von Finn sterben sollte. Seine Schwester Hildburg hatte er weitsichtig mit König Finn verheiratet, um Frieden zwischen beiden Völkern zu sichern. Sie gebar ihm einen Sohn, der zu einem jungen Helden heranwuchs. Doch in Finns-Herzen wuchs der Neid auf seinen ruhmreichen Schwager und damit auch der Hass. Da lud er den Dänenfürsten hinterlistig zu einer Feierlichkeit ein. Hnäf erschien mit seinem Gefolge von sechzig edlen Recken, und sie feierten in der gehörnten Halle von Finns Burg, wo sie auch übernachten wollten. Gegen Mitternacht griffen plötzlich Feinde in funkelnder Rüstung an, die Wölfe heulten, die Raben kreischten, und der Vollmond verbarg sich hinter dunklen Wolken, denn der grimmige Hass nahte sich. Kein fliegender Drachen, kein Feuerbrand vom Blitzschlag, sondern das Hass-Feuer zum Donnerklang der Speere, die auf Schilde trommelten. „Erwachet, edle Kämpfer!“, hallte der Ruf des Scyldings durch die Halle, und die sechzig Helden rüsteten sich unverzüglich zum Kampf. Sie sicherten die Tore der Halle und kämpften tapfer gegen die Angreifer, allen voran Hnäf selbst und sein treuester Geselle Hengest. Der Kampf dauerte fünf lange Tage. Finns Krieger waren bald alle besiegt, darunter auch der Sohn von Finn und Hildburg, der jugendliche Held. Doch noch größer wurde der Jammer, als auch Hildburgs Bruder im tödlichen Kampf fiel, Hnäf selbst, der ruhmreiche Dänenfürst, von Finn erschlagen, nachdem er vom langen Kampf ermüdet war, mit gespaltenem Helm, zerbrochenem Schild und zerstörter Rüstung. Finn hatte sein Ziel erreicht und erkannte wohl, dass er gegen Hengest und seine restlichen Helden nicht mehr gewinnen konnte, denn überall häuften sich die Leichen seiner eigenen Krieger, und auch seine Kraft schwand dahin. Um sich selbst und sein trauriges Häuflein zu retten, bot er einen Friedensvertrag an, der dann auch mit vielen Geschenken und feierlichen Eiden beschlossen wurde. So legte sich der schreckliche Streit, die Verwundeten wurden gepflegt und die Toten bestattet. Die Leiche von Hnäf, dem ruhmreichen Scylding, wurde auf einen mächtigen Holzstapel gebettet, geschmückt mit der blutigen Rüstung, dem Schild mit dem goldenen Eber-Wappen und seinen mächtigen Waffen. An seine rechte Seite legte Hildburg ihren toten Sohn, so dass Hnäf zusammen mit seinem jungen Neffen verbrannt wurde. Klagelieder wurden gesungen, und der Rauch des Feuers trug den unsäglichen Jammer Hildburgs über ihren getöteten Sohn und Bruder hinauf in den Himmel. Beide Völker verloren die besten Blüten ihrer Kraft.
Ein trauriger Herbst ging zur Neige, die eisige Winterzeit brach an. Hengest verweilte den grimmigen Winter über in Finns Burg, das Schiff war im Meer eingefroren, seine Gedanken strebten nach der Heimat, doch im Inneren hielt ihn die Rache zurück. Als die eisige Winterzeit zu Ende ging, wurde ihm sein mächtiges Schwert Hunlafing bewusst. Er zog es auf der Scheide, erinnerte sich an den tödlichen Hinterhalt, hörte die Anklage der Toten, und das Schicksal holte König Finn in seiner eigenen Burg ein. Die Macht des Schwertes traf ihn unwiderstehlich, und die gehörnte Halle färbte sich rot vom feindlichen Blut. Finn fiel, Hildburg wurde auf das Schiff gebracht, und dazu der Goldschatz mit den Edelsteinen, der in Finns Burg zu finden war. Und so kehrte er mit der edlen Frau in seine Heimat zurück.
Danach besang der Spielmann im Heldenlied, wie Beowulf den Moorunhold ohne Waffen bezwungen, wie er schlimmere Feinde, den Hass und die Rache, gebändigt hatte, die bisher die Brudervölker zu blutigen Fehden entflammt hätten. „Du bist der Friedensbringer“, schloss der Sänger, „von dem einst die Wala den Vätern verkündigte.“ Die Königin Wealhtheow aber füllte die Hörner mit schäumendem Met. Sie kam auch zu Beowulf, reichte ihm einen vollen Becher von lauterem Gold und hieß ihn denselben zum Gedächtnis der Geberin behalten, desgleichen zwei goldene Armreifen, Ringe und einen glänzenden Halsschmuck, so unwiderstehlich schön wie der Brising-Schatz (von Freya, der Liebesgöttin), um den schon mancher Kampf geführt wurde. „Trage diese Kleinodien uns zu Lieb und Ehren, dir aber zum Heil und Sieg in allen Kämpfen eines langen Lebens.“ Damit schied die hohe Frau von dem tüchtigen Helden, nachdem er ihr seinen Dank für ihre Güte ausgesprochen hatte. Nun kreiste die fröhliche Rede, und die Hörner wurden fleißig geleert, bis der Abend zur Ruhe einlud. Eine Anzahl von Gästen begehrte Herberge in der Halle, da man den einarmigen Grendel nicht mehr fürchtete.
Während nun der Herrscher mit seinen Verwandten und Fürsten und dem kühnen Beowulf nach der Burg schritt, wurden Betten und Polster im Saal ausgebreitet, damit die zurückbleibenden Recken gut Gemach haben möchten. — Es kam indessen anders, als man hoffte.
Aus dem Abgrund des Meeres erhob sich ein Wogenschwall himmelan, und daraus trat ein riesenhaftes Weib hervor, grau von Angesicht und Gewand, wie die sturmbewegte Flut. Ihre Augen glühten wie lodernde Brände, ihr borstiges Haar starrte wie Stacheln des Igels nach allen Seiten, ihre langen knochigen Arme reckten sich aus, als wolle sie einen Raub fassen. Sie winkte, und da schwamm ein Wal herbei, der sie auf seinen Rücken nahm und nach der Küste trug. Sie schritt an dem Moorsumpf vorüber nach der Königshalle und schlich leise in den Saal. Mordgierig fasste sie einen der Schläfer und zerriss und zerstückelte seine Glieder. Sein Jammergeschrei weckte die übrigen Recken, die glaubten, es sei der Moorunhold, und sich zu verbergen suchten. Als sie aber erkannten, dass es ein Weib war, schämten sie sich ihrer Furcht und schwangen die Schwerter. Hageldicht fielen die Streiche, aber die Unholdin blieb unverletzt, durch Zauber geschützt. Sie blickte grimmig umher, doch machten ihr die von allen Seiten blitzenden Klingen Furcht. Mit ihren langen Fangarmen ergriff sie noch einen Kämpfer mitten aus der Menge, schwang ihn hoch empor, wie etwa der Angler einen zappelnden Fisch, und zog sich dann unter dem Geklirr der Schwerter zurück, indem sie noch Grendels Arm als Trophäe mit sich nahm. Die Recken, die nicht zu folgen wagten, hörten nur noch das Stöhnen ihres Heergesellen und das Schmatzen des Weibes, die sein Blut schlürfte.
Groß war am Morgen die Wehklage des Volkes und seines Herrschers, als man von dem neuen Frevel hörte und erkannte, dass ein anderes Ungetüm nicht nur die gehörnte Halle, sondern auch Burgen und Höfe bedrohe. Harmvoll gedachte Hrodgar seines treuen Dienstmannes Äschere, den die Unholdin erwürgt und fortgeschleppt hatte. Es war der beste seiner Berater, der Runenkenner, der in jedem Kampf an seiner Seite war, wenn es ums Leben ging, und die schicksalhaften Zeichen deuten konnte. Da sprach Beowulf: „Das tat Grendels Mutter, die nicht ablassen wird, Rache zu üben, solange sie lebt. So will ich sie aufsuchen in ihrer Behausung, sei es auch im Abgrund des Meeres, und den Kampf mit ihr versuchen. Geschieht es, dass ich das Leben lasse, dann sei du die Stütze meines Stammes. Sende die Schätze, die mir deine und der Königin Güte verliehen hat, an meinen Lehnsherrn und Oheim Hygelak, der Goten Herrscher, dass er sich daran erfreue, wenn er meines Dienstes entbehren muss.“ So sprach der Held und machte sich mit seinen gotischen Heergesellen auf, die Spur der Meerwölfin zu verfolgen.
Riesige Fußstapfen und Blut bezeichneten den Weg, den sie genommen hatte. Er führte längs dem Moorsumpf hin, dann über steile Felsen und schroffe Abhänge nach dem dunklen Bergwald, wo die Wölfe hausten, und weiter, bis sich die windzerzausten Bäume auf jähem Vorgebirge über die salzige Meeresflut neigten. Unten brauste die schäumende Brandung über Klippen und schlug donnernd an die Steinwände. Grausige Ungeheuer wanden sich durch die wilde Strömung, und etliche dieser Wundertiere sperrten die Rachen nach den Wanderern auf, als wollten sie dieselben verschlingen. Hier verlor sich die Spur, aber das auf einer Klippenspitze hängende Haupt Äscheres verriet, dass die Unholdin hierher ihren Weg genommen hatte. Der kühne Held, entschlossen, sie in ihrem eigenen Element aufzusuchen, nahm Abschied von den Freunden, die ihn vergebens von dem verzweifelten Unternehmen abmahnten. „Harret meiner zwei Tage und Nächte. Kehre ich dann nicht zurück, so bin ich sieglos und eine Beute der Meerwölfin. Aber das steht bei den Göttern, denen ich vertraue.“ So sprach der Held, riss sich von den weinenden Freunden los und stürzte, gehüllt in seine gute Rüstung und mit Hunfords Schwert bewehrt, in die tobende Flut.
Er schwamm weit hinaus, bis er unter sich in der Tiefe einen Lichtschein wahrnahm. „Hier“, dachte er, „ist ihre Wohnung. Mögen die Himmlischen meiner walten!“ Er tauchte unter und schwamm lange hinunter in den Abgrund. Wohl schnappte manches Ungeheuer mit gierigem Rachen nach dem kühnen Schwimmer, aber ihn schützte die unzerstörbare Rüstung und der Helm mit dem Karfunkel. Plötzlich aber fühlte er sich wie von schrecklichen Krallen gefasst und mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen.
Die Meerwölfin schleppte ihn in eine dunkle Höhle, von der das Wasser ringsherum wie von dicken Mauern gebannt wurde. Sobald er Boden unter sich fand, richtete er sich auf und sah im Licht des Karfunkels das Riesenweib vor sich stehen. Sie hatte ihn mit ihren langen Fangarmen in den Abgrund gezogen und hielt ihn noch immer umklammert, nicht in Liebesumarmung, sondern willens, ihn niederzuwerfen. Er rang sich los und führte einen gewaltigen Streich nach ihrem Haupt, aber das Schwert Hrunting versagte, es biss nicht in die steinharte Hornhaut der Meerwölfin. Schon hatte sie ihn wieder mit ihren Armen umfasst, und er rang mit ihr, die unnütze Waffe wegwerfend, in entsetzlichem Kampf auf Tod und Leben. Die Wände zitterten, die Gewässer drohten hereinzubrechen. Beide Ringer stürzten zu Boden, doch brachte ihn die Riesin unter sich, drückte ihn nieder mit schwerer Last und zückte ein scharfes Messer, um es ihm ins Herz zu stoßen. Aber seine Rüstung verwehrte den Mordstahl und beschützte mit Gottes Hilfe das Leben. Beowulf arbeitete sich wieder empor und erblickte, als das Weib einen Augenblick zögerte, ein mächtiges Riesenschwert, das kein anderer Mann gebrauchen konnte. Diese Waffe ergriff und schwang der kraftvolle Kämpfer, und die blanke Klinge drang durch die Hornhaut und schlug der Wölfin das Haupt ab, dass sie alsbald regungslos niederfiel. Beowulf atmete tief, denn er fühlte sich von dem langen Kampf erschöpft, doch des Sieges froh, erholte er sich bald und sah sich in der Halle um. Sein Karfunkel leuchtete hell wie die Sonne unter dem Himmel. Da lag tot der einarmige Grendel, ausgestreckt auf einem Lager von Meerschilf. Weiter waren viele Schätze angehäuft, darunter goldglänzende Kleinodien und schimmernde Edelsteine, die wohl jenen Lichtschein verbreiteten, der ihm den Weg gezeigt hatte. Der Held verschmähte die Schätze, doch hieb mit dem Riesenschwert auch dem Moorunhold das ungeheure Haupt ab, um es als Zeichen seines Sieges mit sich aus dem unheimlichen Wasserreich zu führen. Er sah aber nicht ohne Staunen, wie das Blut des Ungetüms wieder hervorquoll, sich mit dem seiner Mutter vermischte und wie ein Bach aus der Höhle ins weite Meer floss. Zugleich verschwand der Riesenleib der Meerwölfin mit ihrer dunklen Höhle im Wasser. Auch die Klinge des Riesenschwertes schmolz vom giftigen Blut dahin und schwand, wie das Eis in der Wärme. Der Held behielt nur den goldenen Griff in der Hand. Dieser sowie Grendels Haupt waren die einzige Beute, die er auf dem Rückweg nach oben zu bewahren wusste.
Als die Goten an der klippenvollen Küste die Gewässer rot aufsteigen sahen, gerieten sie in große Sorge, denn sie wähnten ihren heldenkühnen Führer tot, und sein Blut sei es, welches die Fluten röte. Groß war daher ihre Freude, als sie den trefflichen Schwimmer erblickten, der das Wasser zerteilend, durch die Brandung sich Bahn zum Strand schaffte. Sie umarmten den lieben Freund und lauschten seiner Rede, wie er von den bestandenen Kämpfen berichtete. Der Abend war angebrochen, ein stiller, friedlicher Abend nach den Stürmen des Tages. Kein Lüftchen regte sich, selbst die wogende See ruhte jetzt, als sei auch sie in Schlummer versenkt. Die Männer trugen das schwere Haupt Grendels auf einer Speerstange und schritten auf bekannten Pfaden nach der Königshalle, die endlich von den Schrecknissen befreit war. Sie fanden dieselbe einsam und verlassen, aber Lagerstätten und Polster bereit, auf denen sie sich der gemächlichen Ruhe erfreuten.
Am Morgen traten die Goten aus der Halle heraus und zeigten dem herzuströmenden Volk das Haupt Grendels, das sie für alle sichtbar dort angebracht hatten, wo zuvor der Krallenarm Grendels hing. Nachdem der greise Herrscher in seiner Königsburg die Kunde von den Taten Beowulfs vernommen hatte, kam auch er in die Halle, bestaunte das Haupt Grendels, begrüßte und umarmte Beowulf und empfing von ihm den goldenen Griff. Sinnend beschaute der König das alte Erbstück, auf dem die Bilder des großen Kampfes eingraviert waren, wie alles begann und wie schließlich die Giganten von der Meeresflut verschlungen wurden, die übermütigen Gesellen, die sich vom Allvater entfremdet hatten und ihren Lohn empfingen, vom waltenden Gott in des Wassers Tiefe. Auch war auf dem strahlenden Gold mit Runen die Kunde verzeichnet, für wen diese mächtige Waffe ursprünglich geschaffen wurde, mit verschlungenen Drachenbildern dargestellt.
Als alle schwiegen, sprach König Hrodgar, der Erbe von Healfdene: „Heil dir, mächtiger Held! Als König, der Gesetz und Recht im Volk beschützt, und erfahrener Greis kann ich sagen: Es wurde nie ein größerer Held als Beowulf geboren! Dein Ruhm wird sich weit unter allen Völkern verbreiten. Möge deine Kraft und Weisheit niemals schwinden! Bleibe mir treu, wie ich dir treu bleibe. Sei immerfort ein Trost und Helfer deiner Getreuen. Du wirst niemals jenen gleichen, die von unstillbarer Begierde fortgerissen, durch Frevel Schätze ansammeln, die sie schließlich, wenn sie das unvermeidliche Schicksal dahinrafft, anderen Händen überlassen müssen. Du aber wirst die Güter, welche ich dir als gerechten Lohn für deine Taten verliehen habe und denen ich noch weitere hinzufüge, mit Weisheit gebrauchen, dass sie dir und deinem Volk Heil bringen.“ - „Groß ist deine Huld, erhabener Herrscher“, antwortete der Held, „was ich tat, geschah nicht um des vergänglichen Goldes willen, sondern um dich und dein Volk vom frevelhaften Ungetüm zu erlösen, damit ihr auch künftig ruhmreich bleibt. Deiner Geschenke aber soll sich mein Volk erfreuen, und falls du selbst oder dein Sohn in Kriegsnot geraten solltest, und die Götter mir die Kraft erhalten haben, dann werde ich euch mit meinen Mannen ein treuer Helfer sein. Dieser Bund sei aufgerichtet zwischen mir und dir und bestehe fest wie der Grund unserer Allmutter Erde.“ So sprachen die Männer und schritten zum festlichen Mahl. An der reichen Tafel saß unter den Helden auch Hunford. Beowulf gab ihm das Schwert Hrunting zurück und bedankte sich, dass er ihm diese mächtige Waffe geliehen hatte, und nannte die scharfe Klinge einen nützlichen Helfer im Getümmel des Kampfes, doch gegen Grendels Mutter blieb sie unwirksam. Hunford nickte nachdenklich, nahm das Schwert schweigend an und erhob den goldenen Becher auf den Ruhm Beowulfs. Am Abend begaben sich die Goten und der königliche Wirt mit seinen Fürsten furchtlos zur Ruhe in der gesicherten Halle, und kein Schrecknis störte ihren Schlaf.
Noch blieben die Gäste etliche Tage bei Hrodgar, dann rüsteten sie ihr Schiff und steuerten frohen Mutes der fernen Heimat zu. Der Kiel durchschnitt die Salzflut ohne Hindernis, günstiger Fahrtwind schwellte die Segel, und nach wenigen Tagen erblickten die Recken das Land der Väter. Der Strandwächter erkannte von ferne das Schiff und meldete dem König die Rückkehr der Helden. Als die Schätze ausgeladen waren, ließ Beowulf die acht goldgeschirrten Rosse sowie die empfangenen Schilde und Rüstungen samt dem kostbaren Halsschmuck, den ihm die Königin Wealhtheow gespendet hatte, nach der Königsburg bringen. Daselbst begrüßte Hygelak den edlen Neffen. Er vernahm mit Verwunderung die Geschichte von den Kämpfen mit den Unholden und pries die Götter, die solchen Mut und solche Kraft einem Sprößling des königlichen Hauses verliehen hatten. Beim Festmahl reichte Hygd, die Ehefrau von Hygelak und junge Königin, dem Besieger Grendels den schäumenden Goldpokal. So weitherzig sollte eine Herrscherin sein, und niemals neidig auf einen Helden, der tapferer als ihr Ehemann erscheint, um ihn mit tödlichen Blicken im Hass zu vernichten. Da spendete er der guten Königin den funkelnden Halsschmuck und dem guten König Schilde, Rüstung und Rosse, dergleichen im Land der Goten nicht zu finden waren. Wohl erfreute sich Hygelak der Geschenke, doch noch mehr des Ruhmes, den Beowulf erworben hatte, der als Jüngling im Schatten der Könige aufgewachsen war und öfters als Feigling und träger Tölpel getadelt wurde. Nun belieh er ihn mit Burgen und Dienstmannen, mit fürstlichen Würden und Ehren und übergab ihm das Königsschwert, womit er selbst einst den streitbaren Ongentheow gefällt hatte.
Manches Jahr floß friedlich im Strom der Zeit dahin. Der Bauer streute harmlos seine Saaten und erntete die nährende Frucht ohne Furcht vor feindlichem Überfall. Die Fürsten und Burgmannen pflegten das Weidwerk oder zogen in ferne Länder, wo Kampf und Abenteuer die Schwerter nicht in der Scheide rosten ließen.
Da geschah es, dass wieder schwedische Raubfahrer verwüstend einbrachen und Burgen und Höfe niederbrannten. Sie standen jetzt unter der Herrschaft von Ohthere, dem Sohn von Ongentheow, und auf schnellen Drachenschiffen entrannen sie der Züchtigung, die König Hygelak ihnen zugedacht hatte. Da beschloß der ergrimmte Herrscher, mit so vielen Schiffen und Mannschaft, wie gerade in Bereitschaft waren, in das Land der Schweden einzufallen, um für die Raubtaten Rache zu nehmen. Beowulf riet, die Fahrt aufzuschieben, bis man besser gerüstet sei, aber Hygelak, des Rates nicht achtend, gebot den Aufbruch. Die Landung an der feindlichen Küste geschah ohne Widerstand, und manche Burg wurde mit stürmender Hand genommen, mancher Hof und Weiler verheert. Aber die Schweden waren streitbare Leute, die im Kampf geübt waren, und jetzt galt es, ihre Heimat zu verteidigen. Da säumten sie nicht, sich zu rüsten. Ihr gesamter Heerbann trat unter die Waffen und rückte dem Feind entgegen. Es folgte eine mörderische Schlacht. Wohl kämpften die Goten mit unverzagtem Mut, wohl stand Hygelak mit seinen Getreuen unerschütterlich im Sturm der Speere und Schwerter und fällte die Feinde zur Rechten und Linken, aber die Schweden drangen todesmutig immer kühner vor. Endlich sank der König der Goten, von einer Schleuderwaffe getroffen. Sein Volk floh nach den Schiffen, nur Beowulf mit den Edelsten des Heeres hielt stand, entriss, obgleich aus tödlicher Wunde blutend, den Leib seines Herrn den feindlichen Händen und deckte den Rückzug nach den Schiffen. So kehrten die Goten, ihres Königs und vieler tapferer Männer beraubt, in ihr Vaterland zurück.
Die edle Königin Hygd, in tiefer Trauer um den erschlagenen Gatten, wusste dem verwaisten Volk keinen Rat. Erst als die Zeit ihr Leid milderte, gedachte sie ihrer Pflicht als Königin und Mutter. Unterdessen war das ganze Land in Aufruhr geraten, die Landherren befehdeten sich und übten ungestraft Frevel. Da entbot die königliche Witwe die Edelsten des Volkes zu sich und sprach in der Versammlung von dem üblen Zustand des Landes und wie ihr unmündiger Sohn Heardred nicht imstande sei, die eigenwilligen Landherren zu bändigen und auswärtigen Feinden zu wehren, wie dazu nur ein Mann im Reich die Kraft habe, und der sei kein anderer als der ruhmvolle Beowulf. Ein allgemeiner Jubelruf „Beowulf, König der Goten!“ folgte ihrer Rede. Der berufene Held trat vor die Versammelten und sprach: „Gotische Männer! Wähnt ihr, ich werde den Sohn meines Oheims und königlichen Freundes seiner Ehren und Rechte berauben? Das mögen die Götter, die Rächer allen Frevels, verhüten!“ Dann hob er den jungen Heardred auf seinen Schild und fuhr fort: „Hier ist unser König, und ich stehe ihm mit Rat und Schwert zur Seite, bis er mündig und selbst des Rates und Schwertes mächtig ist.“ So sprach der herrliche Held, und niemand wagte Widerspruch. Er aber tat nach seinen Worten. Im Namen seines Schützlings zwang er die gewalttätigen Landherren zum Gehorsam, feindselige Raubfahrer schlug er zu Wasser und zu Land mit der Schärfe des Schwertes und brachte dem Land die Segnungen des Friedens wieder. Unter seiner Leitung und unter der mütterlichen Pflege erwuchs der junge Heardred zum kräftigen Mann, der wohl befähigt war, mit Umsicht und fester Hand seines Volkes zu walten. Auch blieb ihm mit Rat und Tat der getreue Beowulf zur Seite. Offen und ohne Falsch, wie sein Führer, vertraute der König den Menschen, auch Fremdlingen, die er willig in seine gastliche Halle aufnahm.
Einstmals kamen Eanmund und Eadgils, die Söhne Ohtheres, des Herrschers der Schweden, als Flüchtlinge zu ihm. Sie hatten sich im Übermut gegen ihren greisen Vater aufgelehnt und waren deshalb von ihm vertrieben worden. Heardred empfing sie gütig, wie er es stets gewohnt war. Indessen mahnte er sie oftmals zur Versöhnung mit ihrem Erzeuger. Als er dies eines Tages mit ernsten Worten wiederholte, meinte Eanmund, ein heftiger und zornmütiger Mann, der Gotenkönig sei noch zu jung, um schlachtgewohnten Recken Rat zu erteilen. Heardred verwies ihm mit scharfen Worten diese Rede. Darüber erbittert, zückte der grimmige Mann das Schwert und traf seinen königlichen Gastgeber in dessen eigenem Haus zu Tode. Weohstan, der kühne Held, fällte sogleich zur Sühne für den König den Mörder. Aber Eadgils entfloh und gelangte nach dem balderfolgten Tod seines Vaters zur Herrschaft über Schweden.
Wiederum war das Gotenvolk ohne König. Das Allthing, die Versammlung der freien Männer, trat zusammen, den König zu wählen. Da war kein Zweifel, Beowulf, durch nahe Verwandtschaft mit dem erloschenen Königshaus und durch rühmliche Taten gleich würdig, wurde zum Oberhaupt gewählt und der Held weigerte sich nicht mehr, dem Willen der freien Männer Folge zu leisten. Hoch stand er in der Versammlung, die Krone auf dem Haupt, und gelobte, ein treuer Hüter des Volkes und seiner Güter zu sein.
Als sich die Kunde vom Tod des Königs verbreitete, fielen sogleich verwegene Raubfahrer von verschiedenen Seiten in das Land, doch büßten sie mit Gut und Leben für ihre Frevel. Beowulf war überall gegenwärtig, wo die Gefahr drängte. Oft hatte er nur eine Handvoll gerüsteter Kämpfer um sich versammelt, aber sein furchtbares Schwert ersetzte die Zahl und erfocht den Sieg. Die flüchtigen Raufbolde verfolgte er mit schnellen Schiffen auf dem Meer und ruhte nicht, bis er die arge Brut vertilgt hatte. Kaum war das Land gegen diese Seewölfe sichergestellt, so fiel Eadgils als König der Schweden mit großer Heeresmacht in das gotische Reich ein. Er wollte den Tod seines Bruders rächen, fand aber den Gegner wohlgerüstet. An der Spitze des Heerbannes begegnete ihm Beowulf. Die Schlacht war mörderisch, denn beide Völker kämpften unverzagt um Siegesruhm. Jedoch bestanden die Schweden nicht vor dem gewaltigen Helden der Goten: Die Blüte ihrer kühnen Recken und ihr König selbst fielen unter seinen Streichen, und nur schwache Trümmer ihrer Macht erreichten wieder den heimischen Boden, wohin sie die Nachricht von dem unwiderstehlichen König der Feinde trugen. Die Folge dieser Siege war ein dauernder Frieden, der nur selten durch kleine Fehden und Raubzüge gestört wurde. Da die räuberischen Eindringlinge stets schwere Züchtigung von der Hand des Helden erlitten, so wagten sie bald nicht mehr, das Land der Goten zu betreten.
Beowulf waltete nun seines Hüteramtes mit Weisheit und Gerechtigkeit. Kein Hilfeflehender ging ungetröstet von ihm, kein ungerechter Machthaber blieb ungestraft. So herrschte er im Frieden über ein glückliches Volk, das unter seinem Schutz fröhlich die Früchte seines Fleißes erntete. Wo er sich zeigte, begrüßte ihn die Menge jubelnd, und die Edlen neigten ehrfurchtsvoll die behelmten Häupter vor ihrem Schirmherrn. Wohl vierzig oder mehr Jahre währte diese gesegnete Zeit.
Der Held saß noch als Greis in voller Kraft auf dem Thron der Goten, da erfuhr auch Beowulf, dass kein menschliches Glück von Dauer sei. Es brach nämlich ein Feind ein, gegen den Waffen und Heere vergeblich schienen. Dies geschah so: Ein ungetreuer Knecht, der aus Furcht vor verdienter Züchtigung seinem Herrn entlaufen war, kam in eine wüste Felsengegend und erblickte dort eine schauerliche Höhle, in welcher ein ungeheurer Drache schlafend ausgestreckt lag. Aus der Tiefe des unheimlichen Schlundes leuchteten unermessliche Schätze von Gold, Silber und Edelgestein. Mit lüsternen Blicken betrachtete der Mann den Hort, indem er dachte, wenn er nur ein Stück von den Kostbarkeiten habe, dann werde er damit nicht nur die Gunst seines Herrn, sondern auch Befreiung von Leibeigenschaft erkaufen. Diese Erwägung überwand seine Furcht vor dem Untier. Er schlich leise in die Höhle und raubte eine goldene Met-Kanne, deren Deckel ein strahlender Karfunkel zierte. Er entkam damit glücklich und erlangte von seinem Herrn Gunst und Lösung. Aber keiner ahnte, welchen Schrecken sie dadurch über das Land brachten.
Der Drache, der Jahrhunderte hindurch über seinem Goldschatz geruht hatte, den gierige Krieger gehortet und in ihr dunkles Grab mitgenommen hatten, erwachte und witterte den Raub. Er fuhr, nach Rache begierig, des Nachts aus der finsteren Tiefe hervor, suchte witternd die Spur des Räubers, und als er sie nicht fand, brüllte er, dass die Erde bebte, und aus seinem Rachen strömten lodernde Flammen, davon ringsherum Felder und Höfe in Brand gerieten. Die Menschen, welche zu löschen versuchten, wurden seine Beute. Er zermalmte sie oder schleppte sie mit sich in die Höhle, bis der Morgen seinen Verwüstungen ein Ziel setzte. So tat er allnächtlich, und sogar die Burgen der Landherren und des Königs wurden ein Raub der Flammen. Das ganze Land schien dem Verderben verfallen. Wohl versuchten kühne Helden einzeln und in Menge, den Unhold zu bekämpfen, aber gegen den Feueratem halfen weder Schild noch Harnisch, alle fielen als Opfer ihres Mutes.
Der greise König hörte mit Schmerz den Jammerruf seines Volkes, und in seiner Seele reifte der Entschluss, selbst den Kampf mit dem Unhold zu versuchen. „Es ist für mein Volk, für den edlen Stamm der Goten“, sprach er, „da werden mir die Himmlischen hilfreich zur Seite stehen. Wehe dem Herrscher, der nicht, sei es auch mit Hingebung des vergänglichen Lebens, seines Hüteramtes in Treue waltet! Noch fühle ich Kraft in mir, wie in den Tagen der Jugend, als ich Grendel besiegte.“ So sprach der Held zu denen, welche ihm vom Kampf abraten wollten. Er verfuhr jedoch nicht unbedacht, sondern traf die zweckdienlichsten Vorkehrungen. Er ließ einen Schild von dreifachem Metall schmieden, groß genug, dass er den ganzen Mann deckte. Er legte Wielands Rüstung an und wählte zu Begleitern acht der kühnsten Recken, unter ihnen den unverzagten Weohstan, der einst Heardred gerächt hatte. Mit ihnen trat er den Gang nach der Drachenhöhle an. Auf dem Weg sprach er manches von den Taten seiner Jugendzeit und freute sich, dass er nun als Greis beim Abschluss seines Lebens zu einer großen Heldentat berufen sei. So kamen die Männer in die Nähe der Höhle, wo man das Schnaufen des Untiers hörte und die Glut seines Atems erblickte. Ringsum starrte wildes Gestein empor, aber aus der Höhle rauschte ein Bach, dessen Wasser vom Drachen-Feuer kochend heiß war.
Beowulf hieß seine Gesellen in einiger Entfernung harren und sprach: „Lasst mich diesen Kampf am Ziel meines Lebens ganz allein gewinnen. Ihr sollt sehen, wer von uns die tödlichen Wunden besser ertragen kann. Es ist nicht euer Abenteuer, noch liegt es in der Macht von anderen Menschen, außer in meiner eigenen. Ich muss durch meinen Mut das Gold gewinnen, sonst wird der tödliche Kampf euren König dahinraffen.“ Darauf schritt er zur Höhle und rief das Ungeheuer an. Mächtig, wie sonst in der Schlacht, tönte sein Ruf, vom Echo vielfach wiederholt. Der Drache, der im gewundenen Ring lag, streckte sich aus, als er die Menschenstimme hörte, und schoss gierig auf den Helden los. Dieser rettete sich vor dem vernichtenden Feueratem hinter seinem eisernen Schild und traf ihn dann mit schmetterndem Schlag mitten auf den Kopf. Aber die scharfe Schwertschneide von Nägling biss nicht ein, und so entbrannte ein entsetzlicher Kampf.
Die Streiter waren in Flammen und Rauch gehüllt, von dem Brüllen und Heulen des Drachen bebten die Felsen, während die Schwertschläge gleich den Schlägen eines Riesenhammers unaufhörlich krachten, als sollte das wilde Gestein zersprengt werden. Ein Luftzug trieb Flammen und Rauch seitwärts, so dass die Gesellen Beowulfs erkennen konnten, was vorging. Sie sahen, wie der Drache, sich aufbäumend mit klafterweit gähnendem Rachen auf den König niederschoss. Diesen Anblick ertrugen die Männer nicht, sieben von ihnen entwichen und suchten sich im Wald zu verstecken, um ihr Leben zu retten. Aber der achte, der kühne Weohstan, stürmte mit gezückter Waffe seinem bedrängten Herrn zu Hilfe. Sein Schild aus Lindenholz verbrannte, und er musste hinter dem eisernen des königlichen Kämpfers Schutz suchen.
Beide Helden schienen dem Unhold verfallen, denn er riss den Eisenschild herab und fasste den König mit den Zähnen, dass die Ringe des Halsbergs, obgleich von Wieland gefertigt, wie tönerne Scherben zerbrachen. In diesem Augenblick stürzte Weohstan hervor und stieß dem Untier die scharfe Klinge unter der Kinnlade tief in die Weiche des Halses, dass zwar seine Hand dabei verbrannte, aber der heiße Feuerschwall erlosch. Der Drache bäumte sich hoch auf und umschlang beide Kämpfer mit seinem Schweif. Wie er aber herabstürzend den Rachen aufriss, bohrte ihm Beowulf die Schwertspitze in den blutroten Schlund, dass sie auf der anderen Seite hervordrang. Die Sieger säumten nicht, mit Stößen und Hieben den grauenhaften Unhold vollends niederzustrecken. Dann ruhten sie, kampfmüde, von Gluthitze und Qualm fast erstickt, auf einer Felsplatte.
Als sich die kühnen Männer erholt hatten und die Rüstungen lösten, sah Weohstan, wie unter dem zermalmten Halsberg seines Herrn Blutstropfen hervorquollen. Er wollte die kleine Ritze verbinden, aber Beowulf wehrte ihm. „Es ist vergeblich, guter Geselle“, sagte er, „die Wunde hat mir der Zahn des Drachen geschlagen. Schon fühle ich, wie das Gift in meine Adern gedrungen ist. Ich werde hier mein Leben lassen müssen. Aber ich gehe getrost zu meinen Ahnen, als der Letzte meines Stammes, da mir keine Gattin einen Sohn und Erben geschenkt hat. Ich kann auf die vergangene Zeit frohen Mutes zurückblicken: Keine Meintat, keine Ungerechtigkeit steht gegen mich auf. Ich habe Gerechtigkeit geübt, und durch Wohltat die langwierige Feindschaft mit den Scyldingen beendet. Ich habe mir ihren Dank erworben und sie zu Freunden gewonnen. Und nun habe ich um den Preis meines Lebens unser Volk von dem grimmigsten Feind errettet. Darum wird mein Andenken in Ehren bleiben. Du aber, treuer Weohstan, mein einziger Blutsfreund, gehe hin und verschaffe mir einen Trunk aus dem reinen Quell, der drüben am Berg rinnt, dass ich meine Zunge kühle. Dann hole aus dem Berg den Drachenschatz. Ich will ihn schauen, denn er ist die letzte Gabe, die ich unserem Volk erworben habe.“
Der schon ergraute Weohstan tat, was ihm sein König gebot. Er brachte den kühlenden Trunk und wusch auch die brennende Wunde. Darauf schleppte er den Schatz aus der Felshöhle, Kannen, Becher, köstliche Ringe und Spangen, alles von lauterem Gold, auch Schwerter und Rüstungen aus längst vergangener Zeit. Der sterbende Held betrachtete mit Wonne diese letzte Gabe, die er seinem Volk hinterließ. Dann sprach er zum Freund:
„Einen Hügel heiße die Helden mir erbauen,
Unfern vom Meer, sichtbar an der Brandung Felsen,
Zum Gedächtnis dem Volk das Denkmal rage,
Über der Walfischbucht hoch sich erhebe,
Dass die Seefahrer ihn schauen und sagen:
»Es ist Beowulfs Berg«, die ihre Schiffe führen
Von fern her durch die nebligen Fluten.“
Der herrliche König hatte vollendet, er ging zu seinen Ahnen. Lautlos, ohne Klage, stand Weohstan bei der teuren Leiche. War er doch selbst schon ein Greis und bereit, wenn die Himmlischen ihn beriefen, willig zu folgen, nachdem der teuerste Freund geschieden war. Noch verharrte er sinnend an der Stelle, da schlichen die verzagten Recken aus ihrem Versteck hinzu, weil sie gewahrten, dass der Streit zu Ende war. Sie wollten laute Wehklage erheben, aber Weohstan gebot ihnen Stille. Sie sollten lieber ihre Feigheit beweinen, sagte er, als ihn, der als Sieger gestorben sei. Sie sollten bis in die neunte Welt fliehen, denn im gotischen Land und soweit der Name des ruhmvollen Königs lebendig bleibt, würde man sie vertreiben, wenn man von ihrem verräterischen Wesen Kunde erhalte. Schamvoll entfernten sich die unseligen Männer. Sie verloren Habe und Land und entgingen der Strafe, nicht aber der Schmach, die ihnen bis ins Grab nachfolgte.
Ein Wehruf ging durch das ganze Land, als man vernahm, der allgeliebte Herrscher sei im Kampf mit dem Drachen gefallen. Doch erweckte ihn keine Klage aus dem Todesschlummer, und man musste nach seinem Gebot den Leichenbrand herrichten. Auf der Höhe über der Walfischbucht wurde der mächtige Holzstoß, geschmückt mit Schilden und blanken Rüstungen, aufgeschichtet. Ein goldenes Banner erhob sich über der Leiche und flatterte, vom Wind bewegt, noch lange, als schon die Flammen emporlodernd weit über Land und Meer leuchteten. Sie verkündigten dem umher versammelten Gotenvolk, dass die sterbliche Hülle des Königs nun Asche sei. Zwölf ruhmvolle Edelinge sammelten diesen teuren Überrest in einen Krug von reinem Gold und führten denselben in den aufgetürmten Hügel, den manche Träne benetzte. Darauf bestiegen die Goten ihre Rosse, umritten das Totenmal und klagten ihren Kummer. Um den König trauernd, erhoben sie ihren Hochgesang, den Helden zu preisen, wie sinnvolle Sitte und Gesetz es fordern: Dass man den Geliebten im Lied noch ehre und im Herzen ihn hege, wenn er hingeschieden ist. So beklagten die kühnen Kämpfer des Gotenlandes ihres Königs Hingang, seine Hausgenossen, den Mann voll Milde und hohen Mutes, wenn das Schwert er schwang im Grauen der Schlacht.
Als der Gesang vollendet war, wurde der unermessliche Schatz aus der Drachenhöhle in den Hügel gebracht, denn die Goten wollten das Gold nicht behalten, das mit dem Leben ihres Herrschers erkauft war. So ruhte es wieder im Schoß der Erde, wie vordem, als es der Unhold bewachte, unnütz den Menschen, wie’s immer gewesen. So war Beowulf der größte Held, der am höchsten von allen Herrschern der Erde stand, der Freigiebigste, Wohltätigste, Ruhmreichste und Beste aller Beschützer.
Hinweis: Diese Prosa-Übersetzung der Beowulf-Sage entstand nach dem altenglischen Urtext und verschiedenen deutschen und englischen Übersetzungen. Eine tabellarische Übersicht dazu gibt es Hier.
Hört ihr Menschen! Wir berichten von den Dänenhelden aus vergangenen Zeiten und von Königen, die über Völker herrschten. Hört von ihrem Ruhm, ihrem Mut, und welche Heldentaten die Edlen vollbrachten! Hört von Scyld, dem Garbensohn, der mit gewaltiger Kraft alle Feinde von den Bänken der Met-Halle vertrieb und von ihnen gefürchtet wurde. (Scyld bedeutet „Schild“. Er wurde in einem reich beladenen Boot auf den Wellen des Meeres gefunden, vermutlich auf einem königlichen Schild in ein Strohbündel gebettet, und bekam daher seinen Namen.) Als hilfloses Findelkind nahm man ihn auf und gewann den Lohn dafür: Unter dem Wolkendach wuchs er heran, an Würde und Ehre reich, zum glorreichen Herrscher über sein Volk und alle Völker, die am Rande der Wal-Wasserstraße lebten und dem edlen König Tribut zollten. Bald wurde ihm ein Sprößling geboren, ein holder Jüngling, von Gott dem Land zum Trost gesandt, denn das Leid erbarmte ihn, das die Dänen so lange ohne einen starken König erduldet hatten. Dem Erben Scylds verlieh der lichtvolle Lebensspender blühenden Segen auf Erden, und der Ruhm von Beowulf verbreitete sich weit in den nördlichen Ländern. (Der Erbe von Scyld trägt den gleichen Namen wie der Held dieser Geschichte, und ist wohl auch vom gleichen Wesen, aber sie wurden in unterschiedlichen Stämmen geboren.) So wie er sollte sich ein Jüngling durch gute Taten und Freigebigkeit im Haus seines Vaters Ruhm verdienen, so daß ihm als Mann standhafte Gefährten willig dienen und auch folgen, wenn Krieg und Kampf drohen. Auf diese Weise kann der Edle durch Wohltat unter seinem Volk überall gedeihen. (25)
Auch für Scyld kam die Zeit, obwohl er noch unvermindert an Kraft war, in Gottes Hut einzugehen. Wie es der Held geboten hatte, als er der Rede noch mächtig war, trugen ihn die Getreuen zur Meeresbrandung, den toten Herrscher, der sie lange beschützt hatte. Dort lag im eisigen Meer das Schiff des Helden mit geschwungenem Bug segelfertig zur Fahrt bereit. Die Männer legten den geliebten König, den Spender goldener Ringe und Schätze, in den Rumpf des Bootes, gleich neben den Mast. An seine Seite wurden viele Reichtümer aus fernen Ländern, prächtige Gewänder, Geschmeide und viele andere Schätze gegeben. Nie hörte ich von einem Schiff, das so reich mit Waffen und Rüstungen, Schwertern und Schilden ausgestattet war. Die Heldenbrust schmückten strahlende Edelsteine, die mit ihm weit hinaus in das Reich der Wellen fahren sollten. So wurde er vom Volk der Dänen nicht weniger reich begabt, wie sie ihn damals als Findelkind allein in einem Boot auf den Wellen des Meeres gefunden hatten. Dann hißten sie über ihm das goldverzierte Segel wie ein goldenes Banner und übergaben das Schiff den Winden der stürmischen Flut, mit traurigen Herzen und tränenvollen Augen. Keiner der Weisen aus der Ratshalle und keiner der alterfahrenen Helden unter dem weiten Himmel konnte sagen, wohin diese Reise ging und wer diese Fracht empfing. (53)
Nun beschützte Beowulf die Burgen der Scyldinge als geliebter König, lange Jahre und vom Dänen-Volk gefeiert, nachdem der Vater das irdische Leben verlassen hatte. Von ihm entsproß der hehre Healfdene („Halb-Däne“), der kampferfahren noch hochbetagt die Scyldinge glücklich regierte. Dem mächtigen Helden und Volksgebieter wurden in Folge drei Söhne geboren, nämlich Heorogar, Hrodgar und der gute Halga (deutbar als „Speer des Kampfes“, „Speer der Ehre“ und „Heiliger“). Ich hörte auch, daß er eine Tochter namens Yrse hatte, die Onelas geliebte Königin wurde und den kriegerischen Scylfing (Schwede) im Bett umarmen sollte. (63)
Dem König Hrodgar wurde viel Glück und Ehre im Kampf beschert, so daß ihm seine Gefolgsmänner eifrig dienten und die Jugend zu einem mächtigen Heer für den König heranwuchs. Da faßte er den Wunsch, ein herrliches Hallengebäude zu erbauen, einen mächtigen Met-Saal, wie ihn die Menschenkinder schöner niemals gesehen hatten, um darin an Alt und Jung alle Gaben zu spenden, die ihm Gott verliehen hatte, bis auf die Erde und das Leben selbst (die er nicht geben konnte). Wie ich hörte, wurde dieses Werk von vielen Völkern in ganz Midgard (im „Mittelgarten“ der Menschenwelt) gefördert, um diese Halle des Volkes zu errichten. So gelang es dem König, das große Werk in kurzer Frist zu vollenden, die Beste aller Hallen. Er gab ihr den Namen Heorot („Hirsch“), und sein Wort wurde überall geachtet. Danach hielt er sein Versprechen und spendete in dieser Halle goldene Ringe und andere Reichtümer zum festlichen Mahl. Hoch über allem ragte die horngeschmückte Halle, und doch drohte das verzehrende Feuer von Neid und Haß. Nach nur kurzer Zeit wurde tödliche Feindschaft zwischen Schwiegersohn und Schwiegervater (Onela und Healfdene?) durch Neid und Haß entzündet. Denn ungeduldig ertrug der grimmige (Neid und Haß-) Dämon, der in dunkler Höhle hauste, seinen schweren Groll, als er jeden Tag in der großen Halle den frohen Jubel hörte. Voller Harmonie erklang dort die Harfe zum tiefsinnigen Gesang des Dichters. Er wußte vom Ursprung der Menschheit zu singen, wie der Allmächtige die Erde schuf, die schöne und erhabene Insel von Wasser umringt, wie der Siegreiche Sonne und Mond als Leuchten für die Landbewohner aufstellte, wie er auf dem Feld der Erde die Pflanzen sprießen ließ, so herrlich mit Blättern und Blüten geschmückt, und wie er allen Wesen, die sich regen und bewegen, den Atem des Lebens verlieh. So lebte das Volk des mächtigen Königs in Glück und Frieden, bis der Unhold aus der dunklen Höhle kam und grausame Taten verübte. Der grimmige Dämon wurde Grendel genannt, der im Grenzgebiet sein Unwesen trieb, im dunklen Moor hauste, im öden Sumpf der Erde, im Reich der gespenstischen Monster. Dort lebte der grimmige Dämon schon lange, seit ihn der Schöpfer in die Dunkelheit verbannt hatte. Damit rächte der ewige Herr an Kains Nachkommen den Brudermord an Abel (der aus Neid und Haß geschah). Diese Sünde brachte ihm kein Glück, denn seitdem jagt ihn der Herrscher aus der Gemeinschaft der Menschen. Aus dieser Sünde entstammen alle grimmigen Dämonen, und mit ihnen die gespenstischen Zwerge und Riesen der irdischen Dunkelheit, die schon so lange Zeit gegen Gott kämpfen und dafür ihren Lohn von ihm empfangen. (114)
Nun machte er sich um Mitternacht auf, die hohe Halle der Dänen heimzusuchen, wo sie nach dem Biertrunk gebettet ruhten. Im Inneren fand er die Schar der edlen Helden, vom Festmahl gesättigt und in tiefen Schlaf versunken. Kein Leiden bedrückte sie, noch irgendeine Sorge. Doch der zerstörerische Unhold, grimmig und gierig, säumte nicht länger. Wild und grausam ergriff er dreißig Helden auf ihrem Ruhebett und eilte voller Stolz auf seine Beute davon, um den reichen Raub nach Hause in seine dunkle Höhle zu schleppen. (125)
In der Morgendämmerung des erwachenden Tages erkannten die Menschen mit Grausen Grendels tödliche Zerstörungskraft. Da erscholl nun nach dem festlichen Abendmahl ein lautes Wehklagen als Morgengesang. Der mächtige Herrscher und edle König saß traurig da, voller Kummer und hilfloser Sorge über den Verlust der guten Helden. Er sah die Spuren des Feindes, des schrecklichen Störenfrieds. Zu furchtbar war dieser Schlag, schwer zu verwinden. Doch es gab keine Ruhepause. Schon die nächste Nacht brachte noch schlimmeren Mord, denn die Gewalt von Tod und Zerstörung war Grendels vertrautes Wesen, und er kannte keine Reue. Da war es verständlich, daß sich die Helden anderswo ein Ruhebett mit mehr Sicherheit in fester Burg suchten, denn der gewaltige Haß des nächtlichen Feindes gegen alle, die in dieser Halle verweilten, war zu offensichtlich. Der Held, der dem unschlagbaren Feind entkommen konnte, weilte lieber in seiner sicheren Burg (als gemeinsam mit König Hrodgar in der Hirschhalle Met zu trinken und hohe Feste zu feiern). So siegte der Dämon über Recht und Ordnung, als einzelner gegen alle, und die hohe Halle stand lange leer, ganze zwölf Winter hindurch. (147)
Der edle Scylding, der Beschützer und Freund, litt schwer unter der Last des Kummers und der hilflosen Sorge. Traurige Lieder verbreiteten unter den Menschenkindern die schreckliche Botschaft, daß Grendel immer weiter voller Haß im Herzen gegen König Hrodgar kämpfte, mit feindlichen Gewalttaten schon viele Jahre in ständiger Fehde. Keinen der Dänen wollte er verschonen, mit keinem Frieden schließen, und das Töten nicht beenden. Kein Gold konnte als Lösegeld dienen, um das Leben zu bewahren, kein Rat wurde gefunden, und niemand konnte auf irgendeine Entschädigung vom Mörder hoffen. Wie ein dunkler Todesschatten verfolgte der unschlagbare Dämon alle Kämpfer, alte und junge. Er lauerte und brütete Unheil in der endlosen Nacht, im nebligen Moor. Die Menschen wissen leider nicht, woher solche höllischen Gespenster kommen und wohin sie wandeln. So verübte dieser Feind der Menschheit als Einzelgänger viele Grausamkeiten und brachte bedrückendes Leiden. Er lauerte in der Hirschhalle, im reichgeschmückten Saal, während der dunklen Nächte. Nur dem königlichen Thron konnte er sich nicht nähern, von dem die reichen Gaben des Schöpfers gegeben wurden, und er wollte sich auch nicht nähern. (169)
So war der edle Scylding, der König und Beschützer seines Volker, tief im Herzen bekümmert (daß er mit Grendel keinen Frieden schließen konnte). Oft saßen die Mächtigen zusammen und berieten, wie der wütende Feind am besten zu besiegen wäre. Oft gelobten sie in heiligen Tempeln mit tiefster Verehrung heilsame Opfer darzubringen. Oft baten sie den Dämonen-Vernichter in ihrer großen Not um Hilfe. Das war ihr Glaube, der Heiden Hoffnung: Der Hölle gedachten sie tief im Herzen, aber die höchste Gottheit, den Allmächtigen und Richter der Taten, sahen sie nicht. So konnten sie auch den wahren König des Himmels nicht verehren. - Ach, wie elend ist der, der durch wütenden Haß seine Seele ins lodernde Feuer stößt und keine Erlösung erhoffen kann. Und wie gesegnet, wer nach dem Todestag zur Gottheit eingeht und in der Umarmung des Allvaters Frieden findet! (188)
So wurde der König lange vom Kummer gequält, Healfdenes Sohn, denn keinem Helden gelang es, dem Unheil zu wehren. Zu schwer war die Not, zu mächtig das Leid, das sein Volk bedrückte, durch des Dämonen Verfolgung in nächtlicher Plage. Da hörte in seiner Heimat, im Lande der Goten, auch Beowulf, der treffliche Dienstmann von König Hygelak, die traurige Botschaft von Grendels Treiben. Er war damals einer der stärksten und kräftigsten unter den Menschen, ein mächtiger Edling. Sogleich ließ er ein wellentüchtiges Segelschiff rüsten und sprach: „Mich treibt es, dem Weg der Schwäne (intuitiver Ahnung) zu folgen und dem mächtigen Herrscher zu helfen, denn er braucht einen Helden.“ Nur wenig Widerstand begegnete ihm von den weisen Gefolgsleuten seines Königs, die ihn zwar liebten und nicht verlieren wollten, aber auch die Vorzeichen des Erfolges sahen, so daß sie schließlich zur Fahrt rieten. Dazu wählte er sich vom Volk der Goten die kühnsten Männer aus, die er finden konnte, und begab sich als seekundiger Held mit vierzehn Recken zum hölzernen Schiff am Ufer des Meeres, an der Grenze seines Landes. Schon bald schaukelte es auf den Wellen vor der steilen Küste, und die Krieger gingen wohlgerüstet an Board, wo das Meer brandend gegen den Sand kämpfte. Nachdem die blitzenden Waffen, Rüstungen und sonstiges Gepäck im Bauch des Schiffes verstaut waren, stießen die Männer ab, zur erwünschten Reise in einem wohlgerüsteten Fahrzeug. Schnell flog das Schiff wie ein Vogel durch die schaumgekrönten Wellen, vom Wind getrieben, so daß die Seemänner auf dem geschwungenen Bug schon am nächsten Tag fernes Land erblickten, leuchtende Klippen, hoch aufragende Felsen, vom Meer umwallt. Das Ziel der Reise war erreicht. Bald betraten die gotischen Helden das sandige Ufer und vertäuten das Schiff. Ihre Rüstungen klirrten, dieser kämpferische Schutz der Recken, und sie dankten Gott für die erfolgreiche Fahrt auf ruhiger See. (228)
Auf hohem Wall stand der Wächter der dänischen Scyldinge, der die klippenreiche Küste bewachte, und sah, wie man glänzende Schilde vom Schiff trug, mächtiges Rüstzeug und Waffen. Neugierig fragte er sich im Herzen, wer diese Helden waren. So ritt der Dienstmann von König Hrodgar auf seinem Streitroß zum Strand hinunter. Drohend schwang er in starker Faust den Speer und fragte mit gewichtiger Stimme: „Wer seid ihr, gerüstete Recken mit blinkenden Waffen, die auf stolzem Schiff entlang der Wasserstraße über das Meer unser Ufer erreicht haben? Schon lange diene ich hier als Küstenwächter, damit uns keine Feinde auf Schiffen überraschen, die dem Dänen-Reich schaden wollen. Doch so offensichtlich habe ich hier noch keine Krieger mit Schilden aus Lindenholz landen sehen, als hätten euch meine Stammesgenossen als Freunde eingeladen. Ich habe auch noch nie so einen mächtigen Recken erblickt, wie er gerüstet in eurer Mitte steht. Dies ist wohl kein einfacher Dienstmann, der so würdig und edel erscheint, sofern sein Aussehen nicht lügt. Nun laßt mich eure Herkunft wissen, bevor ihr das Land der Dänen als Freunde friedlich betreten dürft. Hört meine Worte und antwortet schnell, woher ihr kommt, damit es keinen Streit gibt.“ (257)
Von den Fremden gab der Edelste Antwort, und als ihr Führer bot er den Reichtum der Rede an: „Wir sind eine Gruppe der Goten, König Hygelaks Herdgenossen. Mein Vater war bei den Völkern weithin als der edle Herrscher namens Ecgtheow („Diener der Schwertschneide“) bekannt. Viele Winter erlebte er, bis das Schicksal den Hochbetagten hinwegnahm. Alle Weisen im Erdenkreis erinnern sich gern an diesen Helden. So suchen auch wir den Sohn des Healfdene, deinen Brotherrn, in bester Absicht auf, diesen Beschützer des Volkes. Sei uns ein geneigter Führer! Wir wollen dem König der Dänen einen großen Dienst anbieten, was kein Geheimnis bleiben sollte. Du weißt sicherlich, ob die Geschichte wahr ist, die uns berichtet wurde, daß ein tödlicher Zerstörer im Reich der Scyldinge haust, ein heimtückischer Feind, der die dunkle Nacht arglistig zu schrecklichem Mord und Gemetzel nutzt. Ich kenne einen weitsichtigen Weg, wie der gute und weise Hrodgar diesen Dämon besiegen kann, damit die lange Not des schrecklichen Leidens ein Ende findet und die Wogen des Sorgenfeuers abkühlen. Sonst wird er die traurige Zeit des qualvollen Elends ertragen müssen, solange diese Beste aller Hallen hochaufgerichtet steht.“ (285)
Vom Roß herab antwortete der kampferfahrene Wächter: „Ein tüchtiger Schildkämpfer versteht, sowohl Worte als auch Taten mit weisem Urteil abzuwägen. So hörte ich, daß ihr Helden dem Herrn der Scyldinge wohlgesinnt seid. Daher folgt mir in Waffen und Rüstungen, ich weise euch den Weg. In der Zwischenzeit werde ich meinen Gesellen befehlen, euer Schiff am Strand treu gegen alle Feinde zu bewachen, das frischgeteerte, bis der geschwungene Holzrumpf den lieben Gast wieder über das wogende Meer zu den Goten ins heimatliche Land trägt. Denn wer edle Taten vollbringt, dem sei es gewährt, aus dem Feuer des Kampfes heil und sieggekrönt hervorzugehen.“ (300)
Nun brachen sie auf. Das tiefbauchige Schiff blieb zurück, vertäut mit starken Seilen und wohlverankert. Ebersymbole glänzten an ihren Helmen über dem Wangenschutz, aus Gold getrieben und im Feuer geläutert, wachten sie über den achtsamen Kampfgeist. So eilte der Trupp der Goten gemeinsam voran, bis sich die strahlende Halle vor ihren Augen erhob, die goldverzierte, in welcher der Herrscher thronte. Es war die Beste aller Hallen für die Erdenbewohner unter dem Himmelsdach. Fernhin leuchtete sie über viele Länder. Bald zeigte ihnen der wachsame Krieger die herrliche Versammlungshalle der großen Helden und gebot, auf geradem Weg weiterzugehen. Er selbst wandte sein Roß und sprach: „Ich muß nun zurückreiten. Möge euch der allmächtige Vater auf eurem Weg gnädig beschützen! Zum Seeufer will ich zurückkehren, um gegen räuberische Feinde Wache zu halten.“ (319)
Der Weg, dem die Helden folgten, war mit bunten Steinen gepflastert. Die handgeschmiedeten Rüstungen glänzten, und hell klirrten ihre blitzenden Schwerter auf dem harten Stahl, als die Kämpfer in ihren Kampfgewändern zur Königshalle schritten. Dort lehnten die Männer ihre wehrhaften Schilde an die Hallenwand und eilten, müde von der Seefahrt, zur Bank unter dem Klang ihrer Rüstungen, diesem Kampfschmuck der Seemänner. Ihre glatten Speere aus Eschenholz mit den eisernen Spritzen stellten sie alle zusammen. So würdig waren die Seefahrer bewaffnet. (331)
Bald darauf fragte ein stolzer und wackerer Recke nach der Edlen Herkunft: „Woher bringt ihr die wehrhaften Schilde, die stahlglänzenden Rüstungen, die bergenden Helme und die vielen Speere? Ich bin Hrodgars Herold und Heerführer. Noch nie sah ich hier so viele Fremde mit so mutigen Gesichtern. Ich vermute, daß euch edler Mut und Heldensinn hierher in Hrodgars Halle geführt hat, und keine Feindschaft.“ Darauf antwortete der kühne Führer der Goten, der wohlgerüstete, unter seinem Helm hervor: „Wir sind Tischgenossen von König Hygelak (deutbar als „Spiel des Verstandes“). Mein Name ist Beowulf („Bienen-Wolf“). Ich möchte dem Sohn des Healfdene, dem ruhmreichen König, die Absicht unserer Reise verkünden, falls es der mächtige Herrscher gewährt, daß wir den Edlen begrüßen dürfen.“ (347)
Und Wulfgar („Speer des Wolfes“), der Wendel-Fürst, dessen Mut, Tapferkeit und Klugheit weitbekannt war, sprach: „Ich werde den König der Dänen fragen, den Herrn der Scyldinge, ob der Geber der goldenen Ringe, die Bitte erfüllt. Ich werde dem edlen Herrscher eure Ankunft melden und eiligst mit der Antwort zurückkehren, die der Gütige zu geben geruht.“ Dann eilte er hin, wo Hrodgar saß, alt und ergraut inmitten der Adligen (Earls). Aufrecht stand er auf Schulterhöhe vor dem König der Dänen, denn er kannte die Sitten hier am Hofe. Und frei heraus sprach Wulfgar zum freundlichen König: „Von fernher sind Männer vom Volk der Goten über das Meer hierher gesegelt. Der Anführer der edlen Kämpfer nennt sich Beowulf mit Namen. Sie bitten, mit dir, mein König, sprechen zu dürfen. Bitte weigere dich nicht, gütiger Hrodgar, und gewähre ihnen eine Antwort. In ihrer Kampfausrüstung erscheinen sie würdig, von den Edlen geachtet zu werden, vor allem ihr mächtiger Führer, der die Helden hierhergeführt hat.“ (370)
König Hrodgar, der Hüter der Scyldinge, sprach: „Ich kannte ihn schon, als er noch ein Jüngling war. Ecgtheow hieß sein alter Vater, dem der Gotenkönig Hredel, seine einzige Tochter zur Ehefrau gab. Nun ist sein Sohn und Erbe als furchtloser Held hierhergekommen, um einen treuen Freund zu besuchen. Die Seefahrer, die den Goten vor einiger Zeit meine Dankesgeschenke brachten, berichteten mir, der berühmte Kämpfer habe die Kraft von dreißig starken Männern in seinen Händen. Ich hoffe, Gottes Güte und Gnade hat ihn zum Heil der Dänen hierher gesandt, damit er uns vom Schrecken Grendels befreie. Dafür werde ich den Mutigen mit reichen Schätzen belohnen. Nun beeile dich und lade die edle Schar in den Kreis unserer Verwandten ein. Sage ihnen, daß sie im Reich der Dänen herzlich willkommen sind.“
Darauf (überbrachte Wulfgar, der Wendel-Fürst) die Botschaft aus dem Inneren (vom Thron der Halle): „Sagen läßt euch der siegberühmte König der Dänen, daß er eure edle Herkunft kennt, und er heißt die Kühngesinnten herzlich willkommen, die über die Wellen des Meeres gereist sind. Gestattet ist es euch, in Rüstung und unter Helmen König Hrodgar zu nahen. Doch laßt die Kampfschilde und hölzernen Speere hier warten, bis zum Schluß der Beredung.“ (398)
Der Mächtige erhob sich, und um ihn herum seine wackere Schar. Nur einer blieb als Hüter der Waffen zurück, wie der mächtige Führer gebot. Dann schritten die Recken unter der Führung des Herolds unter dem Dach von Heorot, der Hirschhalle, voran. Vom Helm bedeckt stand Beowulf in der Halle, die blanke Rüstung glänzte an ihm, das eiserne Kettenhemd, künstlich vom Schmied geflochten, und er sprach: „Heil dir, Hrodgar! Es grüßt dich Hygelaks Diener und Neffe, der schon als Jüngling viel Ruhm geerntet hat. Im Heimatland erreichte mich die schreckliche Botschaft von Grendels Treiben: Die Seefahrer erzählten, diese Beste der Hallen, das herrliche Gebäude, stehe nutzlos und leer für alle Helden, sobald abends die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Da rieten mir meine Recken, die mutigsten und weisesten, alsbald zu dir zu fahren, König Hrodgar, denn sie kennen meine Stärke. Sie haben es selbst gesehen, wie ich von Feindesblut bedeckt aus der Schlacht zurückkehrte, wo ich fünf gebunden hatte, übermächtige Riesen erschlug und in den nächtlichen Wellen unheilvolle Meeresungeheuer besiegte. So ertrug ich manche Gefahr, rächte das Unrecht, das gegen die Goten verübt wurde, und besiegte die Feinde, die Unheil brachten. Nun bin ich gekommen, um allein mit Grendel den Kampf zu wagen, dem grimmigen Riesen, und dessen Bedrohung zu vernichten. Und ich bitte dich, edler Hüter der Scyldinge und König der Dänen: Verwehre mir nicht, der ich von weither kam, daß ich allein mit meinen edlen Gefährten, den kühnen Kämpfern, deine Hirschhalle von dieser Bedrohung reinige, oh Beschützer der Helden und Freund des Volkes. Ich habe auch erfahren, daß der schreckliche Gegner in seiner Übermacht keine Waffen gebraucht. So werde auch ich, um meines Königs Ruhm zu vermehren und Hygelaks Herz zu erfreuen, dem Mörder ohne mein scharfes Schwert und den breiten, goldverzierten Schild begegnen. Allein mit der Kraft meiner Hände will ich mit dem Feind um das Leben ringen. Entweder wird er sterben oder ich, im Vertrauen auf den Ratschluß des Ewigen. Wenn Grendel in der goldenen Halle siegt, denn frißt er auch die mutigen Helden der Goten, wie er bisher die Helden der Dänen fraß. Dann mußt du an meinem Kopf keine Totenwache halten, denn er trägt den blutbefleckten Leib fort, wenn mich der Tod dahinrafft. Der einsame Wanderer wird den rotgefärbten Leib begierig ins öde Moor schleppen und ohne Reue auffressen. Und du sparst die weitere Bewirtung des Gastes. Doch falle ich im Kampf, dann sende meinem König die Rüstung zurück, die mir die Brust schützte, den Besten der Harnische, von Hredel ererbt und Wielands Kunstwerk. So muß das Schicksal seinen Lauf nehmen.“ (455)
König Hrodgar, der Hüter der Scyldinge, sprach: „Kampfbereit und wohlgesinnt hast du, mein guter Freund Beowulf, uns aufgesucht. Dein Vater (Ecgtheow) hatte einen großen Kampf begonnen, als er eigenhändig den Wülfing Heatholaf („Kriegs-Erbe“) erschlug und tötete. Seine Speergenossen konnten ihn vor den Schrecken der Rache nicht beschützen. Darum suchte er uns, das Volk der Dänen, über die Wellen des Meeres auf, die berühmten Scyldinge. Damals begann ich, das Dänenvolk zu regieren, als junger König in diesem weiten Reich, dem Schatzhaus der Helden. Mein älterer Bruder Heorogar (Heregar, „Speer des Kampfes“), der älteste Sohn von Healfdene, war gerade gestorben. Er war besser als ich (als „Speer der Ehre“). So versuchte ich dann, die Fehde mit einer Entschädigung zu schlichten und sandte den Wülfingen uralte Schätze über das Wasser hinüber. Dafür hat er (Ecgtheow) mir den Treueeid geschworen. (472)
Voller Sorge im Herzen spreche ich nun vor allen Menschen vom Unheil, das mir Grendel in haßerfüllter Feindschaft in der Hirschhalle durch seine nächtlichen Angriffe antat. Ich verlor schon so viele Helden, und keiner will noch in dieser hohen Halle verweilen. Ein grausames Schicksal ereilt sie durch Grendels Krallen. Gott könnte wohl den zerstörerischen Taten des haßerfüllten Feindes leicht Einhalt gebieten (doch er macht es nicht). Schon oft vermaßen sich die Kämpfer im Bierrausch beim wohlgefüllten Humpen, in der Bierhalle dem Angriff Grendels mit scharfen Klingen zu begegnen. Doch am Morgen, wenn ein neuer Tag begann, war die edle Met-Halle mit Blut gefärbt, die Bänke blutbespritzt und die ganze Halle blutbefleckt. Wieder hatte ich eine treue Schar an Helden verloren, vom grausamen Tod dahingerafft. — Nun setzt euch zum Festmahl und richtet eure Gedanken auf den glorreichen Sieg im Kampf, wie es euer Herz gebietet!“ Dann wurde für die edlen Goten in der Bierhalle die Bank bereitet, und die mutigen Kämpfer setzten sich nieder, diese mächtigen Helden. Ein Dienstmann erfüllte sein Amt, trug die reichverzierten Trinkbecher auf und schenkte den reinen und süßen Met ein. Ein Spielmann ließ von Zeit zu Zeit seine klare Stimme in der Halle erklingen, und Heldenfreude herrschte in der Versammlung der Goten und Dänen. (498)
Nun ergriff Unferth („Unfried“) das Wort, der Sohn von Ecglaf („Erbe der Schwertschneide“), der dem König der Dänen zu Füßen saß, und löste die Streit-Rune. Ihm war das Wagnis Beowulfs als tapferer Seefahrer verdrießlich, denn keinem Menschen in Midgard gönnte er reicheren Ruhm unter dem Himmel als für sich selber. Und so sprach er: „Bist du der Beowulf, der mit Breka („Breaker“) auf weiter See um die Wette schwamm, als ihr vermessen das Meer herausfordertet und im Stolz auf eure Kraft ins tiefe Wasser tauchtet, um euer Leben zu wagen? Weder Freund noch Feind konnten euch von diesem gefährlichen Kampf abbringen, und keiner von euch gab nach. Mit der Kraft eurer Arme seid ihr hinaus in die rauhe Meeresströmung geschwommen, habt mit mächtigen Schlägen das wellenreiche Meer durchquert, die eisige Salzflut im Wintersturm. Sieben Nächte habt ihr im Reich des Wassers gekämpft. Doch der Sieg blieb ihm, denn seine Stärke war größer. In der Morgenstunde führte ihn die Strömung an das Ufer der Heatho-Reams („kriegerischen Romeriken“), und von dort suchte er sein geliebtes Heimatland auf, im Land der Brondings, seine schöne Festung, wo er Volk, Haus und Schatz besaß. So erlangte Breka, der Sohn von Beanstan („Bohnenstein“), seinen Ruhm im Triumpf über dich. Daher befürchte ich noch üblere Niederlage für dich, wenn du es wagst, während der Nacht Grendels Krallen zu begegnen, auch wenn du manch anderen Kampf und erbitterten Streit überstanden hast.“ (528)
Darauf antwortete Beowulf, der Sohn von Ecgtheow: „Höre, Unferth, mein Freund! Viel hast du im Bierrausch von Breka und seinem Sieg gesprochen. Doch ich kann dir wahrhaft sagen, daß ich damals auf den Meereswellen stärker und beständiger war als jeder andere Mann. Um zum Manne zu werden, hatten wir uns damals als Jünglinge zusammengefunden und geschworen, draußen auf dem Meer unser Leben zu wagen. So geschah es. Wir schwammen mit blankem Schwert in fester Faust, um uns vor den Angriffen der Wale zu schützen. Breka wagte es in den Wellen nicht, sich weit von mir zu entfernen, und ich wollte ihn nicht verlassen. So blieben wir fünf Nächte lang zusammen auf See, bis uns die Strömung der Meereswellen auseinandertrieb, in eisiger Winterkälte, nebliger Nacht und heftigem Nordwind. Wild schlugen die Wellen, und erregt wurde der Zorn der mächtigen Meereswesen. Gegen die Krallen der Ungeheuer half mir meine harte handgeschmiedete Rüstung, das feingewebte und goldverzierte Kampfgewand um meine Brust. Doch das feindliche Wesen zog mich hinab zum dunklen Meeresgrund, und hatte mich fest umklammert mit gierigem Griff. Da glückte es mir, das Ungeheuer mit der scharfen Schwertspitze zu treffen, und vom Stich erlag das mächtige Meeresungeheuer durch meine Hand.“ (558)
Beowulf fuhr fort: „So wurde ich oft von haßerfüllten Angreifern bedrängt, doch ich diente ihnen mit meinem treuen Schwert in gebührender Weise. So konnten sich die tödlichen Übeltäter nicht an dem Festmahl erfreuen, daß sie an mir auf dem Meeresgrund begehrten. Im Gegenteil, als der Morgen dämmerte wurden ihre Reste von den Wellen ans Land gespült, von meinem Schwert geschlagen und ohnmächtig geworden, so daß sie künftig auf dem Meer keinem Seefahrer mehr schaden konnten. Das Tageslicht erhob sich im Osten, das helle Leuchtfeuer Gottes, die Wogen glätteten sich, und ich konnte die Berge des Landes als Mauern gegen den Wind sehen. So beschützt das Schicksal oft einen Helden, der noch nicht sterben soll, solange er tapfer und mutig bleibt. Auf diese Weise hatte ich das Glück, mit meinem Schwert neun bedrohliche Meeresungeheuer (Nicors als „Wassergeister“) zu besiegen. Noch nie habe ich unter dem Himmelsdach gehört, daß ein nächtlicher Kampf härter oder ein Mann in den Wasserfluten bedrohter war. Und doch entkam ich den Gefahren lebendig, aber auch sehr ermüdet vom Kampf. Dann trug mich das Meer mit seiner Strömung an das Ufer von Finn-Land, wie ein Treibholz auf den Wellen. (581)
Über solche Heldenkämpfe und Siege habe ich noch nie von dir (Unferth) und deinem Schwert gehört. Weder Breka noch du konnten solche kühnen Taten im Kampf mit dem blanken Schwert vollbringen. Es geht hier nicht um Prahlerei, aber darum, daß du deine Brüder und nächsten Verwandten hast töten lassen. Dafür wirst du in der Hölle leiden müssen, auch wenn du noch so klug bist. Laß es dir aufrichtig gesagt sein, Sohn des Ecglaf: Nie hätte Grendel, der grimmige Unhold, in der hohen Hirschhalle so viele Greueltaten zum Kummer deines Königs begangen, wenn du ein Held wärst von solchem Mut, wie du selber behauptest. Doch Grendel konnte erfahren, daß er die scharfen Schwerter der siegberühmten Scyldinge nicht zu fürchten braucht. So holt er sich sorglos seinen Tribut und verschont keinen vom Volk der Dänen. Nach Lust raubt, zerstört und tötet er, und fürchtet den Kampf mit den Speer-Dänen nicht. Nun will ich ihm die Macht und den Mut der Goten im Kampf vorsetzen. Dann kann jeder Held, der will, wieder zum Met-Trinken gehen und das Morgenlicht wiedersehen, wie es den Menschenkindern jeden neuen Tag als strahlende Sonne aus dem Süden scheint.“ (606)
Das hörte der grauhaarige Gabenspender mit Freude, und der mächtige König der ruhmreichen Dänen vertraute auf die Hilfe von Beowulf, die er dem Beschützer des Volkes mit festem Entschluß kundgetan hatte. Freudenjubel erscholl nun in der Halle und manch heiteres Wort der Helden. Da trat Hrodgars Gattin Wealhtheow herein, ihrer Pflicht bewußt. Die Goldgeschmückte begrüßte die Männer in der Halle, und dann reichte die edle Dame zuerst dem König der Dänen den vollen Becher und bat ihn, fröhlich am Bierfest teilzunehmen, das vom Volk geliebt wird. So empfing der kampfberühmte Herrscher mit Freude zum Festmahl den Trinkbecher. Danach ging die Dame aus dem Helming-Stamm durch den Saal und trug den Becher zu Jung und Alt, bis die Königin auch zu Beowulf kam. Da erblühte ihr Geist, und mit ringgeschmückter Hand reichte sie ihm den Met-Becher. Sie grüßte den fürstlichen Goten und dankte Gott mit weisen Worten für die Erfüllung ihres Wunsches, denn sie vertraute dem mächtigen Helden als Befreier von ihrem Kummer. Beowulf, Ecgtheows Sohn, nahm den Becher aus der Königin Hand und sprach feierlich voller Kampfesmut: „Als ich das Schiff mit meinen Mannen bestieg und ins Meer hinausfuhr, war es mein fester Entschluß, den Wunsch deines Volkes voll und ganz zu erfüllen, oder tapfer kämpfend in den Krallen des Feindes dem Tod zu begegnen. So bin ich fest entschlossen, diese mutige Tat zu vollbringen, sonst erwartet mich in dieser Met-Halle mein letzter Tag.“ (638)
Dieses Ehrengelöbnis des Goten gefiel der hochgeborenen Frau, und die goldgeschmückte Königin des Volkes setzte sich wieder an die Seite ihres Herrn. Da wurde nun wie früher in der Halle wieder manch mutiges Wort gesprochen, die Menschen waren voller Freude, und Siegesrufe ertönten, bis sich Healfdenes Sohn zur Nachtruhe zurückziehen wollte. Der König wußte, daß der gehässige Unhold darauf wartete, diese hohe Halle anzugreifen, wenn das Licht der Sonne untergeht, die Nacht alles verfinstert und unter einem dunklen Himmel schattenhafte Wesen heranschleichen. Mit ihm erhob sich auch sein Gefolge, und man verabschiedete sich gegenseitig. König Hrodgar wünschte Beowulf viel Glück und Heil, ernannte ihn zum Wächter der Weinhalle und sprach: „Seit ich mit Hand und Schild imstande war, diese feste Halle den Dänen zu errichten, habe ich sie noch nie einem Mann anvertraut, wie nun dir. So hüte und bewahre dieses Beste aller Gebäude! Gedenke nun deiner Ehre, zeige große Tapferkeit und halte Wache gegen den Feind. Kein Wunsch soll dir unerfüllt bleiben, wenn du dieses Heldenwerk siegreich überlebst.“ (661)
Dann verließ König Hrodgar, der Hüter der Scyldinge, mit seiner Heldenschar die Halle, denn er wollte in Wealhtheows Armen ruhen. Der ruhmreiche König hatte, wie wir gehört haben, gegen Grendel einen Beschützer der Halle ernannt, der dem Herrscher der Dänen verpflichtet war und den Riesen abwehren sollte. Dieser Gotenheld vertraute tatsächlich fest auf seine Macht und die Gnade des Schöpfers. So legte er seine eiserne Rüstung ab, nahm den Helm vom Kopf und übergab sein Schwert, die erlesenste Waffe, einem seiner Gefolgsmänner, mit dem Befehl, die Kampfausrüstung gut zu bewachen. Bevor er sich dann auf sein Lager niederlegte, sprach Beowulf, der kampfmutige Gote, mit folgenden Worten sein Gelöbnis: „Ich schätze mich nicht schwächer an kämpferischer Kraft und Stärke als Grendel selbst. Deshalb will ich ihn nicht mit meinem Schwert töten und seines Lebens berauben, obwohl ich dazu fähig wäre. Er kennt die Kunst nicht, mit der scharfen Klinge zu kämpfen und des Gegners Schild zu zerschlagen, auch wenn er für seine feindseligen Taten bekannt ist. Wie er, so werde auch ich in der heutigen Nacht das Schwert nicht schwingen, wenn er waffenlos zum Kampf erscheint. Dann wird der allwissende Gott, der heilige Herr, ihm oder mir den Siegesruhm gewähren, wie es ihm angemessen erscheint.“ (687)
Mit diesen Worten legte sich Kampfesmutige nieder, und das Ruhekissen empfing sein edles Haupt. All die anderen tapferen Seemänner sanken in der hohen Halle um ihn herum in den Schlaf. Jeder von ihnen fürchtete, seine geliebte Heimat, sein Volk oder seine stolze Burg, in der er aufgewachsen war, nie wieder zusehen. Denn sie hatten gehört, wie der gewaltsame Tod in dieser Weinhalle schon so viele heldenhafte Dänen hinweggerafft hatte. Doch der Herrgott gewährte den Goten das gewebte Schicksal von Kampfglück, Schirm und Schutz, so daß sie den schrecklichen Feind durch die Kraft des Einen besiegen konnten. Damit wurde die Wahrheit kund, daß der allmächtige Gott immer für die Menschheit sorgt. -- Im Dunkel nahte nun der Schattenwandler. All die Kämpfer schliefen, welche die gehörnte Hirschhalle bewachen sollten, bis auf einen. Der wußte, daß ihn der grimmige Feind nicht in die Schattenwelt ziehen konnte, wenn es der Schöpfergott nicht wollte. So erwartete er wachsam, mutig und kampfbereit den haßerfüllten Feind. (709)
Schon bald kam Grendel vom Moor her durch die Nebelwände herangeschlichen, Gottes Zorn tragend. Der haßerfüllte Zerstörer beabsichtigte, sich aller Menschen in dieser Halle zu bemächtigen. So schritt er unter dem dunklen Wolkendach zur Weinhalle, bis er das goldene Gebäude der Menschen im Ganzen vor sich sah. Er kam nicht zum ersten Mal zu Hrodgars Halle, doch so alt er war, niemals zuvor noch danach konnte er hier so einen mächtigen Hallenwächter finden. So erreichte der gehässige Krieger zu seinem Unglück das Gebäude. Unter seiner gewaltigen Faust wich das feste Tor, trotz feuergeschmiedeter Riegel. Voller Haß öffnete der Unhold die Halle und schritt wütend über den buntverzierten Fußboden. Aus seinen Augen schoß ein zorniges Licht, wie verzehrende Feuerflammen. In der Halle sah er viele Helden schlafen, verwandte Männer und kühne Kämpfer. Da lachte sein Herz, und der gehässige Dämon hoffte, noch vor Tagesanbruch jedem das Leben und den Körper zu rauben und sich an diesem üppigen Festmahl zu erfreuen. Doch sollte es nicht sein Schicksal sein, nach dieser Nacht noch mehr Menschen zu verzehren. (736)
Der mächtige Held, Hygelaks Neffe, beobachtete achtsam, wie der bösartige Mörder mit seinen Krallen schlagartig vorgehen wollte. Das Ungeheuer dachte nicht daran zu zögern, sondern ergriff mit blitzartigen Krallen den ersten, ihm nahen Schläfer, zerriß ihn hemmungslos und biß in den Leib, um das Blut zu trinken und das Fleisch zu fressen. Schnell hatte er den Leblosen mit Beinen und Armen ganz und gar verschlungen. Dann schritt er weiter und griff mit seinen Krallen nach dem heldenhaften Kämpfer auf seinem Ruhebett. Doch der Edle war achtsam, erkannte die bösartige Absicht des Feindes und packte ihn am Arm. Da erschrak der Haßerfüllte und erkannte, daß er in ganz Midgard, der Menschenwelt auf Erden, noch nie einem Mann begegnet war, der mit seiner Hand so mächtig zupacken konnte. Sogleich wurde er innerlich von größter Angst erfüllt, wollte fliehen, aber konnte es nicht. Sein Geist strebte mit aller Macht hinaus, zurück in die Dunkelheit, um die Höhle des Dämons aufzusuchen, denn dieser Kampf war ganz anders, als er es jemals erlebt hatte. (757)
Da erinnerte sich der edle Held, Hygelaks Neffe, an sein Gelöbnis vom Abend, richtete sich auf und packte noch fester zu, bis die feindlichen Krallen brachen. Der Riese drängte hinaus, doch der Held folgte ihm auf jedem Schritt. Gern wäre der Dämon weiterhinaus geflohen, und von dort in das geheime Versteck im Moor, doch er wußte, daß seine Krallen in der Gewalt des Helden waren. So wurde es nun ein Weg des Leidens, den der haßerfüllte Krieger in die Hirschhalle gegangen war. Laut hallte der Kampflärm in der Halle wider und ließ im weiten Umkreis alle Dänen, Burgbewohner und tapferen Helden aufschrecken. Mit mächtiger Gewalt rangen die beiden Kämpfer. Das ganze Gebäude schwankte. Ein großes Wunder war es, daß die Weinhalle den Kämpfern standhielt und nicht in Trümmer stürzte, das schöngebaute Haus auf Erden. So fest war die Halle innen und außen mit geschmiedeten Eisenbändern geschickt verstrebt. Denn wie ich hörte, zerbrach nur manche goldgeschmückte Met-Bank, auf denen die beiden kämpften. So hatten es auch die Weisen der Scyldinge erwartet, daß die herrliche, horngeschmückte Halle kein Sterblicher jemals zerstören konnte, weder mit Kraft noch mit List, es sei denn, die Umarmung des Feuers verschlänge sie im Inferno. Ein bisher ungehörter Lärm erscholl, und entsetzliches Grauen drang in die Herzen aller Dänen, die vom Hügel herab das Geheul vernahmen, das grausige Lied des Besiegten, das der Feind Gottes sang, der als Gefangener der Hölle seine Schmerzen beklagte. Denn er wurde von einem Mann festgehalten, der damals der Stärkste und Mächtigste aller Menschen war. (790)
Der Beschützer der Helden sah keinen Grund, den leidigen Mörder lebendig entkommen zu lassen, dessen Lebenstage wohl keinem Menschen nützlich waren. Dazu schwangen nun auch die Gefolgsmänner von Beowulf ihre ererbten Waffen, um das Leben ihres Führers und Herrn zu verteidigen, so gut sie konnten. Tapfer schlugen sie von allen Seiten zu, um die Seele des Feindes zu treffen. Doch sie wußten nicht, als sie sich in den Kampf gegen den sündhaften Zerstörer stürzten, daß ihn keine Schwertschneide der Welt verletzen konnte, sei sie auch noch so scharf geschmiedet. Durch seinen Schwur (des Hasses) war er gegen jede feindliche Waffe gefeit, gegen jede drohende Schneide. Trotzdem sollte noch an diesem Tag sein Leben im Elend enden und sein feindlicher Geist in die dämonische Hölle sinken. (808)
Da erkannte Grendel, der Gott haßte und mit feindlichem Sinn an der Menschheit schon so viele Greueltaten begangen hatte, daß ihm sein Körper nicht mehr dienen konnte, den Hygelaks Neffe mit mächtiger Hand gepackt hatte. Es gelang ihm nicht, sich lebendig von ihm zu trennen. (Trotzdem versuchte er es mit aller Gewalt.) Da fühlte der schreckliche Riese unerträgliche Schmerzen in seinem Körper, an der Schulter klaffte eine große Wunde, die Sehnen zerrissen, und die Knochen zerbrachen. Beowulf gewann den Ruhm des Siegers, und Grendel mußte tödlich verwundet ins tiefe Moor fliehen, ins freudlose Heim. Er wußte sicher, daß nun sein Lebensende nahte, und seine Tage gezählt waren. (823)
So wurde nach gewaltigem Kampf der Wunsch der Dänen erfüllt, denn der fremde, weise und mutige Held hatte Hrodgars Halle gereinigt und vom Feind befreit. Da freute sich der Gotenheld seines nächtlichen Werkes, daß er mit mächtiger Kraft sein kühnes Versprechen erfüllt hatte, welches er den Dänen gab. Von großem Leiden hatte er sie geheilt und ihre Angst gelindert, von quälender Sorge befreit und von schwerem Schicksal und elender Not erlöst, die sie lange erdulden mußten. Als sichtbares Zeichen hängte der siegreiche Held Grendels Schulter, Arm und Hand unter das hohe Hallendach, die ganze schreckliche Kralle seines Griffs. (836)
Der Morgen begann, und wie ich hörte, kamen viele Kämpfer zur Gabenhalle: Die Besten des Volkes kamen von nah und fern auf ihren Wegen daher, um das Wunder zu schauen und den blutigen Spuren des Feindes zu folgen. Keiner, der die Spuren des Ruhmlosen sah, bedauerte dessen Abschied vom Leben, wie er machtlos fortgeschlichen war, besiegt im Kampf, und sich tödlich verwundet in seine Dämonenhöhle zurückgezogen hatte. Blutig brodelte dort das Wasser, und schrecklich wirbelnde Wellen vermischten sich mit dem geronnenen Blut, dem Blut aus der Wunde des Todgeweihten, der aller Freude beraubt im tiefen Moor sein Leben lassen mußte, eine gottlose Seele, von der Hölle umfangen. Dann eilten die alten und auch jungen Helden zurück, vom Moor heimwärts, auf falben Rossen (hellbraun mit dunkler Mähne) im fröhlichen Ritt. Laut erscholl von ihren Lippen das Lob Beowulfs. Viele sagten, daß weder süd- und nordwärts zwischen all den Meeren auf der ganzen Erde kein besserer Held unter dem weiten Himmel zu finden sei, kein Träger des Schildes, der des Königsthrones würdiger wäre. Doch damit tadelten sie in keiner Weise ihren geliebten Freund und Herrn, denn auch der edle Hrodgar war ein guter König. Zuweilen ließen die tapferen Kämpfer die Falben springen oder um die Wette laufen, wenn die gegebenen Wege dazu geeignet waren. (867)
Zuweilen sang ein Spielmann des Königs, der die Dichtkunst beherrschte und viele alte Sagen kannte, den edlen Helden ein Lied, indem er die Wahrheit in Worte faßte. Kunstvoll besang er Beowulfs Heldentat und ließ geschickt die gereimten Verse fließen, daß sich ein Reim zum anderen fügte. Dann sang er auch von vielem, was er von Siegmund einst sagen hörte, von den geheimnisvollen Wundertaten des Sohnes von Wölsung, seinen Irrwegen, Kämpfen und schrecklichen Taten, die kein Mensch jemals völlig erfuhr, außer seinem Neffen Fitela, dem der Oheim alles anvertraute. Denn in jedem Kampf waren sie notwendige Gefährten und hatten gemeinsam mit ihren Schwertern viele übermächtige Riesen niedergestreckt. Doch nach dem Tod gewann vor allem Siegmund großen Ruhm, denn der unschlagbare Held hatte den mächtigen Drachen getötet, der den Schatz hütete. In der uralten grauen Steinhöhle wagte er ganz allein den gefährlichen Kampf. Fitela war nicht bei ihm. Dennoch war es ihm vergönnt, mit seinem Schwert den wundersamen Lindwurm zu durchbohren, bis das edle Eisen im groben Gestein feststeckte. Der Drache starb, und so hatte es der mutige Kämpfer erreicht, daß er über den goldenen Schatz der Ringe nach Belieben verfügen konnte. Da belud der Sohn von Wölsung sein Schiff und brachte den glänzenden Schatz in dessen Bauch, während der Lindwurm in seiner eigenen Hitze zerschmolz. So wurde er durch seine Tat der Berühmteste unter den Helden aller Völker und ein Vorbild der Kämpfer, seit König Heremod seine kämpferische Kraft, seinen tapferen Mut und allen Ruhm verloren hatte. Denn die Riesen (von Begierde und Haß) hatten ihn betrogen und schnell verführt, so daß ihn seine hin- und herwogenden Sorgen zu lange bedrückten und lähmten. Damit wurde er für sein Volk und alle Edelinge zu einer großen, lebensfeindlichen Last. Viele von ihnen betrauerten den Irrweg des hartherzigen Königs, denn viele der weisen Helden hatten sich von ihm eine Hilfe in ihrer Not erhofft, wenn das Königskind heranwächst und den Thron seines Vaters einnimmt, um das Volk, die Schätze und die Burgen zu beschützen, das Reich der Helden und das Erbe der Scyldinge. - Viel hilfreicher für die Menschheit war nun Hygelaks Neffe, während die anderen für sich selber kämpften. (915)
So ritten die Helden in raschem Wettlauf auf staubiger Straße. Die Morgensonne stieg höher, und manch entschlossener Kämpfer ging jetzt zur hohen Halle, um das große Wunder zu schauen. Auch der König selbst trat würdig aus dem Gemach seiner Ehefrau, der berühmte Hüter des Schatzes der goldenen Ringe, und schritt mit seinem großen und edlen Gefolge an der Seite seiner Königin, der ihre Jungfrauen folgten, den Weg zur Met-Halle. (924)
Hrodgar ging in die Halle, blieb auf den Stufen stehen, betrachtete staunend Grendels Kralle unter dem goldenen Dach und sprach: „Für diesen Anblick sei Dank dem ewigen Allherrscher! Viel Leid und Kummer habe ich durch Grendel erfahren. Doch Gott kann immer wieder Wunder bewirken, der ewige Wächter des Ruhms. Noch vor kurzem hatte ich keine Hoffnung, so lange ich auch lebte, des bitteren Leidens ledig zu werden, daß das edelste aller Gebäude so blutbesudelt vom Mord an den Helden dastand. Diese große Sorge überwog alles andere, eine endlose Verzweiflung meiner weisen Berater, die im Laufe ihres Lebens die Festung der Nationen vor Feinden, Dämonen und Ungeheuern schützen sollten. Doch nun hat ein Held mit Gottes Hilfe diese Großtat vollbracht, die wir mit all unserer Weisheit nicht erreichen konnten. Mit Recht kann man der Frau sagen, die diesen Helden gebar, wenn sie heute noch unter Menschen lebt, daß der uralte Schöpfergott zu des Sohnes Empfängnis seinen Segen gab. Mein lieber Beowulf, Bester aller Männer, ich werde dich nun wie einen Sohn in meinem Herzen lieben. Pflege fortan diese neue Verwandtschaft! Es soll dir an weltlichem Gut nichts fehlen, soweit es in meiner Macht steht. Schon oft habe ich geringere Dienste reich belohnt und mit Schätzen Helden geehrt, die im Kampf weniger erfolgreich waren. Durch deine Taten hast du es selbst erreicht, daß dein Ruhm für immer und ewig lebt. Möge dir der Allwaltende solche Taten auch weiterhin mit Güte vergelten, wie er es bisher getan hat!“ (956)
Darauf sprach Beowulf, Ecgtheows Sohn: „Willig und gern wurde dieses Werk vollbracht, und kühn gewagt der Kampf mit dem mächtigen Feind. Doch mir wäre es lieber, du könntest jetzt den ganzen Leib des Dämons sehen, der dem Kampf erlag. Meine Absicht war es, ihn auf meinem Ruhebett sogleich mit festem Griff im Kampf zu packen, so daß er im Griff meiner Hand um sein Leben ringen müsse und sein Körper nicht entkommen könne. Doch ich konnte nicht verhindern, daß er sich losriß. Es war wohl nicht des Schöpfergottes Wille, so daß mir die Kraft fehlte, den tödlichen Feind zu halten. Er war zu mächtig und entkam auf seinen Füßen. Doch mußte er seine Hand mit Arm und Schulter hierlassen, um sein Leben zu retten. Aber damit hat sich der Elende keinen Sieg gewonnen, denn der haßerfüllte Zerstörer wird nicht mehr lange leben, von seinen eigenen Sünden niedergeworfen. Die Wunde hat ihn mit der Fessel des Schmerzes gebunden, und dort muß das mit Verbrechen befleckte Geschöpf auf das große Gericht warten, das ihm der strahlende Schöpfer verordnen wird.“ (979)
Auch Unferth („Unfried“), Ecglafs Sohn, der von kühner Tat so viel geprahlt hatte, wurde nun schweigsamer, als die Kämpfer unter dem hohen Hallendach die Kralle des dämonischen Feindes sahen. Dessen Haut war härter als Stahl, und die mächtigen Fingernägel der Kralle glichen den eisernen Sporen der Reiter. Nun konnte jeder sehen, daß keine Waffe, nicht einmal die schärfte aus härtestem Eisen, die zerstörerische Hand des Dämons hätte abschlagen können. (990)
Nun wurde umgehend befohlen, das Innere der Hirschhalle von fleißigen Händen festlich zu schmücken. Viele Männer und Frauen kamen, um die Weinhalle als Gästehaus herzurichten. Goldglitzernde Kunstgewebe verschönerten die Wände und waren für die Menschenaugen wie Wunder anzuschauen. Denn trotz der eisernen Bänder war das Gebäude stark beschädigt, und sogar die Tore waren aus den Angeln gerissen. Nur das Dach war heil und ganz geblieben, als der dämonische Riese von schwerer Schuld beladen um sein Leben fürchtete und gewaltsam die Flucht ergriffen hatte. Das ist kein leichter Weg, doch man kann es versuchen. Denn schließlich müssen alle Erdenbewohner, die eine Seele besitzen, vom Schicksal gezwungen den Ort aufsuchen, wo nach dem Festmahl ihre Körper auf dem Sterbebett gebunden in den Schlaf fallen. (1008)
So kam auch die Stunde, da Healfdenes Sohn zur Halle ging, der gütige König Hrodgar, um sich am Festmahl zu erfreuen. Nie hörte ich, daß sich eine so große Zahl an Helden edler und anständiger um ihren Gabenspender der goldenen Ringe versammelten. Die Ruhmreichen ließen sich auf den Bänken nieder und freuten sich über das Festmahl. Mit Würde empfingen sie manchen Met-Kelch in der hohen Halle, wie auch die beiden Verwandten, die edlen Herrscher Hrodgar und Hrodulf (der König und sein Neffe, die auf dem Thron saßen). Die ganze Halle war von Freude erfüllt, denn die edlen Scyldinge waren nun vom übelgesinnten Verbrecher befreit. (1019)
Daraufhin überreicht König Hrodgar, der Sohn von Healfdene, ein goldenes Banner als Siegesgeschenk an Beowulf, eine goldbestückte Standarte für den Sieger, sowie einen Helm und eine Rüstung (Brünne). Dazu wurde dem Helden noch ein wertvolles Schwert von den (beiden) Männern überreicht. Beowulf trank den gefüllten Kelch mit Freuden, denn solcher Gaben brauchte er sich im Kreis der Helden nicht zu schämen. Ich habe nie gehört, daß solche vier goldgeschmückten Schätze auf der Bierbank freundlicher von der gütigen Hand der (beiden) Männer dargebracht wurden. Um das Dach des Helmes, das den Kopf schützte, befand sich ein eisernes Kettengeflecht, damit die scharfgeschliffene Klinge (den Nacken und Hals) nicht verletzen konnte, wenn der Gerüstete grimmigen Feinden begegnen mußte. Danach ließ der Herrscher noch acht Rosse mit goldgeschmücktem Zaumzeug in die Halle führen. Auf einem war ein ganz besonderer Sattel, kunstvoll verziert und mit Juwelen veredelt. Das war der Kampfsattel des hohen Königs, auf dem der Sohn von Healfdene in den Schwertkampf geritten war, wo er stets ruhmreich an vorderste Front gekämpft hatte, dort, wo die Feinde fielen. So schenkte der königliche Beschützer der Freunde des Ing (Yngvi, vermutlich Freyr als Gott des Frühlings und Neubeginns) sowohl Waffen als auch Rosse dem siegreichen Helden Beowulf und gebot ihm, diese gut zu nutzen. So belohnte der ruhmreiche König und Hüter der Helden-Schätze auf männliche Weise die Heldentat mit Rossen und Schätzen, was wohl keiner tadeln kann, ohne lügen zu wollen. (1049)
Dann ließ der Hüter der Kämpfer auch den Männern aus Beowulfs Gefolge, die mit ihm über den Seeweg gekommen waren, auf den Met-Bänken wertvolle Schätze aus seinem Erbe überreichen, und gebot, den Mann, den Grendel in seiner Bosheit als ersten verschlungen hatte, mit Gold zu vergelten (bzw. aufzuwiegen). Er hätte wohl noch mehr verschlungen, wenn ihn nicht der weise Gott, das mächtige Schicksal und der Mut des Helden daran gehindert hätten. So wachte der Schöpfergott schon immer über die Menschheit, wie er es auch heute noch tut. Deshalb ist die Einsicht überall das Beste, die weise Voraussicht des Geistes, denn wer in diesen Tagen des Kampfes lange Zeit in der Welt lebt, muß viel Liebes und Leidiges ertragen können. (1062)
Nun erschollen Gesang und Klang vor dem Sohn von Healfdene, dem kampferfahren König. Die Harfe ertönte zu einem Heldenlied, das Hrodgars Spielmann den Hörern oft zur Freude an den Metbänken in der hohen Halle vortrug:
„Als Finns Geschlecht das Unglück traf, da sollte auf dem friesischen Schlachtfeld auch der Scylding Hnäf („Neffe“) fallen, Healfdenes Held. Wahrlich, die edle Hildburg („Kampf-Burg“, die Schwester von Hnäf und Ehefrau des Friesenkönigs Finn) wurde von der Treue der Friesen schwer enttäuscht, denn schuldlos wurde sie ihrer Lieben beraubt, ihres Bruders und ihres Sohnes, die in hinterhältiger Schlacht getötet wurden, zum großen Jammer der Frau. Dem Schicksal erlagen sie, vom Speer durchbohrt. (1075)
(Zum Verlauf der Schlacht wird hier gern das „Finnsburg-Fragment“ eingefügt, das getrennt von der Beowulf-Sage überliefert wurde. Zur Rahmenhandlung könnte man sich vorstellen, daß Hildburg und Finn verheiratet wurden, um den Frieden zwischen Dänen und Friesen zu sichern. Sie gebar ihm einen Sohn, der zu einem jungen Helden heranwuchs. Doch in Finns-Herzen wuchs der Neid auf seinen ruhmreichen Schwager und damit auch der Haß. Da lud er den jungen Dänenkönig hinterlistig zu einer Feierlichkeit ein. Hnäf erschien mit seinem Gefolge von sechzig edlen Helden, und sie feierten in der gehörnten Halle von Finns Burg, wo sie auch übernachten wollten. Gegen Mitternacht griffen plötzlich Feinde an, und hier beginnt das überlieferte Fragment:
„… der Hornschmuck brennt!“ Da rief Hnäf, der junge königliche Held: „Nicht dämmert der Morgen im Osten, kein Drache fliegt darin auf, auch brennt der Hornschmuck (als Giebel) dieser Halle nicht, sondern Feinde nahen im Feuer des Hasses, zum Angriff bereit! Die Raben krächzten, der graue Wolf heult, und die Speere trommeln drohend auf Schilde. Der Vollmond verbirgt sich hinter dunklen Wolken, und üble Taten drohen, denn der grimmige Haß naht sich als Feind. Erwacht, meine Kämpfer! Ergreift eure Waffen und Schilde, seid standhaft und tapfer! Kämpft kühn und furchtlos an vorderster Front!“ (FN12)
Da erhoben sich die mit Gold geschmückten Helden vom Ruhebett und gürteten sich die Schwerter um. Die tapferen Kämpfer Sigferd und Eaha schritten mit gezogenen Schwertern zum ersten Hallentor, und zum zweiten Tor eilten Ordlaf und Gudlaf („Erbe der Schwertspitze“ und „Erbe Gottes“), denen auch Hengest folgte. Doch Gudhere („Gott-Kämpfer“) mahnte den Garulf („Speer-Wolf“), sein edles Leben nicht gleich im ersten Kampf am Hallentor zu wagen, wo die Kampferfahrenen es ihm entreißen könnten. Darauf fragte der wagemutige Held mit lauter Stimme: „Wer verteidigt das Tor?“ Und die Antwort erschallte (aus der Halle): „Mein Name ist Sigferd („Sieg-Fahrt“ oder Sigferth als „Sieg-Frieden“). Ich bin ein Fürst aus Secgan („Aussprechen“) und als Kämpfer weitberühmt. Ich habe schon manchen schweren Kampf bestanden, und ein solcher erwartet dich nun auch, wenn du mich wagemutig angreifen willst.“ (FN27)
Sogleich ertönte an den Hallentoren der Lärm tödlicher Schläge. Die Schilde wurden in den Händen der Helden zerhauen, Helme und Schädel gespalten, der Hallenboden bebte und die ganze Burg dröhnte (vom Kampflärm). Garulf, der Sohn von Gudlaf, fiel als erster der einheimischen Friesen in dieser Schlacht, und um ihn herum noch viele weitere friesische Helden. Über den Leichen kreisten die schwarzen Raben, und die Schwerter funkelten und glänzten, als stünde die ganze Finn-Burg in Flammen. Ich habe nie von mutigen Kämpfern gehört, die heldenhafter gekämpft hätten, als jene sechzig Männer von Hnäf, die ihrem König den süßen Met-Trank als treue Gefolgsleute vergalten. Sie kämpften fünf Tage lang, ohne daß einer aus ihrem Gefolge fiel, und verteidigten tapfer die Tore. Dann wurde ein Held verwundet und zog sich zurück. Er sagte, seine Rüstung sei brüchig geworden, sein Brustpanzer schwach und sein Helm durchbohrt. Da fragte ihn alsbald des Volkes Hüter, wie die wackeren Helden von ihren Wunden genesen, oder welcher der jungen Männer… (FN48)
Im weiteren Verlauf der Schlacht, vielleicht am sechsten und siebenten Tag, fallen dann noch der junge König Hnäf, also Hildburgs Bruder, von Finn selbst erschlagen, und einige andere Helden der Dänen, sowie der Sohn von Hildburg und Finn zusammen mit fast allen Kriegern der Friesen.)
Nicht ohne Grund trauerte die Tochter von Hoc („Haken“) über des Schicksals Beschluß, als der Morgen kam und sie unter hellem Himmel die Verwandten schrecklich getötet liegen sah, die bisher die Freude ihres Lebens waren. Dazu waren auch fast alle Krieger von Finn gefallen, und mit dem winzigen Rest konnte der König das Schlachtfeld gegen die Macht von Hengest (dem dänischen Heerführer von Hnäf) nicht mehr behaupten, noch sein klägliches Häuflein vor dem Heerführer des Dänenkönigs retten. So bot man dem Feind zur friedlichen Einigung an, ihm die Hälfte der Burg sowie der Halle und des Thrones einzuräumen, so daß nun die Herrschergewalt den Friesen und Dänen gemeinsam gehören solle. Auch wollte König Finn, Folkwalds Sohn („Volks-Macht“), die Helden aus dem Gefolge von Hengest täglich in der Bierhalle mit gleichen Gaben an funkelndem Gold, Schätzen und Juwelen ehren, wie Hengest dort das Volk der Friesen erfreuen wollte. So band man sich auf beiden Seiten durch einen festen Friedensvertrag, und Finn schwor Hengest nach dem Rat der Weisen mit viel Ernst feierliche Eide, um alle verbleibenden Dänen in Ehren zu halten. Niemand dürfe diesen Bund mit Taten oder Worten brechen, noch böswillig irgendeinen Tadel äußern, daß sich die Dänen nun herrenlos vor dem Mörder ihres Königs verneigten, wie die Not gebot. Und wenn irgendein Friese mit bösartigen Worten an die mörderische Feindschaft erinnern sollte, dann müsse des Schwertes Schneide ihn strafen. Der Eid wurde geleistet, und das uralte Gold aus dem Schatz geholt. (1108)
Dann wurde das Totenfeuer vorbereitet, und die besten Kämpfer der Scyldinge wurden dort aufgebahrt. Auf dem Scheiterhaufen sah man deutlich den blutbefleckten Brustpanzer (des Königs Hnäf), den goldenen Eber, das eisenharte Schweinsymbol und viele vom Schwert erschlagene Edelinge, die ihren Wunden erlegen waren, denn viele großartige Männer waren in dieser Schlacht gefallen. Dann ließ Hildburg auch ihren eigenen Sohn an die Seite von Hnäf dem Feuer übergeben, um dessen Körperhülle an der Schulter seines Oheims zu verbrennen. Mit lautem Wehgesang beklagte die Frau ihr Elend. Der Scheiterhaufen wurde entzündet, der Rauch wirbelte zu den Wolken empor, und das größte Totenfeuer loderte vor dem Grabhügel. Die Schädel schmolzen, die Wunden brachen auf, und schäumendes Blut strömte, wo der Haß in die Körper gebissen hatte. So verschlang das Feuer die Toten beider Völker, die durch Haß und Begierde gefallen waren, und ihr blühender Wohlstand verging.“ (1124)
Der Spielmann sang weiter: „Nun gingen die überlebenden Kämpfer, ihrer Freunde beraubt, die neue Wohnstätte zu besuchen und das Land der Friesen zu sehen, ihre Häuser und hohen Burgen. Hengest wohnte über den Herbst und frostigen Winter, der den Tod (in die Natur) bringt, dem Eid getreu bei Finn. Er dachte oft an seine Heimat, doch konnte das Schiff mit dem geschwungenen Bug nicht über das Meer führen, denn die See wogte im Sturm und kämpfte gegen den Wind. Dann hielt der frostige Winter die Wellen in eisigen Fesseln, bis in der häuslichen Welt wieder das Frühjahr nahte, wie es heute noch für jene geschieht, die diese Jahreszeit immer wieder mit herrlich heiterem Wetter erleben. So ging der frostige Winter dahin, und die Erde wurde wieder schön. Da trieb es den Fremden hinaus, den Gast aus dem Haus, doch noch mehr als an die Seefahrt, dachte er an die Vergeltung für die leidige Tat, ob er den Kampf wieder entfesseln könnte, und erinnerte sich innerlich an die Söhne der Friesen (Eoten). Und so lehnte er seine weltliche Aufgabe nicht ab, als ihm Hunlafing (vermutlich ein „Sohn von Hunlaf“ als „Tier-Erbe“ oder Unlaf als „Un-Erbe“, vielleicht Ordlaf gemeint) das Beste aller Schwerter, die Flamme des Kampfes, in den Schoß legte, dessen Schneide unter den Friesen wohlbekannt war. Damit traf das Schicksal den stolzen Finn, so daß er im eigenen Haus von diesem Schwert überwältigt wurde. Denn als sich Gudlaf und Oslaf (Ordlaf?) immer wieder bei Hengest beklagten, daß sie nach der Seereise (von den Friesen) angegriffen wurden, und ihm einen Teil ihres Leidens vorwarfen, konnte er seinen bewegten Geist im Herzen nicht mehr zurückhalten. Da wurde die Halle von feindlichem Blut rotgefärbt und Finn getötet, der König inmitten seines Gefolges. Danach wurde die Königin und alle bewegliche Habe des Königs, die in Finns Burg zu finden war, von den Kämpfern der Scyldinge zu den Schiffen gebracht, darunter viele strahlende Juwelen und Edelsteine. So führten sie die edle Dame über das Meer wieder in ihre Heimat, ins Reich der Dänen.“ Damit war das Lied gesungen, und die Geschichte vom Spielmann erzählt. (1160)
Nun erhob sich wieder Freude auf den Bänken, und Mundschenke füllten die Becher mit Wein aus wunderreichen Krügen. Die Königin Wealhtheow schritt, mit goldenen Ringen geschmückt, zum Thron, wo Oheim und Neffe friedlich nebeneinandersaßen. Ihre Freundschaft war noch immer beständig, in gegenseitiger Treue. (1165)
Auch Unferth („Unfrieden“), der so große Reden schwang, saß zu Füßen des Herrscherpaares der Scyldinge. Beide wußten, daß er ebenfalls ein tapferes Herz hatte, auch wenn er seine Verwandten im Schwertkampf (gegen Grendel) nicht hatte retten können. Dann sprach die Königin: „Mein geliebter Herr und Gemahl, Geber der Schätze und Goldfreund der Menschen, empfange diesen vollen Kelch, sei glücklich und erfreue die Goten mit freundlichen Worten, wie es einem Mann geziemt. Sei den Gästen gnädig und gedenke ihrer Gaben, sowohl den kurz- als auch den längerfristigen. Mir wurde gesagt, daß du diesen Helden wie einen Sohn annehmen möchtest. Denn Heorot, die Hirschhalle, ist nun gereinigt, die strahlende Halle der Ringe. Erfreue dich nun mit den vielen Helden am Met, solange es dir vergönnt ist, und überlasse deinen Verwandten Volk und Reich, wenn du fortmußt, um die Gottheit als Quelle der Schöpfung zu sehen. Ich weiß, daß auch dein Neffe, der edle Hrodulf, die kühne Jugend freundlich behandeln wird, wenn du als Hüter der Scyldinge früher als er die Welt verläßt. So denke ich, daß er es auch unseren Kindern mit Güte vergelten wird, eingedenk dessen, daß wir ihm Ehre und Gunst von Jugend an erwiesen haben.“ Dann ging sie zu jener Bank, wo ihre beiden Söhne, Hredric und Hrodmund („Ehr-Herrscher“ und „Ehr-Beschützer“), im Kreise der Jünglinge saßen, bei den Söhnen der Helden, wo auch der gute Beowulf von den Goten neben dem Brüderpaar platzgenommen hatte. (1191)
Die Königin reichte ihm mit freundlichen Worten den vollen Becher und aus reiner Dankbarkeit herrliche Gaben: Zwei Armreifen aus gewundenem Gold, einen wertvollen Brustpanzer und einen prächtigen Halsschmuck, wie man auf Erden wohl keinen schöneren findet. Noch nie habe ich unter dem Himmelsdach von einem besseren Schatz der Menschen gehört, seit Hama (Heime als „Heimstatt“) das Brising-Geschmeide mit strahlenden Juwelen in kostbarster Fassung in die Burg trug, wo man um das Licht kämpft, als er vor der listigen Feindschaft Eormenrics floh (Ermenrich als „Macht-König“, der zum tyrannischen Kaiser wurde) und das ewige Heil suchte. Diesen Halsschmuck hier trug Hygelak („Verstandes-Opfer“, vermutlich ein gleichnamiger Vorfahre von Hygelak, dem Onkel von Beowulf), der Herrscher der Goten und Neffe von Swerting (der „Dunkle“), das letzte Mal, als er im Land der Friesen unter seinem Banner den Schatz bewachte und die eroberte Beute verteidigte. Doch ihn überwältigte das Schicksal, nachdem er aus Stolz sein eigenes Leiden suchte und einen Krieg mit den Friesen begann. Über die Wellen des Meeres trug der mächtige König den Halsschmuck mit den Edelsteinen, doch er fiel unter seinem Schild. Seine Leiche, sein wertvoller Brustpanzer, die goldenen Armreifen und der prächtige Halsschmuck fielen in die Hände des friesischen Königs. Niedere Krieger plünderten die anderen Leichen vom Volk der Goten, die nach dem Gemetzel das Schlachtfeld füllten. (Und Hengest brachte die Schätze wieder zurück in das Reich der Dänen.) (1214)
Jubel ertönte in der Halle (angesichts dieser edlen Gaben), und Wealhtheow sprach vor der ganzen Gesellschaft: „Gebrauche die Armreifen gut, lieber Beowulf, trage den Brustpanzer mit Gewinn, edler Jüngling, und hüte den prächtigen Schmuck in Wohlsein und Glück! Bewahre deine Kraft, und sei den Jünglingen hier ein freundlicher Lehrer. Ich lohne es dir gern. Du erwarbst die Ehre, daß dich die Menschen in Nah und Fern für alle Zeiten preisen werden, solange die Meereswellen im Wind befestigtes Land umwallen. Sei mit Heil gesegnet, solange du lebst! Ich gönne dir von Herzen die reichen Schätze. Sei meinen Söhnen wohlgesinnt in deinen Taten und ehre sie mit Freude. Mögen hier alle Menschen einander treu sein, großzügig im Geist und ihrem König ergeben. Mögen die Helden vereint sein, und alle Menschen dienstbereit. Darauf trinkt, ihr Getreuen, und erfüllt meine Bitte!“ (1231)
Damit ging die Königin zu ihrem Platz. Es gab ein herrliches Festmahl, und die Männer tranken Wein. Sie ahnten noch nichts vom Schicksal, vom schrecklichen Unglück, wie es schon vielen Helden nach Anbruch der Nacht geschehen war, als sich König Hrodgar (mit der Königin) in seine Gemächer zurückzog, um sich auszuruhen. Die Halle bewachten viele edle Helden, wie es früher Brauch gewesen war. Sie schoben die Bänke beiseite und breiteten Betten und Kissen aus. Doch einer der dienstbereiten Biertrinker, die sich nun zur Ruhe niederlegten, war bereits dem Untergang geweiht. Ans Kopfende stellten sie ihre Schilde aus hellem Lindenholz, und auf der Bank lag neben jedem Helden gut sichtbar ein kampfbewehrter Helm, wie auch der Brustpanzer und ein strahlend-mächtiger Speer. Das war ihr Brauch, um stets zum Kampf gerüstet zu sein, zu Hause oder auf Fahrt, wann immer es nötig war, ihrem Herrscher zu dienen. So treu waren die Helden. (1250)
Sie sanken alle in den Schlaf. Doch einer mußte für die Nachtruhe bitter büßen, wie es sich schon oft ereignete, als Grendel noch in der goldenen Halle hauste und Unheil schuf, bis er sein Ende fand, den Tod für seine sündhaften Verbrechen. So wurde es bald offenbar und den Menschen weithin bekannt, daß nach diesem Sieg über Grendel noch ein Rachewesen den Kampf überlebt hatte, nämlich Grendels Mutter. Das weibliche Ungeheuer wurmte die Schmach in ihrer dunklen Wasserwelt, wo sie in eisigen Strömungen leben mußte, seit Kain die üble Mordtat an seinem einzigen Bruder verübte, dem (geliebten) Sohn des Vaters. Von Sünde befleckt und als Mörder gezeichnet mußte er aus der heiteren Menschenwelt fliehen und in der dunklen Einöde leben. Von ihm entstammten viele übelgesinnte Unholde, und einer von ihnen war Grendel, der gehässige Zerstörer und Mörder, der aber in der Hirschhalle einen wachsamen Helden gefunden hatte, welcher den Kampf achtsam bestand. Der Störenfried wagte den Angriff, doch der Held erinnerte sich an seine mächtige Kraft, die große Gabe, die ihm Gott verliehen hatte, und er vertraute auf die Güte und den sicheren Schutz des Allmächtigen. Damit besiegte er den Dämon und unterwarf den Höllengeist, der dann elend und aller Freude beraubt als Feind der Menschheit den Weg des Todes ging. Nun wollte auch seine Mutter, düster und grimmig, den schmerzlichen Weg gehen, um den Tod ihres Sohnes zu rächen. (1278)
Sie kam noch Heorot, in die gehörnte Hirschhalle, wo die Helden der Dänen während der Nacht schliefen und nun erneuten Angriff erfuhren als Grendels Mutter wütend hereinstürmte. Der Schrecken war jedoch geringer, wie auch die Kraft der Frauen im kriegerischen Kampf geringer ist als die von bewaffneten Männern, die kampferfahren mit geschmiedeter Rüstung, stahlbewährtem Eber-Helm und blutgehärtetem Schwert gewaltig zuschlagen. Da wurde in der Halle manch harte Klinge aus der Scheide gezogen und mit eiliger Hand der feste Schild ergriffen. Im ersten Schrecken dachte keiner an seinen Helm und seine Rüstung. Sobald die Angreiferin entdeckt war, versuchte sie, eilig zu entfliehen, um ihr Leben zu retten. Schnell erfaßte sie noch einen der edlen Helden mit festem Griff und flüchtete zum sumpfigen Moor. Es war König Hrodgars liebster Held in seinem Gefolge, der mächtigste Schildkämpfer zwischen den Meeren, ein ruhmreicher Mann, den sie auf seinem Ruhebett erfaßte und tötete. Beowulf war nicht anwesend, denn ihm wurde anderwärts eine Unterkunft zugewiesen, nachdem man den mächtigen Goten mit den wertvollen Schätzen beschenkt hatte. Ein lauter Aufschrei erscholl in der Hirschhalle, und am Tor ergriff sie fliehend noch die wohlbekannte Klaue, die blutverkrustete. (1303)
Da erhob sich erneuter Kummer im Gebäude. Der Handel (zwischen Hrodgar und Beowulf) schien nicht allzu glücklich, denn beide Seiten mußten ihn mit dem Leben von Freunden aus ihrem Gefolge bezahlen. Als der weise König, der grauhaarige Kämpfer, vom Tod seines besten Gefolgsmannes erfuhr, dem liebsten Kampfgefährten, wurde er von großer Traurigkeit erfüllt. Schnell rief man Beowulf, den siegreichen Helden, herbei. Und sobald der Tag anbrach, ging der edle und hochgeehrte Kämpfer mit seinem Gefolge dorthin, wo der greise König wartete und grübelte, ob ihn der Allmächtige nach dieser traurigen Nachricht jemals wieder vom Unheil erlösen könne. Der furchtlose Kämpfer schritt mit seinen treuen Gefährten den getäfelten Flur entlang, daß die ganze Halle davon widerhallte. Mit freundlichen Worten grüßte er den König der Dänen und fragte, ob er die Nacht gut verbracht hatte und was der Grund für die dringende Vorladung sei. (1320)
König Hrodgar, der Hüter der Scyldinge, sprach: „Frage nicht nach Wohlsein, denn neues Leiden traf die Dänen. Äschere („Esche-Heer“) ist tot, Yrmenlafs („des großen Erbes“) älterer Bruder, mein bester Freund, Runen-Kenner und vertrauter Ratgeber, der in jedem Kampf stets an meiner Seite war, wenn es ums Leben ging, die Kämpfer aufeinandertrafen und die Eber-Helme zerschlagen wurden. Jeder Mann sollte so weise und edel sein, wie es Äschere war! Doch nun erfaßte und tötete ihn in der Hirschhalle eine höllische Dämonin. Ich weiß nicht, wohin die Gierige, ihres Fraßes froh, geflohen ist. Damit rächte sie bitter, daß du Grendel gestern Nacht im Kampf mit unnachgiebiger Hand gepackt hattest, weil er schon so lange mein Volk zerstörte und tötete. So fiel er im Kampf und verwirkte sein Leben. Doch nun ist eine andere Macht gekommen, eine grausame Zerstörerin, um ihren Verwandten zu rächen, und droht uns auch weiterhin mit ihrem Angriff. Das fürchtet wohl auch mancher von den Helden, der in seinem Herzen schmerzlich um den Verlust des Schatzgebers (Äschere) trauert. Zudem wurde auch die Kralle herabgerissen und geraubt, mit der du unsere Wünsche erfüllt hast (Grendel zu überwinden). (1344)
Ich habe von den Landbewohnern des Volkes und meinen Beratern in der Halle schon oft gehört, daß sie zwei so mächtige Riesenwesen im Grenzland umherwandern sahen, die im Moor hausten, fremdartige Geister. Wie sie deutlich erkennen konnten, war eines wie ein Weib gestaltet, und das andere Ungeheuer wanderte in Mannesgestalt durch die Einöde, nur daß er größer als alle anderen Männer war. Die Landbewohner nannten ihn damals „Grendel“ („Zerstörer“). Doch keiner kennt seinen Vater, von welchem dunklen Geist er einst gezeugt wurde. Die beiden (Mutter und Sohn) bewohnen ein verborgenes Reich, wo sich die Wölfe verstecken, ein dunkles Moor bei den stürmischen Klippen, wo der Gebirgsbach im Nebel der zerklüfteten Küstentäler im Abgrund der Erde verschwindet. Nur ein paar Meilen von hier liegt der schreckliche Sumpf am Meer, beschattet von reifbedeckten Hainen, wo sich die Bäume über das Wasser neigen und sich mit ihren Wurzeln kaum noch festhalten können. Dort sieht man allnächtlich ein unheimliches Wunder, ein Feuer im Wasser, das bisher noch kein Menschenkind in seiner Tiefe ergründen und begreifen konnte. Selbst der Hirsch, der mit seinem mächtigen Geweih den Wald bewohnt, gibt, wenn er von den Jagdhunden gehetzt wird, lieber sein Leben am Ufer auf, als kopfüber in dieses unheimliche Wasser zu springen. Es ist wirklich kein heiliger Ort. Aus den Wasserwirbeln steigen die dunklen Nebel bis zu den Wolken empor, stürmische Gewitter ballen sich zusammen, der Himmel wird dunkel und weint schwere Tränen. Wieder kannst nur du allein helfen und heilen! Du kennst jetzt die schreckliche Stätte, wo die sündhafte Dämonin zu finden ist. Versuche es, wenn du dich traust! Ich vergelte dir den Kampf mit wertvollem Gut, mit altgeerbten Schätzen, wie ich es zuvor tat, mit goldenen Ringen, wenn du lebendig zurückkehrst.“ (1382)
Darauf sprach Beowulf, Ecgtheows Sohn („Diener der Schwertschneide“): „Sei nicht traurig, weiser Mann! Würdiger ist es für jeden, seinen Freund zu rächen, als endlos zu trauern. In dieser Welt müssen wir alle ein Ende des körperlichen Lebens erwarten. Darum vollbringe jeder, solange er lebt, wahrhaft große und ruhmreiche Taten, denn das ist für den Kämpfer, wenn er stirbt, das Beste. So erhebe dich, Hüter des Königreiches! Laß uns gemeinsam eilen und den Spuren von Grendels Mutter folgen. Ich verspreche dir: Sie entwischt mir weder im Sumpf des Moores, noch im Schoß der Erde, im Waldesdickicht der Berge oder in den Tiefen des Meeres, wohin sie auch flieht. Ich hoffe, du kannst dein Leid noch diesen heutigen Tag mit Geduld ertragen.“ (1396)
Da erhob sich der greise alte König und dankte Gott, dem mächtigen Herrn, für die Worte des Mannes. Schnell wurde für Hrodgar ein Hengst mit geflochtener Mähne gesattelt, und der weise Herrscher ritt wohlgerüstet voran. Ihm folgten die Kämpfer zu Fuß mit ihren Schilden aus Lindenholz. Die Spuren waren am Wald entlang weithin sichtbar, wohin die Dämonin ihren Weg genommen hatte. Durch das dunkle Moor trug sie den entseelten Körper des Besten aller Helden, die mit König Hrodgar ihre Heimat verteidigten. So führte nun der Weg des Königs mit seinem Gefolge durch steile Felsenschluchten, auf schmalen Pfaden, selten begangen, einsam und geheimnisvoll, wo zwischen öden Klippen mancher Wassergeist (Nicor bzw. Nix) hauste. Der König ritte voran mit seinem Gefolge aus weisen Männern, um die Gegend zu erkunden, bis er schließlich einen grauen Felsen fand, über den sich traurig die Bäume des Waldes neigten. Das Wasser davor war von rotem Blut aufgewühlt, und den Helden der Dänen, den Freunden der Scyldinge, traf es tief ins Herz, als dort die Edlen voller Kummer den Kopf von Äschere auf der steilen Meeresklippe aufgespießt sahen. Blutrot schäumte das Wasser vom feurigen Blut. Die Kämpfer starrten hinein, bliesen auf ihren Hörnern ein Totenlied zum Abschied und setzten sich gemeinsam nieder. Da sahen sie im Wasser viele seltsame Wesen schwimmen, Würmer, Schlangen und Drachen, die in der Tiefe lauerten. Und in den Buchten zwischen den steilen Klippen lungerten die Wassergeister, die in den Morgenstunden auf die schiffbrüchigen Seefahrer warten. Doch wie wilde Tiere flohen sie erschrocken und zornig davon, als sie die lauten Jagdhörner der Kämpfer hörten. Da schnellte vom Bogen des gotischen Helden sogleich ein scharfer Pfeil, der tief ins Herz eines Wassergeistes drang und sein tödliches Spiel in den Wellen beendete. Man sah, wie er im Wasser immer träger schwamm, bis er starb. Schnell wurde er im Wellenspiel von den Speeren der Kämpfer, die mit Eberzähnen wie Enterhaken genutzt wurden, erfaßt und an Land gezogen, wo die Männer das unheimliche Wesen bestaunten. (1441)
Da legte sich nun Beowulf die glänzende Rüstung an, doch fürchtet nicht im Geringsten um sein Leben. Der von Künstlerhänden gefertigte und geschmückte Brustpanzer sollte nur die körperliche Hülle seiner Knochen beschützen, daß kein bösartiger Feind seine Brust verletzten und mit mörderischer Kralle das körperliche Leben gefährden konnte. So sollte auch der strahlende Helm seinen Kopf schützen, wenn er hinab in die aufgewühlten dunklen Tiefen taucht. Dieser war mit Edelsteinen geschmückt, von einem eisernen Kettengeflecht (für Hals und Nacken) umgeben und mit einem Eber-Symbol gekrönt, wie ihn vor langer Zeit ein Waffenschmied geschaffen hatte, damit er künftig geschwungenen Schwertern widerstehen kann. Schließlich lieh ihm Hrodgars Redner (Unferth als „Unfrieden“) noch sein Schwert, das in der Not nicht die schlechteste Waffe war. Es wurde Hrunting genannt und stammte aus alten Schätzen. Die eiserne Klinge war mit Schlangen verziert, im Kampfblut gehärtet und versagte niemals im Kampf, wenn sie mit starker Hand ein Held schwingt, der den Schreckenspfad ins Reich der Feinde zu beschreiten wagt. Schon oft zeigte die Waffe ihre gewaltige Stärke. Der kräftige Recke (Unferth), Ecglafs Sohn („Erbe der Schwertschneide“), konnte sich wohl nicht mehr erinnern, wie er damals vom Wein berauscht geprahlt hatte, als er nun die Waffe dem würdigeren Helden lieh. Denn er selbst wagte nicht, in den aufgewühlten Wellen sein Leben einzusetzen, um die rächende Tat zu vollbringen. So verlor er seinen Ruhm und seine Ehre als Kämpfer, ganz anderes als Beowulf, der sich kühn zum Kampf rüstete. (1472)
Da sprach Beowulf, Ecgtheows Sohn: „Ich bin kampfbereit, weiser König! Nun gedenke der Worte, ruhmreicher Sohn von Healfdene und Goldfreund der Menschen, worüber wir vorhin gesprochen hatten: Wenn ich in deinem Dienst fallen sollte, dann erfülle nach meinem Ableben die versprochenen Pflichten eines Vaters. Hilf meinen Stammesgenossen, dem treuen Gefolge, wenn der Tod mich hinrafft, und schicke auch die Schätze, die du mir geschenkt hast, lieber Hrodgar, an meinen König Hygelak. Dann wird der Herrscher der Goten, der Sohn von Hredel, an diesen Schätzen erkennen, daß ich einen edlen, tugendhaften und freigebigen König gefunden habe, der zur großen Freude goldene Ringe spenden kann. Und gib auch dem berühmten Unferth das weitbekannte und scharfe Kampfschwert zurück, das alte Erbstück. Dann habe ich versucht, mit Hrunting Ruhm zu erlangen, wurde aber vom Tod davongetragen.“ (1491)
Nach diesen Worten eilte der edle Goten-Held mutig zum Kampf, ohne auf irgendeine Antwort zu warten. Die Wogen des Meeres umfingen den Kämpfer. Es dauerte den halben Tag, bis er so tief tauchen und den Grund erreichen konnte. Schon bald bemerkte die gierig, hungrige und grimmige Dämonin, die dort schon ein halbes Jahrhundert (solange auch Hrodgar regierte) im sumpfigen Grund hauste, daß einer der Menschen von obenher in das fremde Reich eingedrungen war. Schnell tastete sie sich heran und ergriff den Kämpfer mit ihren schrecklichen Klauen. Doch sie konnte den heilen Körper nicht zerquetschen, denn der Brustpanzer schützte ihn von außen, so daß sie mit ihren feindseligen Krallen die ineinander gewundenen Rüstungsringe nicht durchdringen konnte. Daraufhin umklammerte die Meer-Wölfin den Herrn der Ringe, der auf den dunklen Grund gekommen war, und schleppte ihn in ihre Höhle. So mutig er auch war, doch er konnte (in der Dunkelheit) seine Waffen nicht gebrauchen, obwohl ihn viele wilde Wesen in der Tiefe angriffen, manches Meeresungeheuer mit scharfen Zähnen an seiner Rüstung zerrte und ringsherum schreckliche Gefahren lauerten. Bald fand sich der Held in einem geräumigen Gewölbe wieder, wie er es noch nie erlebt hatte, wo ihn kein Wasser mehr bedrückte, denn die Decke der Halle hielt die wild anstürmende Strömung zurück. Ein winziges Feuer brannte hier mit blassem Lichtschein, und darin sah der gute Mann die Wölfin des Grundes, das mächtige Meer-Weib. (1519)
Da schwang er nun sein Kampfschwert (Hrunting) mit starker Hand zum gewaltigen Schlag, so daß die scharfe Klinge auf ihrem Kopf ein feuriges Kampflied sang. Doch der Held erkannte bald, daß dieses flammende Kampfschwert nicht eindringen konnte, um den Feind zu bezwingen. So versagte die scharfe Schneide dem Edlen gerade in der größten Not. Sie hatte schon viele Nahkämpfe bestanden, Helme gespalten und Rüstungen der Todgeweihten zerschlagen. Nun war es das erste Mal, daß diesem kostbaren Schatz die vielgerühmte Macht versagte. Aber der Neffe von Hygelak ließ sich davon nicht entmutigen. Er erinnerte sich an seine eigene ruhmreiche Heldenkraft und warf das kostbare, mit Schlangen verzierte Schwert beiseite, so daß die nutzlose Klinge aus hartem Stahl am Boden lag. Dann stand er mutig und entschlossen im Vertrauen auf seine eigene Stärke und die Macht seiner Hände. So sollte ein Mann im Kampf handeln, um unsterbliches Lob zu verdienen, und sich nicht um sein Leben sorgen. Da packte der kampferfahrene Gote, der den Kampf nicht fürchtete, Grendels Mutter an der Schulter und rang die Todfeindin nieder, daß sie zu Boden fiel. Doch sie vergalt es ihm schnell mit gleicher Münze, umklammerte den starken Helden mit zornigem Griff, daß er wankte und zu Boden stürzte. Dann kniete sie mit ihrer ganzen Last auf ihm nieder und zog ein Messer mit scharfer Klinge, um den Sohn zu rächen, der ihr einziger Nachkomme war. Doch Beowulfs Brust und Hals wurden von seinem Brustpanzer und dem Kettengewebe beschützt, die jedes Eindringen der spitzen Schneide verhinderten und sein Leben beschützten. Der Sohn von Ecgtheow (als „Diener der Schwertschneide“), der größte Held der Goten, wäre wohl am Meeresgrund umgekommen, wenn ihm die feste und wohlgefügte Kampfrüstung nicht geholfen hätte, und natürlich der heilige Gott, der den wahren Sieg im Kampf gewährt. Dieser weise Herr und Herrscher des Himmels entschied einfach mit Gerechtigkeit, und so kam der Held wieder auf seine Füße. (1556)
Da sah er unter (bzw. über) allen anderen Waffen ein siegverheißendes Riesenschwert, eine uralte Waffe mit reiner Klinge, ein unvergleichlicher Schatz der Kämpfer, doch so übergroß, daß sie kein gewöhnlicher Mann im Kampf schwingen konnte, ein mächtiges und prächtiges Gigantenwerk. Dieses mit mystischen Ringen verzierte Schwert ergriff der Kämpfer im Dienst der Scyldinge. Entschlossen, mutig und im gerechten Zorn ergrimmt hob er das mächtige Schwert der Ringe und schwang es mit all seiner Kraft für die Hoffnung des Lebens, so daß es durch den Hals der Meer-Wölfin drang, das Fleisch durchschnitt und die harte Wirbelsäule zerschlug. Die geköpfte Leiche sank blutend zu Boden, und Beowulf freute sich als Held begeistert über diesen Sieg. Da erstrahlte in der tiefen Höhle ein helles Licht, wie vom Himmel herab die Sonne scheint. In diesem Licht schaute sich Hygelaks Held in der Halle achtsam um und schritt an der Höhlenwand entlang mit erhobenem Schwert, mutig und entschlossen. Die riesige Schneide sollte dem Helden noch nützlich sein, um das große Unheil zu vergelten, das Grendel immer wieder im Volk der Dänen angerichtet hatte, als er die Gefolgsleute von König Hrodgar im Schlaf überwältigte und verschlang, fünfzehn dänische Helden auf einmal, und die gleiche Anzahl schleppte er noch als grausame Beute fort. Für diese unheilsamen Taten zahlte ihm jetzt der mutige Kämpfer den gebührenden Lohn. Denn auf einem Lager erblickte er den kampferschöpften Grendel leblos liegen, wie er sich während des Kampfes in der Hirschhalle tödlich verwundet hatte. Noch einmal bäumte sich der erstarrte Körper hoch empor, als ihn ein mächtiger Schwerthieb traf und die scharfe Schneide das Haupt abschlug. (1590)
Da sahen nun die scharfsinnigen Kämpfer, die mit König Hrodgar am Ufer warteten und Ausschau hielten, wie sich die aufgewühlte Wellenflut vom Blut ganz rot färbte. Die gealterten und graubärtigen Helden des guten Königs meinten, daß es nun keine Hoffnung mehr gäbe, daß der edle Gotenheld im Triumph des Sieges zurückkehren werde, um den glorreichen Herrscher aufzusuchen. Fast alle glaubten, daß die Meer-Wölfin ihn getötet und vernichtet hatte. Da kam die neunte Stunde des Tages (nach Sonnenaufgang, und der Abend nahte). Die tapferen Scyldinge verließen das Ufer mit ihrem König, dem Goldfreund der Menschen, der nun heimwärts ritt. Nur die gotischen Gäste blieben mit schwerem Herzen zurück und starrten in das blutrote Meer. So sehr sie es auch wünschten, doch die Hoffnung schwand, ihren mutigen Führer und geliebten Freund lebendig wiederzusehen. (1605)
Mittlerweile geschah in der Höhle ein großes Wunder, denn die riesige Schwertklinge begann, im Blut des Kampfes wie ein Eiszapfen zu schmelzen. Als hätte der große Vater, der über Stunden und Jahreszeiten herrscht, die Fesseln des Frostes gelöst und das Wasser von seiner Bindung befreit, denn er ist der wahre Schöpfer. Manche Schätze sah der kühne Gotenführer in dieser Höhle, doch nichts davon nahm er mit, als nur Grendels Haupt und den kunstvoll verzierten Griff des riesigen Schwertes, dessen Klinge (wie auch die Höhle selbst) im feurig-heißen Blut zerschmolz, darin jeder fremdartig-feindliche Geist wie in einem Gift verging. Sogleich schwamm er wieder im Wasser, der im Kampf überlebte und die Feinde besiegt hatte. Durch die Strömung tauchte er empor, und gereinigt war das Reich der Wellenwirbel, das weite Meer, wo die feindlichen Geister die Grenze des vergänglichen Lebens erreichten. (1622)
So schwamm der Anführer der Seefahrer mit tapferem Herzen durch die Wellen zurück ans Land und freute sich der Beute aus dem Meer, der mächtigen Last, die er mit sich führte. Schnell eilten seine Gefolgsleute dem mächtigen Helden entgegen, dankten Gott und freuten sich, ihren Führer heil und gesund wiederzusehen. Da nahm der Held seinen Helm ab und öffnete seinen Brustpanzer. Die aufgewühlten Wellen beruhigten sich, das vom Kampfblut rotgefärbte Meer unter den Wolken. Dann gingen sie zu Fuß ihren Weg zurück, und mit glücklichen Herzen folgten sie den vertrauten Pfaden über die Erde. Vom klippenreichen Ufer trugen die kühnen Helden den riesigen Kopf. Vier starke Männer aus dem furchtlosen Gefolge mußten den Grendel-Kopf gemeinsam auf einem Kampfspieß mühsam zur goldverzierten Halle tragen. Erst spät erreichten die vierzehn tapferen und wehrhaften Kämpfer der Goten ihr Ziel, angeführt vom mächtigen Helden auf ihrem Weg über die Ebene vor dem Met-Saal. Dann betrat der mutige Gotenführer, der ruhmgekrönte Held, die Hirschhalle, um König Hrodgar zu begrüßen. Und hinter ihm zog man Grendels Kopf an den Haaren vor die trinkenden Männer: Ein schrecklicher Anblick für alle Herren und Damen, ein wundersames und höchst erstaunliches Schauspiel. (1650)
Beowulf, Ecgtheows Sohn, sprach: „Höre mich an! Mit Freude bringen wir dir, dem Sohn von Healfdene und König der Dänen, als Wahrzeichen des Sieges diese Beute aus dem Meer, die du hier siehst. Es war nicht leicht, diesen Kampf auf dem Grund des Wassers zu überleben, den ich mutig mit großer Mühe wagte. Der Kampf wäre wohl mein schnelles Ende gewesen, wenn Gott mich nicht beschützt hätte. Mit dem Schwert Hrunting konnte ich in diesem Kampf nichts ausrichten, obwohl die Waffe sonst so wirksam ist. Doch der Herrscher der Welt gewährte mir, daß ich an der Höhlenwand ein mächtiges, riesiges und uraltes Schwert erblickte. So führt er oft die Hilflosen, so daß ich diese Waffe zog, schwang und die Hüterin der Höhle im Kampf schlagen konnte, als sich die Gelegenheit dazu bot. Doch dann zerschmolz die harte Klinge, die mit Ringen verziert war, im heißen Kampfesblut, das aus den Wunden floß. Nur den Schwertgriff konnte ich von den Feinden mitbringen, nachdem ich die üblen Taten gehörig gerächt hatte, das schreckliche Morden der Dänen. Nun verspreche ich dir, daß du in der Hirschhalle mit deinen Helden und Edlen des Volkes, jung und alt, sicher schlafen kannst. Die bisherige Gefahr (in der Nacht) für das Leben deiner Kämpfer, oh König der Scyldinge, brauchst du nicht mehr zu fürchten.“ (1676)
Mit diesen Worten wurde der goldene Griff dem alten König, dem ergrauten Führer im Kampf, in die Hand gegeben, der Griff des uralten gigantischen Werkes. So kam dieses Wunderwerk der Schmiedekunst nach dem Sieg über die Dämonen zum König der Dänen. Ja, nachdem das Wesen der Zerstörung, Gottes Widersacher, der des Mordes schuldig war, zusammen mit dessen Mutter besiegt war, ging dieser Schatz in den Besitz des irdischen Königs über, des Besten zwischen den beiden Meeren, der im Norden goldene Reichtümer gewährte. Mit größter Bewunderung beschaute sich Hrodgar den Schwertgriff, das alte Erbstück, auf dem das Urbild uralten Kampfes eingraviert war, wie die strömende Flut des Meeres das Geschlecht der Riesen verschlang, die überheblich und übermächtig wurden. Sie entfremdeten sich dem ewigen Herrn und empfingen schließlich durch die Flut des Wassers ihren Lohn vom Allmächtigen. So waren auf dem Schwertgriff aus glänzendem Gold auch Runenzeichen geritzt, für wen das gigantische Schwert ursprünglich geschmiedet wurde, die vorzügliche Waffe mit dem gewundenen Griff und den Schlangenbildern. (1698)
Dann sprach der weise König, der Sohn von Healfdene, und alle schwiegen und lauschten: „Wer Wahrheit und Recht im Volk beschützt, kann wohl als erfahrener Greis und Hüter des Heimatlandes sagen: Nie wurde ein größerer Held geboren als Beowulf. Weit wird sich dein Ruhm über alle Völker verbreiten, mein Freund. Möge dir heldenhafte Stärke und Weisheit auch künftig nicht fehlen! Bleibe mir treu, wie ich dir und den deinen treu bleibe, deinem Volk ein verläßlicher Helfer und den Helden eine Stütze. Im Gegensatz zu Heremod, der nicht als edler Scylding (Beschützer) für die Nachkommen von Ecgwela (dem „Reichtum der Schwertschneide“) handelte. Nicht zur Freude, sondern zum Fluch gedieh er, zum Verderben und Untergang des dänischen Volkes. Im wütenden Zorn tötete er seine Tischgenossen, sein eigenes Gefolge, bis der König einsam und freudlos aus der Gemeinschaft der Menschen fliehen mußte, obwohl ihn der ewige Gott zur Freude und Macht vor allen anderen Helden erhoben hatte. Doch in seinem Herzen wuchs ihm der Trieb nach Mord. So schenkte er den Dänen keine goldenen Ringe, wie es ihm gebührte, sondern lebte freudlos und erlitt das Unheil des Kampfes, unter dem auch das ganze Volk leiden mußte. Lerne daraus und verstehe den Wert der Tugend! Zu deinem Wohl habe ich diese Geschichte erzählt, der ich viele Winter erfahren habe und alt geworden bin.“ (1724)
Und König Hrodgar fuhr fort: „Es ist ein Wunder, wie der allmächtige Gott dem Menschengeschlecht durch die Kraft des Geistes Verstand, Herrschaft und Besitz verleiht, denn er vermag alles. Oft läßt er Gedanken und Verstand der Hochgeborenen in stetiger Freude und Frohsinn schweben und schenkt ihnen das irdische Glück des eigenen Besitzes, um auf hoher Burg als Herrscher zu walten und einen Teil der Welt seiner Macht zu unterwerfen, so daß er in seiner Unwissenheit die Vergänglichkeit nicht bedenkt. Er schwelgt im Überfluß, unbeschwert von Krankheit und Alter, kein böser Kummer verdunkelt seinen Sinn, und kein feindlicher Haß triff ihn. So dreht sich die ganze Welt um sein sinnliches Vergnügen nach seinem Willen, und er kennt es nicht anders. Bis in ihm der stolze Übermut keimt, wächst und sprießt, wenn der Wächter und Bewahrer der Seele schläft. Tief und fest ist dieser Schlaf, der ihn machtvoll umschließt, und der Zerstörer und Mörder ist nah, der vom feurigen Bogen die Pfeile sendet. Dann hilft ihm kein Helm und kein Brustpanzer. Die bitteren Pfeile kommen aus seinem eigenen Herzen, denn er folgt den Geboten des unheilsamen Geistes. Dann scheint es ihm immer zu wenig, was er lange Zeit besessen und beherrscht hat. So überwältigt ihn die Begierde, und in seinem überheblichen Stolz schenkt er keine goldenen Ringe mehr. Er bedenkt nicht, wo dieser Weg hinführt, und vergißt, was Gott ihm alles gegeben hat, der Herrscher der Herrlichkeit und Verleiher aller Ehren. Doch unverhofft kommt sein Ende, der geliehene Körper versagt und verfällt kläglich dem Tod. Dann übernimmt ein anderer Körper den angesammelten Schatz und verschwendet achtlos das alte Erbe seines Vorfahren. (1757)
Darum, lieber Beowulf, hüte dich vor diesem unheilsamen Kampf, bester der Kämpfer, und wähle das Bessere, das ewige Heil. Meide den überheblichen Stolz, ruhmreicher Held! Gegenwärtig blüht deiner Stärke, doch bald schon kann dich Krankheit oder das Schwert davon scheiden, wie auch der Angriff des Feuers, die Flut des Wassers, die Spitze eines Speeres, die Schneide einer Klinge oder das tückische Alter, das deine Augen trübt und deine Sinne schwächt, bis mit unaufhaltsamen Schritten der Tod kommt und auch dich, großer Held, überwältigt. So herrschte auch ich ein halbes Jahrhundert unter dem Himmel über das Volk der Dänen und beschützte sie im Kampf vor manchem Feind in der Menschenwelt (in Midgard), vor Schwertern und Speeren, daß ich schließlich selbst glaubte, unter dem weiten Himmel keinen Feind mehr zu haben. Doch es kam anders, und im eigenen Reich wurde das Glück in Leiden verkehrt, als der böswillige Grendel nächtlich meine Halle heimsuchte. Diese Heimsuchungen brachten mir immer neuen Seelenkummer. Dank sei dem allmächtigen Schöpfer, dem ewigen Herrn, daß ich noch lebe und jetzt mit eigenen Augen das blutbefleckte Haupt des Unheilstifters nach all dem Kampf und Leiden noch sehen darf! Nun geh zur Met-Bank, nimm deinen Platz ein und erfreue dich am Festmahl zu deinen Ehren, die du im Kampf verdient hast. Wenn der neue Tag anbricht, werden wir noch viele Schätze unter uns teilen.“ (1784)
Mit frohem Herzen begab sich der Gote zu seinem Platz, wie der Weise befohlen hatte. Nun war es wieder wie früher für die mutigen Kämpfer in der Halle, denen hier ein köstliches Festmahl bereitet wurde. Bald brach die Nacht herein und begann, alles in Dunkelheit zu hüllen. Da erhob sich das Gefolge des alten Königs, und der grauhaarige Scylding wünschte, sich in sein Schlafgemach zurückzuziehen, wie auch der heldenhafte Gote, der so tapfer gekämpft hatte, der Ruhe bedürftig war. Ein Hallendiener versorgte die müden Gäste, die als Seefahrer von weither über das Meer kamen, und kümmerte sich um alle Bedürfnisse der Helden, wie es in jenen Tagen für fremde Kämpfer Brauch war. Dann ruhte der Held mit seinem Gefolge in der hochaufragenden goldgeschmückten Halle, bis die schwarzen Raben (wie bei uns die Amseln) voller Freude unter dem Himmel die Morgendämmerung eines neuen Tages verkündeten. Die nächtliche Dunkelheit verschwand im heiteren Licht, die gotischen Kämpfer erhoben sich in freudiger Eile und wünschten jetzt, wieder heimwärts zu fahren. Der hochbeseelte Führer sollte ihr Schiff in die Ferne lenken. Zuvor gab er noch dem Sohn von Ecglaf das Schwert Hrunting zurück und bedankte sich für die willig geliehene Waffe, die Unferth so liebte. Er nannte das Schwert einen nützlichen Helfer im weltlichen Kampf und tadelte nicht die treffliche Schneide, wie es einem edlen Helden gebührt. Dann waren die Kämpfer zum Aufbruch bereit, gerüstet und bewaffnet. Mit ihrem hochgeehrten Führer an der Spitze schritten sie zum hohen Thron, um vom edlen König Hrodgar Abschied zu nehmen. (1816)
(Fortsetzung folgt…)
Quellen für Text und Bilder:
✍ Deutsche Heldensagen, Wilhelm Wägner, 1878
✍ Deutsche Heldensagen, 6. Auflage, Wilhelm Wägner, 1898
✍ Die Nibelungen: nach nordischer und deutscher Dichtung erzählt, Wilhelm Wägner, 1882
✍ Das kleine Heldenbuch, Band 3, Karl Joseph Simrock, 1857
✍ Das Heldenbuch (Gudrunlied), Band 1, Karl Joseph Simrock, 1883
✍ Das Heldenbuch, Bände 3-4, Karl Joseph Simrock, 1883
✍ Das Heldenbuch (Amelungenlied), Band 5, Karl Joseph Simrock, 1864
✍ Der Nibelungen Klage, Band 1, Hagen, 1852
✍ Heldenbuch, Dietrichs von Bern und Nibelungen, Band 1, Hagen, 1855
✍ Herbstabende und Winternächte, Band 2, Ettmüller, 1866
✍ Das Lied der Nibelungen, Büsching, 1815
✍ Garmanias Sagenborn, Engelmann, 1890
✍ Deutsche Dichtungen des Mittelalters, Band 3, Genthe, 1864
✍ Der Rosengarten, Wilhelm Grimm, 1836
✍ Waltharius: lateinisches Gedicht, Scheffel und Holder, 1874
✍ Das Waltharilied, Althof, 1896
✍ Der grosse Wolfdieterich, Adolf Holtzmann, 1865
✍ Die Sagen von den Wölsungen und Niflungen, August Raszmann, 1858
✍ Sigenot nach dem alten Nürnberger Drucke, Schade, 1854
✍ Die Klage mit den Lesarten sämmtlicher Handschriften, Bartsch, 1875
✍ Kudrun (mittelhochdeutsch), Bartsch, 1880
✍ Die deutsche Litteraturgeschichte - Kudrun (Zusammenfassung), Pfalz, 1883
✍ Beowulf nebst dem Finnsburg-Bruchstück, Hugo Gering, 1906
✍ Beowulf on Steorarume, Benjamin Slade, 2002
✍ Beowulf: A New Verse Translation, Seamus Heaney, 1999
✍ The Oldest English Epic Beowulf, Gummere, 1909
✍ Beowulf-Urtext im Vergleich mit verschiedenen Übersetzungen, 2025