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Deutsche Überarbeitung nach dem Text von Wilhelm Wägner (1878/1882) mit vielen Abbildungen
Ausgabe:
Auch als E-Book Download im Format AZW3 für Kindle, EPUB für alle anderen Reader
(Größe ca. 12MB mit vielen Bildern)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Nibelungensage und Nibelungenlied
Siegfrieds KindheitHugdietrichsage
Siegfrieds Jugend
Siegfrieds Brautwerbung
Siegfrieds und Gunthers Hochzeit
Siegfrieds Ermordung
Kriemhilds Racheplan
Kriemhilds Rache
Totenklage und Neubeginn
Willkommen in einer wundervollen Welt der Elfen, Zwerge, Riesen, Drachen und Menschen! Wir möchten Sie in längst vergangene Zeiten entführen, in ein Reich der Sagen, der Ritter und Helden, voller Reichtum an Weisheit und ein Schatz uralter Erfahrungen der Menschheit. Es ist das Reich der Nibelungen, der Nibel- oder auch Nebelwesen, die vor unseren Augen phantastisch erscheinen und ein Spiel mit vielen Rollen aufführen. Zahllose Historiker haben schon versucht, dieses Schauspiel mit historischen Fakten zu begreifen, doch vielleicht liegt die tiefere Bedeutung und der viel größere Schatz auf einer ganz anderen Ebene. Vielleicht liegt in diesen alten Sagen der geistige Reichtum vieler Menschengenerationen verborgen, der mit weltlichen Geschichten symbolisch erzählt und weitergegeben wurde. Ja, für uns ist es heutzutage schwer, in diese Symbolik einzudringen, denn unsere äußerliche Welt hat sich sehr gewandelt, und auch der tiefere Sinn der vielen alten Namen, die in diesen Sagen ihre Rollen spielen, ist heute kaum noch zu verstehen. Darüber hinaus haben die Geschichten auch lange Wege durch viele Länder und Kulturen hinter sich, so dass sich Namen, Orte und Szenarien entsprechend verändert haben, und wir finden heute ein großes Sammelsurium einzelner, teils widersprüchlicher Geschichten und Bruchstücke. Schon viele begeisterte Historiker haben sich bemüht, sie zu sammeln und wieder ein Ganzes daraus zu machen, wie zum Beispiel Wilhelm Wägner, dessen Texte wir hier als Grundlage verwenden möchten. Wir haben die deutsche Sprache überarbeitet, nur weniges gekürzt, manches nach den alten Quellen erweitert und einiges für den Fluss der Geschichte angepasst. Den entstandenen Text zur Nibelungen- und Dietrichsage möchten wir hier gern vorstellen. Dazu haben wir auch geplant, auf unseren Internetseiten „Die geistige Botschaft unserer alten Märchen“ ab Mai 2025 eine längere Serie mit unseren Interpretationen zu den germanischen Sagen aus geistiger Sicht zu beginnen. Das wird spannend, und wir freuen uns auf interessierte Leser. Es ist natürlich zu empfehlen, zuvor den ganzen Text zu lesen und sich selbst zu bemühen, in die geistige Tiefe einzutauchen, denn Interpretationen bleiben subjektive Meinungen, können nur in eine Richtung deuten und zum Nachdenken anregen, denn die Wahrheit lässt sich nicht mit Worten erfassen. Das ist wohl auch der Grund, warum so vielfältige Sagen und Märchen entstanden sind und über viele Menschengenerationen mit Begeisterung überliefert wurden. Wir wünschen viel Spaß und Inspiration beim Lesen,
Undine & Jens
Herauf, ihr Helden und Frauen
Aus längst vergangener Zeit,
Lasst uns noch einmal schauen
Eure Freuden und euer Leid!
Lasst uns noch einmal euch blicken
Ins verblichene Angesicht!
Von Kämpfen und Trauergeschicken
Am Borne Frau Saga spricht.
Sie soll uns sagen und singen
Von Rache, Angst und Not,
Ein Lied zuletzt uns bringen
Von Liebe bis in den Tod.
Von Liebe, die nimmer endet,
Ob auch das Leben verglüht,
Die dort bei Freya vollendet
In heiliger Halle blüht.
(Wilhelm Wägner)
In den Niederlanden wuchs das Kind eines edlen Königs auf, das den Namen Siegfried erhielt. Sein Vater war Siegmund, vom ruhmvollen Stamm der Wölsungen, die ihr Geschlecht von Wodan selbst ableiteten. Seine Mutter Siegelinde war von nicht minder edler Abkunft. Beide freuten sich des Sohnes, denn er zeigte schon früh solche Kraft und Tüchtigkeit, dass man von ihm hoffte, er werde als Erwachsener großen Heldenruhm erlangen. Indessen wurde er sich bald seiner ungemeinen Leibesstärke bewusst und seines trotzigen und unbändigen Mutes. Er duldete keinen Widerspruch, und schlug die Gespielen blutig, auch die, welche weit älter waren als er. Mit den Jahren wuchs noch sein unbändiges Wesen, so dass er von allen Knaben gehasst und gemieden wurde, und die Eltern in große Sorge gerieten. Da sprach Siegmund zur Königin, er wisse noch einen Rat, wie der Wildling zu bändigen sei: Er wolle ihn als Lehrling dem Schmied Mimer übergeben, der im nahen Wald seine Wohnung habe und harte Helme, strahlende Brustpanzer, Schilde, Schwerter und wundersame Kleinodien schmiede. Der sei ein starker und kluger Mann und werde den Knaben lehren, wie er die Waffen anfertige, die er einst als Recke führen solle. Die Königin gab ihre Zustimmung, und der Vater tat also mit dem unbändigen Sohn.
Als der Schmied die Geschichte vernommen hatte, war er auch bereit, den Königssohn in Zucht zu nehmen. Er meinte, es werde nicht schwerfallen, den kraftvollen Jungen zum Geschäft anzuleiten. Die nützliche Arbeit mit Zange und Hammer zähme den übermütigen Trotz. In der Tat ging es auch eine Zeitlang recht nach Wunsch. Der Lehrbursche hatte seine Lust an den Schwertern, Rüstungen und Kleinodien, die im Schmiedefeuer und unter dem Hammer des Meisters und seiner Gesellen entstanden und poliert wie Sonnenlicht glänzten. Er versuchte selbst, solche Kunstwerke zu fertigen. Anfangs zerschlug er noch das Eisen und edle Metall, aber dann lernte er, sein Ungestüm zu zähmen, und zeigte viel Geschickt. Ein und das andere Jahr verstrich leidlich, und er wuchs in dieser Zeit fast zur Mannesgröße. Nun langweilte ihn die Arbeit, und wenn ihn die Gesellen zurechtwiesen, schlug er sie, warf sie zu Boden, und schleifte einstmals einen von ihnen, den besten der Schmiedeburschen, den kunstfertigen Wieland, an den Haaren bis zum Meister. „Das wird so nichts“, sagte der Alte, „komm hierher, du sollst dir selbst ein gutes Schwert schmieden.“ Dazu war Siegfried sogleich bereit. Er verlangte das beste Eisen und den schwersten Hammer, den die Gesellen nur mit zwei Händen zu führen pflegten. Mimer zog die stärkste Eisenstange rotglühend aus dem Schmiedefeuer und legte sie auf den Amboss. Siegfried schwang den Hammer mit einer Hand wie ein Spielding, und der Schlag krachte nieder gleich einem Donnerschlag. Das Haus erzitterte in seinen Grundfesten, das Eisen zerstob zu Scherben, die nach allen Seiten flogen, und der Amboss sank schuhtief in den Boden. „Das wird so nichts“, sagte der Meister wie vorher, „wir müssen es anders versuchen, mein Junge, wenn du dir eine gute Waffe fertigen willst. Drüben im Tannenwald wohnt ein Köhler, der die besten Kohlen liefert. Hole mir davon eine genügende Last auf deinen starken Schultern. Derweil rüste ich das beste Eisenzeug her, um dir eine Klinge zu schmieden, dergleichen noch niemals ein Recke geschwungen hat.“
Da lag bei einer Linden ein merklich großer Drach:
Da schickt‘ ihn hin der Meister, da sollt er fragen nach.
Ein Köhler saß im Walde, des sollt er warten eben:
Bei derselben Linde da sollt er ihm Kohlen geben.
(Der hörnerne Siegfried, Heldenbuch, Band 3, Simrock, 1883)
Das deuchte dem Burschen eine so wohlgemeinte Rede, dass er sogleich eine mächtige Axt ergriff und in den Wald wanderte. Die Bäume streckten dem jungen Gesellen ihre frischgrünen Zweige entgegen, die Vögel besangen den heitern Frühling, und so war es ein lustiges Leben in den duftigen Hallen, wo Veilchen und Vergissmeinnicht ihm freundlich zunickten, als wollten sie ihm Glück verkündigen. Er pflückte sich einen Strauß von diesen Kindern des Frühlings und steckte ihn auf seine Lederkappe. Wie er weiter ging, gelangte er in einen düsteren Kiefernwald. Da tönte kein Vogelsang, sondern ein dumpfes Geräusch, ein Zischen, Gurgeln und Brüllen, das einen minder kühnen Wanderer wohl erschreckt hätte. Er sah bald die Ursache dieses wüsten Getöses. Es war eine Moorlache, in welcher sich riesige Kröten, Schlangen und Lindwürmer herumwälzten. „Hab ich doch mein Lebtag nicht so viel schädliches Gewürm gesehen“, sagte Siegfried zu sich, „aber ich will dem Spuk alsbald ein Ende machen.“ Sofort hieb er verdorrte Bäume nieder und warf sie in den unheimlichen Tümpel, dass er ganz davon bedeckt wurde. Darauf sprang er über Stock und Stein, bis er an die Köhlerhütte gelangte, die ihm der aus den Meilern aufsteigende Rauch kenntlich machte. Er begehrte von dem rußigen Köhler Feuer, um das Gewürm zu verbrennen. „Armer Junge“, sagte der Köhler, „es ist schade um dein junges Blut. Denn kehrst du auf demselben Weg zurück, dann bricht der grauenhafte Lindwurm-Drache aus der Felsenkluft hervor und verzehrt dich zum Imbiss. Schmied Mimer ist ein ungetreuer Mann. Er war vor dir hier und hat mir eine üble Geschichte erzählt, wie er den Wurm gegen dich gehetzt habe, weil du nicht zu bändigen wärst.“ - „Sei ohne Kummer, tüchtiger Mann“, versetzte Siegfried, „ich schlage den Wurm tot und den Ränkeschmied dazu. Gib mir nur Feuer, dass ich vorerst die giftige Brut verbrenne.“ Seufzend um das junge Blut reichte ihm der Köhler eine große Pfanne mit brennenden Kohlen und sah ihm wehmütig nach, wie er eilends fortrannte.
Der rasche Bursche war bald wieder an dem Tümpel. Mit den Kohlen zündete er leicht das dürre Holz von verschiedenen Seiten an, der Wind blies in die Glut, dass sie hoch aufloderte und das Wurmgezücht unter fürchterlichem Gekreisch in der Lache sott und schmorte. Siegfried hieb sich unterdessen aus einem Baumstamm eine gewaltige Keule zurecht. Allmählich wurde es immer stiller in dem Moor, und endlich verstummte auch der letzte Laut. Der kecke Junge ging um die Lache, und da sah er an einem niederen Rand ein Bächlein heißes Fett von dem Gezücht hervorrinnen. Er tauchte den Finger hinein und gewahrte, dass er sich mit einer Hornhaut überzog. „Hei“, sagte er „das ist gut im Kampf.“ Er entkleidete sich und badete den ganzen Leib in dem flüssigen Fett. Nur zwischen den Schultern, wo ein herabgefallenes Lindenblatt anklebte, blieb eine Stelle ohne Hornhaut, was er erst später innewurde. Als er alles vollendet und wieder sein Ledergewand angezogen hatte, schritt er wohlgemut, die Keule auf der Schulter, seines Weges. Da schoss plötzlich aus einer Steinkluft der Drache brüllend mit offenem Rachen auf ihn zu. Drei gewaltige Keulenschläge fällten das Ungetüm. Kopf und Rückgrat waren ihm gebrochen, und es krümmte sich noch lange und schlug mit dem Schweif, bis es verendete.
„Die Bestie ist tot“, sagte der kühne Bursche, „nun geht es an den berußten Meister und seine Gesellen.“ Mit diesen Worten wanderte er zornig weiter. Als die Gesellen den jungen Helden so im Grimm daher schreiten sahen, flohen sie erschrocken in den Wald und verbargen sich im Dickicht. Der Meister aber verharrte an der Tür seiner Schmiede, die er so lange friedlich bewohnt hatte. Er suchte erst durch Schmeichelworte seinen Lehrling zu begütigen, dann aber zückte er sein scharfes Schwert. Siegfried dagegen schwang die Keule und zerschmetterte mit einem Schlag die Klinge und das Haupt des Schmiedes. „Hei, Meister Mimer“, rief er, „du hetzt keinen Lindwurm-Drachen mehr auf deinen Lehrling!“ Darauf richtete er sich in der Schmiede ein und schmiedete sich mit Geduld und Fleiß ein Schwert, das er im Blut des Wurmes härtete. Er brauchte zu diesem Geschäft mehrere Wochen, dann aber war die Waffe blank und schneidig und wohlgehärtet. Er gürtete sie um und wanderte zurück nach dem Palast seines Vaters.
Mittlerweile hatte sich die Kunde von diesen Begebenheiten im Lande verbreitet, und als Siegfried in die väterliche Halle trat, fand er den König unmutig und seine Mutter in Tränen. „Du hast ein übles Werk getan“, sagte Siegmund, „du hast den besten Meister in allen Landen, den Mann, der mir sehr nützlich war, ohne Ursache in deinem unbändigen Zorn erschlagen.“ - „Unschuldiges Blut klebt an deiner Hand“, rief die Königin und weinte noch mehr. Die Tränen der Mutter, das Schelten des Vaters brachen die unbezähmbare Wildheit des Sohnes. Er suchte sich nicht zu entschuldigen. Er kniete vor der Königin und verbarg das Angesicht in seinen Händen. „Mutter“, sagte er, „deine Tränen brennen mir im Herzen. Weine nicht mehr! Ich will gefügig, will ein gerechter und ein guter Recke werden.“ Die kummervollen Eltern wurden durch diese Rede des reuigen Kindes wieder getröstet, und dies umso mehr, als sie jetzt die näheren Umstände erfuhren, die auch der Köhler bestätigte.
Siegfried wurde von dieser Zeit an ganz verändert. Er zeigte sich freundlich und wohlwollend, ertrug die Zurechtweisungen verständiger Männer, lauschte auf ihre Reden und Ratschläge und bemühte sich, klug und weise zu werden. Wenn der unbändige Zorn in ihm aufloderte, so dachte er an die Tränen seiner Mutter und die Scheltworte des Vaters und besiegte und beherrschte jeden bösen Geist, der ihm die Besonnenheit rauben wollte.
Da wurden ihm die Edlen am Hofe geneigt, und auch die Frauen blickten mit Wohlgefallen auf den hochgewachsenen Jüngling, der an Größe und kräftigem Körperbau die stattlichsten Männer übertraf. Die strahlenden Augen, die hohe Stirn, die blonden Locken, die sein schönes Haupt umwallten, der Adel in allen Bewegungen vollendeten den Reiz seiner äußeren Erscheinung. In kämpferischen Spielen, in Turnieren, im Stoßen und Schleudern des Steins, im Schießen der Speere, im Hammerwurf und besonders im Schwertspiel konnte sich ihm kein Recke vergleichen.
Die Königin weinte jetzt Tränen der Freude, wenn sie den herrlichen Sohn betrachtete und in die Arme schloss, und sein Vater meinte, Siegfried werde bald größere Taten vollbringen, als er und alle seine ruhmvollen Ahnen. Deswegen veranstaltete er ein großes Fest und erteilte ihm, seinen Gespielen und vielen einheimischen und ausländischen Edlen das Schwert und die Rüstung, was man später den Ritterschlag nannte. Ein allgemeines Turnierspiel bildete den Schluss des Festes. Wie nun Siegfried in allen Kämpfen Sieger blieb und hoch und herrlich vor dem versammelten Volk stand, riefen tausend und abertausend Stimmen: „Lange lebe Jung-Siegfried, unser König, neben dem würdigen Vater!“ Er aber winkte mit der Hand und sagte bescheiden: „Solcher Ehre bin ich noch nicht wert, ich gedenke mir selbst erst ein eigenes Land zu gewinnen, wenn mir der König den Abschied gewährt, mit Ross und Rüstung in die Fremde zu ziehen, wohin mein Herz begehrt.“ Am Abend saßen die Recken beim Gelage in der königlichen Halle, Jung-Siegfried nicht oben bei dem Vater, sondern unten, wo die jungen Recken von künftigen Taten redeten. Sie erzählten von dem fernen Isenland, dem Land der schönen und streitbaren Brünhild, die ihre Freier zum Kampf fordere und schon viele erschlagen habe, von dem Reich der zauberischen Nibelungen, von einem Drachenstein, auf welchem ein höllischer Flugdrachen hause, und auch von einer holdseligen Königstochter zu Worms am Rhein wussten die jungen Helden zu berichten und von ihren drei Brüdern und dem starken Hagen, welche die Jungfrau behüteten. „Hei, das muss lustig sein, diese Wunder zu schauen und Abenteuer zu bestehen!“, rief Siegfried und trat vor seinen Vater und sagte ihm, wie er so ganz der Fremde unkundig wäre und nicht länger in träger Ruhe daheim verharren wolle. Der König, der selbst in jungen Jahren weit herumgekommen war, versprach ihm, wenn die Mutter zustimme, seinem Begehren zu willfahren. - Die Königin wurde am folgenden Tag vom Verlangen des Sohnes in Kenntnis gesetzt und gab nach langem Widerstreben den Bitten des jungen Recken nach. Er erhielt die beste und glänzendste Rüstung, das gute Schwert, das er selbst geschmiedet hatte, und ein windschnelles Ross, das er sich in den königlichen Stallungen auswählen durfte. So ritt er dann hinaus in die ferne, ihm noch unbekannte Welt, fröhlichen Mutes, wie die hoffnungsreiche Jugend immer ist, die nach einem unbestimmten Glück in der Ferne strebt, und das, was in der Nähe ist, gering achtet.
Es war ein wonniger Ritt durch frische Gelände und grünen Wald. Er kehrte in ländlichen Herbergen und auf Burgen der Edlen ein und forschte nach Isenland. Man wies ihn nordwärts, und er verfolgte die Straße, bis er das Meer erreichte. Dort fand er ein Fahrzeug zur Überfahrt bereit, aber die Schiffer fürchteten schlimmes Wetter. Dennoch lichteten sie die Anker auf sein Geheiß, und er lenkte das Steuer mit starker Hand durch die wilden, vom Sturm bewegten Wogen und landete nach kurzer Fahrt im sicheren Hafen.
Er wurde auf der Burg wohl empfangen. Brünhild selbst, die hohe Königin, lud ihn in die Halle ein, wo viele Recken beim Gelage versammelt waren, alle entschlossen, in gefährlichen Kämpfen um die Hand der Frau zu werben. Schon am folgenden Tag waren viele Recken zum Waffenspiel in den Schranken. Da erschien Brünhild, glänzend gerüstet mit Helm, Brustpanzer (Brünne) und Schild, schön wie Freya, wenn sie mit den Walküren die Schlacht der Helden lenkt. Siegfried betrachtete staunend die hohe Gestalt, die weit über alle Jungfrauen emporragte, welche, gleich ihr gerüstet, ihr Gefolge bildeten. Aber auch der Held von Niederland überstrahlte die anderen Recken durch männliche Schönheit, durch hohe, kraftvolle Gestalt und glänzende Rüstung. Vielleicht regte sich in ihrem Herzen der Wunsch, er möge sich unter die Freier mischen und den Sieg gewinnen. Er aber warf wie zum Spiel den Stein, dass er weit, selbst über die Schranken flog. Dann grüßte er mit Anmut die Königin, nahm Abschied und bestieg wieder sein Fahrzeug. „Diese mannhafte Jungfrau mag ich nicht lieben“, sprach er bei sich, „Schamhaft und sittsam, sanft und freundlich muss die Jungfrau sein, um deren Huld ein wahrer Held mit Gut und Blut wirbt.“
Er fuhr nun weiter seines Weges, teils durch wohlangebaute Auen, teils durch wüstes Land, wo reißende Tiere und Raubvolk dem einsamen Wanderer auflauerten. Da bestand er schwere Kämpfe und erschlug Riesen und Ungetüme. Von seinen Taten sangen die Spielleute in Hütten und Burgen, so dass sein Name weit und breit bekannt und gepriesen wurde. Im Land der Nibelungen, durch welches ihn der Weg führte, traf er die beiden Könige Schilbung und Nibelung, die sich um ihr Erbe stritten. Und als sie den berühmten Siegfried erblickten, baten sie ihn, den großen Schatz unter ihnen aufzuteilen, den ihnen ihr Vater Nibeling hinterlassen hatte. Für diesen Dienst gaben sie ihm das gute Schwert Balmung, ein Werk der Zwerge und in Drachenblut gehärtet. Es schnitt durch Stahl und Stein, ohne schartig zu werden, Gold und Edelsteine glänzten an Griff und Scheide, und eine reiche Borte mit funkelnder Schnalle diente zur Befestigung am Gürtel. Der Held teilte auf gerechter Waage den unermesslichen Schatz. Trotzdem waren beide Brüder unzufrieden, schalten ihn einen gierigen Hund, der die fettesten Bissen für sich behalten wolle, und befahlen ihren zwölf Riesen, ihn zu ergreifen und in den hohlen Berg, wo der Schatz lag, zu verschließen.
Nun funkelte Balmung in des Helden Hand, zerschmetternd wie ein Blitzstrahl, da und dort einen riesigen Kämpfer. Die zauberkundigen Könige schufen durch Beschwörung einen dichten Nebel, ein Unwetter stieg auf, der Berg erzitterte unter Donnerschlägen, doch alles vergeblich, die Riesen fielen unter den Streichen der furchtbaren Klinge, endlich auch die beiden Brüder. Nun schwand der Nebel hinweg und die Sonne beleuchtete den siegreichen Helden. Als das herzuströmende Volk der Nibelungen solche wunderbaren Taten sah, begrüßte es ihn als König. Indessen erhob sich aus der Tiefe des Berges ein Rächer der Erschlagenen. Es war Alberich, der starke Zwerg. Wohlgerüstet mit zauberischen Waffen griff er den kühnen Recken an. Bald war er sichtbar, bald unsichtbar, je nachdem er die Tarnkappe über den Helm zog oder abstreifte. Nach langem Kampf brachte ihn Siegfried durch einen gewaltigen Streich zu Fall. Die Wucht des Schwertes und die Kraft der Faust, die es führte, streckten ihn nieder, denn die Klinge selbst konnte nicht durch das zauberische Rüstzeug schneiden.
Sigfried bezwing Alberich
Siegfried wollte nun den Wehrlosen nicht durch einen zweiten Streich töten, und diese Großmut machte Alberich so fügsam, dass er seinem Überwinder Treue gelobte, die er niemals brach. Daraufhin erhob sich kein Widersacher mehr gegen den unüberwindlichen Helden. Er war nun König der Nibelungen, und die Schätze in dem hohlen Berg sowie die erbeutete Tarnkappe Alberichs gehörten ihm als erworbenes Gut. Er staunte, als er in die unterirdische Welt eintrat, über die unendliche Menge edlen Metalls und kostbarer Steine, welche daselbst angehäuft waren. Nicht minder verwunderte er sich bei dem Anblick der rüstig schaffenden Zwerge, die ihm alle ihre Untertänigkeit bezeigten.
Nachdem die Reichsverwaltung geordnet und erprobte Männer zu Verwaltern bestellt waren, erwählte der Herrscher zwölf edle Recken zu seiner Gefolgschaft. Der Schatz (Nibelungen-Hort) spendete Ringe, Spangen, Ketten von Silber und Gold. Die ganze Schar glich einer Versammlung von Königen unter der Führung des obersten Häuptlings, der ebenso durch den von der Natur verliehenen Adel wie durch reiche Gewandung die anderen überstrahlte.
So ritt der kühne Held durch manches Land, überall angestaunt von der Menge, freudig begrüßt und gastlich empfangen in Städten und Burgen. Die Fahrt ging heimwärts, dem lieben Vaterhaus zu. Er erreichte es ohne weitere Abenteuer und umarmte Vater und Mutter, die nur durch dunkle Gerüchte von seinen Kämpfen Kunde erhalten hatten. Nun rastete er manchen Tag und saß oft zu den Füßen der Mutter, wie einst als zartes Knäblein. Wenn er sich dann aufrichtete und im Waffenschmuck vor ihr stand, da wallte ihr das Herz höher vor Freude, einen solchen Helden Sohn nennen zu können. Indessen, lange mochte er nicht der Ruhe pflegen, denn seine tatendurstige Seele verlangte hinaus in den Kampf des bewegten Lebens, wo der Mann seine Kraft bewährt. Er wollte nach Worms an den Rhein fahren, wo die ruhmvollen Recken der Burgunden saßen. Mit ihnen wollte er sich im Kampfspiel versuchen. Als er sein Begehren dem Vater sagte und um Abschied bat, umwölkte sich dessen Stirn. „Mein Sohn“, sagte er, „fahre nicht zu den Burgunden! Da wohnen die kühnsten Recken, die noch kein Held bestanden hat. Da ist der grimmige Hagen, der starke Ortwin von Metz und König Gunther samt seinem Bruder Gernot. Die behüten alle die liebliche Jungfrau Kriemhild, die schon mancher heldenhafte Mann zu lieben (minnen) begehrte und darum sein Leben lassen musste.“ - „Hei, wie das eine gute Geschichte ist!“, rief der kühne Held, „die unverzagten Kämpfer sollen mir ihr Reich und, wenn sie mir wohlgefällt, auch die wonnige Jungfrau wohl übergeben. Mit meinen zwölf Nibelungen gedenke ich der Dinge mächtig zu werden.“ Die Mahnungen des Königs wie die Bitten der Königin waren vergeblich, und sie mussten dem Verlangen des Sohnes willfahren.
Es wuchs im Land der Burgunden eine edle Jungfrau, die hieß Kriemhild, die Tochter des reichen Königs Dankrat und seiner Ehegenossin, der verständigen Frau Ute, die das Kind mit mütterlicher Sorge pflegte. Zwar war der Vater schon lange heimgegangen, aber seine drei Söhne Gunther, Gernot und der noch nicht völlig zum Recken erwachsene Giselher, genannt das Kind, hielten die schöne Schwester höher als die köstlichste Perle in ihrer Krone. Die königlichen Brüder waren von kühnen Recken umgeben, welche die Furcht nicht kannten. Allen voran stand der grimmige Hagen von Tronje, unschön von Angesicht und einäugig, aber durch Heerfahrten und Kämpfe in deutschen und welschen Landen wie bei den Heunen (Hunnen bzw. Hünen) wohlbekannt und gefürchtet. Auch als Oheim der Könige genoß er große Ehren, nicht minder sein Bruder der Marschall Dankwart, dann der Truchsess Ortwin von Metz, die Markgrafen Gere und Eckewart, der Küchenmeister Rumold, der treue Spielmann Volker von Alzey, der Mundschenk Sindold und der Kämmerer Hunold. Diese und andere tüchtige Recken dienten den drei Königen und beschirmten ihr Reich.
Die junge Kriemhild erschien selten im Kreis der Männer. Wie ein zartes Röslein, das kaum aus der Knospe hervorgeblüht ist, gleichsam verschämt wegen ihrer Schönheit und ihres süßen Duftes sich niederneigt, so senkte die Jungfrau schamhaft ihr Angesicht, wenn die Augen der Recken auf ihr ruhten. Sie entschlüpfte dann eilends dem geselligen Kreis und suchte Schutz vor der fremden Berührung in der einsamen Kammer oder im Garten unter den schattigen Bäumen. Deshalb liebte sie auch nicht die Turniere und die wilde Jagd. Nur einmal hatten die Brüder sie überredet, auf zierlichem Rösslein dem Hörnerklang durch Wald und Heide zu folgen. Als aber ein Reh, vom Jagdspieß durchbohrt, zu ihren Füßen verendete, floh sie scheu zurück und jagte nicht wieder. Der Vogelgesang im Garten erfreute sie mehr als der Klang der Hörner und das Fiedeln der Spielleute beim Gelage. So erblühte die Jungfrau unter dem Lärm des Hofes wie eine liebliche Blume in einem stillen und einsamen Tal.
Einstmals trat Mutter Ute früh am Morgen in ihr Gemach und fand sie verstört und traurig. Sie forschte nach der Ursache ihrer Betrübnis. Da erzählte ihr die Jungfrau, es habe ihr geträumt, dass sie einen edlen Falken aufgezogen, der ihr gar liebgeworden sei. Als er aber einstmals ausgeflogen war, hätten ihn zwei tückische Aare (Adler), aus einer Felsenkluft hervorbrechend, vor ihren Augen erwürgt. „Mein Kind“, sagte die Mutter ernst, „der Falke ist der edle Held, dem du einstmals deine Liebe zuwendest. Die Aare aber bedeuten zwei mordsüchtige Recken, die ihn mit arger List zu töten suchen. Möge Gott dir seinen Beistand leihen, dass du die mörderischen Anschläge vereitelst!“ - „Mutter“, sagte Kriemhild, „rede mir nicht von Männern. Es ängstigt mich, wenn ich unter sie treten muss. Gäbe es doch nur gar keine Männer in der Welt, da würde man nichts von Streiten, von Krieg und Blutvergießen hören.“ - „Wer weiß“, versetzte Frau Ute lächelnd, „Weiber vergießen oft durch ihre Zungen mehr Blut und schlagen tiefere Wunden als Männer mit ihren Schwertern. Aber auch für dich wird die Stunde kommen, in der du einem edlen Recken die Hand zum Bunde reichst.“ - Niemals“, rief die Jungfrau, „Mutter, du ängstigst mich mehr als der schlimme Traum.“ Beide Frauen sprachen noch viel miteinander und gingen dann in den Garten, wo Kriemhild ihre schönen Blumen pflegte und ihre weißen Tauben fütterte.
Gegen Mittag entstand ein ungewöhnliches Hin- und Herlaufen im Palast. Man hörte Hörner schmettern und Hufschlag von Rossen. Die Königin ging eilends hin, sich zu befragen, was die Ursache des Getümmels sei. Sie kehrte bald zurück und sagte der Tochter, fremde Recken seien angekommen, ihre Gewänder und Rüstungen strahlten von Gold und edlem Gestein und selbst ihre Rosse seien königlich geschmückt. Sie lud die Jungfrau ein, ihr zu folgen, damit sie mit eigenen Augen die reichen Häuptlinge sähe. Doch ihre Mahnung war vergeblich, denn der stille Garten dünkte der Tochter erfreulicher als das Schauspiel kriegerisch gerüsteter Recken. Daher ging Frau Ute allein auf den Söller, wo man die fremden Gäste sehen konnte. Auch König Gunther, der mit seinem Bruder Gernot und manchem kühnen Helden in der Halle würzigen Wein trank, hatte Kunde von der Ankunft fremder Gäste erhalten und sah nun durchs Fenster, wie sie in den Burghof ritten. Besonders ragte der Führer mit gekröntem Helm auf schneeweißem Ross hervor. Doch niemand kannte die Ankömmlinge. Da befahl der König, seinen Oheim Hagen Bescheid zu geben, denn der sei aller Lande kundig und werde wohl auch jetzt klugen Rat wissen. Alsbald erschien der tapfere Recke und erklärte, der Held an der Spitze der Schar sei kein anderer als Siegfried aus Niederland, der schon als Knabe einen grimmigen Drachen und den starken Schmied Mimer erschlagen, dann zum Manne gereift das Reich der Nibelungen durch ruhmvolle Taten erworben habe. Er riet ferner, der König und die anderen Recken sollten ihm entgegengehen und ihn mit Ehren empfangen. Denn wenn man ihn zum Freund und Heergenossen erwerbe, so habe man in den Landen der Burgunden keine feindliche Heerfahrt zu scheuen.
Die Rede Hagens deuchte König Gunther klug und heilsam. Er ging mit allen Recken dem fremden Gast entgegen, hieß ihn willkommen und bot ihm Herberge im Palast. Auf seinen Wink eilten Knechte herzu, den Gästen Waffen und Rosse abzunehmen. Aber Siegfried wies sie zurück. Er sei, sagte er, zu den Burgunden gefahren, um zu versuchen, ob sie wirklich so tapfere Recken seien, wie man allerwärts von ihnen rühme. Er wolle das Reich und den Schatz der Nibelungen als Preis des Sieges einsetzen. Auch scheue er nicht eine doppelte und dreifache Zahl von Kämpfern, wenn die Könige dagegen das Land der Burgunden wagen wollten. Dem widerstrebte der kühne Ortwin und sprach, das sei eine gar vermessene Rede, und er vermeine allein dem fremden Helden Rüstung und Reich abzugewinnen. In gleicher Weise vermaßen sich noch andere burgundische Recken. Sofort sprang Siegfried in den Sattel und erhob die gewaltige Lanze.
Aber König Gernot trat mit gütlichen Worten zwischen die kampfesfrohen Recken. „Herr Siegfried“, sagte er, „wir begehren von dir weder Gut noch Blut. Wir wollen dich als werten Gast bei uns aufnehmen und deine tüchtigen Helfer und Gesellen sein, sofern du das Gleiche gelobst.“ Er bot ihm zugleich die Hand, und der von Niederland ergriff die gebotene Rechte, indem er hinzufügte: „Davor behüte mich Gott, dass ich dazu Nein sage. Ich bin euer Gast und Helfer. Und fahrt ihr einmal zu mir, dann heiße ich euch nicht minder als werte Gesellen willkommen.“ Die Gäste gingen darauf (auf Wunsch von Giselher) mit ihrem Gastgeber und seinen Dienstmannen in den Königssaal, wo sie bei Schmaus und Becherklang den Gesellenbund fester schlossen.
Dem kühnen Helden von Niederland gefiel es wohl in diesem Rosen- und Rebengarten am Rhein, und er ging oft mit seinen burgundischen Gesellen bald zur Lust, bald zum Jagen stromauf- und abwärts in die grünenden Hügel und aufragenden Burgen, und leerte manchen Becher edlen Rheinweins. Auch Kampfspiele und Turniere erfreuten ihn, denn er blieb allezeit Sieger. Er trug aber noch einen Wunsch in der verschwiegenen Seele mit sich herum, den er nicht lautwerden ließ. Er sehnte sich nämlich, die holdselige Kriemhild einmal von Angesicht zu sehen. Doch diese Wonne wurde ihm nicht zu Teil. Er hörte von ihrem Liebreiz, ihrer Sittsamkeit und Sanftmut, und das vermehrte nur sein Verlangen nach dem, was ihm versagt war.
Auch die Jungfrau hörte viel von dem fremden Gast, von der Pracht seiner Gewandung, von seiner Heldengestalt, selbst seine Reden wurden ihr hinterbracht. Das erregte doch die weibliche Neugier. Schüchtern wagte sie einst, als die Recken vor dem Palast turnierten, hinter dem wenig geöffneten Laden hervor zu lugen. Da erblickte sie den Helden, überstrahlend die anderen Recken, wie am nächtlichen Himmel der Mond die Sterne. Er schien ihr dem Lichtgott Balder vergleichbar, von dessen Schönheit und Herrlichkeit die Väter so viel zu erzählen wussten. Jetzt richtete er die strahlenden Augen aufwärts. Hatte er sie vielleicht wahrgenommen? Sie floh erschrocken vom Fenster. Aber nein, er hatte die schüchterne Jungfrau nicht bemerkt oder nicht beachtet, denn das Turnier währte fort. Sie kehrte an ihr verdecktes Schaufenster zurück und sah nun, wie er den Speer schoss, dass er durch einen dicken Eichenbalken fuhr, während andere Speere wirkungslos abprallten oder kaum mit der äußersten Spitze in das harte Holz eindrangen. Sie sah ihn im Ringkampf mühelos und lachend zwei und drei Kämpfer zu Boden werfen. Selbst der starke Hagen strengte vergebens alle seine Kraft an, den unbezwinglichen Mann zu erschüttern. Auch er musste zuletzt, blutrot im Angesicht vor Anstrengung und erschöpft, in den Staub sinken. „Hei, tüchtiger Recke“, rief der Sieger, „du hast mir mehr Arbeit gemacht als die Könige der Nibelungen mit ihren Zwergen und Riesen. Aber schau her, guter Geselle, für deine Mühsal reiche ich dir einen schweren Goldreif, dass du meiner in Liebe gedenkst, wenn ich nun bald heimfahre.” - „Burgunder sind reich genug, sie bedürfen der Goldgaben nicht“, antwortete Hagen mürrisch mit einem schielenden Blick auf den Geber, und ging seines Weges.
Kriemhild hätte schier dem Oheim zürnen mögen für seine schnöde Erwiderung. Aber noch mehr beschäftigte sie der Gedanke, dass der Held bald heimfahren wolle. Sie wünschte, er möge noch recht lange zu Worms bleiben, er möge gar nicht von Worms scheiden. Sie stand seit dieser Zeit immer an dem verdeckten Fenster, wenn die Recken turnierten, und die Gestalt Siegfrieds und seine Gesichtszüge, alle seine Bewegungen standen ihr bald so lebhaft vor Augen, dass sie selbst in den Gebilden ihrer Stickereien zu erkennen waren.
So wohnt‘ er bei den Herren · das ist alles wahr,
In König Gunthers Lande · völliglich ein Jahr,
Dass er die Minnigliche · in all der Zeit nicht sah,
Durch die ihm bald viel Liebes · und auch viel Leides geschah.
(Nibelungenlied, Das Heldenbuch, Band 2, Simrock, 1864)
Doch bald unterbrach eine Botschaft aus Dänen- und Sachsenland die Lustbarkeiten am Hofe zu Worms. Die Könige Lüdegast und Lüdeger ließen nämlich Fehde ankündigen und drohten mit großer Heeresmacht im Burgundenland einzufallen, wenn ihnen nicht wie in früherer Zeit Zins gezahlt werde. Im Falle der Weigerung wollten sie ungesäumt die Schatzung selbst in Worms abholen und Burgen und Städte verwüsten. Der König hieß die Boten gastlich pflegen, wie es allezeit Sitte war. Dann beriet er sich mit seinen Mannen, was zu tun sei. Man wusste, wie groß die Macht der feindlichen Häuptlinge, wie grimmig ihr Mut und die Wildheit ihres Kriegsvolkes war. Hagen meinte, man könne in so kurzer Frist keine genügende Streitmacht aufbringen, um dem Sturm zu begegnen. So geschah es, dass man keinen Entschluss fassen konnte. König Gunther schritt sorgenvoll durch die reich bestellten Felder der Stadt, die vielleicht bald eine Stätte für Wölfe sein sollten. Da fand er Siegfried, der gerade mit einem Habicht auf der Hand von der Vogeljagd zurückkehrte. Auf dessen Frage, was ihm Kummer mache, gab er ihm Auskunft von der unwillkommenen Botschaft und der drohenden Verwüstung. „Hei, König Gunther“, rief der kühne Held, „hast du nicht Freunde und Brüder, die allezeit in Rüstung sind? Bin ich nicht selbst ein treuer Geselle? Und wenn wir nur tausend tüchtige Männer in Waffen haben, dann mögen wir doch die räuberischen Wölfe wohl bestehen. Sei getrost und sage den Boten, wir wollten ihren Herren die weite Reise nach Worms wohl ersparen und in ihrem eignen Land ihre Gäste sein.“ Davon wurde der König wieder froh, und er tat, wie ihm sein werter Gast geraten hatte.
Die Heerhörner klangen durch Burgundenland, das Kriegsvolk sammelte sich zu Hauf, die Recken bereiteten ihre Sturmgewänder, Speere, Lanzen und Schwerter. Da standen in strahlenden Rüstungen Hagen, Dankwart, Volker, Ortwin, Sindold, Hunold, der streitbare Rumold, auch König Gernot mit seinen Mannen und viel des Volkes und Gesindes, wohl etliche Tausende, aber unter ihnen strahlte der Nibelungenheld mit seinen zwölf Recken hervor. Ohne auf weitere Hilfe zu warten, zog das kleine Heer zu Felde über den Rhein und eilig weiter nach Sachsenland, wo manche Burg gebrochen, manches Gehöft verwüstet wurde, bevor die gewaltige Macht der feindlichen Heerkönige Einhalt tun konnte. Als die Späher verkündigten, dass wohl vierzigtausend Dänen und Sachsen daherkamen, wurde Lagerung genommen, und der grimme Hagen als Scharmeister ordnete die Heerhaufen. Derweilen ritt der kühne Siegfried nach einer Warte, wo ein dänischer Recke in hellleuchtender Rüstung das Lager der Burgunden beschaute. Er wurde sofort von demselben angegangen, und der Stoß war von beiden Seiten so kräftig, dass die Lanzen zersplitterten und die Rosse sich aufbäumten.
Die mächtigen Helden wankten nicht im Sattel. Als aber der Schwertkampf begann, konnte der Däne nicht lange bestehen. Durch Schild, Helm und Brustpanzer drang das furchtbare Schwert Balmung, und der Recke sank, aus drei Wunden blutend, zu Boden. Siegfried sprang vom Pferd, um ihm den Todesstreich zu geben, aber da rief er, er sei König Lüdegast und wolle sein Haupt mit Gold auslösen. Indessen rannte eine große Zahl seiner Dienstmannen heran, um ihrem gefällten Könige Hilfe zu bringen. Der Held von Niederland erwehrte sich ihrer, und Rosse und Reiter sanken unter der Wucht seiner Streiche. „Das ist der üble Teufel!“, riefen die noch übrigen Kämpfer und suchten ihr Heil in der Flucht.
Siegfried kam mit seinem Gefangenen ins Lager, wo er ihn zur Pflege und Verwahrung dem Heergesinde übergab. Es war auch nicht mehr Zeit vergönnt, den Recken zu befragen, denn die feindliche Macht war im Anzug, und ihre Schlachthaufen breiteten sich unabsehbar aus. Kaum gelang es dem Scharmeister, die Recken der Burgunden in Ordnung zu stellen, schon begann der Angriff. Eisenspeere, Steinhämmer und Pfeile flogen hinüber und herüber, Schilde und Helme brachen, das Blut floss in Strömen. Streitäxte und Schwerter wurden zu tödlichen Streichen geschwungen. Doch wie auch das schwache Heer der Burgunden um Siegesruhm kämpfte, die feindliche Übermacht drängte immer gewaltiger. Da schaffte sich der Nibelungenheld freie Bahn. Er durchbrach mit siegender Gewalt die feindlichen Reihen. Zerhauene Schilde, Helme, Brünnen und Leichname bezeichneten den blutigen Weg, den er sich öffnete. Gegen ihn lenkte der streitbare König Lüdeger seinen Streithengst, umgeben von seinen Gefolgsmännern. Siegfried suchte ihn zu erreichen, doch immer mutiger umdrängten ihn die kühnen Sachsen. Sein Schild wurde zerhauen, sein Ross sank unter ihm, doch stand er unerschüttert wie ein Fels im Meer, an dem sich die schäumenden Wellen brechen. Zuerst arbeitete sich der grimme Hagen durch die feindliche Menge, dann auch Volker, Sindold, Hunold, und als sie ihm den Rücken deckten, drang er unwiderstehlich gegen den König der Sachsen vor. Die ganze Wucht des Kampfes ballte sich um ihn, aber vergebens, schon stand er vor Lüdeger und schwang das Schwert. Da rief dieser: „Hei, Siegfried von Niederland, dich hat der Teufel hergeführt. Ich muss dein Gefangener sein.“
Er gebot die Fahnen · zu senken in dem Streit.
Friedens er begehrte · der ward ihm nach der Zeit;
Doch musst‘ er Geisel werden · in König Gunthers Land:
Das hatt‘ an ihm erzwungen · des kühnen Siegfriedes Hand.
Die Gefangennahme von König Lüdeger
Die Schlacht war zu Ende. Rosse und Rüstungen, viele Gefangene und das feindliche Lager mit reichen Schätzen waren die Beute der Sieger, die sofort heimwärts nach dem Rhein fuhren. Sie zogen festlich geschmückt in Worms ein, wo man sie mit großem Jubel empfing. Im ganzen Lande pries man ihre Taten, aber Siegfrieds Name ging von Mund zu Munde, und die Sänger sangen sein Lob, und die Frauen erzählten ihren Kindern von dem wundersamen Helden aus Niederland. König Gunther ordnete eine große Siegesfeier an, doch erst nach mehreren Wochen, damit die wunden Kämpfer, die bis dahin geheilt wären, daran teilnehmen könnten. Es geschah nach seinem Gebot, und er ließ auch reiche Gaben unter die kühnen Streiter verteilen, da nicht alle sich Beutestücke erworben hatten. Desgleichen wurde mit Lüdeger und dem von seinen Wunden genesenen Lüdegast unterhandelt. Sie boten großes Lösegeld. Als man davon redete, dass ein Königshaupt wohl um höheren Preis zu lösen sei, rief Siegfried: „Ein Königshaupt ist für Gold, Silber und Edelstein weder zu kaufen noch zu lösen, wohl aber in Liebe durch Wohltat zu gewinnen. Man lasse die gefangenen Könige frei und ledig, wenn sie den Burgunden Hilfe in Kriegsnot versprechen.“
Als die festlichen Tage vorüber waren, nahmen die reichlich beschenkten Gäste Abschied, und auch der Nibelungenheld wollte heimfahren. Auf Ortwins Rat bat ihn aber der König, noch zu verharren, weil auch die Frauen ihren Dank bezeigen wollten. Er beschied sie daher auf den folgenden Tag in die Königshalle. Insbesondere sagte er zu Siegfried, seine Schwester Kriemhild werde ihm für die geleisteten Dienste mit einem Händedruck lohnen, da man ihm kein Geld bieten könne. Wie ein Lichtstrahl zuckte die Freude über das Angesicht des Helden, indem er sagte: „Ja, sicherlich, ich bleibe noch dein Gast.“
Als der König zu den Frauen ging, um ihnen kundzutun, was er verheißen habe, fürchtete er von der Schwester Widerspruch. Doch obwohl sie errötete, fügte sie sich in seinen Willen. An der Hand von Frau Ute trat sie zur bestimmten Stunde im reichsten Schmuck in die festliche Halle, wo die Helden versammelt waren, was im Lied so ausgedrückt ist:
Da kam die Minnigliche · wie das Morgenrot
Tritt aus trüben Wolken · Da schied von mancher Not,
Der sie (Kriemhild) im Herzen hegte · was lange war geschehn.
Er sah die Minnigliche · nun gar herrlich vor sich stehn.
Von ihrem Kleide leuchtete · mancher edle Stein.
Ihre rosenrote Farbe · gab wonniglichen Schein.
Was jemand wünschen mochte · er musste doch gestehn,
Dass er hier auf Erden · noch nicht so Schönes gesehn.
…
Er sann in seinem Sinne · „Wie dacht' ich je daran,
Dass ich dich minnen sollte? · das ist ein eitler Wahn;
Soll ich dich aber meiden · so wär' ich sanfter tot.“
Er ward von den Gedanken · oft bleich und wieder rot.
…
Als sie den Hochgemuten · vor sich stehen sah,
Seine Farbe ward entzündet · die Schöne sagte da:
„Willkommen, Herr Siegfried · ein edler Ritter gut.“
Da ward ihm von dem Gruße · gar wohl erhoben der Mut.
Er neigte sich ihr eifrig · sie fasste ihn bei der Hand.
In minniglicher Anmut · er bei der Fürstin stand.
Mit liebem Blick der Augen · sahn einander an
Der Held und auch das Mägdelein · das ward verstohlen getan.
Der Gruß, der Händedruck, der Liebesblick Aug‘ in Auge, das waren die Wahrzeichen, dass zwei edle Menschenherzen sich gefunden, dass sie den Bund auf Leben und Sterben miteinander geschlossen hatten. Und niemand in der glänzenden Versammlung nahm das Geheimnis wahr, als Frau Ute, die daran große Freude hatte, weil sie die zwei Menschen mütterlich liebte. Sie schaffte es auch, dass beim Gastmahl der Held neben jener gesetzt wurde, die er schon so lange im Herzen trug, so dass er auch nachher, als das Gelage begann, im Garten mit ihr lustwandelte und ihre Blumen betrachtete, deren Namen und Bedeutung sie mit tiefem Sinne erklärte. Sie sprach:
„Die Blumen haben Seelen, sie reden oft zu mir,
Vom Himmel sie erzählen, der schon auf Erden ist hier.“
Er antwortete:
„Der Himmel ist die Minne, der Liebe Lust und Leid;
Die stirbt im Herzen nimmer durch alle Ewigkeit.“
Siegfried ging selig in seine Herberge und hatte des Nachts frohe Träume.
In dieser Nacht hatte auch König Ute einen frohen Traum. Sie sah ihr liebes Kind königlich geschmückt an der Seite des Helden aus Niederland auf einem schwankenden Kahn, der zwischen den Ufern des ruhigen Rheinstroms dahinfuhr. Es schien ihr ein freundliches Bild vom Glück zweier Menschen, an deren Schicksal sie den wärmsten Anteil nahm. Sie erwachte in freudiger Aufregung. Als sie dann aber wieder einschlummerte, zeigte sich zwar am Anfang das gleiche Bild, doch bald verdüsterte sich der Himmel, der Strom geriet in heftige Bewegung, und aus seinen Wellen erhob sich eine Hand, die einen Speer schwang und damit rücklings Siegfried durchbohrte. Frau Ute erwachte ein zweites Mal, und die Angst über die Erscheinung ließ sie nicht wieder einschlafen. Sie kleidete sich an und schritt schon früh am Morgen in einen düsteren Kiefernwald, wo sich viele Totenhügel burgundischer und gallischer Recken befanden, die sich hier bekämpft hatten, aber nun friedlich nebeneinander ruhten. In der Mitte dieses Gräberfeldes war ein Brunnen von unergründlicher Tiefe, der nach einer Sage an der Stelle hervorquoll, wo der Sohn einer zauberkundigen Frau in unvordenklicher Zeit ermordet worden war. Dahin pflegte die Königin zu gehen, wenn sie Auskunft über die Zukunft zu erhalten wünschte, denn sie kannte die Sprüche, welche den Geist der Tiefe zwangen, die Rätsel der Zukunft zu enthüllen. So lenkte sie ihre Schritte zu diesem Quell bei den Gräbern und begann ihre Beschwörung. Sie wollte Kunde haben, ob sich der Nibelungenheld mit der holden Jungfrau in treuer Liebe verbinde und ob aus der Verbindung ein ruhmvolles Königsgeschlecht erblühen werde. Da erhob sich das Wasser silberhell, und aus der Tiefe ertönten Fiedel und Schalmaien zum Hochzeitstanz. Bald aber trübte sich der Wasserspiegel, aus seiner Mitte schoss ein Strahl aus Blut hervor, und aus dem Abgrund erscholl Kriegsgeschrei und Waffenklirren. Zugleich schienen sich die Grabhügel ringsherum zu bewegen und zu öffnen, als ob die erschlagenen Recken heraussteigen wollten. Angst und Entsetzen ergriff die Königin. Sie eilte fort, als werde sie von den Gespenstern der Krieger verfolgt und erreichte mit Mühe die Königsburg, wo sie alles in großer Unruhe und Aufregung fand.
Auch Siegfried erwachte nach seinem heiteren Traum früh am Morgen und ritt hinaus in den Wald zum Jagen, aber seine Gedanken waren im Königspalast bei der wundersamen Jungfrau. Er ließ Hirsche und Rehe friedlich vorüberziehen, ohne von seinen Waffen Gebrauch zu machen. Als er nachmittags ohne Beute zurückkehrte, fand er Burg und Stadt in großer Unruhe. Recken und Insassen, Dienstmannen und Landvolk schrien, rannten durcheinander und auf dem Söller stand Frau Ute weinend, die Hände ringend. Niemand gab Siegfried Bescheid. Er hörte einzelne unverständliche Ausrufe, die auch ihn mit schwerer Sorge erfüllten. „Er kam dorther!“- „Er ist nach den wilden Bergen geflogen.“ - „Wo mag er sie hingetragen haben?“ - „Ach, das wunderholde Königskind!“ - Niemand stand dem Helden Rede, bis er zu Hagen kam, der schweigsam und finster in der großen Halle stand.
Siegfried schritt auf Hagen zu und fragte ihn, was geschehen sei. Dieser berichtete: „Ja, das ist eine üble Geschichte. Aber was geschieht, das muss geschehen. Das hat, wie man zu der Väter Zeit sagte, die Norne (Schicksalsgöttin) gefügt, und das ist allezeit das Beste. Schau, Siegfried, wir waren beim Turnier. Da entstand ein Sausen und Brausen in der Luft, wie von einem Gewittersturm. Die Sonne verlor ihren Schein, als ob sie der Wolf Sköll (als Sonnenfinsternis) erwürge. Das Schrecknis war ein fliegender Drache, wie die Hölle keinen zweiten geboren hat. Er strich über uns hinweg, und wir schossen Speere auf ihn, aber sie prallten wie Schilfrohr an seinen Hornschuppen ab. Wir hörten einen lauten Schrei und sahen, wie das Untier die schöne Kriemhild, die von ihm im Garten ergriffen wurde, mit sich durch die Luft führte, himmelwärts, weiter und weiter, bis er uns aus den Augen entschwand.“ - „Und ihr seid nicht nachgejagt?!“, rief der Nibelungenheld und brüllte: „Feige Memmen! Buben! Fort in die Kinderstube unter die Rute des Zuchtmeisters!“ - „Du bist wohl verrückt, junger Geselle!“, sagte Hagen unbewegt: „Bist du ein Vogel Greif oder eine Fledermaus, dass du durch Wind und Wolken nachjagen kannst?“ Darauf sprach Siegried: „Ich suche ihn auf, den Unhold, durch die ganze Welt und in der Hölle, wenn er dort sein Nest hat. Ich finde auf meiner Fahrt die Jungfrau oder den Tod.“ Damit eilte er fort, bestieg seinen Hengst und ritt auf unbekannten Wegen, denn er wusste nicht, wohin.
Ein Fährmann setzte den unverzagten Mann über den Rhein. Derselbe war trüben Mutes, denn auch ihn jammerte das Schicksal der Jungfrau, die der Drache fortgetragen und, wie er sagte, über den Strom weit in den wilden Odenwald auf den Drachenstein geschleppt habe. Er wusste auf die Fragen des Recken keinen weiteren Bescheid, doch hatte dieser wenigstens Kunde von der Gegend, wohin er sich wenden müsse. Er durchstreifte also das unwirtliche Gebirge, suchte und fand Herberge und Bewirtung bei gastfreien Leuten, aber keine Kunde von dem Drachenstein. Er geriet endlich in einen finstern Tannenwald, wo weder Weg noch Steg noch ein wirtliches Haus zu finden war. Wegen der sperrigen Äste musste er sein Ross am Zügel führen. Als die Nacht hereinbrach, warf er sich erschöpft unter einen Baum und ließ das Pferd grasen. Um Mitternacht hörte er Hufschlag und sah einen lichten Schein, der sich näherte. Er erkannte bald ein Zwerglein, das auf einem munteren Ross durch den Tann ritt. Es trug auf seinem Haupt eine goldene Krone, deren Spitze ein leuchtender Karfunkel bildete. Der Held rief den Zwerg an, um sich nach dem Weg zu erkundigen. „Gut, dass wir uns getroffen haben“, sagte das Männlein, „ich bin der Zwergenkönig Eugel und wohne mit meinen Brüdern und Tausenden von dienstbaren Zwergen hier in den hohlen Bergen. Du aber bist Siegfried von Niederland, den ich oft gesehen habe, wenn ich mit der Tarnkappe ungesehen unter den Menschen wandelte. Nun will ich dir den Weg aus dem wilden Tann zeigen, denn du würdest ihn nimmer finden, sondern ein Grab dort am Drachenstein, wo der ungefüge Riese Kuperan und der grässliche Drache hausen.“
Als Siegfried dies hörte, jauchzte er laut auf, dass es durch den Wald schallte. „Du sollst ein reichliches Botenbrot, den ganzen Nibelungenhort empfangen, edler Zwergenkönig“, rief er, „wenn du mich nach dem Drachenstein geleitest.“ - „Das wird nimmer geschehen, guter Held“, antwortete Eugel, „es wäre dir zum Leid, denn du würdest alsbald von der Eisenstange des Riesen gefällt oder von dem Untier verschlungen werden.“ - „Hei, Lügenzwerg“, rief der Held, „weist du mich nicht nach dem Stein, dann stirbst du von meiner Hand.“ Schon hatte er das Wichtlein mit starker Hand erfasst und schüttelte es, dass ihm die Krone vom Haupt fiel. Eugel versprach voll Schrecken, dem gewaltigen Mann zu gehorchen. Er setzte die Krone wieder auf sein Haupt und ritt voran durch den finsteren Tannenwald. Schon brach der Morgen an, als sie, wie der Zwerg sagte, am Ziel waren. „Dort klopfe an das feste Felsentor“, sagte der winzige König, „denn da haust Kuperan. Bist du ein so starker Held, dass du den ungefügen Riesen bezwingst, dann werde ich mit allen meinen Genossen dir zu Diensten sein. Denn der Grimmige beherrscht uns und hat uns zu harter Arbeit gezwungen.“ Nachdem er dies gesprochen hatte, hüllte er sich in seine Tarnkappe und war verschwunden.
Siegfried pochte an die ragende Pforte erst mäßig, dann immer stärker, dass der Berg widerhallte, indem er rief: „Mach auf, edler Kuperan, und gib mir die Schlüssel zum Drachenstein!“ Die Tür sprang plötzlich auf, und der Riese hätte fast den Helden niedergerannt, wie er grimmigen Mutes herausstürzte. Er trug eine Stange, die schier die Baumwipfel überragte und bei jedem Schlag wie eine Turmglocke erklang. „Ho, Knirps, was weckst du mich aus dem Morgenschlaf!“ Mit diesen Worten führte er einen Streich nach dem Recken, der ihn wohl zerschmettert hätte. Doch der fähige Held sprang zur Seite, und die Stange, deren Ecken scharf wie ein Schermesser schnitten, spalteten einen Baum von oben bis auf die Wurzel. Der Riese arbeitete fort, dass Bäume und Felsen niederkollerten, aber den gewandten Gegner traf er nicht. Da holte er mit beiden Händen zu einem Streich aus, und seine schreckliche Waffe fuhr drei Klafter tief in den Boden. Wie er sich bückte, um sie herauszuziehen, war ihm der Held mit einem Sprung nahe genug, um ihn mit seiner Klinge zu erreichen. Aus drei Wunden blutend und laut brüllend stürzte der Hüne in seine Behausung und schlug die Tür hinter sich zu. Wohl rüttelte und donnerte der kühne Mann an der Eisenpforte, aber sie war festverschlossen, wie durch Zauberhand. Jetzt versuchte er mit dem guten Schwert die Öffnung zu erzwingen und bald gab es Lücken und Spalte. Er lugte in den inneren Raum und sah, wie der Riese sich verband und wappnete, wie sein Helm und sein Brustpanzer leuchteten gleich der Sonne, wenn sie sich im Meer spiegelt. Nun trat der ungefüge Mann heraus und begann den Kampf von Neuem und mit größerer Vorsicht, aber nicht glücklicher, denn er hatte es mit dem gewandtesten Fechter zu tun. „Hei, du kleiner Mann“, rief er, seine Streiche verdoppelnd, „du musst hier dein Leben lassen!“ Indessen brachte ihm Siegfried noch mehrere Wunden bei und fällte ihn endlich zu Boden. Da bat er um sein Leben und versicherte, er werde ihm nun ein treuer Geselle und Helfer gegen den Drachen sein, den er ohne seine Hilfe nicht bestehen könne. Auf diese Versicherung reichte ihm der unverzagte Held die Hand der Versöhnung, verband seine Wunden und gelobte, auch ihm ein treuer Geselle zu sein. Als er aber voran in die Klause trat, versetzte ihm der falsche Riese hinterrücks einen Schlag auf den Helm, dass er besinnungslos zu Boden fiel. Da war nun ungesehen Zwerg Eugel in der Nähe und verbarg ihn mit seiner Tarnkappe. Während der Ungefüge vermeinte, er sei durch Zauberei entwischt, und außerhalb nach ihm tastete, gewann Siegfried seine Kraft wieder, sprang auf, riss die Tarnkappe weg und streckte den heranstürmenden Riesen mit dem ersten Streich nieder. Nochmals verzieh er dem Verräter, zwang ihn aber, voranzuschreiten.
Am Eingang des Drachensteins versuchte der ungetreue Kuperan wiederum den kühnen Mann zu ermorden, und nun hätte ihn der Recke nicht mehr verschont, wäre er nicht seiner Hilfe bedürftig gewesen, um zu der Jungfrau zu gelangen. Der Riese holte sofort den in einer Felsenspalte verborgenen Schlüssel hervor, schloss auf und führte den Helden durch mehrere Gänge in ein hohes, kuppelförmiges Gewölbe, in welchem eine liebliche Dämmerung herrschte. Siegfried blickte umher, und da saß bleich und im bitteren Harm sie, die er suchte, für die er in Kampf und Tod zu gehen bereit war, die königliche Jungfrau Kriemhild, schön, wie in der Freude, so jetzt im Schmerz. Er rief ihren Namen, eilte auf sie zu und wagte es, sie in die Arme zu schließen. Er fühlte, dass sie seinen Kuss erwiderte, und dieses Gefühl gab ihm Mut und Kraft, mit der Hölle selbst in Kampf zu treten. Aber Kriemhild weinte immerfort und beschwur ihn, schleunigst zu fliehen, weil der teuflische Drache um diese Zeit zu kommen pflege. Siegfried dagegen begehrte nichts mehr, als das Ungeheuer in Stücke zu hauen, damit die wonnigliche Maid nicht wieder geraubt werde. Da sagte der Riese, oben auf dem Drachenstein sei ein Schwert verborgen, dessen Klinge auch durch die Hornschuppen des Drachen schneide. So stieg dann der unverzagte Held mit der Jungfrau dem Riesen nach auf die Höhe. Daselbst erblickte Siegfried am Rande der schroffen Felsenwand den Griff eines Schwertes. Wie er sich aber danach bückte, fasste ihn der Unhold, um ihn hinabzustoßen. Ein entsetzliches Ringen begann, allein die Wunden des Riesen brachen auf, sein Blut strömte, seine Kraft schwand, und der Recke stürzte ihn kopfüber in die Tiefe.
Nun hatte mitgenommen Siegfried des Drachen Schwert,
Das ihm Kuperan gewiesen und seinen Tod begehrt:
Hoch auf dem Drachensteine der Held sich bücken sollt
Zum Schwert, weil er vom Steine ihn niederstoßen wollt.
(Der hörnerne Siegfried, Heldenbuch, Band 3, Simrock, 1883)
Da wurde ein lautes und frohlockendes Lachen gehört, und der Sieger sah den getreuen König Eugel, der ihm seinen Dank bezeugte, weil er die Zwerge von einem grausamen Überherrn erlöst habe. Sofort erschienen auf seinen Wink viele Wichtlein mit Speise und Wein, damit sich der kühne Held für den schweren Kampf stärke. Er war auch der Labung wohl bedürftig, da er deren seit zwei Tagen entbehrt hatte, und die Speise, welche die Jungfrau ihm vorlegte, und der volle Becher, den sie ihm reichte, mundeten ihm besser, als alle Gerichte auf königlichen Tafeln.
Ein Sausen und Brausen in der Luft, wie Gewittersturm, dazwischen ein entsetzliches Geheul, schreckten wie die Zwerge auch den Helden und die Jungfrau aus ihrer Sicherheit. Jene entflohen in den hohlen Berg, und auch Kriemhild bat und flehte, ihr Held möge sich noch zu retten suchen. Aber dieser war der Furcht unzugänglich. Jetzt sah man den Unhold heranziehen wie eine Wetterwolke, aus der Blitze hervorbrechen. Es war sein Feueratem, der ihm gleich lodernden Flammen voranging. Das Entsetzen kam näher, dunkel, grauenhaft, und der ganze Berg zitterte, dass die Zwerglein den Einsturz fürchteten. Kriemhild wich auf Siegfrieds Bitten in das Gewölbe zurück, aber auch er konnte vor Hitze nicht bleiben, als das Ungeheuer daher fuhr. Durch eine Felsenritze lugend sah er, wie die Glut allmählich nachließ, und nun stieg er kühnen Mutes wieder auf die Höhe. Der Drache fuhr auf ihn zu, riss ihm mit den Tatzen den Schild herab, suchte ihn mit den starrenden Zähnen zu fassen, und als der wunderkühne Mann dem gähnenden Rachen auswich, loderte sein Feueratem abermals, dass der Recke sich wieder flüchten musste. Sobald die Hitze sich abgekühlt hatte, war der Kämpfer von neuem auf der Höhe, griff, den Rachen vermeidend, bald zur Rechten, bald zur Linken das Ungeheuer an, aber Balmung drang noch nicht ein, und der Held wurde wiederholt von dem Schweif des Drachen umschlungen. Er machte sich durch unglaubliche Sprünge wieder frei und versuchte, das Tier in den weichen Bauch zu treffen. Da umschlang ihn der Drache so fest mit dem geringelten Schweif, dass er nicht wieder loskommen konnte. In der Not fasste er Balmung mit beiden Händen und führte einen so furchtbaren Streich, dass die Felsen bebten. Aber der Knoten war gelöst, die zerhauenen Ringe krümmten und wanden sich und kullerten die Steinwand hinunter in die Tiefe, wo sie zerschellten. Ein zweiter Streich hieb den Rumpf des Ungeheuers in zwei Stücke. Wohl schnappte noch der Rachen nach dem Kämpfer, doch dieser stieß die Stücke in den Abgrund, fiel aber selbst erschöpft und vom giftigen Qualm fast erstickt, wie tot auf den blutigen Boden. Als er sich wieder erholte, fühlte er sich von Kriemhilds Armen umfangen und umgeben von den hilfreichen Zwergen, die mit Rauchwerk und duftigen Kräutern die schädlichen Dünste vertrieben.
Die winzigen Männlein geleiteten den Helden und die erlöste Jungfrau in ihr unterirdisches Reich, wo ein leckerer Schmaus hergerichtet war. Da erzählte Eugel, das Ungeheuer sei früher ein Mensch gewesen, schön von Gestalt und Angesicht. Eine mächtige Zauberin, der er den Liebesbund gebrochen hatte, habe ihn verflucht, forthin als Lindwurm zu leben, bis ihn die Liebe einer reinen Jungfrau erlöst.
Die von ihren Bedrängern befreiten Zwerge stellten alle ihre Schätze dem kühnen Helden zu Gebote. Dieser nahm eine Ladung davon auf sein Ross, ließ auch die geliebte Jungfrau dasselbe besteigen und schritt, von Eugel geleitet, rüstig nebenher. Als sie an das Ende des finsteren Waldes kamen, blickte ihn der Zwerg traurig an. „Wisse, kühner Held“, sagte er, „dein Leben wird kurz, aber ruhmvoll sein, denn du wirst meuchlings fallen durch den Neid deiner Verwandten. Dein Nachruhm aber wird dauern und dein Name gepriesen werden von den Sängern der Völker, so lange Menschenkinder die Erde bewohnen.“ Damit nahm Eugel Abschied und kehrte in den Tannenwald zurück.
Als Siegfried mit der Jungfrau an den Rhein kam, nahm er den Schatz vom Ross und versenkte ihn in das tiefe Wasser. „Was soll mir das Gold“, sprach er, „da mein Leben kurz, aber rühmlich sein wird! Birg es in deinem Schoß, mächtiger Strom, und rolle deine Wellen darüber, dass sie heller glänzen! In den Händen der Menschenkinder ist es der Hölle Sold, der ihre Knechte wirbt. Damit mischt es in den labenden Becher tödliches Gift, und damit schärft es den Dolch des Meuchlers, dass er trifft - vielleicht bald mich selbst. Aber noch ist der helle Tag mein, noch will ich mich des Ruhmes freuen und der holdseligen Liebe, die mir im Herzen der schönsten Jungfrau blüht.“ Danach rief er den Fährmann, dass er ihn und seine Begleiterin übersetze.
Die Trauer in Worms um das Königskind und um den Helden, den man für verloren hielt, verwandelte sich in Jubel, als die Reisenden ankamen und von ihren unglaublichen Abenteuern berichteten. Frau Ute schloss den kühnen Mann und die erlöste Tochter in ihre mütterlichen Arme und nannte beide ihre Kinder. Denn sie zweifelte nicht, dass auch der König freudig in die Vereinigung des edlen Paares einwilligen werde. „Wohlan, vielgeliebter Geselle“, sprach Gunther, „wenn du auch mir Beistand leistest, ein hochgeborenes Weib zu gewinnen, dann gelobe ich dir, dass du gleichzeitig meine Schwester heimführen sollst. Ich gedenke um Brünhild, die stolze Königin von Isenland, zu werben, deren starke Hand schon manchen Freier in den Tod gesandt hat.“ - „Die kenne ich wohl“, antwortete der Recke, „und ich habe auch ihr verderbliches Spiel gesehen. Doch ich meine, dass wir wohl ihre Meister werden. Rüste alsbald zur Fahrt, damit wir noch in der Sommerzeit heimkehren!“
Froh des verheißenen Beistands bat Gunther die Frauen, schöne Gewänder, glänzend von Gold und Edelstein, herzurichten, denn er wollte vor der hochgemuten Jungfrau in königlichen Ehren erscheinen. Wohl bangten Mutter und Schwester um den werten Mann, aber Siegfried hieß sie guten Mutes sein. Er sprach, er werde ihm in guter Treue zur Seite stehen, mit ihm sterben oder genesen. Er meinte, die stolze Königin von Isenland sei doch nicht so grimmig wie das Ungetüm auf dem Drachenstein. Sie werde sie vielleicht mit schlimmen Worten, aber nicht mit lodernden Flammen begrüßen. Als der König tausend Recken zum Geleit aufbieten wollte, widerriet er solches, weil Brünhild leicht die zehnfache Anzahl kühner Recken entgegenstellen könne. Er meinte, Gunther, der grimmige Hagen, Dankwart und er selbst sollten wohl für die Spiele wie für ernstere Kämpfe genügen.
Reich beflaggt und mit Purpursegeln trieb das Fahrzeug, an dessen Bord die kühnen Kämpfer waren, den Rhein hinunter und weiter auf hoher See nach Isenland. Wenn der Wind nachließ, dann griff Siegfried in die Ruder, und es flog noch schneller als zuvor durch die aufschäumenden Wellen.
Nun endlich tauchten die Zinnen von Isenstein aus dem Meer auf, und bald lag die hochragende Burg vor den Recken. Sie stiegen ans Land, ihre Rüstungen und reichen Gewänder glänzten im Sonnenschein und verrieten, dass sie königlicher Ehren würdig seien. Aus den Fenstern der Burg und vom Söller herab schauten Frauen und schöne Jungfrauen. An der hohen Gestalt und dem reichen Schmuck erkannte Gunther die Königin, die er suchte. Doch Brünhild heftete ihre Blicke nur auf den Nibelungenhelden, der ihr schon bekannt war, von dessen wunderbaren Kämpfen und Abenteuern die fahrenden Spielleute auch in Isenland gesungen hatten. Kommt er als kühner Freier? Wird er in den Spielen siegreich sein? So fragte ihr pochendes Herz. „Ihm allein nur kann ich den hohen Preis gönnen“, sprach sie halblaut, „denn er ist der kühnste Held, der unter den Erdenvölkern gefunden wird.“
Die Recken waren unterdessen in den Burghof geritten. Dienstleute eilten herzu, ihnen Rüstungen und Rosse abzunehmen. Hagen weigerte sich zwar, aber als Siegfried sagte, dass solches Gesetz und Sitte zu Isenstein sei, überließ er, wenn auch unwillig, den harrenden Knechten sein Rüstzeug. Die unverzagten Helden traten in den Saal, wo sie Brünhild in königlichem Schmuck erwartete. Sie grüßte die Gäste nach Sitte, vornehmlich den Nibelungenhelden. Sie sagte ihm, dass sie sich freue, ihn wiederzusehen, da man ihr viel von seinen wundersamen Taten erzählt habe, und dass es ihr auch bedünke, er sei nach Isenland zurückgekehrt, um der Kampfspiele willen. Der Held versicherte dagegen, er sei nur hier als Begleiter von König Gunther, seines Herrn, der des Spiels begehre und des hohen Preises wohl würdig sei. „Das ist mir eine seltsame Geschichte“, sagte die Königin, „ich wähnte, du seist dein eigener Mann und nicht eines anderen (Diener).“
Darauf wendete sie sich an Gunther mit den Worten: „Auch deiner, König der Burgunden, bin ich nicht unkundig, denn manche Gäste aus fremden Landen haben mir von dir kühne Taten berichtet. Wer aber sind die anderen Recken, der hier grämlich und grimmig von Angesicht, und der junge Held hochgemut, als gehöre ihm ein Königreich?“ - „Deines Grußes bin ich froh, vieledle Königin“, sagte Gunther, „und bin dir dafür zu Diensten bereit. Der ältere Recke ist der starke Hagen von Tronje, mein Oheim, und der junge sein Bruder Dankwart, ein nicht minder guter Kämpfer.“ - „So wollt ihr“, sprach Brünhild lachend, „zu Dritt durch Kampfspiel um die eine Jungfrau werben? Das ist nicht Brauch in diesen Landen.“ - „Ich Einer nur bin Kämpfer“, versetzte der König, „nur ich werbe um den köstlichen Preis.“ - „Wohlan“, sagte die Frau, „der Platz ist offen, bereite dich zum Spiel.“
Man führte die Recken in den Burghof, wo ein weiter Raum durch Schranken abgetrennt war. Ihn umstanden die Dienstmannen der Königin, alle wohlgewappnet. Einer derselben verkündigte mit lauter Stimme: „Wenn ein edelgeborener Kämpfer mit der Königin das dreifache Spiel zu spielen wagt und den Sieg gewinnt, dann wird sie samt dem Reich von Isenland ihm zu eigen. Wenn er aber in einem Kampf sieglos bleibt, dann ist er ihr mit Haupt und Gut verfallen.“ Vier Knechte schleppten jetzt mit Mühe den Stein in die Schranken, den die Kämpfer stoßen sollten. Er war groß und schwer wie ein Mühlstein. Drei andere Männer trugen den gewaltigen Speer, den die Jungfrau zu schleudern pflegte. „Wenn das höllische Weib mit solchem Spielzeug spielt“, sagte Hagen, „so ist sie des Teufels Braut und wird nimmer ein Menschenkind lieben.“
Als der starke Hagen · den Schild hertragen sah,
In grimmigem Mute · sprach der Tronjer da:
„Wie nun, König Gunther? · An Leben geht's und Leib:
Die ihr begehrt zu minnen · die ist ein teuflisches Weib.“
(Nibelungenlied, Das Heldenbuch, Band 2, Simrock, 1864)
„Hätten wir nur unsere Waffen“, rief Dankwart, „dann würden weder der König noch wir unser Leben hier lassen.” - „Wir werden alle wohl genesen“, sagte Siegfried, „seit nur guten Mutes, König Gunther! Ich hole vom Schiff die Tarnkappe und stehe dir in Treue als dein Geselle zur Seite, ohne dass man es wahrnimmt.“ Er eilte fort, während alles Volk nach der Königin blickte, die umgeben von schönen Frauen und Hofmännern in glänzender Rüstung daherschritt. Ihr Helm leuchtete von edlem Gestein, so auch ihr Brustpanzer (die Brünne) und der schwere Eisenschild, den sie freudig wie zum gewissen Sieg am Arm trug. „Ist es auch recht, Frau Königin“, fragte Hagen, „dass deine Mannen in Waffen stehen und wir ohne?“ - „Man bringe den Recken ihr Rüstzeug!“, befahl Brünhild: „Aber sie müssen doch ihr Leben hier verlieren. Seht dort den Mann, der eure Häupter fällen wird, wenn ich wie immer im Wettkampf siegreich sein werde.“ Die Helden blickten nach der Richtung, wohin sie deutete, und gewahrten einen Mann in blutrotem Gewand, der ein blinkendes, scharf geschliffenes Beil in der Hand trug. Sie schauderten. Als man aber ihr Rüstzeug brachte und sie gewappnet standen, waren sie getröstet, und der unverzagte Dankwart rief dem Mann im roten Gewand zu, er solle sein Beil wohl schärfen, dass es durch Stahlringe schneide, sonst werde er ihm sein eigenes Haupt mit dem Schwert abhauen. Auch der König forderte jetzt laut und fest zum Beginn des Spieles auf, denn er merkte, dass sein Geselle Siegfried unsichtbar neben ihm stand.
„Es kümmert mich so wenig, · ob sie gewaffnet sind,
Als ob sie bloß da stünden“, · so sprach das Königskind.
„Ich fürchte Niemands Stärke, · den ich noch je gekannt:
Ich mag auch wohl genesen · im Streit vor des Königs Hand.“
Trompetenschmettern und Paukenwirbel gaben das Zeichen zum Beginn des Spieles auf Leben und Sterben. Brünhild trat an den Stein, ergriff und hob ihn mit beiden Händen und stieß ihn kräftig, dass er sechs Klafter (über 10m) weit flog. Darauf schwang sie sich ihm nach, leicht, wie ein Vogel fliegt, mit einem Sprung, dass die Spitze ihres Fußes den Stein berührte. Lauter Beifallruf der Menge begrüßte die königliche Kämpferin. Dann folgte lautlose Stille, denn Gunther trat vor. Von Siegfrieds Kraft gestützt erhob er den Stein, wiegte ihn mit einer Hand hin und her und stieß ihn mächtig noch eine Klafter über den Wurf der Königin. Freilich führte seine Hand ein viel kräftigerer Mann, und der trug ihn auch im Sprung, gleich wie der starke Aar (Adler) seine Beute, bis über den gestoßenen Stein, wo er nun als Sieger vor der staunenden Menge stand. „Heil dem König Gunther!“, rief Dankwart, der junge Held, aber niemand stimmte in den frohlockenden Ruf ein, denn Brünhild erhob sich zornfunkelnden Blickes und fasste den gewaltigen Speer mit der scharfen Stahlspitze. „Nun bewahre deinen Leib, stolzer König!“, rief sie und schwang den Speer so mächtig, dass er krachend den Schildrand durchbrach und auch den Mann trotz der Rüstung gefällt hätte, wäre nicht der wunderkühne Held sein Helfer gewesen. Der aber wandte den Rand seitwärts, dass die tödliche Spitze unschädlich vorüberglitt, riss dann den Schaft aus dem zerborstenen Schild, kehrte ihn um, dass das stumpfe Ende der Kämpferin zugewendet war, und schleuderte ihn, Gunthers Hand führend, mit Macht auf die streitbare Jungfrau. Die Königin taumelte rückwärts und tat einen harten Fall, so dass die Ringe der Rüstung hell klirrten.
Das Spiel war zu Ende, und der Sieg gewonnen. Brünhild erhob sich, sie stand in ruhiger Haltung vor dem Volk, aber wer in ihre verschlossene Brust hätte blicken können, der würde gesehen haben, wie sich Scham, Zorn und wilde Begierde nach Rache gleich giftigen Nattern darin aufbäumten, um zerstörend hervorzubrechen. Sie berief ihre Dienstmannen und forderte sie auf, dem König Gunther, der nun auch ihr König sei, ihren Dienst zu beweisen. Sie entsendete Eilboten durch ganz Isenland zu den Vögten und Burgmannen, dass sie binnen drei Tagen nach Isenstein fahren und ihrem neuen Oberherrn den Eid leisten sollten. Sie bat die Recken, bis zu dieser Frist als Gäste auf der Burg Herberge zu nehmen. Weiter fragte sie nach dem Nibelungenhelden, und als dieser jetzt herzutrat, antwortete Hagen, er habe nach dem Boot und den Bootsleuten gesehen. Darauf meinte sie, er sei ein ungetreuer Dienstmann, weil er es gering geachtet habe, bei dem Kampf seines Herrn gegenwärtig zu sein. „Ich hätte nicht geglaubt“, fügte sie hinzu, „dass in allen Landen noch so ein kühner Mann wäre, wie der Held von Niederland, wenn nicht ein heimliches Zauberwerk bei dem Spiel geschehen ist. Dessen werde ich in kurzer Frist wohl kundig werden.“
Ein Gastmahl war im Saal bereitet. Da saßen die Gäste, tranken edlen Wein mit den heldenhaften Burgmännern, und schöne Frauen füllten und reichten die Becher. Doch die Königin war nicht beim Mahl der Helden. Gunther schien bald heiteren, bald trüben Mutes, denn er schämte sich des Sieges durch fremde Hand und freute sich auch wieder der erworbenen Jungfrau. Hagen leerte manchen Becher, aber redete wenig und blickte oft recht grimmig drein, wenn die schmausenden und trinkenden Recken lachten und Kurzweil trieben. In später Nacht wurden die Helden vom Rhein in ihr gemeinsames Gemach geleitet. Als sie unbesorgt ihr Lager bestiegen, mahnte Hagen, der Waffen wahrzunehmen, weil es ihn bedünke, die Königin habe einen üblen Rat im Sinne. Sie habe die Vögte mit ihren Mannen entboten, um sie, die Recken vom Rhein, zu fangen und dem roten Mann mit dem Beil zu übergeben. Es war übelgetan, dass sie nicht tausend gerüstete Burgunden zur Fahrt aufgeboten hätten. Diese Rede machte den Recken Sorgen. Da rief der kühne Siegfried, er wolle gar bald ein Heer tüchtiger Nibelungen herbeiführen, und ging noch in der Nacht zu dem Schiff am Meeresstrand. Die Taue wurden gelöst, das Fahrzeug flog, von günstigem Wind und dem kräftigen Ruderschlage Siegfrieds gefördert, über die tanzenden Wellen dem Nibelungenland zu. Schon in der folgenden Nacht erreichte man daselbst eine Bucht, und der Held eilte sogleich nach der Burg. Er fand sie wohl bewahrt, denn der Pförtner, ein ungefüger Riese, griff ihn mit seiner Stange an, als er Einlass begehrte. Seine gewaltigen Schläge weckten den Zwerg Alberich, des Hortes Hüter, der sofort gleichfalls den Recken anging. Siegfried bezwang beide, ohne ihnen ein Leid zuzufügen. Nun erst gab er sich zu erkennen, freute sich ihrer Treue und hieß sie tausend wohlgerüstete Burgmannen aussenden, die mit ihm nach Isenland fahren sollten. Die dienstbaren Männer taten nach seinem Gebot. In kurzer Frist war die stattliche Mannschaft auf den schleunigst hergerichteten Schiffen und schwamm über die wogende See.
Von dannen ging da Siegfried · zum Hafen an den Strand
In seiner Tarnkappe · wo er ein Schifflein fand.
Darin stand verborgen · König Siegmunds Kind:
Er führt' es bald von dannen · als ob es wehte der Wind.
Den Steuermann sah niemand · wie schnell das Schifflein floss
Von Siegfriedens Kräften · die waren also groß.
Da wähnten sie, es trieb' es · ein eigner starker Wind:
Nein, es führt' es Siegfried · der schönen Sieglinde Kind.
Am dritten Morgen standen Gunther und Hagen harmvoll auf der Warte, denn viele der von Brünhild berufenen Vögte waren mit ihren Burgmannen schon angekommen, und finstere Blicke und heimliches Flüstern ließen den König nichts Gutes ahnen. Zu seinem Trost sah er nun die Schiffe an den Strand schwimmen, die Recken in blanken Rüstungen aussteigen und in Scharen nach der Burg ziehen. Hagen erspähte den kühnen Siegfried an der Spitze der tüchtigen Männer und meinte, nun möge ganz Isenland in Waffen stehen, sie würden doch wohl genesen. Dagegen war jetzt die Königin in Sorge, ob nicht eine feindliche Macht ihr Reich zu bezwingen gedenke. Da tröstete sie Gunther, auf den Helden von Niederland zeigend, derselbe habe nur seine königlichen Gefolgsmänner über See hergeführt, damit er, der König, seiner Ehre warten könne.
Da sprach der König vom Rheine · „Es ist mein Heergeleit,
Das ich auf der Reise · verließ von hier nicht weit:
Ich habe sie besendet · nun sind sie, Frau, gekommen.“
Der herrlichen Gäste · ward mit Züchten wahrgenommen.
Ob sich die edle Frau der Botschaft und der Gäste freute, das ist uns nicht bekannt. Indessen empfing sie das Volk willig, ließ Herberge beschaffen und bot dem kühnen Helden, der die Recken anführte, mit höflicher Sitte die Hand. Da wurde viel turniert, viel Kurzweil bei Sang und Klang getrieben und des Weines Fülle geschenkt.
In den folgenden Tagen wurde die Verwaltung des Landes geordnet. Brünhild verteilte (mit der Hilfe von Dankwart) viele Gaben, Gewänder, Rüstzeug, Rosse und Kleinodien unter die, welche daran Mangel hatten. Als sie endlich Abschied von Land und Leuten nahm und einen werten Mann, ihrer Mutter Bruder, zum Reichsverwalter bestellte, da war viel Weinens unter dem Volk, und sie selbst war nicht frohen Mutes, denn sie wähnte, sie werde niemals die liebe Heimat wiedersehen. Indessen drängte Gunther zur Abfahrt, denn er wollte zu Worms fröhliche Hochzeit feiern.
Wie begrüßten die Recken nach glücklicher Fahrt den schönen Rhein, seinen Wonnegau, die Höfe und stolzen Burgen, die Rebengelände und schattigen Haine! Es wollte sie bedünken, dass es kein besseres Land in der weiten Welt gebe, als das Rheinland. Sie ritten wegen der großen Menge der Reisenden langsam dem Strom entlang. Deswegen dünkte es dem König gut, einen Recken vorauszusenden, der den Frauen und Verwandten tröstliche Botschaft und den werten Gästen festlichen Empfang bereite. Er wandte sich deshalb an Hagen, aber der entschuldigte sich, weil er nicht zierlich, wie geziemend, mit edlen Frauen zu reden verstehe. Er wies ihn vielmehr an Siegfried, der solcher Dinge wohl kundig sei. Freudig übernahm der Nibelungenheld die Botschaft, denn ihm dünkte die Fahrt schon lange zu säumig, da er gerne Tag und Nacht geritten wäre, um die liebliche Jungfrau zu Worms wiederzusehen.
Er nahm daher Abschied und trabte fort, ohne auf dem Weg länger zu rasten, als es sein edles Ross bedurfte. Anfangs erregte seine Ankunft viel Kummer, da man sorgte, seine Gesellen seien alle in dem fernen Land erschlagen worden. Als er aber von dem glücklichen Erfolg der Fahrt berichtete, da war große Freude. Der junge Giselher, dem er zuerst begegnete, stürmte voraus zu den Frauen. „Mutter, liebe Schwester, gebt dem Boten reichlich Botenbrot, denn er bringt Kunde, dass die Recken alle heil und frohen Mutes sind, dass sie die stolze Brünhild mit sich führen, die künftig Königin in Burgund sein wird.“ Er hatte kaum diese Rede getan, so trat auch Siegfried ein. Glühend vor Freude und Liebe kam ihm Kriemhild entgegen. „Sei willkommen, Herr Siegfried!“, sagte sie: „Was soll ich dir als Botenbrot reichen, da du selbst gar reich bist?“ - „Ach, Schwester“, rief Giselher, „gib ihm einen Kuss, das wird ihm als ein reichliches Botenbrot dünken.“ Da erglühte die Jungfrau noch mehr, aber weigerte sich nicht, dem Bruder Folge zu leisten.
Nachdem der erste Freudenrausch vorüber war, rüstete man sich zum Empfang der hohen Gäste. Burgmänner und edle Recken wurden entboten. Die Frauen wählten ihre schönsten Gewänder und den reichsten Schmuck für den folgenden Tag, an welchem Gunther mit seiner königlichen Braut erwartet wurde. Wächter waren auf den Türmen bestellt, um kundzutun, wenn sie des stattlichen Zuges gewahr würden. Man harrte den ganzen Tag, und endlich, als sich schon die Abendsonne im Rhein spiegelte, tönten auf allen Türmen die Hörner der Wächter. Sofort setzten sich die edlen Recken samt ihren Dienstmannen in Bewegung, in ihrer Mitte auf stolzen, reichverzierten Rossen Frau Ute und ihre blühende Tochter nebst ihren Dienerinnen und den Helden Ortwin, Gere und anderen. Neben Kriemhild aber ritt der kühne Held von Niederland, wohl erkennbar an seiner strahlenden Rüstung und den leuchtenden Augen, die gleich Sternen unter dem Helm hervorblitzten. Viele Boote standen jenseits des Stromes in Bereitschaft, den König und das Heer überzusetzen. Als sie ans Land stiegen, da war des Grüßens und Küssens kein Ende. Frau Ute erkannte sogleich die Königin Brünhild an ihrer hohen Gestalt und ihrer kühnen Haltung. Sie umarmte dieselbe als werte Tochter, und auch Kriemhild küsste sie freundlich und versprach ihr, eine treue Schwester zu sein. Brünhild sah die bescheidene, liebliche Jungfrau mit Freuden an, erwiderte ihren Kuss und gelobte auch ihr Freundschaft und herzliche Liebe. So standen beide Frauen Arm in Arm beieinander, die eine groß, schön, geheimnisvoll wie eine Sternennacht, und die andere heiter, blühend, der Liebe bedürftig und Liebe gebend, wie ein schöner Maimorgen. Man wusste nicht, wem man den Vorzug geben sollte. Aber Siegfried wusste es wohl und blieb auf dem Rückweg stets an der Seite der auserwählten Jungfrau und tauschte mit ihr bald scherzende, bald auch ernste Reden.
Die Königshalle war festlich, wie ein Blumengarten, mit Lauben und duftigen Blumen geschmückt. Kränze und Girlanden umwanden die stützenden Säulen, zwischen denen die goldenen Köpfe und der Marmor der Säulenfüsse hervorleuchteten. Schon waren die Gäste darin versammelt, und Dienstleute brachten die Speisen. Da trat König Gunther vor und sprach: „Vielgeliebter Geselle Siegfried, es ist an der Zeit, dass ich dir mein gegebenes Wort einlöse, nachdem du mir, was du gelobt, in guter Treue erfüllt hast. Tritt hierher zu mir, dass die werten Gäste vernehmen, was wir reden. Auch du, Schwester Kriemhild, verweigere nicht, vor mir zu stehen.“ Als die Beiden nach seinen Worten getan hatten, fuhr er fort: „Begehrst du, lieber Geselle, meine Schwester zur Ehegenossin und willst du sie in Zucht und Ehren als solche haben?“ - Der Held antwortete mit einem lauten und freudigen „Ja“. Darauf redete der König in ähnlicher Weise zu Kriemhild. Ein glühendes Rot überzog ihre Wangen, sie schlug die Augen nieder und lispelte ein leises „Ja“. „Nun“, sagte Gunther, „so sollt ihr morgen Hochzeit feiern mit mir und meiner königlichen Braut Brünhild, sofern nicht Mutter Ute dagegen Einrede erhebt.“ Statt der Antwort umarmte die gute Frau beide Brautleute und wünschte ihnen des Himmels Segen zu ihrer Vereinigung.
Bei dem Gastmahl saß Brünhild kalt, wie Marmor, an Gunthers Seite. Und freundlich kosend, oft einen Händedruck erwidernd, saß Kriemhild neben ihrem Verlobten. „König der Burgunden“, sagte Brünhild zu Gunther, „mich wundert, dass du die Schwester einem Dienstmann von dir zu geben gedenkst, dieweil sie doch des reichsten Königs würdig wäre.” - „Rede nicht so“, versetzte der König, „Siegfried ist so gut ein König, wie ich selbst, denn er ist König der Nibelungen, und ihm wird einst nach dem Tod seines Vaters Sigmund ganz Niederland untertan sein.“ - „Das ist eine sehr wunderliche Geschichte“, fuhr sie fort, „hat er sich doch selbst als ein Dienstmann von dir bekannt.“ - „Ich will dir später darüber alles sagen“, schloss er seine Rede, „aber jetzt sprich davon nicht weiter.“
Am folgenden Tag wurde die doppelte Hochzeit gefeiert. Frau Ute führte auch ihre Schwiegertochter durch die Hallen des Palastes, zeigte ihr die reichen Schätze, die sie nun ihr eigen nennen, die Gemächer, die sie forthin bewohnen sollte. Da waren Spiegel aus venezianischem Glas, kristallene Vasen, samtweiche Ruhebetten, Vorhänge von roter und blauer Seide und viel anderes köstliches Gerät. „Das Alles ist dein eigen“, sagte die alte Königin, „du kannst darüber schalten und walten, wie es dich gelüstet.“ - „Ja, Mutter Ute“, antwortete die junge Frau, „die Burgunden sind reich an Habe, und groß ist ihre Macht. Aber sie sind arm an klugem Rat und schwach zur Tat, sonst wäre König Gunther nimmer nach Isenland gekommen.“ Ohne eine Antwort zu erwarten schritt sie weiter.
Das Gastmahl war zu Ende, und die Nacht schon lange angebrochen. Die Gäste suchten ihre Herberge auf. Das tat auch Gunther mit seiner Königin. Als er an ihr Gemach gelangte, vertrat sie ihm den Weg, indem sie sagte: „Hier ist nicht deine Herberge, du kannst wohl im Palast eine bessere finden. Denn hättest du deinen Willen, dann würde ich meine große Kraft nicht bewahren.“ Indessen ließ er sich durch Worte nicht abwehren. Er wurde vielmehr dringender und suchte sich mit Gewalt Einlass in das Gemach zu verschaffen. Es begann ein gewaltiges Ringen, aber sie wurde in kurzer Frist sein Meister, band ihm mit ihrem Gürtel, einer starken Borte, Hände und Füße und ließ ihn also vor der Pforte liegen. Da hatte er nun die lange Nacht hindurch übles Gemach.
Im weißen Linnenhemde · ging sie ins Bett hinein.
Der edle Ritter dachte · „Nun ist das alles mein,
Wes mich je verlangte · in allen meinen Tagen.“
Sie musst' ob ihrer Schöne · mit großem Recht ihm behagen.
…
Sie sprach: „Edler Ritter · lasst euch das vergehn:
Was ihr da habt im Sinne · das kann nicht geschehn.
Ich will noch Jungfrau bleiben · Herr König, merkt euch das,
Bis ich die Mär' erfahre“ · Da fasste Gunther ihr Hass.
Er rang nach ihrer Minne · und zerrauft' ihr Kleid.
Da griff nach einem Gürtel · die herrliche Maid,
Einer starken Borte · die sie um sich trug:
Da tat sie dem König · großen Leides genug.
Die Füß' und die Hände · sie ihm zusammenband,
Zu einem Nagel trug sie ihn · und hing ihn an die Wand,
Als er im Schlaf sie störte · sein Minnen sie verbot.
Von ihrer Stärke hätt' er · beinah' gewonnen den Tod.
Da begann zu flehen · der Meister sollte sein:
„Nun löst mir die Bande · viel edle Fraue mein.
Ich getrau' euch, schöne Herrin · doch nimmer obzusiegen
Und will auch wahrlich selten · mehr so nahe bei euch liegen.“
Sie frug nicht, wie ihm wäre · da sie in Ruhe lag.
Dort muss' er hangen bleiben · die Nacht bis an den Tag,
Bis der lichte Morgen · durchs Fenster warf den Schein:
Hatt' er je Kraft besessen · die ward an seinem Leibe klein.
Als am Morgen schon die Dienstleute geschäftig waren, löste die stolze Königin dem Gemahl die Fessel, hieß ihn nun der Ruhe pflegen und nimmer wieder einen Versuch zu machen, wie er es in der Nacht getan habe. Den ganzen Tag über war Gunther nicht frohen Mutes, wie Siegfried und die anderen Gäste. Er blickte fast mit Grauen auf die ihm vermählte Königin und verließ oftmals das Gelage, um im Garten allein zu wandeln. Da begegnete ihm der Held von Niederland und forschte, warum er so unfrohen Mutes sei. Als er die seltsame Geschichte vernommen hatte, rief er: „Sei nur getrost, lieber Geselle! Haben wir die hochgemute Frau im Kampfspiel bezwungen, so wähne ich, wir werden auch die verschlossene Pforte sprengen, dass du Einlass findest. Zur Nacht, wenn du die Königin in ihr Gemach geleitest, folge ich euch nach, in meine Tarnkappe gehüllt. Dann lösche die Kerze aus, dass ich an deine Stelle treten kann, und nun soll sie an mir ihre große Kraft versuchen.“ - „Ach, guter Geselle“, sprach Gunther, „ich habe Sorge um dein Leben. Wir haben übelgetan, sie von Isenland an den heiteren Rhein zu führen, die Höllenbraut, wie Hagen sagt, die von höllischen Geistern so große Kräfte gewonnen hat.” - „Und wenn ein Höllengeist selber in ihr Herberge genommen hat, so will ich ihn doch bestehen, und ich wähne, dass ich seiner wohl mächtig werde. Heute Nacht bin ich in der Tarnkappe dir nahe.“
Die Könige gingen wieder zum Gelage, Siegfried, wie immer, frohen Mutes, Gunther von mancherlei Sorgen belastet. Als Mitternacht zur Ruhe einlud, schritt er mit Brünhild, wie am vorigen Abend, ins Gemach, löschte wie verabredet die Kerze und merkte alsbald, dass der hilfreiche Held an seine Stelle trat. Siegfried drängte kühn, ohne die Drohung der Frau zu beachten, nach dem Eingang. Sie fasste ihn mit großer Gewalt, stieß ihn zwischen die Wand und einen Schrein und versuchte ihn, gleichwie vorher Gunther, mit ihrem Gürtel zu binden. Sie drückte seine Hände, dass Blut unter den Nägeln hervorquoll. Solches Raufen und Ringen zwischen einem Recken und einer Jungfrau war noch nie geschehen. Indessen gebrauchte er seine ganze Heldenkraft und presste sie in einen Winkel, dass ihr alle Glieder zu brechen drohten. Da bat sie ächzend und stöhnend, er möge ihr nur das Leben lassen, sie wolle hinfort in Treue nach seinem Willen tun. Sobald der Held von Niederland dies hörte, schlich er leisen Schrittes fort und überließ Gunther das ihm gebührende Recht.
„Wenn du sie nicht minnest“ · der König sprach da so,
„Meine liebe Fraue · des andern bin ich froh;
Was du auch tust und nähmst du · Leben ihr und Leib,
Das wollt' ich wohl verschmerzen · sie ist ein schreckliches Weib.“
„Das nehm' ich,“ sprach da Siegfried · „auf die Treue mein,
Dass ich sie nicht berühre. - Die liebe Schwester dein
Geht mir über alle · die ich jemals sah.“
Wohl glaubte König Gunther · der Rede Siegfriedens da.
…
Da legte sich Siegfried · der Königin bei.
Sie sprach: „Nun lasst es, Gunther · wie lieb es euch auch sei,
Dass ihr nicht Not erleidet · heute so wie eh.“
Nicht lang, so tat die Fraue · dem kühnen Siegfried ein Weh'.
…
Er stellte sich, als wär' er · Gunther der König reich;
Er umschloss mit Armen · das Mägdlein ohne Gleich'.
Sie warf ihn aus dem Bette · dabei auf eine Bank,
Dass laut an einem Schemel · ihm das Haupt davon erklang.
Wieder auf mit Kräften · sprang der kühne Mann,
Es besser zu versuchen · wie er das begann,
Dass er sie zwingen wollte · da widerfuhr ihm Weh.
Ich glaube nicht, dass solche Wehr · von Frauen je wieder gescheh'.
Da er's nicht lassen wollte · das Mägdlein aufsprang:
„Euch ziemt nicht zu zerraufen · mein Hemd also blank.
Ihr seid ungezogen · das wird euch noch leid.
Des bring' ich euch wohl inne“ · sprach die weidliche Maid.
Sie umschloss mit den Armen · den teuerlichen Degen (Helden)
Und wollt' ihn auch in Bande · wie den König legen,
Dass sie im Bette läge · mit Gemächlichkeit.
Wie grimmig sie das rächte · dass er zerzerret ihr Kleid!
…
Da griff sie nach der Hüfte · wo sie die Borte fand,
Und dacht' ihn zu binden · doch wehrt' es seine Hand,
Dass ihr die Glieder krachten · dazu der ganze Leib.
Da war der Streit zu Ende · da wurde sie Gunthers Weib.
Sie sprach: „Edler König · nimm mir das Leben nicht:
Was ich dir tat zuleide · vergüt' ich dir nach Pflicht.
Ich wehre mich nicht wieder · der edlen Minne dein:
Ich hab' es wohl erfahren · dass du magst Frauen Meister sein.“
Aufstand da Siegfried · liegen blieb die Maid,
Als dächt' er abzuwerfen · eben nur das Kleid.
Er zog ihr vom Finger · ein Ringlein von Gold,
Dass es nicht gewahrte · die edle Königin hold.
Auch nahm er ihren Gürtel · eine Borte gut.
Ich weiß nicht, geschah es · aus hohem Übermut?
Er gab ihn seinem Weibe · das ward ihm später leid.
Da lagen beieinander · der König und die schöne Maid.
Er pflag der Frauen minniglich · wie es geziemend war:
Scham und Zorn verschmerzen · musste sie da gar.
Von seinen Heimlichkeiten · ihre lichte Farb' erblich.
Hei! wie von der Minne · die große Kraft ihr entwich!
Das Fest währte noch acht Tage, dann nahmen die Gäste Abschied und gingen reich beschenkt. Auch Siegfried schickte sich mit seiner Frau zur Abfahrt an. Er sollte, wie der junge Giselher anbot und Kriemhild wünschte, die königlichen Schätze mit den Schwägern teilen, aber er schlug es aus, weil ihm der unerschöpfliche Nibelungenschatz zu eigen war. Bei der Abreise begleiteten ihn eine weite Strecke die drei Könige mit vielen Recken und Knappen, so dass man schier meinte, es gelte eine Heerfahrt in Feindesland. An der Stätte, wo man sich scheiden wollte, lagerte sich das ganze Heer. Da speisten und tranken noch einmal die Freunde zusammen, und Volker nebst anderen Spielleuten sangen zum Saitenklang vom Rhein und seinen Bergen und Rebenhügeln. „Hei, wie sie gleich Kindern weinen, sich küssen und umarmen!“, so murmelte Hagen für sich, als er sah, wie die Freunde Abschied voneinander nahmen. „Schau, Volker“, sagte er zu seinem Gesellen, „es ist doch nur ein Kinderspiel. Denn wenn sie einmal in Zorn und Hass gerieten, würden sie einander morden wie giftige Schlangen, und wir täten auch so, wenn es die Nornen (Schicksalsgöttinnen) fügen sollten, wie man vor Zeiten zu sagen pflegte.“ Volker strich mächtig die Saiten und sang:
War einst ein Fiedeleur,
Ein Mann bieder und klug,
Der sprach: Gesell‘, ich schwör
Dir Treue ohne Trug.
„Wahrlich“, sagte Hagen, „solche Fiedeleure (Geigenspieler) gibt es nicht viele in der Welt.“ Posaunen und Trompeten unterbrachen das Zwiegespräch, die den Aufbruch verkündigten. „Fahre glücklich!“, rief Gunther, noch einmal seiner Schwester die Hand reichend: „Es begleiten dich zweiunddreißig edle Jungfrauen aus Burgundenland, welche dich immer an die alte Heimat erinnern. Auch gebe ich dir hundert bewaffnete Knechte als würdiges Gefolge mit, und Oheim Hagen wird Befehl über sie führen.“ Der Recke, der diese Rede hörte, erhob sich voller Unmut und sprach: „Wir Tronjer sind nimmer Weiberknechte gewesen. Wenn Gunther solcher bedarf, so suche er sie anderwärts. Die Tronjer sind nur dem König in Burgund zum Dienst bereit und seiner Königin. Diesem Geschäft wird auch der Letzte des Geschlechts in guter Treue mit Schwert und Speer dienen, wie, wo und wann der König begehrt. Doch anderen Diensten verweigert er sich.“ Der König schwieg betroffen. Daher nahm Siegfried das Wort. „Bleibe fein daheim, guter Geselle“, sagte er, „da magst du bei Schmaus und Trank gut Gemach haben. Draußen in der Fremde könntest du Schaden nehmen. An deiner Stelle wird der tüchtige Held Eckewart wohl zum Dienst für die Schwester seines Herrn bereit sein.“ Der genannte Recke übernahm freudig das übertragene Amt, und darauf schieden sich die Gäste von ihren Gastgebern und ritten ihres Weges.
Es war ein schöner Tag, als die Reisenden zu Xanten unfern vom Niederrhein angelangten. Vorausgesandte Boten hatten ihre Ankunft gemeldet. Daher waren die ganze Stadt, viel Landvolk und vor allem König Sigmund, der greise Held, und die gute Frau Sieglinde zum Empfang der werten Gäste vorbereitet. Wie umarmten die alten Leute den Sohn und die schöne Tochter! Wie freuten sie sich, dass nun alle Sorge um den Liebling vorüber, dass er nun mit großen Ehren zurückgekehrt war! Der König rief alsbald die Vasallen des Reichs und setzte unter dem Jubel des Volkes dem würdigen Sohn die Krone auf das Haupt. Gleiches tat die Königin mit Kriemhild, und die Hof- und Burgmänner riefen laut: „Heil unserem jungen, ruhmvollen König und seiner Königin! Mögen sie lange und glücklich, gleich ihren Ahnen, ihrem Amt dienen!“ Was alles Volk wünschte, schien in Erfüllung zu gehen, denn manches Jahr floss dahin, ohne dass sich ein Unglück ereignete. Frau Sieglinde hatte noch die Freude, einen Enkel auf ihren Armen zu wiegen, dem dessen Vater den Namen Gunther gab, zu Ehren seines Schwagers am Rhein, gleichwie auch dieser ein Knäblein, das ihm Brünhild schenkte, Siegfried genannt hatte. Doch nicht lange genoss die alte Königin diese Freude, denn sie erkrankte und starb, was die häusliche Zufriedenheit störte. Dagegen herrschte im Reich fortwährend Frieden, denn kein feindlicher Nachbar, noch Raubvolk, noch übelgesinnter Vasall wagte gegen den Herrn der Nibelungen, den Überwinder des höllischen Drachen, den Schild zu erheben.
Es mochten wohl acht Jahre vergangen sein, da kam die Botschaft von Burgund, welche die Könige und alle ihre Verwandten zum Fest der Sommersonnenwende einlud. Die Boten sagten aus, man gedenke das Fest gar herrlich zu feiern und wünsche dabei die lieben Freunde und Verwandten, die so lange in der Ferne weilten, gegenwärtig zu sehen. „Habt reichlich Botenbrot verdient, ihr Männer vom Rhein“, sprach Siegfried, als er die Botschaft hörte, „wir selbst, meine Frau Kriemhild und ich, gedachten schon oftmals zu den Burgunden zu fahren, und das soll nun sicherlich geschehen.“ Da war auch Vater Sigmund zur Hand und sagte, er wolle auch mitfahren und hoffe zu Worms noch manchen biederen Recken zu finden, mit dem er von den alten Zeiten und bestandenen Kämpfen plaudern könne. Nachdem man dies alles besprochen hatte, rüstete man sich zur Fahrt nach dem Rhein.
„König Gunther“, sprach eines Tages Brünhild zu ihrem Gemahl, „warum kommt dein Schwager Siegfried nicht gleich anderen untertänigen Fürsten an unseren Hof? Ich sähe ihn gern hier und auch seine Ehefrau Kriemhild, deine Schwester. Gebiete ihnen, dass sie zu Hofe fahren!“ - „Ich sagte dir schon“, antwortete der König, „der Schwager ist wie ich ein mächtiger König, Oberhaupt der Nibelungen und nun auch von Niederland.“ - Sie sprach: „Hörte ich ihn doch in Isenland selbst bekennen, er sei dein Dienstmann. Wirst du solches leugnen?“ - „Das geschah nur zum Schein, um meine Werbung zu fördern“, versetzte er unmutig. - „Du leugnest es nur“, versetzte sie, „um deine Schwester hoch zu stellen. Aber ich will die beiden wieder an unserem Hofe sehen.“ - „Wohl“, sprach er begütigend, „ich werde Boten senden, welche unsere lieben Verwanden zum Fest der Sommersonnenwende berufen, was sie nicht verweigern werden.“ Er ging und tat, wie versprochen. Brünhild blieb allein zurück und dachte bei sich: „Da wandelt er hin, der Mann, der einst so kraftvollen Jungfrau, die gewähnt hatte, der Schlachten Ausgang zu entscheiden, wie die Walküren zu der Väter Zeit. Und er, ein schwankendes Schilfrohr, das jeder Lufthauch hin und her bewegt! Hei, wie Siegfried hervorragt, ein Held, dem die Welt gehört! Aber ein höriger Mann! Freilich, der durfte niemals die Augen zur Königin von Isenland erheben, und sie hätte ihn verschmäht und würde ihn noch zu dieser Stunde verschmähen.“
Die werten Gäste von Niederland kamen zum Fest der Sommersonnenwende und wurden mit Freuden empfangen. Da war der Gelage, Turniere, festlichen Umzüge und des Sanges und Saitenklanges kein Ende. Der greise Sigmund wurde, wie er gesagt hatte, wieder jung, wenn er von seinen Kämpfen erzählte und mit Frau Ute, die er schon als Jungfrau gekannt hatte, von der guten alten Zeit redselig plauderte. Die jungen Königinnen sah man allezeit zusammen. Sie gingen Arm in Arm in die Kirche, zum Festmahl oder zum Schauen, wenn die kühnen Recken im Turnierspiel ihre Kräfte versuchten. Nur zum Jagen begleitete Kriemhild ihre Schwägerin nicht, denn sie konnte es nicht mit ansehen, wenn das scheue Wild von den Hunden gehetzt und den Recken mit Speeren erlegt wurde.
Einstmals schaute sie vom Söller herab mit Brünhild dem Wettkampf zu, wo Siegfried im Stoßen des Steins, im Speerwurf, im Sprung und Lauf die anderen Recken weit übertraf. Da sprach sie in der Freude ihres Herzens: „Hei, wie mein Siegfried so herrlich unter den Recken steht, gleich wie der Mond unter den bleichen Sternen! Seine Augen strahlen wie Sonnenlicht, sein edles Haupt, seine kraftvolle Gestalt verrät den königlichen Helden.“ - „Wohl verdient er dein Lob“, versetzte Brünhild, „doch muss er meinem Mann weichen.“ - „Auf Treue“, antwortete Kriemhild, „mein Bruder ist ein kühner Held, aber im Kampfspiel kann er meinem Gemahl nicht gleichen.“ - „Wie“, sprach Brünhild, „hat er nicht den Preis auf Isenstein erworben, wo Siegfried lieber zum Schiff ging?“ - „Willst du den Nibelungenhelden, den Überwinder des höllischen Drachen, der Feigheit bezichtigen?“, rief die junge Frau mit Unmut. - „Er muss vor dem König der Burgunden weit zurückstehen“, antwortete Brünhild, „denn er ist ein Dienstmann meines Ehegemahls.“ - „Du lügst, stolzes Weib!“, fuhr Kriemhild vor Unwillen erglühend, auf: „Du lügst aus Übermut! Wie hätte mein Bruder mich einem hörigen Mann gegeben! Siegfried ist freier König von Nibelungen und Niederland. Das eine Reich hat er mit seiner Hand erworben, das andere ererbt, und ich, seine Königin, darf das Haupt so hoch tragen, wie du selbst.“ - „Wage es nur, schwatzhaftes Weib eines Dienstmannes! Ich werde vor dir in die Kirche gehen.“ Mit diesen Worten verließ Brünhild den Söller.
„Dienstmann! Mein geliebter, in allen Landen gefeierter Gatte ein Dienstmann! Ihn hat sie geschmäht, und sie soll dafür büßen“, sprach Kriemhild für sich. Es war das erste Weh, das die sonst arglose und harmlose Frau traf, und das konnte sie nicht verwinden. Sie begab sich in ihre Gemächer, legte ihre kostbarsten Gewänder an, fügte funkelndes Geschmeide hinzu, das dem Nibelungenschatz entnommen war, und schritt mit zahlreichem Gefolge von Frauen, Jungfrauen und Dienstmannen zur Kirche. Da stand schon Brünhild mit Gefolge, ihrer wartend. Sie wollte schweigend an der stolzen Frau vorübergehen, aber diese rief ihr zu: „Harre hier, Frau des Dienstmannes, bis deine Königin hineingegangen ist!“ - „Hättest du geschwiegen“, sprach Kriemhild, es wäre dir besser gewesen, denn die Frau eines Königs geht doch wohl einer Kebse (Nebenfrau des Königs) voran.” - „Bist du des Witzes bar worden?“, entgegnete Brünhild, „Wen willst du hier zur Kebse machen? Das sollst du gestehen!“ - „Das tue ich dir“, sprach Kriemhild, „und ich will es auch beweisen, wenn ich aus der Kirche zurück bin.“ Sie schritt an der Todfeindin vorüber in das Gotteshaus.
Brünhild, die stolze Königin, blieb weinend vor dem Eingang stehen. Scham und Zorn kämpften in ihrer Brust, dass sie kaum das Ende des Chorgesangs abwarten konnte. Endlich ging die Pforte auf und Kriemhild erschien. „Steh mir Rede!“, rief sie die Verhasste an: „Steh mir Rede, Weib eines Knechts, zu rechtfertigen die Schmähungen, die du mit giftiger Zunge gegen mich ausgestoßen hast!“ - „Weib eines Knechts“, wiederholte Kriemhild, als ob sie die anderen Worte nicht gehört hätte, „kennst du das Goldringlein an meiner Hand hier, wie eine Schlange gewunden?“ - „Hei, mein Gold“, rief Brünhild, „das ich lange vermisst habe. Nun weiß ich, wer es mir gestohlen hat.“ - „Wohl“, fuhr jene fort, „du wirst auch des Gürtels gedenken, den ich umgeschlungen habe, Seide von Ninive mit Goldbuckeln und edlem Gestein. Goldring und Gürtel entriss dir mein Mann, als er, nicht Gunther, nächtlich dich bezwang.“ - Und wie ein Held nach siegreicher Schlacht, so setzte Kriemhild ihren Weg fort.
Brünhild, die stolze Königin, blieb gebeugten Hauptes wie festgebannt an der Stelle stehen, wo sie die Schmach erlitten hatte. „Man berufe den König vom Rhein hierher“, befahl sie, „dass er vernehme, was geschehen ist, und den Übermut strafe.“ - Gunther kam sogleich und forschte, warum sie so in Trauer sei. Als er von dem Vorfall Kunde erhalten, versprach er der harmvollen Frau, er werde Siegfried rufen, um von ihm zu erfahren, ob er zu der Schmähung Anlass gegeben habe. Im Königssaal vor vielen tüchtigen Recken empfing er den Helden und gab ihm Bericht von dem Vorkommnis. Sogleich erklärte der Held in guter Treue, er habe niemals Unehrbares von der Königin geredet, und man solle nicht übeldeuten, was Weiberzungen im Zorn sprächen. Er erbot sich, durch teuren Eid seine Aussage zu bestätigen. Schon erhob er im (Gerichts-) Ring stehend die Hand zum Schwur, da sprach Gunther, er entlasse ihn des Eides, da sein gesprochenes Wort allezeit wahr und wahrhaftig sei. „So hört denn, ihr Männer von Burgunden“, sagte der Held, „dass ich ohne Schuld bin der Schmähungen, die eure Königin erduldet, dass ich sie allezeit als guter Zucht beflissen und ohne Makel gefunden habe. Du aber, lieber Geselle Gunther, erziehe dein Weib, wie ich das meine erziehen werde, damit sie zukünftig nie mehr durch klatschende Rede unseren Frieden brechen.“ Also sprach der tüchtige Held und verließ den Saal. Trotzdem meinte mancher burgundische Mann, der Königin sei schweres Leid angetan worden.
Brünhild berief folgenden Tages ihre Mägde und Knechte aus Isenland. Sie gebot ihnen, sich zur Fahrt in die Heimat zu rüsten, wozu sie auch alsbald bereit waren. Diese Geschichte wurde dem König hinterbracht. Er begab sich mit seinen Brüdern, Hagen und anderen Recken zu der Frau, die in ihrem Kummer kein Wort sprach. Er sagte ihr, wie sich der König von Niederland gerechtfertigt habe und wie nun die Schmähung seiner Ehefrau als unwahr erfunden sei. Er redete noch viel von ihrem Ruhm, der in allen Ländern verbreitet sei, und auch andere Recken versuchten sie zu trösten. Sie meinten alle, es sei eine Unehre für die Burgunden, wenn die Königin aus dem Reich entweiche, wo sie manches Jahr in Freude gewohnt und an der Seite des Königs geherrscht habe. Doch sie saß da, starren Blickes, unbewegt, stumm, wie ein steinernes Bild, das die Gläubigen um Hilfe anrufen. „Wir lassen dich nicht von hinnen fahren!“, rief der König: „Wir bieten dir jeden Preis zur Sühne der unbedachten Rede meiner Schwester. Sprich, was begehrst du?“ Sie erhob sich, blickte im Kreis herum und sprach mit hohler, unheimlicher Stimme: „Blut!“ Die Burgunden sahen einander bestürzt an, und keiner wagte das Wort zu deuten. Sie fuhr unbeirrt fort: „Nicht die Flut des Rheins, wenn ich mich hineinversenkte, wäscht den Flecken von meiner Ehre. Das tut nur eines Mannes Herzblut.“ Die Unruhe, die Bestürzung unter den Recken wurde immer größer. Da trat Hagen vor und sagte: „Sind die kühnen Burgunden altersschwach, sind sie wieder Kinder geworden! So will ich die Rede deuten. Unsere Königin begehrt Siegfrieds Herzblut! Hei, wie sie erschrecken, wie sie zurückweichen vor dem Wort!“
Da sprachen die Burgunden untereinander: „Niemand in aller Welt vermag den Nibelungenhelden zu bestehen. Wer ihn zum Kampf fordert, hat den Tod an der Hand! Und er ist der Dinge nicht schuldig, deren man ihn bezichtigen will.“ Da trat der grimmige Hagen vor Brünhild und sprach: „Frau, ich wollte nie, dass Gunther nach Isenland werben ging. Nun du aber unsere Königin bist, sollst du in Ehren bleiben, und ich will dir schaffen, was du begehrst.“ Ihm erwiderte der junge Giselher: „Übeltat für Wohltat, ist das Sitte in Burgund? Hat uns nicht Siegfried in Kampfesnot treu gedient, uns Sieg und Ruhm gebracht? Ich habe keinen Anteil an solchem Rat.“ - „Sollen wir Kuckucks-Kinder aufziehen und auf unseren Königsthron erheben?“, entgegnete Hagen: „Ich schaffe das Werk heimlich, so dass er sein Schwert Balmung nicht gegen mich schwingen kann. Und du, Volker, wirst mein Geselle sein.“ - „Dein Geselle in allen rechten Dingen“, sprach der Spielmann, „das habe ich gelobt, als wir im Mohrenland Schild an Schild kämpften. Doch zum Meucheldienst wirb dir einen anderen Gesellen.“ - „Der will ich selber sein“, sprach Ortwin der Recke: „Siegfried gab Ring und Gürtel seinem Weib, und dessen ist er schuldig, denn damit wurde unserer Königin Schmach angetan.“ - „Ich wähne das Werk ohne Helfer durchzuführen“, sagte Hagen. „Dazu will ich widerreden“, nahm Gunther das Wort, „solcher Mord ist Unehre für ganz Burgundenland, und die muss der König abwehren.“ - „König am Rhein“, rief Brünhild aufstehend, „drei Tage gebe ich Frist, dann fahre ich nach Isenland, oder du gewährst mir Sühne.“ Sie verließ die versammelten Recken, die sich noch weiter berieten. „Den Helden schädigt weder Speer noch Schwert“, meinte Markgraf Gere, „er hat sich in Drachenblut gebadet, und nur an einer Stelle, die ein Lindenblatt bedeckte, kann er verwundet werden.“ - „Wird er der Übeltat inne“, fügte Hunold, der Kämmerer, hinzu, „dann gewinnt er mit seinen tausend Nibelungen unser ganzes Reich.“ - „Ich gedenke es mit List anzurichten, dass wir alle heil bleiben und unsere Königin ihre Sühne erhält“, so sprach der grimmige Hagen. Aber der König war unsicheren Mutes. Er wollte und wollte auch nicht, und so gingen die Recken unschlüssig auseinander.
Brünhild blieb in ihrer Kammer verschlossen. Vergebens pochte Gunther an die Pforte, vergebens Kriemhild, die unter Tränen flehte, sie möge ihr Einlass gewähren, denn sie wolle ihr Unrecht vor allem Volk eingestehen. Nur der grimmige Hagen erhielt Zutritt und redete lange mit der Königin. Darauf begab er sich zu Gunther und sprach: „König am Rhein, es gibt keinen anderen Ausweg, wenn deine Königin uns erhalten bleiben soll, als dass du in meinen Rat einwilligst. Er oder ich, so sprach sie zu mir, und sie hat kühnen Mut, dass sie allezeit tut, was ihr rätlich dünkt.“ Der König schwankte noch immer. Als er aber am dritten Tag erfuhr, Brünhild rüste zur Fahrt, da willigte er in den üblen und hinterlistigen Rat seines Oheims ein.
„Nicht doch,“ sprach da Hagen · „da dürft ihr ruhig sein:
Wir leiten in der Stille · alles sorglich ein.
Brunhildens Weinen · soll ihm werden leid.
Immer sei ihm Hagen · zu Hass und Schaden bereit.“
Da sprach der König Gunther · „Wie möcht' es geschehn?“
Zur Antwort gab ihm Hagen · „Das sollt ihr bald verstehn:
Wir lassen Boten reiten · her in dieses Land,
Uns offnen Krieg zu künden · die hier niemand sind bekannt.
Dann sagt ihr vor den Gästen · ihr wollt mit euerm Lehn
Euch zur Heerfahrt rüsten · Sieht er das geschehn,
So verspricht er euch zu helfen · dann geht's ihm an den Leib,
Erfahr' ich nur die Märe · von des kühnen Recken Weib.“
Der König folgte leider · seines Dienstmanns Rat.
So huben an zu sinnen · auf Untreu und Verrat,
Eh' es wer erkannte · die Ritter auserkoren:
Durch zweier Frauen Zanken · ging da mancher Held verloren.
Da erschienen plötzlich am Hofe zu Worms Boten von Lüdegast und Lüdeger, die neue Fehde ankündigten. Beide Könige wollten mit unbezwinglichem Heer Burgund überziehen und Rache nehmen für ihre letzte Niederlage. Die Boten trugen dänische und sächsische Rüstungen, und niemand zweifelte, dass sie aus Dänen- und Sachsenland kämen. Sofort wurde beschlossen, die Dienstmannen des Reiches aufzubieten. Doch meinte Siegfried, er wolle mit den Recken am Hofe und seinen Nibelungen die feindliche Macht wohl allein bestehen.
Man bat auch die Frauen, die Streitgewänder den Helden zu bereiten, was die edle Kriemhild mit großen Sorgen tat. Sie saß bei der Arbeit traurigen Mutes. Da kam Hagen zu ihr und ihren Jungfrauen, und hieß sie getrost sein, da ja des starken Siegfrieds Leib in Drachenblut gebadet von Waffen nicht verletzt werde. „Guter Held“, sagte sie, „mein Siegfried ist so kühn, dass er mitten durch die Feinde bricht. Da könnte ihn leicht ein Speer im Sturm des Gefechtes an der einen Stelle treffen, wo er verwundbar ist.“ Da bat er sie, das Streitgewand an dieser Stelle mit einem Kreuz zu bezeichnen, und er wolle dann mit seinem Schild den Heergesellen treulich behüten. Sie versprach nach seinen Worten zu tun und stickte sofort mit Silberfäden ein Kreuzlein auf das Gewand. Indessen war ihr Kummer vergeblich, denn schon folgenden Tages erschienen andere Boten, welche aussagten, dass die Könige den gelobten Frieden zu halten gedächten, wenn man es ihnen vergönnen wolle. So war die kriegerische Rüstung unnötig geworden, und Gunther hieß statt zu der Heerfahrt die Recken zu einer großen Jagd über den Rhein nach dem Odenwald einladen, wo sich viele Raubtiere und besonders Edelwild aufhielten.
Rotglühend stieg die Sonne hinter den Bergen auf und färbte die Fluten des Rheins, dass sie wie Blut dahinrollten. Kriemhild fuhr aus dem Schlaf auf, denn sie hatte ängstliche Träume gehabt. An ihrem Lager stand Siegfried, heiter und sorgenlos, wie immer. Er wollte jagen gehen, und unten im Hof wieherten bereits die mutigen Hengste. „Siegfried“, rief sie, „geh nicht zur Jagd, nur heute nicht! Mir träumte, zwei grimmige Eber hatten dich verfolgt. Dann sah ich dich nicht mehr, sondern einen Strom von Blut, der über die Heide floss. Ein Grausen ergriff mich, dass ich wie im Fieber zitterte und erwachte. Als ich dich ruhig atmen hörte, versuchte ich wieder einzuschlafen. Kaum aber war dies geschehen, so sah ich dich abermals, denn nur an dich denke ich bei Tag und bei Nacht. Du rittest durch eine Kluft zwischen zwei Bergen. Da bebte die Erde und die Berge fielen über dir zusammen und wölbten sich zu einem Totenhügel. Du weißt, wie ich erschrocken emporfuhr und zitterte, bis ich dich vor mir sah, heil, wie der Himmel über uns.“ - „So werde ich auch vom Jagen zu dir heimkehren, meine traute Liebe“, sagte Siegfried, indem er die Liebliche in die Arme schloss. Sie entwand sich ihm, blickte ihm voller Sorge und Liebe in die sonnenglänzenden Augen und fuhr fort: „Die Träume bedeuten ein schweres Unglück, das dich betreffen wird. Und du bist doch mein einziges Gut, für das ich alle Reiche der Welt, den Nibelungenhort und alle Schätze hingeben würde, wenn nur du mir erhalten bleibst. So will ich dir in ferne, wüste Länder folgen und müsste ich auch eine Bettlerin sein. Gehe nicht auf die Jagd. Bleibe nur heute bei mir!“ Wieder umarmte sie der Held und küsste sie, und sie klammerte sich an ihn, als wollte sie den teuren Mann nimmer von sich lassen. „Sei getrost, liebe Frau“, sagte er, „ich bin ja unter werten Gesellen und Freunden, wo mir kein Unfall zustoßen wird. Auch führe ich Balmung bei mir und einen scharfen Speer. Hei, den möchte ich schauen, der mich zu bestehen wagte!“
Da riefen die Jagdhörner zum fröhlichen Jagen, und Siegfried sprach: „Hörst du, wie die Hörner rufen? Die Gesellen würden meiner spotten, wenn ihnen jemand sagte, ich sei um eines Traumes willen vom Weidwerk ferngeblieben.“ Er küsste nochmals das liebende Weib und eilte fort. Sie sah ihm vom Fenster herab nach, sie winkte, und er rief ihr mit tönender Stimme einen Gruß zu, wie er, den Jagdleuten voraus, durch die Pforte trabte. „Die Hörner rufen“, sagte sie, „ja, sie rufen zum Tod!“ Da erschrak sie über ihre eigenen Worte.
Es war ein fröhlicher Ritt durch blühende Felder und finsteren Tannenwald und weiter in die grünen Berge hinein bis in das Revier, wo die Jagd beginnen sollte. Die Jäger verteilten sich, die Jagdhunde und starken Schweißhunde wurden losgelassen, um das scheue Wild aufzutreiben. Siegfried war bald im Dickicht, bald auf einer Waldlichtung. Seine Pfeile und sein Speer trafen auf unglaubliche Entfernung Hirsche und Rehe, wie auch Wölfe und grimmige Bären. Manchen Isegrim (Wolf) erlegte er mit dem Schwert, und einen heranstürmenden Auerstier warf er mit gewaltiger Faust zu Boden. Die Jäger befürchteten bald, er werde alles Wild im Wald ausrotten. Indessen fanden auch die anderen Recken noch reichliche Beute. Als man nachmittags zur Mahlzeit rief, rannte noch ein Bär vorüber. Der Held setzte ihm nach, überwältigte, knebelte und brachte das starke Tier zu den versammelten Recken.
Hier löste er die Bande und ließ den Bären frei, um die Freunde mit Kurzweil zu ergötzen. Daraufhin hetzte König Gunther seine bellenden Jagdhunde los, aber Meister Petz schlug so kräftig mit seinen Tatzen, dass die Hunde heulend entwichen und eine heillose Verwirrung entstand. Der Bär geriet unter das Kochgeschirr, warf Töpfe, Kessel und Pfannen durcheinander und rannte dann grimmig nach dem Waldesdickicht. Dort überholte ihn Siegfried und erlegte ihn mit dem Schwert.
Da sprang von den Sitzen · Herr und Knecht zumal.
Der Bär begann zu zürnen · der König gleich befahl
Der Hunde Schar zu lösen · die an den Seilen lag;
Und wär' es wohl geendet · sie hätten fröhlichen Tag.
Die Recken saßen beim Mahl. Gebratenes und geschmortes Wildbret, blaugesottene Forellen, auch Hechte und Karpfen wurden aufgetragen, aber die Schenken brachten keinen Wein. Sie sagten, Hagen habe ihn jenseits in das entlegene Tiefental tragen lassen. „He, ungetreuer Geselle“, sagte Siegfried zu dem Recken, „willst uns vor Durst verschmachten lassen! Wären wir nur am Rhein geblieben, denn der hätte uns nach des Jagens Hitze reichlich getränkt.“ - „Das ist ohne mein Verschulden geschehen“, sprach Hagen: „Ich dachte, wir würden drüben, jenseits der Berge rasten und ließ dorthin den Wein bringen. Aber ich weiß in der Nähe eine Quelle köstlichen Wassers, dort am Wiesengrund, wo die Linden über das Dickicht emporragen und die Blumen frischer blühen. Ich möchte wohl versuchen, ob ich nicht im Wettlauf früher dort angelangte als der schnelle Siegfried.“ - „Du bist ein tüchtiger Recke“, sagte der Held von Niederland, „doch ich glaube, du wirst mir wohl nicht zuvorkommen. Und dazu will ich noch Schwert, Köcher und Speer tragen, während du ihrer ledig sein magst.“
Als sie von dannen wollten · zu der Linde breit,
Da sprach von Tronje Hagen · „Ich hörte jederzeit,
Es könne niemand folgen · Kriemhilds Gemahl,
Wenn er rennen wolle · hei! schauten wir das einmal!“
Da sprach von Niederlanden · der Degen (Held) kühn und gut:
„Das mögt ihr wohl versuchen · wenn ihr mit mir tut
Einen Wettlauf nach dem Brunnen · Ist dies dann geschehn,
Dem soll man's zuerkennen · den wir als den Sieger sehn.“
„Wohl, lasst es uns versuchen“ · sprach Hagen der Degen.
Da sprach der starke Siegfried · „Dann will ich mich legen
Hier vor eure Füße · nieder in das Gras.“
Als er das erhörte · wie lieb war König Gunther das!
Beide Recken stürmten den Wiesengrund aufwärts nach den Linden. Die Wiesenblumen versuchten, den kühnen Siegfried zu hemmen, die Zweige der Bäume winkten ihm rückwärts, und die Vögel in den Linden sangen so traurig, als wollten sie sagen: „Kehre dich um, edler Held, dein Verräter ist hinter dir.“ Doch Siegfried beachtete die Sprache der Blumen, Bäume und Vögel nicht, denn er vertraute auf die Freunde und auf sich selbst. „Hei, wie langsam du kriechst, gleich einer Blindschleiche!“, rief er dem keuchend nachkommenden Hagen entgegen: „Aber wahrlich, du bist doch ein guter Läufer, und es wird dich kein anderer in Burgundenland überholen. Hier ist nun der helle Quell, der den wegmüden Recken willig sein klares Wasser spendet. Indessen soll des Landes König den ersten Trunk schlürfen. So wollen wir im kühlen Schatten unter den Linden auf ihn warten und der Ruhe pflegen.“
Siegfried legte Schwert, Köcher und Speer ab und lagerte sich behaglich auf den blumigen Rasen. „Bist heute ein mürrischer Geselle“, fuhr er zu Hagen gewendet fort, „und die Sonne scheint doch so hell, und Himmel und Erde lachen uns an, als freuten sie sich auch über unser lustiges Weidwerk. Wir haben wacker aufgeräumt unter dem wilden Getier, das die Herden und Früchte der Bauern verwüstet. Hei, nun kommen sie endlich, die tüchtigen Gesellen! Wohlan, Gunther, lieber Schwager, du sollst den ersten Trunk tun aus dem hellen Quell, der aus dem Berg kommt.“ - Gunther neigte sich nieder, und schlürfte das frische Wasser. Dann trat Siegfried hinzu und sprach: „Ich gedenke einen tieferen Trunk zu tun. Aber habt keine Sorge, ihr edlen Recken, der Quell nimmt nicht ab, denn es rinnt immer reichlich Wasser nach. Es ist wie die Menschenwelt: Ein Teil geht nieder in die Erde, und ein Teil tritt wieder hervor ans Tageslicht. Das nimmt kein Ende.“ - „So ist es“, sprach Hagen, „was liegt an einem Menschenleben!“ Unterdessen hatte sich der Nibelungenkönig zum Brunnen niedergebeugt und trank in durstigen Zügen. Hagen dagegen trug eilends Schwert und Köcher des Helden weg, ergriff dessen Speer, zielte und schoss ihn gerade in das von Kriemhild sorglich gestickte Kreuz auf dem Mantel zwischen den Schultern, dass die Spitze durch Rücken und Brust stürmend vorn herausragte. Der todwunde Mann sprang auf, suchte nach dem Schwert, nahm, da er es nicht fand, den Schild und schlug damit den Meuchelmörder zu Boden. Mehr vermochte er nicht zu tun. Seine Farbe war erblichen, denn des Todes Waffe schnitt scharf. Der königliche Held sank nieder in die duftigen Blumen, die sich vom strömenden Blut rosenrot färbten, und rot wurde auch der Quell, der sonst silberhell strömte, rot der Himmel von der untergehenden Sonne. Es war, als erröte er wegen der geschehenen Untat.
Noch einmal richtete der Held sein schönes Haupt empor und sagte im Kreis umherblickend: „Mordsüchtige Schurken, welches Leid habe ich euch angetan?! Ich war euch stets gewogen und sterbe nun daran. So habt ihr an eurem Freund übelgetan. Ein Höllengeist hat euch die arge List eingegeben, da ihr nicht wagtet, mir im offenen Kampf ins Angesicht zu schauen, und Hagen, der feige Wolf, musste den bösen Rat ausführen. Eure Namen wird man in später Zeit noch nennen, wenn man von feigen Verrätern spricht. Wankelmütiger König Gunther, der du ehrlos bist durch Missetat, höre das Wort des Sterbenden: Schütze mein Weib, denn sie ist deine Schwester! Schütze mein jammervolles Weib vor Hagen!“ Das waren die letzten Worte des königlichen Helden.
„Wohl nimmer hat begangen · so großen Mord ein Mann,“
Sprach er zu dem König · „als ihr an mir getan.
Ich erhielt euch unbescholten · in großer Angst und Not;
Ihr habt mir schlimm vergolten · dass ich so wohl es euch bot.“
Umher im Ring standen die Recken schweigend. Die Untat und die Worte des Sterbenden waren in ihre Herzen gedrungen, die nun wie lodernde Brände schmerzten.
Da sprach der grimme Hagen · „Ich weiß nicht, was euch reut:
Nun hat doch gar ein Ende · was uns je gedräut.
Es gibt nun nicht manchen · der uns darf bestehn;
Wohl mir, dass seiner Herrschaft · durch mich ein End' ist geschehn.“
Gunther nahm endlich das Wort: „Wir wollen bei dem Volk, das den Erschlagenen liebte, vorgeben, Räuber hätten ihn ermordet. Da wird uns auch Kriemhild ohne Schuld wähnen.“ - „Davon will ich abraten!“, sprach Hagen: „Ich hehle nicht, was meine List und meine Hand vollbracht haben. Nun hat unsere Königin die Sühne, die sie begehrt und die ihr gebührt, und wir sind in Burgund vor allen Feinden sicher. Denn kein Held ist und wird in der Welt geboren, der Siegfried gleich wäre und uns bestehen könnte. Was bekümmert mich das Geschrei des Volkes und die Klage eines Weibes! Man beschaffe eine Bahre aus Baumzweigen, dass man den toten Recken nach Worms bringe. Hei, da ist Balmung, sein gutes Schwert, das tut nun den letzten Dienst seinem alten Herrn und den ersten seinem neuen.“ Der Recke hieb rüstig Äste von der Linde ab und flocht eine Bahre, weil kein anderer Hand anlegte. Er hob auch unverzagt die Leiche darauf, und dann setzte sich der Trauerzug in Bewegung.
In später Nacht kamen die Jagdmänner in die Stadt und zum Palast. Es war, als ob ein Grauen von dem toten Helden ausginge. Weder Recke noch Knecht wagte, ihn zu berühren. Hagen schalt sie feige Buben, lud allein die teure Bürde auf seine Schultern, trug sie in den Palast und legte sie verstohlen vor Kriemhilds Tür. Am Morgen wollte die Königin früh in das Heiligtum gehen. Sie rief einen Kämmerling, und als derselbe einen toten Mann, den er in der Dämmerung nicht erkannte, am Eingang liegen sah, verkündigte er es der harmvollen Frau. Sie schrie laut auf: „Es ist Siegfried! Brünhild ist die Anstifterin, und Hagen der Täter des Mordes!“ Man brachte Licht und sah, dass sie wahr gesprochen hatte. Der jammervolle Schmerz des unglücklichen Weibes war unsäglich. Sie fiel über des Gatten Leiche hin, und ihre Tränen flossen so reichlich, dass sie damit sein Angesicht von dem anklebenden Blut reinwusch. Da lag er nun, der freudig kühne Held, vor ihr kalt, starr, bleich und regungslos, er, der sie sonst in die Arme geschlossen hatte, lächelte ihr nie, nie mehr entgegen! Nie mehr! Das entsetzliche Wort kam ihr immer wieder in den Sinn. Wie gern wäre sie mit ihm gestorben, mit ihm in die Grube gegangen, oder, nach dem Glauben der Väter, mit ihm in Freyas Halle (der Ehe- und Liebesgöttin).
Auch der greise Sigmund erhielt Kunde von dem entsetzlichen Ereignis. Er kam und sah den einzigen Sohn, entstellt und gefällt, nicht im Sturm des Gefechts, nein, durch Mörderhand. Er klagte nicht, aber sein Herz wollte ihm brechen. Er deckte die klaffenden Wunden auf und küsste sie, als ob er hoffte, den Toten zu erwecken. Dann richtete er sich auf, der alte Mut erwachte in ihm und rief: „Mord! Rache! Auf, ihr Nibelungen, auf, euren Helden zu rächen!“ Mit diesem Ruf eilte er in den Hof, und die Nibelungen hörten das Wort und eilten herzu, sammelten sich in Waffen um den Greis, der Schwert und Rüstung forderte. Aber die Waffe entfiel seinen zitternden Händen, und er sank, von Schmerz und Anstrengung erschöpft, ohnmächtig zu Boden. Und ringsherum starrten Waffen in den Händen der Burgunden, und der grimmige Hagen führte neue Scharen her. So kehrten die Nibelungen zähneknirschend in ihre Herberge zurück.
Am dritten Tag wurde die teure Leiche in das Heiligtum gebracht, um durch Priesterhand gesegnet zu werden. Das Volk drängte hinzu, und jeder wollte den Helden im Tod sehen, der lebend für Burgund gekämpft, der die Königstochter dem Drachen abgewonnen und so reiche Gaben gespendet hatte. Kriemhild stand am aufgedeckten, mit Gold und Edelsteinen verzierten Sarg. Sie weinte nicht mehr. Nur ihre geröteten Augen, ihre bleichen Wangen und das Zittern ihrer Glieder verrieten den inneren Schmerz. Da schritt unter der Menge ein tief verschleiertes Weib vorüber. Niemand wusste, wer sie war. Nur Kriemhild erkannte sie. „Weiche, Mordstifterin!“, rief sie ihr zu, „Weiche, dass nicht der Tote gegen dich aufsteht!“ Die Unbekannte verschwand unter der Menge. Nun umschritten die burgundischen Recken nach Sitte den Sarg. Als Hagen sich näherte, brachen die Wunden des Toten wieder auf und das Blut strömte warm hervor, wie zur Stunde des Mordes. „Wage nicht hier zu stehen, Meuchler“, sprach Kriemhild, „sieh, wie der Tote dich anklagt.“
Emil Lauffer: Die Bahrprobe (1879)
Doch der kühne Recke blieb stehen und antwortete: „Ich hehle nicht, was meine Hand getan. Es geschah in guter Treue für meinen Lehnsherrn und seine Königin.“ Hätte Kriemhild ein Schwert und Manneskraft gehabt, sie würde den Recken im Heiligtum erschlagen haben.
Da kam der König Gunther · hinzu mit seinem Lehn
Und auch der grimme Hagen · es wäre klüger nicht geschehn.
Er sprach: „Liebe Schwester · o weh des Leides dein,
Dass wir nicht ledig mochten · so großen Schadens sein!
Wir müssen immer klagen · um Siegfriedens Tod.“
„Daran tut ihr unrecht“ · sprach die Frau in Jammersnot.
„Wenn euch das betrübte · so wär' es nicht geschehn.
Ihr hattet mein vergessen · das muss ich wohl gestehn,
Als ich so geschieden ward · von meinem lieben Mann.
Wollte Gott,“ sprach Kriemhild · „es wär' mir selber getan.“
Sie hielten sich am Leugnen · da hub Kriemhild an:
„Wer unschuldig sein will · leicht ist es dargetan,
Er darf nur zu der Bahre · hier vor dem Volke gehn:
Da mag man gleich zur Stelle · sich der Wahrheit versehn.“
Das ist ein großes Wunder · wie es noch oft geschieht,
Wenn man den Mordbefleckten · bei dem Toten sieht,
So bluten ihm die Wunden · wie es auch hier geschah;
Daher man nun der Untat · sich zu Hagen versah.
Viele Gaben an Gold, Silber und Gewand wurden zu Ehren des ermordeten Königs unter die verteilt, welche dessen bedürftig waren. Am vierten Tag empfing die Erde, was ihr gehörte. Unter großem Gepränge wurde die Leiche des königlichen Helden in der Gruft beigesetzt. Es war eine reich ausgeschmückte Grabkammer, über welcher sich ein hoher Hügel erhob. Kriemhild folgte nach in die stille Kammer. Da wurde auf ihr Geheiß noch einmal der Sarg geöffnet. Sie küsste und überströmte mit ihren Tränen das bleiche Antlitz des Geliebten. Ihre Frauen mussten sie heraustragen, denn sie wollte ewig bei ihm bleiben. Draußen stand Hagen, wie immer unbewegt, grimmig dreinschauend, und sprach seinen gewohnten Spruch: „Was geschieht, das muss geschehen, so fügen es die Nornen (Schicksalsgöttinnen).“ Die Königin hörte ihn nicht, und sie sah auch nicht, wie Gunther, Gernot und viele Recken ihren Harm und ihre Reue vergeblich zu verbergen suchten, denn alle ihre Gedanken waren bei dem Toten.
Sigmund und die Nibelungen rüsteten sich zur Fahrt nach der Heimat. Sie wollten die trauernde Witte mit sich nehmen, damit sie nicht unter den ungetreuen Burgunden noch mehr geschädigt werde, aber sie wollte nicht von der Stätte scheiden, wo Siegfrieds Leib ruhte. Sie bat den greisen König und den Markgrafen Eckewart, ihr Söhnlein in Niederland treu zu bewahren, dass es dem Vater ähnlich werde. Er sei, sagte sie, ein Waisenknabe, vaterlos, vielleicht auch mutterlos, denn sie selbst habe nur noch einen Wunsch, und den flüsterte sie dem Greis leise ins Ohr, den der Rache. Nur von Frau Ute, die gleich der Tochter um den erschlagenen Helden trauerte, und von Giselher, dem Jungen, nahm Sigmund Abschied und trat mit seinem Gefolge die Reise nach Niederland an.
Da sprach der junge Giselher · „Liebe Schwester mein,
Du sollst bei deiner Treue · hier mit deiner Mutter sein.
„Die dir das Herz beschwerten · und trübten dir den Mut,
Du bedarfst nicht ihrer Dienste · du zehrst von meinem Gut.“
Sie sprach zu dem Recken · „Wie könnte das geschehn?
Vor Leide müsst' ich sterben · wenn ich Hagen sollte sehn.“
„Dessen überheb' ich dich · viel liebe Schwester mein.
Du sollst bei deinem Bruder · Giselher hier sein;
Ich will dir wohl vergüten · deines Mannes Tod.“
…
Brünhild die schöne · des Übermutes pflag:
Wieviel Kriemhild weinte · was fragte sie darnach!
Sie war zu Lieb und Treue · ihr nimmermehr bereit;
Bald schuf auch ihr Frau Kriemhild · wohl so ungefüges Leid.
Der Reiher der Vergessenheit zieht, wie die nordische Dichtung sagt, über den sterblichen Menschenkindern hin und trägt viel Leid auf seinen Schwingen mit sich fort. So schien auch Kriemhild allmählich ruhiger und sogar mit dem Bruder versöhnt. Nur den grimmigen Hagen betrachtete sie mit Grauen und wich aus seiner Nähe. Ebenso mied sie Brünhild, und als sie ihr einst am Totenhügel des Gatten begegnete, verscheuchte sie dieselbe mit schneidender Rede. So lebte sie drei Trauerjahre. Dann überzeugte Hagen den König, dass es gut wäre, den reichen Nibelungenschatz nach Worms zu holen, um Kriemhild wieder zu erfreuen. Nichts lieber wollte Gunther, und schickte Giselher zu Kriemhild, der sie dazu überreden konnte. So äußerte sie bald vor dem König, ihrem Bruder, den Wunsch, den Nibelungenschatz nach Worms bringen zu lassen, da er ihr rechtmäßiges Erbgut sei. Gunther war erfreut, dass sie ihm wieder ihr Vertrauen zuwende, und willigte gern ein. Zahlreiche Mannschaft und kühne Krieger wurden mit Botschaft von ihr zu den Nibelungen entsendet, und Zwerg Alberich lieferte ohne Widerrede die unermesslichen Schätze aus. Zwölf Frachtwagen führten mehrere Tage lang die Reichtümer aus dem hohlen Berg, ein unversiegbarer Schatz an Gold und Edelsteinen, und viele Lasttiere waren nötig, sie nach Burgund zu bringen. In diesem gewaltigen Schatz lag auch eine kleine goldene Wunschrute, und wer sie darin fand, der konnte wohl Meister sein über jeden Menschen auf der weiten Erde. Wahrlich, Hagen hatte nicht ohne Grund danach begehrt.
Die Königin war freigebig mit dem Gut gegenüber dem Volk, und wo ein guter Recke sich einfand, da spendete sie Gold, Rüstung, Waffen und selbst täglichen Sold, wodurch sie allmählich ein kleines Heer um sich sammelte, das sich täglich vermehrte. Hagen sprach über dieses Gebaren mit den Königen. Er sagte, die Frau sinne auf Rache. Es liege ihm nichts an seinem Leben, aber sie werde endlich ganz Burgund gewinnen. Das müsse man verhüten und daher beizeiten den Schatz in Verwahrung nehmen. Doch die königlichen Brüder willigten nicht ein. Gernot sagte, man habe ihrer leiblichen Schwester des Unrechts zur Genüge zugefügt. Ihres Erbguts lasse er sie nicht berauben. Als aber die Könige einstmals auf einer Ausfahrt waren, erbrach der kühne Recke mit seinen Mannen die Schatzkammer, führte den ganzen Schatz heraus und versenkte ihn im Rhein. Wohl vernahmen die Könige bei ihrer Heimkehr die Untat und auch Kriemhild klagte über den Räuber, aber es war geschehen. „Wärst du nicht unser Oheim“, sagten Gunther und Gernot, „es sollte dir ans Leben gehen!“ Danach führte Hagen die Könige an die Stelle, wo die Menge an Gold und Edelsteinen mit der goldenen Wunschrute auf dem tiefen Grund ruhte, und ließ sie schwören, dass keiner den Ort verraten wolle, so lange noch einer von ihnen am Leben sei. „In der Tiefe des Stroms“, sagte der Recke, „da glänzen die Schätze schöner und unschädlicher, als in den Händen der nach Rache dürstenden Königin.“
Kriemhild wurde wieder so still und harmvoll, wie sonst. Sie blieb immer bei ihrer Mutter. Da stickte sie Teppiche und bildete Balders Tod ab, wie Hödur den Speer nach dem Bruder schießt, wie der Leib des Gottes verbrannt wird, wie Nanna weint, am gebrochenen Herzen stirbt und mit dem Geliebten das letzte Lager auf dem brennenden Schiff teilt. Doch in Balder erkannte man ihren Helden, in Nanna sie selbst, und Hödur trug Züge, Gewand und den mörderischen Speer des grimmigen Hagen. Oft ließ sie die Nadel ruhen und saß sinnend vor dem Gebilde. Wenn dann Frau Ute fragte: „Was sinnst du, mein Kind?“, dann sagte sie: „Ich denke an Hagen.“
Nach langer Zeit kehrten am Königshofe zu Worms willkommene Gäste ein. Markgraf Rüdiger von Bechelaren war es, der Gute und Milde, den Burgunden wohlbekannt und befreundet. Mit Gunther, Gernot und Hagen hatte er in der Jugend manches Abenteuer bestanden, den jungen Giselher auf den Knieen geschaukelt, an Volkers Getön sich erfreut, und jetzt brachte er seine Herzensfreudigkeit in das Haus des Grams, so dass selbst Kriemhild zuweilen der Mutter in die Halle folgte und bei den Reden manchmal freundlich lächelte, was seit dem Tod des unvergesslichen Helden nicht geschehen war. Wenn aber Brünhild oder gar Hagen eintrat, erschrak sie, wie vor einer giftigen Schlange, und entfernte sich eilends.
Tage und Wochen waren vergangen, da sagte einst beim vollen Becher Gunther zu dem werten Gast, es wolle ihn bedünken, als habe derselbe noch eine Heimlichkeit, die er sich scheue kundzutun. Er solle nur getrost sein, was er zu werben habe, das solle geschehen, sofern er selbst Gewalt habe, das Begehrte zu leisten. „Wohlan, König Gunther“, sprach der Markgraf, „ich will dir bekennen, was ich zu werben habe. Du weißt, dass die gute Königin Helche, die liebe Ehefrau meines Lehnsherrn, des Königs Etzel, seit Jahren tot ist und auch seine Söhne durch den ungetreuen Wittich gefallen sind. Nun fühlt sich der Herrscher der Hünen einsam in den weiten Hallen der Etzelburg. Er gedachte, sich wieder eine edle und werte Ehegenossin zu küren und fragte mich deshalb um Rat. Ich wusste ihm keine schönere und edlere Frau vorzuschlagen, als Kriemhild, deine Schwester, die Witwe des starken Helden Siegfried. Sagst du dazu ja, so wird sie Königin der Hünen.“ - „Sie steht nicht mehr unter meiner Hut“, war die Antwort, „sie ist Königin von Nibelungen und Niederland, und ich befürchte, sie wird nicht willfährig sein.“ - „Ich bringe ihr die gute Botschaft“, sprach Giselher, „und Mutter Ute wird mir Beistand leisten.“
Der junge Held machte sich alsbald auf, um zu den Frauen zu gehen. Er fand die Schwester wie gewöhnlich mit Stickerei beschäftigt. Er sprach ihr zu, von der unmäßigen Trauer zu lassen und, da sie noch so jung sei, ihr Herz der Freude zu öffnen. Dann erzählte er, was Rüdiger von Etzels Hofe, von dessen Schätzen und dem großen Überfluss an Gut und Habe im Hünenland berichtet habe, und kam endlich auf die Werbung zu sprechen. Kriemhild erwiderte fest und feierlich, sie werde nicht fern von dem Totenhügel fahren, der ihr einziges, ihr teuerstes Gut umschließe. Sofort nahm Mutter Ute das Wort und beschrieb Etzels große Macht, wie er gewaltig sei über die Hunnen, Wilkinen und Reußen, wie er in jungen Jahren die Könige der Franken, Goten und selbst die der Burgunden mit großer Heeresmacht gezwungen habe, Schatzung zu geben und Geiseln zu stellen, und wie es heilsam sei, dass man seine Werbung nicht zurückweise, damit er nicht das Land durch eine Heerfahrt schädige. „Wirst du, mein Kind“, sagte sie, „seine Königin, dann bist du gewaltig vor allen Frauen, gleichwie es die gute Helche war.“ - „Gewaltig vor allen Frauen“, wiederholte die Tochter sinnend. „Sieh doch, Giselher“, fuhr sie fort, auf ihre Stickerei deutend, „weißt du, wen dieser Held darstellen soll?“ - Er verneinte, und sie fügte hinzu: „Es ist Wali, der Rächer, von dem die Väter sagten, er habe Balder gerächt und den finsteren Hödur zur Hölle gesendet.“ - „Das sind verklungene Märchen, von denen man nicht mehr viel weiß“, antwortete Giselher, „aber rede von dem, was der gute Rüdiger zu werben kommt.“ - „Ja, wenn es sich erfüllen könnte“, sprach sie, „vielleicht - bitte den Markgrafen, zu mir zu kommen, dass ich selbst seine Werbung vernehme.“ Das war ein freudiges Wort für den jungen Helden, und er begab sich alsbald in die Halle, und auch Frau Ute verließ auf Bitten der Tochter das Gemach.
„Siegfried“, sprach die junge Königin, „um deinetwillen weiche ich von dem Hügel, darin du wohnst, wo du mir oft im Wachen und im Traum erschienst und auf deine Wunden deutetest. Sie klaffen, sie bluten noch immer. Sie werden sich schließen und nicht mehr bluten, wenn es mir vergönnt ist, den mordgrimmigen Hödur zur finsteren Hölle zu senden.“
Rüdiger erschien und brachte in zierlicher Rede seine Werbung vor. Darauf sprach sie: „Du sollst mir heilsamen Rat geben, edler Markgraf: Wie wird es mir ergehen, da ich des Königs und des Volkes unkundig bin? Wird man die fremde Frau nicht verachten und verschmähen? Willst du mir Helfer sein, wenn ich in Not gerate?“ Er antwortete: „Etzel ist ein reicher König und tüchtiger Held, der dir, wie voreinst der guten Frau Helche, große Ehren erweisen wird, so dass du noch mehr des Reichtums und der Macht haben wirst als zu der Zeit, da der starke Siegfried noch lebte. Ich selbst bin dir zu jedem Dienst bereit.“ - „Gelobst du mir durch Eid“, sprach Kriemhild, „dass du mit deinen Mannen auf mein Geheiß in den Kampf ziehen willst, wo und gegen wen es auch sei?“ - „Nur nicht gegen meinen Lehnsherrn“, antwortete der Recke. „Gelobe mir“, sagte die Frau, „auf meine und deines Lehnsherrn Gebot zu kämpfen mit Speer und Schwert gegen jeden Widersacher, der mich geschädigt hat!“ - „Das gelobe ich dir auf Treue und durch Eid, so wahr mir Gott in aller Not beistehen soll.“ - „Wohlan, vieledler Markgraf“, sprach sie laut, „so fahre ich mit dir in das Land der wilden Hünen und will deinem Lehnsherrn eine treue Ehefrau sein mein Leben lang, dieweil ich mich deines Beistands tröste.“
Große Freude war unter den Recken, als Rüdiger die gute Botschaft brachte. Die drei königlichen Brüder sprachen davon, wie nun die Schwester ihrer Trauer ledig wieder froh sein wird und einen festen Bund zwischen den Hünen und Burgunden aufrichten werde. Da trat Hagen zu ihnen und sprach: „Wollt ihr den Blitz beschwören, dass er auf unsere Häupter herabfällt? Gebt die Schwester nicht dem König der Hünen! Zwischen der Witwe Siegfrieds und uns kann nur Freundschaft bestehen wie zwischen Wasser und Feuer. Entweder wird jenes in Dampf vergehen oder dieses erlöschen. Nur ein kindischer Mann reicht dem Feind das Schwert, womit er sein Haupt trifft.“ - „Oheim, du hegst in deinem Herzen Missgunst und Neid!“, sprach Giselher: „Deswegen bist du allezeit unfroh und grimmig. Du sollst aber nicht deinen Willen haben, nicht unsere Schwester kränken und härmen. Sie wird in großen Ehren Königin der Hünen.“ In gleicher Weise sprachen Gunther und Gernot, dem warnenden Recken trotzend.
Nun wurde zur Fahrt nach der Etzelburg gerüstet, damit die Königin auch königlich bei den Hünen erscheine. Boten gingen nach Nibelungen und Niederland und kehrten mit zahlreichem Gefolge von Recken und Knechten zurück. Alle diese Männer, desgleichen die Frauen, welche die Herrin begleiten sollten, erhielten reiche Gewänder und edle Rosse zur Fahrt. Die Könige gaben ihrer Schwester das Geleit bis zur Donau, wo sie Abschied nahmen.
Giselher der schnelle · sprach zu der Schwester sein:
„Schwester, wenn du jemals · bedürfen solltest mein,
Was immer dich gefährde · so mach' es mir bekannt,
Dann reit' ich dir zu dienen · hin in König Etzels Land.“
Markgraf Rüdiger war nun der Führer durch Bayernland, wo sie auf den Burgen und in den Städten gute Herberge fanden, weil der tüchtige Held ein Freund des Landesherrn Gelfrat war. Ohne Gefahr und Verzug gelangten die Reisenden nach Bechelaren in Rüdigers gastliches Haus. Seine Frau Gotlinde und ihre liebliche Tochter empfingen die werten Gäste mit Freude und ließen sie erst am vierten Tag die Reise fortsetzen. Die Botschaft, dass die edle Königin der Hünen komme, war schon überall im Land bekannt geworden, und Fürsten und Recken fuhren ihr entgegen, und an der Landesgrenze wartete König Etzel selbst mit großem Gefolge auf sie. Er wurde bei dem Anblick der bleichen, aber immer noch schönen Frau so frohen Mutes, wie damals, als er die wonnige Helche durch den kühnen Rüdiger gewann. Er sagte ihr, sie solle über seine Schätze und Reiche schalten und walten und die Krone tragen wie er selbst. Sie antwortete, sie werde ihm eine treue und ergebene Hausfrau sein, aber ihre Liebe sei mit Siegfried in dem Totenhügel verschlossen. Der König achtete nicht auf die letzten Worte und gedachte, dass er durch Ergebenheit und herzliche Liebe wohl auch ihre Liebe erwerben werde. So fuhr er an ihrer Seite und umgeben von den Königen, Fürsten und Edlen seiner Reiche nach Etzelburg. Dort wurde zu Pfingsten (zur Herabkunft des Heiligen Geistes) die Hochzeit gehalten und vierzehn Tage lang mit großer Pracht gefeiert. Täglich sah man Turniere der Recken, dann folgten Gastmahl, festliche Gelage, Gesang und Saitenklang der Spielleute, vornehmlich der beiden obersten unter ihnen, Werbelin und Swemmelin, ferner Gesänge und Reigen der hünischen Jungfrauen, welche die Taten des Königs, seiner Recken und Vorfahren priesen, und vielerlei Kurzweil.
Kriemhild nahm geringen Anteil an den Festlichkeiten. Sie empfing, begrüßte die Gäste, waltete im Palast als häusliche Wirtin. Aber kein Strahl von Freude belebte ihr Angesicht, während sich eine Welt von Gedanken in ihrer Seele um einen Angelpunkt bewegte, um Siegfried. Es war aber auch unter den Recken ein Mann, den der Sang und Klang, das Spiel und Gelage wenig ergötzte, der nur beim Turnierspiel seine ungemeine Heldenkraft bewies, und dieser Held war der kühne Dietrich von Bern (heute Verona im Nordosten Italiens). Seine Gedanken weilten in dem schönen Amelungenland, das ihm der Kaiser Ermenrich durch List und Gewalt entrissen hatte. Dorthin begehrte er mit seinen Recken zu fahren, wenn Etzel ihm Beistand gewährte. Aber der König zauderte, weil bei der ersten Heerfahrt seine beiden Söhne (Erp und Ortwin) gefallen waren. Wenn der Jubel der Gäste die weite Halle durchbrauste, so ließ Dietrich harmvoll den köstlichen Trank im goldenen Becher verschäumen. Dann trat manchmal die Königin herzu und redete von dem Leid, das ihr von Hagen geschehen war, und wie der Mord noch ungesühnt und Siegfried noch ungerochen sei. Er verstand wohl, dass sie ihn zur Rache werben wolle, aber er schwieg, denn er wollte und durfte nicht das Schwert gegen burgundische Recken ziehen, welche ihm in manchem schweren Kampf als treue Gesellen Schild an Schild Beistand geleistet hatten.
Eine fröhliche Zeit ging vorüber, friedlich verstrichen Monde und Jahre, und ein Knäblein wurde dem königlichen Ehepaar geboren, ein Ebenbild der Mutter, dem man den Namen Ortlieb gab. Das Oberhaupt der Hünen feierte das Geburtsfest des Kindes, das einst alle seine Reiche erben sollte, mit festlichem Gelage, wobei viele Lehnsfürsten, Könige und Tausende von edlen Recken in dem weiten Raum des hochgewölbten Königssaals Platz fanden. Es war aber nicht bloß im Palast frohe Zeit, das gesamte Volk der Hünen nahm Anteil an dem glücklichen Ereignis mit Schmaus, Gesang und Tanz. Denn ein künftiges Oberhaupt war geboren, das Reich durch Etzels Tod nicht verwaist, nicht den äußeren Feinden und der inneren Zwietracht preisgegeben, sondern von einem rechtmäßigen König weiter treu behütet. Der König liebte um des Sohnes willen die Gattin noch mehr als zuvor und hätte ihr gern alle Schätze der Welt zu Füßen gelegt, allein sie begehrte nichts. Sie blieb sich immer gleich, ernst, von wenig Worten, doch sorgsam im königlichen Haushalt. Selbst das Knäblein, des Vaters Wonne, das kräftig gedieh, so emsig sie es auch pflegte, entlockte ihr niemals ein Lächeln. Die Wunde, die der Tod des ersten Gatten ihr geschlagen hatte, heilte nicht, sondern blutete fort. Der Geist der Rache, aus dem Abgrund aufsteigend, ließ nicht ab, Blut für Blut, Mord für Mord zu fordern, und sie war willig dazu.
Einstmals liebkoste der König den kleinen Ortlieb und sprach auch freundlich zu dessen Mutter, wie er hoffe, das Kind werde einst ein Held gleich Siegfried werden. Sie hätte bei Nennung des Namens aufschreien mögen, denn es war ihr, als sehe sie ihn wieder bleich und von Wunden entstellt vor sich liegen. Sie bezwang sich, blieb scheinbar ganz ruhig und bat nur den Gemahl, er möge doch ihre Brüder und Verwandten zu sich in das Hünenland gebieten. Es war die erste Bitte, die sie tat, und Etzel erfüllte sie mit Freuden. Er befahl sogleich, die vornehmsten Spielleute, Swemmelin und Werbelin, mit vierundzwanzig edlen Recken sollten nach dem Rhein aufbrechen, um die burgundischen Könige mit allen ihren Verwandten zum Fest der Sonnenwende einzuladen, und Kriemhild mahnte die Boten noch insbesondere, dass sie Frau Ute freundlich grüßen und sie bitten sollten, mitzufahren, damit sie selbst wahrnehme, wie die Tochter gut Gemach habe und in Ehren stehe. Auch sollten die Boten achtgeben, dass Hagen die Königin begleite.
Die Spielleute wurden zu Worms wohl aufgenommen, denn sie brachten gute Botschaft von der edlen Königin und dem mächtigen König der Hünen. Sie erhielten die beste Herberge und manche reiche Gabe. Indessen zögerte Gunther mit der Antwort, weil er zuerst seine Recken zu Rate ziehen wollte. Als sie um ihn versammelt und der Sache kundig waren, stimmten sie alle für die Fahrt. Sie meinten, man dürfe frohen Empfangs und festlicher Tage gewärtig sein, da ihnen der reiche König freundlichen Willen trüge. Dagegen riet Hagen ab, weil man ohne Kriegsbereitschaft in dem fernen und fremden Land zu großem Schaden kommen könne. Ihm widersprach Giselher, indem er sagte, der Oheim fürchte Gefahr für seinen eigenen Leib und gedenke dessen, was er an Siegfried getan hatte, und wähne, die Königin werde mit gleicher List gegen ihn verfahren. Über diese Rede ergrimmte der Recke. „Wann habe ich jemals um Leibes und Lebens willen den Schild herabgesenkt?“, rief er: „Wollt ihr nach Hünenland fahren, so will ich Führer sein, da ich der Wege kundig bin. Ich sorge nicht für mich, sondern nur für der Burgunden Ruhm und Glanz, für euch, ihr Könige, deren Lehnsmann ich bin.“ Die Fahrt wurde also beschlossen, und die Spielleute reisten reichlich beschenkt mit der Botschaft in ihr Land zurück.
Die Vorbereitung zur Reise leitete Hagen, und es hatte schier den Anschein, als ob er zu einer Heerfahrt rüste. Tausendundsechzig Recken, alle in reichem Gewand und wohlgewappnet, nebst neuntausend Knechten wurden aufgeboten und angewiesen, scharfe Speere und Schwerter und stahlharte Helme und Schilde zu führen. „Die Nibelungen fahren zu den Hünen. Mögen sie heil zurückkehren!“, sprach man unter dem Volk, als die Mannschaft über den Rhein fuhr. Denn seitdem der Nibelungenschatz ins Land gekommen war, nannte man die Könige nebst ihren Verwandten und Mannen nach jenem unbekannten Reich die Nibelungen. Gern hätte Frau Ute die Tochter wieder in die Arme geschlossen, aber ihr Alter erlaubte ihr die weite Reise nicht. Auch Brünhild blieb zurück, weil sie kein Verlangen trug, die Todfeindin in ihrem Glück zu sehen. Sie mied überhaupt festliche Versammlungen und weilte lieber am Hügel, wo Siegfrieds Leiche ruhte.
Die Nibelungen schifften über den Rhein und ritten dann in zwölf Tagen unter Führung des wegkundigen Hagen durch den Schwarzwald und manche Wildnis, bis sie unangefochten an der Grenze des Bayernlandes die Donau erreichten. Da war aber weder Herberge noch ein Fährmann aufzufinden. Während die Scharen sich lagerten, ging Hagen tiefer in das wilde Land und kam an einen Brunnen, der sich in einen See ergoss. Er sah daselbst Frauen, die sich in dem klaren Gewässer badeten, und erkannte alsbald, dass es Meerfrauen waren. Sie entflohen schwimmend bei seinem Anblick, wie weiße Schwäne auf dem Wasser. Aber er fand und bemächtigte sich ihrer Kleider, was sie zwang, ihm Rede zu stehen. „Gib uns die Gewänder“, rief ihm eine der Jungfrauen zu, „dann will ich dir weissagen.“
Da sprach das eine Meerweib · Hadburg war sie genannt:
„Hagen, edler Ritter · wir machen euch bekannt,
Wenn ihr uns, kühner Degen · die Kleider wiedergebt,
Was ihr auf dieser Reise · bei den Heunen erlebt.“
Sie schwammen wie die Vögel · schwebend auf der Flut.
Da deucht' ihn ihr Wissen · von den Dingen gut:
So glaubt' er um so lieber · was sie ihm wollten sagen.
Sie beschieden ihn darüber · was er begann sie zu fragen.
Er verhieß ihrem Verlangen zu willfahren, wenn sie ihm den Ausgang der Reise verkündige. Sie sprach, er werde mit allen seinen Genossen große Ehren in Etzels Land genießen und ungefährdet heimkehren. Als der Held aber die Gewänder zurückgab, sagte eine andere Jungfrau, ihre Schwester habe aus List so geweissagt, vielmehr werde von dem ganzen Heer nur der Priester heil bleiben und den Rhein wieder erblicken. Alle anderen werden im fremden Land durch das Schwert umkommen, wenn sie nicht, der Warnung folgend, die Rosse alsbald zurücklenken wollten.
Da sprach das andre Meerweib · mit Namen Siegelind:
„Ich will dich warnen, Hagen · Aldrianens Kind.
Meine Muhme hat dich · der Kleider halb belogen:
Und kommst du zu den Heunen · so bist du übel betrogen.
„Wieder umzukehren · wohl war' es an der Zeit,
Dieweil ihr kühnen Helden · also geladen seid,
Dass ihr müsst ersterben · in der Heunen Land:
Wer da hinreitet · der hat den Tod an der Hand.“
„Ihr seid wohl der Lüge schuldig“, sprach der kühne Recke, „ich gedenke mit Schwert und Schild meine Herren und mich zu bewahren. So gebt uns nun Rat, wie wir über die Flut kommen können.“ Sie sagten, er werde stromabwärts am jenseitigen Ufer eine Herberge sehen, wo der Fährmann wohne, ein reicher und kühner Held. Er solle ihn anrufen und sich für Amelrich, den Freund desselben, ausgeben. Er müsse aber glimpflich mit dem stolzen Recken verfahren, ihm reichen Sold bieten, sonst werde er in Gefahr kommen. Als die Meerfrauen solches geredet, schwebten sie über die glänzenden Fluten und verschwanden in der Ferne.
Hagen befolgte ihren Rat. Er fand die Herberge, verlangte bescheidentlich Überfahrt, und als das vergeblich war, rief er laut, dass es in den Bergen widerhallte: „Hol' über, Fährmann, deinen Gesellen Amelrich, der Eile hat!“
Da rief er so gewaltig · der ganze Strom erscholl
Von des Helden Stärke · die war so groß und voll:
„Mich Amelrich hol' über · ich bin es, Elses Mann,
Der vor starker Feindschaft · aus diesen Landen entrann.“
Sofort hörte er gewaltigen Ruderschlag, und bald war der Fährmann mit einem großen Boot am diesseitigen Ufer. Hagen bot ihm eine schwere Spange von rotem Gold für die Überfahrt. Aber der Schiffsherr ergrimmte, dass er statt seines werten Gesellen Amelrich den Fremdling vor sich sah, gab ihm mit dem gewaltigen Ruder einen Schlag auf das Haupt, dass es wohl sein Ende gewesen wäre, hätte ihn nicht der feste Helm beschirmt. Hagen erwiderte den Streich mit dem Schwert so kräftig, dass der Fährmann totwund über Bord fiel.
Darauf ergriff der Recke selbst das Ruder, und obwohl Wind und Strömung dagegen waren, Hagens starker Arm besiegte den Widerstand und landete an der Stelle, wo das Heer gelagert war. Die Überfahrt ging nun rasch von statten. Wieder und wieder musste der wilde Fluss durchquert werden, aber der kräftige Held ermüdete nicht, bis die Menge der Reisenden übergesetzt war. Unter den letzten befand sich auch der Priester des Königs. Doch ihn warf Hagen mit einem Ruderschlag über Bord und rief grimmig: „Müssen wir alle durch das Schwert fallen, wie die Meerfrauen gesagt haben, dann soll der Pfaffe statt des Weins bei den Hünen hier Wasser saufen und den Rhein nicht wiedersehen!“
Aber seine Worte wurden nicht wahr, denn Gottes Hand hielt den Priester über Wasser, und Wind und Wellen trieben ihn an das Ufer zurück. „Nun mag der Teufel walten“, sagte der stolze Hagen, „ich acht' ihn nur gering. Denn was geschieht, das muss geschehen, so ist der Nornen Spruch.“ So glaubte er nun der Weissagung, offenbarte diese seinen Helden und zerstörte das Boot, dass niemand aus Furcht zurückkehren könne. Dann ordnete er die weitere Reise und blieb selbst, Verfolgung und Flucht fürchtend, bei der Nachhut. Volker führte die Spitze, da er des Weges kundig war.
Schon breitete die Nacht ihren Frieden über die Erde, und die Sterne blickten vom dunklen Himmel herab auf die wegmüden Recken. Da hörte Hagen hinter sich Pferdehufschlag. Er kehrte sich um, aber ehe er den Speer ergreifen konnte, wurde er angerannt und aus dem Sattel gehoben. Markgraf Gelfrat war es, der den Recken so unsanft begrüßte. Den erschlagenen Fährmann zu rächen, hatte er mit seinem Bruder Else und siebenhundert Helden die Spur verfolgt und fiel nun wie ein Gewittersturm über sie her. Hagen sprang zwar nach seinem Fall sogleich wieder auf und zog das Schwert, aber er wurde umringt, und der starke Markmann spaltete ihm den Schild. In der höchsten Not kam ihm sein Bruder Dankwart zu Hilfe. Dieser griff mit seinen Mannen die Feinde mutig an, und unter seinem Schwert fiel Gelfrat. Else aber floh verwundet, nachdem über hundert seiner Helden erschlagen waren.
Die Nibelungen setzten nach dem Gefecht ihre Fahrt unbehindert fort, aber fanden auf dem Weg nirgends gute Herberge, bis sie nach Passau kamen, wo man sie gastlich aufnahm. Sie hielten daselbst einen Tag Rast und fuhren darauf weiter den Strom entlang zu Tal. Da sahen sie einen Recken, der friedlich im blumigen Gras der Ruhe pflegte. Er schlief so fest, dass er erst erwachte, als ihm Hagen das Schwert von der Seite riss. Nun fuhr er auf und klagte sehr, dass ihn der gute Rüdiger einen ungetreuen Wächter schelten werde, wenn er ohne Waffe vor seinem Herrn erschiene.
„O weh mir dieser Schande!“ · sprach da Eckewart.
„Schwer muss ich beklagen · der Burgunden Fahrt.
Als ich verlor Siegfrieden · fing all mein Kummer an;
O weh, mein Herr Rüdiger · wie hab' ich wider dich getan!“
Hagen gab ihm die Waffe zurück und noch Armringe aus rotem Gold, damit er dem Markgrafen schnelle Botschaft bringe, dass die Könige von Burgund mit ihren Mannen Herberge bei ihm nehmen wollten. Der Recke dankte für die Gabe. „Aber kühner Held“, fügte er hinzu, „ich kenne dich wohl. Du bist der grimmige Hagen, und ich rate dir, fahre nicht zu den Hünen, denn hier bist du ein Feind, weil du Siegfried ermordet hast.“ - „Das acht' ich nur gering!“, sprach Hagen: „Nun säume nicht, dem Markgrafen die Botschaft zu bringen.“ Der Recke bestieg sein Pferd, das in der Nähe weidete, und jagte fort nach Bechelaren.
Das war eine wonnige Botschaft dem edlen Rüdiger, als er vernahm, die lieben Freunde aus Burgund wollten bei ihm zur Herberge einkehren. Er gebot seine Mannen, und hieß seine Frau Gotlinde und die schöne Tochter Dietlinde, zum Empfang sich vorzubereiten. Sie sollten, sagte er, in Zucht und Ehren die Könige und ihre Verwandten Dankwart, den Fiedeleur Volker und insbesondere seinen alten Gesellen Hagen mit Küssen empfangen, wie es Brauch war. Das ganze Haus war in freudiger Aufregung. Die edlen Frauen suchten ihre reichsten Gewänder hervor, die von Gold und kostbarem Gestein glänzten. Sobald man von der Zinne die Gäste erblickte, ritt ihnen Markgraf Rüdiger mit vielen Recken entgegen, begrüßte sie und sagte ihnen, dass er sie samt ihrem Gesinde, wie zahlreich es auch sei, wohl bewirten werde. Vor dem Haus stand die Markgräfin mit ihrer Tochter und sechsunddreißig edlen Frauen und Jungfrauen, alle in glänzendem Schmuck, mit Goldreifen um Haar und Stirn. Die Hausfrau bot den Königen und ihren Verwandten Gruß und Kuss, desgleichen tat auch nach Sitte die junge Markgräfin. Als sich aber die Tochter unbefangen dem Helden von Tronje näherte, wich sie erschrocken zurück, denn es wehte sie an wie Blutgeruch, und sie wollte und konnte ihn nicht küssen. Da wurde sie von ihrer Mutter getadelt, dass sie dem werten Gesellen des Vaters den lieben Gruß verweigere, und der Markgraf gebot ihr mit Strenge, Folge zu leisten. Sie tat es zögerlich und entfloh dann totenbleich an die Seite ihrer Mutter, als wolle sie Schutz vor dem ihr selbst unerklärlichen Schrecknis suchen. Die Jungfrau wusste nichts von der Schuld, die auf Hagen ruhte, aber es war eine Ahnung, die in der reinen Seele aufstieg und sie vor dem Freund ihres Vaters zurückschrecken ließ.
Wie die Burgunden zu Bechelaren empfangen wurden
Die edle Gotlinde schritt mit König Gunther nach der festlichen Halle, der Hauswirt folgte mit Gernot, und der junge Giselher gesellte sich der Tochter des Hauses zu. Bald saßen die Gäste beim lecker bereiteten Mahl, und mit ihnen zur Freude der Recken die edlen Frauen und Jungfrauen, die zum Gefolge der Markgräfin gehörten. Das Gesinde lagerte unter Zelten und Hütten, die man schnell aufgeschlagen hatte, und erquickte sich an Speise und Wein, die der reiche Markgraf im Überfluss spendete. Als das Mahl beendet war und der Becher kreiste, entfernte sich die junge Markgräfin Dietlinde, die neben Giselher gesessen hatte, mit dem weiblichen Gefolge, aber die Hausfrau blieb nach der Sitte bei den Gästen und sorgte dafür, dass es an Wein nicht mangelte.
Am folgenden Tag ließ der Markgraf die Gäste noch nicht scheiden, und diese waren auch nicht traurig darüber, denn es wurde alles aufgeboten, was ihnen den Aufenthalt angenehm machen konnte. Giselher insbesondere wusste den Sitz neben der jungen Markgräfin zu behaupten, und die Recken flüsterten unter sich, dass die beiden jungen Leute, er als ein kühner und herrlicher Held und sie als die lieblichste Jungfrau, wohl für einander geschaffen seien. Auf des Vaters Geheiß sang die Jungfrau zur Harfe ein Lied von einer edlen Maid, die mit Klang und Gesang ihren Vater aus den Banden eines Riesen erlöste. Wie sie das süße Getön hervorlockte, da erschien sie den Gästen noch schöner als zuvor, und mancher Recke sagte, sie werde die ganze Riesenwelt mit Klang und Gesang bezwingen. Andere sprachen bei sich, sie wollten mit allen Riesen auf Tod und Leben kämpfen, könnten sie die Huld der edlen Maid gewinnen. So redeten die frohen Gäste und blickten mit Wonne nach der lieblichen Jungfrau, wie die Schiffer nach dem Polarstern, wenn sie auf schwankendem Schiff die Wellen durchschneiden. Als aber die junge Markgräfin so viele Blicke auf sich gerichtet sah, stieg sie verschämt vom Hochsitz herab und verließ mit ihrem Mägdelein die Halle, so dass die Gäste wähnten, es sei eine lichte Himmelserscheinung vor ihren Augen entschwunden.
Dann wurde es still unter den Recken, und da erhob Volker, der kühne Spielmann, die Stimme und sprach: „Wenn ich ein reicher Fürst wäre und eine Krone trüge, dann legte ich sie der wonnesamen Jungfrau zu Füßen und spräche, du sollst meine Königin sein.“ - „Und unter einer Krone sollte sie gehen“, sprach Gernot, der Held, „wenn ich sie ihr auf das schöne Haupt setzen könnte.“ - „Ihr wisst nichts und begreift nichts!“, rief Hagen der Tronjer: „Seht ihr denn nicht, wie unser König Giselher die Jungfrau ins Herz geschlossen hat? Sag ja, König Gunther, und forsche, ob unser Gastgeber, der hochedle Markgraf, nicht widerspricht.“ - „Dessen bin ich wohl willens“, entgegnete der König, und bot Rüdiger die Hand. Freudig schlug dieser ein, doch fügte hinzu: „Bedenkt aber, werte Gäste, dass ich nicht Land und Leute zu verleihen vermag. Burgen und Städte gehören meinem Herrn, dem König der Hünen.“ - „Aber wir wollen nicht Burgen und Städte an den Rhein führen“, sagte Gernot, „nur die liebliche Jungfrau begehren wir. Wenn sie uns folgen will, so vermeinen wir, einen reichen Schatz von dem werten Gastgeber zu empfangen.“ - „Dazu wird die Tochter des Markgrafen nicht ärmlich dahinfahren“, sprach Rüdiger, „hundert Lasttiere, schwer beladen, sollen ihren Brautschatz an Gewändern und edlen Kleinodien nach Worms über den Rhein führen.“ - „Schließt den Ring, edle Recken!“, rief Volker: „Man gebiete unseren König Giselher und die edle Dietlinde hierher, dass wir fragen, ob sie beide dazu willens sind.“ Die Recken schlossen den Ring um die jungen Leute, als sie, der Botschaft folgend, in die Halle traten. Nun wurden nach alter Sitte die Fragen an sie gerichtet, ob sie einander in Treue zugetan sein wollten. Der königliche Held sprach freudig ein „Ja“, aber die Jungfrau, hoch errötend vor den Blicken so vieler Männer, zögerte, schlug verschämt die Augen nieder und flüsterte erst auf die zweite Frage ein leises „Ja“. Dann umschloss sie Giselher mit beiden Armen und gab ihr den Verlobungskuss, und der Bund war für die Lebenszeit geschlossen.
Die Gäste verweilten noch manchen Tag bei den freundlichen Wirten, und der reiche Markgraf bot alles auf, was sie erfreuen konnte. Als endlich der Tag des Abschieds kam, verlieh er jedem Recken mancherlei Gaben an Spangen, Ringen, Gewand und Rossen.
Da gab er Gernoten · eine Waffe gut genug,
Die hernach in Stürmen · der Degen herrlich trug.
Ihm gönnte wohl die Gabe · des Markgrafen Weib;
Doch verlor der gute Rüdiger · davon noch Leben und Leib.
Hagen wollte dergleichen Gaben nicht annehmen, sondern wünschte nur einen starken Schild, der unter anderem Rüstzeug an der Wand aufgehängt war. „Es ist Nudung‘s Schild, unseres einzigen Sohnes, den der ungetreue Wittich erschlug.“, sagte die Markgräfin, und ihre Tränen flossen reichlich auf den blanken Schild: „Nimm ihn hin, kühner Held, möge er dich besser behüten, als unseren Liebling. Mögest du ihn zu den Hünen mit Ehren tragen und wieder zurück über den Rhein.“ - „Ich gedenke ihn mit Ehren zu tragen“, sprach der Tronjer, „aber ich weiß nicht, ob ich ihn nach Worms bringen werde.“
Frau Gotlinde reichte auch Volker, dem unverzagten Spielmann, zwölf köstliche Spangen von rotem Gold, verziert mit manchem Edelstein. Da nahm der Held die Fiedel und strich die Saiten gewaltig und sang zum Abschied ein Lied, erst leise und lieblich, dann immer kräftiger, dass das Getön durch die weiten Räume schallte. Er sang:
Frau Minne, Frau Minne, tief, wie der Himmelsgrund,
An dem die Sterne leuchten, bist mir geworden kund.
Du hast zu Bechelaren die Herberge uns bestellt;
Da wohnt ein Wirt viel edel, ein tüchtig kühner Held,
Und Gotlinde, die Gute, die Gaben gern verleiht,
Und von ihr aufgepflegt die allerschönste Maid.
Die soll nun Krone tragen; der Krone ist sie wert,
Darum ein junger Held hat ihrer Huld begehrt.
Das Haus, wo feste Treue, wo süße Minne wohnt,
Es sei, oh Gott im Himmel, von schwerem Leid verschont.
Doch sehe ich Blutbach fließen und höre Schwerterklang,
Viel Weinen und viel Klagen: Es ist wie Grabgesang.
Der Spielmann warf die Fiedel fort, dass die Saiten mit schrillem Klang zersprangen. „Ein Höllengeist hat mir diese Töne eingegeben, ein Lügengeist, dass ich sie spielen und singen musste!“, rief er, „Aber ich will ihn wohl bezwingen.“ Damit nahm er sein Instrument wieder zur Hand und zog neue Saiten auf.
Es war ganz still im Saal geworden, und ein seltsames Grauen kam über die Gäste und über ihre Gastgeber. Nur Hagen schien davon unberührt und sagte: „So sprachen auch die Meerfrauen im Weiher, doch hab' ich darum keinen Kummer.“ Volker hatte das Saitenspiel wieder gestimmt und fiedelte und sang dazu von Liebesglück und Heldensinn so wonnesam, dass alles Grauen wich und die Sorge schwand, so dass man nur der frohen Heimkehr gedachte. Die Gäste nahmen darauf mit Grüßen und Küssen Abschied von den vieledlen Frauen. Rüdiger aber gab ihnen selbst zusammen mit vierhundert Recken Geleit durch das Land Österreich bis nach Etzelburg, wo er sie dem König der Hünen vorstellen wollte.
Als die Burgunden · kamen in das Land,
Da erfuhr es von Berne · der alte Hildebrand.
Er sagt' es seinem Herren · Dietrichen war es leid;
Er hieß ihn wohl empfangen · der kühnen Ritter Geleit.
Als man die stolze Burg mit ihren Mauern und Zinnen zu Gesicht bekam, erblickte man eine große Schar bewaffneter Männer in blanker Rüstung, die ihnen eilends entgegenritten. „Die Recken sind mir wohl kund“, sagte Hagen, „es ist der Berner Dietrich mit seinen Gesellen, die sollt ihr mit Ehren grüßen.“ Sofort stiegen die Könige samt dem Gefolge von den Rossen, und desgleichen taten auch Dietrich und seine Helden. „Seid willkommen im Hünenland, ihr tüchtigen Recken vom Rhein!“, rief der König von Bern: „Aber ich weiß nicht, ob ihr alle bei den Hünen wohl aufgenommen und behütet seid. Ich hoffe, der edle Markgraf habe euch kundgetan, dass die Königin noch immer Leid trägt um den starken Siegfried, dessen Tod sie an meinem alten Wehrgenossen Hagen zu rächen gedenkt. Wir kämpften früher Schild an Schild in Etzels Schlachten, und du hieltest manchen Speer von mir ab. So will ich dir nun hilfreich sein, so viel ich immer vermag. Doch bin ich unfroh eurer Reise zu den Hünen, der Königin wegen.“ - „Ich habe geringe Sorge um den Hass eines Weibes, weil ich im Dienst meines Lehnsherrn hierher geritten bin“, sprach der kühne Hagen, „auch tröstet mich deine Treue, vieledler Berner Held.“ - „So magst du auch meiner gedenken“, sprach Volker, der Spielmann, „in Streitesnot will ich mich als treuer Geselle erweisen.“
Nach manchem Gruß und mancherlei Reden unter den Recken, die gemeinsame Feste gefeiert und Kämpfe bestanden hatten, ritten die Könige mit ihren Mannen nach Etzelburg. An der Straße und im Burghof drängte sich das Volk, um die kühnen Burgunden, vornehmlich den viel berüchtigten Hagen von Tronje zu sehen, der den starken Siegfried erschlagen hatte. Als er vom Ross sprang und zu der Königin ging, staunte man über die hohe Heldengestalt mit breiter Brust und mächtiger Schulter, aber mancher Mann erschrak, wenn er ihm in das grimmige Angesicht schaute, das von wirrem, zum Teil schon ergrautem Haar und Bart umschlossen war. Als die Menge herzudrängte und die Herren dadurch behindert waren, blickte er mit seinem einzigen Auge so fürchterlich umher, dass die Hünen entsetzt zurückwichen, wie vor einer giftigen Schlange.
Die Recken gelangten, von Dietrich und Rüdiger geleitet, in den Burghof, wo ihnen die Königin mit Gefolge entgegenkam. Sie grüßte die Könige und küsste den jungen Giselher, ihren Bruder, aber die Recken schien sie wenig zu beachten. Da sprach der Held von Tronje: „Wenn man geladen ist und darum eine weite Fahrt getan hat, so sagt der Gastgeber nach löblicher Gewohnheit: ‚Sei willkommen!‘ Im Hünenland, dünkt mich, ist man dieser Sitte unkundig.“ - „Herr Hagen von Tronje“, sprach Kriemhild, „hast du durch deine Taten um solchen Gruß geworben? Hast du mir etwa den gestohlenen Nibelungenschatz als Gabe mitgebracht?“ - „Der liegt versenkt im tiefen Rhein, bis der Weltuntergang hereinbricht!“, antwortete der Recke: „Hätten mir die Boten kundgetan, dass die Königin der Gaben bedürftig sei, so bin ich reich genug, solche zu bieten.“ - „Deren kann ich leicht entbehren“, sprach die edle Frau, „bin ich doch nun reich genug, selbst allen Burgunden Gold und Kleinodien zu bieten. Ich wähnte nur, du wolltest mir mein eigenes Gut, das mir gestohlen wurde, zurückgeben.“ - „Ich habe an Schild, Helm, Rüstung und dem scharfen Schwert schwer genug zu tragen“, sprach der Held, „so bring' ich dir den Teufel, der hat sehr reichen Schatz.“ - „Ich begehre nicht deine Gaben!“, rief die Königin: „Du hast mir schon übel genug gedient mit tückischem Mord und listigem Raub. Und dafür bin ich noch in der Schuld.“ So schied sie mit Zorn von dem Recken, berief aber ihre Dienstmannen und versprach, dass sie dem, der Siegfrieds Tod räche, hold sein und großen Reichtum verleihen werde. Da berieten sich ihre Recken, wie sie den Dienst leisten könnten, den ihre Herrin begehrte.
Darauf wandte sich die Königin wieder zu ihren Brüdern und lud sie ein, ihre Rüstungen abzulegen, auch ihren Mannen das Gleiche zu befehlen, da es nicht Sitte sei, in Waffen vor dem König der Hünen zu erscheinen. „Davon will ich abraten!“, sprach der Held von Tronje: „Ich gedenke, Schild und Waffe vor dem König, wie vor der Königin, mit Ehren zu tragen. Man will uns wohl wehrlos machen, um uns wie gebundenes Schlachtvieh dem Schlächter zu übergeben.“ - „Wüsste ich“, antwortete Kriemhild, „wer ihm solches geraten hatte, dann sollte es ihm ans Leben gehen.“ - „Den Mann kann ich dir nennen“, sprach der Held von Amelungen: „Er heißt Dietrich von Bern und steht hier vor dir. Er weiß, dass ein teuflischer Rat gepflogen ist, die Recken vom Rhein, insbesondere meinen alten Gesellen Hagen von Tronje, zu ermorden.“ Die Königin antwortete nur mit einem zornigen Blick und schritt alsbald nach ihren Sälen.
„O weh dieses Leides!“ · sprach da Kriemhild:
„Warum will mein Bruder · und Hagen seinen Schild
Nicht verwahren lassen? · Gewiss, sie sind gewarnt:
Und wüsst' ich, wer es hat getan · der Tod der hielt' ihn umgarnt.“
Im Zorn gab ihr Antwort · Dietrich sogleich:
„Ich bin es, der gewarnt hat · die edeln Fürsten reich
Und Hagen den kühnen · der Burgunden Mann:
Nur zu, du Braut des Teufels · du tust kein Leid mir drum an.“
Da schämte sich gewaltig · die edle Königin:
Sie fürchtete sich bitter · vor Dietrichs Heldensinn.
Sie ging alsdann von dannen · kein Wort mehr sprach sie da,
Nur dass sie nach den Feinden · mit geschwinden Blicken sah.
Da nahmen bei den Händen · zwei der Helden sich,
Der eine war Hagen · der andere Dieterich.
Während die Könige noch miteinander redeten, sah man hünische Recken umhergehen, die gar feindlich nach ihnen spähten. Da fragte Hagen, ob wohl einer der burgundischen Helden mit ihm vor Kriemhilds Saal gehen wolle, damit die Hünen sähen, dass sie ohne Furcht seien. „Was fragst du lange?“, sprach der kühne Volker: „Ich bin dein Heergeselle und habe einen so scharfen Fiedelbogen, dass die Köpfe vor Wonne von den Hälsen springen, wenn ich aufspiele.“
„Sicherlich, ich helfe euch“ · so sprach da Volker.
„Und sähe ich uns entgegen · mit seinem ganzen Heer
Den König Etzel kommen · all meines Lebens Zeit
Weich' ich von eurer Seite · aus Furcht nicht eines Fußes breit.“
So gingen die unverzagten Recken in den inneren Burghof und setzten sich auf eine Bank, dem Saale der Königin gegenüber. Die edle Frau erkannte sie wohl. Sie stieg mit ihren Frauen die Treppe hinunter, und mehr als hundert wohlgewappnete Dienstmannen versammelten sich um sie. Volker wollte vor ihr aufstehen, aber der stolze Hagen hieß ihn niedersitzen, weil die Hünen sonst glauben könnten, sie hätten Furcht. Er legte auch breit auf seine Beine das gute Schwert Balmung mit dem Knauf von Jaspis und der goldberingten Scheide. Die Königin fragte ihn, warum er ihr so feindlichen Hass trage, und warum er den edlen Siegfried hinterlistig erschlagen habe? „Wahrlich“, sprach er, „ich habe niemals geleugnet, dass ich es getan habe. Um seinetwillen wurde die Königin der Burgunden geschmäht und das Königshaus in Unehre gebracht. Mit Blut musste die Schmach getilgt werden, und weil der Held zu stark im offenen Kampf war, wurde er mit List gefällt. Mag man mich darum schelten, und mag jemand das Geschehen zu rächen gedenken, ich bange und verberge mich nicht. Hier bin ich leicht zu finden.“ Da wandte sich Kriemhild an ihre Dienstmannen und forderte sie auf, den Lästerer ihrer Königin, den arglistigen Mörder zu strafen. Aber die zwei kühnen Männer blickten so grimmig umher, dass keiner der Hünen sie anzutasten wagte, auch wenn Frau Kriemhild eine reiche Fülle Goldes bot. „Gold ist wohl ein wertes Gut, aber ein zerspaltenes Haupt und ein zerhauener Leib werden davon nicht heil. Der Spielmann hat den Teufel, und lässt, wenn er den Fiedelbogen schwingt, keinen genesen. Und Hagen kennen wir wohl, wie er einst Geisel war bei König Etzel und mit Walther von Spanien an der Spitze unserer Heere focht. Damals war er noch jung, jetzt ist er an Kraft und Klugheit gewachsen. Schau, wie sein einziges Auge von Zornmut funkelt, als spähe er, wen er zuerst zerhauen wolle!“ So sprachen die Recken und gingen ihres Weges. Die Königin aber schritt voller Scham nach ihrer Kammer.
Jetzt traf die Botschaft ein, der Beherrscher der Hünen begehre, die edlen Burgunden in seinem Palast zu empfangen. Nun wurde nicht mehr gesäumt: Den König Gunther geleitete Dietrich von Bern, mit Gernot ging Herwart, der Lehnfürst von Dänenland, mit Giselher ging der edle Markgraf Rüdiger, mit Dankwart der kühne Thüringer Irnfried, und Wolfhart, Dietrichs Mann, und der Däne Iring gesellten sich zu den anderen Recken. Hagen und Volker schieden sich nicht, wie sie auch im Sturm der Schlacht stets Schild an Schild zu fechten pflegten. Als die Helden in den weiten Saal eintraten, erhob sich Etzel von seinem Hochsitz und hieß die Gäste willkommen. Sie sollten, sagte er, gute Herberge mit all ihrem Gesinde haben. Nachdem er die Helden begrüßt hatte, sprach er: „Nun wüsste ich gern die Geschichte, wer die zwei Gesellen sind, die dort beisammenstehen und wie kühne Recken erscheinen.“ - „Es ist Volker, der Spielmann, und Hagen von Tronje, mein Verwandter“, sprach König Gunther, auf die beiden Recken deutend. „So schaue ich dich nun wieder von Angesicht“, rief Etzel, „und grüße dich als alten Freund, vieledler Held. Doch du bist jetzt ein anderer Mann geworden, als du zu der Zeit warst, da ich dich wegen deiner kühnen Taten in meinem Dienst aus der Geiselhaft frei nach Burgund entließ. Du hast ein Auge verloren, dein Haar ist schwarz und grau, und furchterregend ist dein Angesicht, so dass du wohl manchen Helden erschrecken kannst, wenn du dein Breitschwert ziehst.“ - „Wer kann wissen“, sprach der kühne Held, „ob das nicht bald geschieht.“ - „Im Hünenland nimmer!“, antwortete der Herrscher: „Da bist du, wie alle Burgunden, ein werter Gast.“
Noch mancher Gruß und manche freundliche Rede wurde da gepflogen. Dann lud man die Recken zum festlichen Mahl. Es war gerade am Tag der Sonnenwende, dass die Burgunden angelangten, und sie hatten noch niemals das Fest so herrlich gefeiert, wie hier im Hünenland. Nach dem Mahl schlürften Gastgeber und Gäste reichlich süßen Met und feurigen Wein. Erst am späten Abend trennte man sich mit gegenseitigem Gedränge, und die Burgunden wurden in einen weiten Saal gewiesen, wo für sie Betten mit daunenweichen Kissen und goldumsäumten Decken hergerichtet waren.
Von allen Seiten drängen · man die Gäste sah.
Volker der kühne · sprach zu den Heunen da:
„Wie dürft ihr uns Recken · so vor die Füße gehn?
Und wollt ihr das nicht meiden · so wird euch übel geschehn.
„Die Hünen gönnen uns zwar große Ehren und gut Gemach“, sprach Hagen, „aber ich fürchte, sie haben üble List gegen uns im Sinn. Darum halte jeder Recke sein Streitgewand in Bereitschaft! Ich will Kammerdiener sein und die Tür gegen jeden Überfall wohl bewahren.“ - „So bin ich dein Geselle!“, fügte der Spielmann hinzu: „Durch zweier Recken Schwerter ist der Eingang sicherer bewahrt als durch Schloss und Riegel.“ Darauf setzten sich die Helden auf eine Steinbank vor der Pforte. Volker aber nahm sein Saitenspiel und fiedelte gewaltig, dass die Wände des Saales widerhallten, dann immer leiser und lieblicher, bis die Männer entschlafen waren. Nun ergriff er wieder Schwert und Schild und pflegte mit seinem Gesellen der Wache.
Um Mitternacht sah der Spielmann bei Sternenlicht Helme und Schilde glänzen. Er zeigte es dem Gefährten, der alsbald erkannte, dass es die Dienstmannen der Königin seien, die auf nächtlichen Mord ausgingen.
Bevor diese Recken · Kriemhild hatte entsandt,
Sie sprach: „Wenn ihr sie findet · so seid um Gott ermahnt,
Dass ihr niemand tötet · als den einen Mann,
Den ungetreuen Hagen · die andern rühret nicht an.“
…
Der Heunen-Recken einer · das gar bald ersah,
Die Türe sei behütet · wie schnell sprach er da:
„Was wir im Sinne hatten · kann nun nicht geschehn:
Ich seh' den Fiedelspieler · vor dem Hause Schildwacht stehn.
Sie kamen gar still und heimlich heran, wichen aber zurück, als sie die kühnen Wächter erblickten. Der Spielmann wollte sie angreifen und ihnen mit scharfen Schwertstreichen das Geleit geben, aber Hagen wehrte ab, weil etwa ein Haufen hinter ihrem Rücken in den Saal dringen und die schlafenden Freunde ermorden könne.
So wurde vorerst der Frieden bewahrt, und als das Morgenrot aufstieg, erhoben sich die Burgunden freudig, gürteten ihre Streitgewänder um und schritten gewappnet in den Tempel zur festlichen Feier der Sonnenwende. Auch König Etzel erschien mit großem Gefolge und fragte verwundert, als er seine Gäste bewaffnet im Heiligtum erblickte, ob sie unter seinem Schutz feindliche Begegnung erfahren hätten. Sie aber schwiegen von dem nächtlichen Vorfall und sagten, es sei die Sitte der Burgunden, in Waffen zur festlichen Feier zu schreiten. Nach dem Festopfer wurde ein reichlicher Imbiss eingenommen, dann gab es Spiele, Tänze und Gesang von Jünglingen und Jungfrauen und mancherlei Kurzweil. Dann begannen auf Wunsch des Spielmanns Volker Turnierspiele zwischen den Recken der Hünen und Burgunden. Auch die Recken Dietrichs und Rüdigers wünschten, sich mit den waffenberühmten Helden vom Rhein zu messen, aber ihre Herren verboten ihnen dieses Turnier. Daher tummelten sich die Nibelungen nur mit den kampflustigen Recken der Hünen herum und erwiesen, dass sie denselben in allen Kämpfen weit überlegen waren. Die Spiele waren zu Ende, und die Recken begehrten zu rasten. Wie sie aber den Kampfplatz verließen, sprengte noch ein starker Hünenfürst in glänzender Rüstung heran und forderte zum Turnier auf, indem er sagte, die fremden Gäste hätten sich nur mit geringem Volk versucht, nicht mit fürstlichen Helden. Darüber ergrimmte der kühne Volker, ergriff seinen Speer und stieß ihn dem anstürmenden Recken unter dem Schildrand in den Leib. „Mord! Blut! Nieder mit dem fremden Mordbuben!“, riefen da die Recken der Hünen und alles Volk, den Spielmann umringend. Schon stand Hagen an dessen Seite, schon blitzten die Schwerter, da sprang König Etzel unter die Menge, und drohte jedem den Tod, der seine Gäste schädige. So wurde der Friede äußerlich wiederhergestellt, doch blieb der Unmut in den Herzen zurück, wie die zornigen Blicke verrieten.
Da sprach der kühne Volker · der edle Spielmann:
„Zu feig sind diese Helden · sie greifen uns nicht an.
Ich hörte immer sagen · dass sie uns abhold sei'n:
Nun könnte die Gelegenheit · ihnen doch nicht günstiger sein.“
Die Helden saßen wieder beim Mahl, auf dem Hochsitz der König und die Königin. Als sie gespeist hatten, wurde mancher Becher geleert und freundliche Reden wechselten hinüber und herüber.
Da nicht anders konnte · erhoben sein der Streit,
Kriemhilden lag im Herzen · begraben altes Leid,
Da ließ sie zu den Tischen · tragen Etzels Sohn:
Wie könnt ein Weib aus Rache · wohl entsetzlicher tun?
Als dann König Etzel in heiterer Laune sein liebes Söhnchen Ortlieb sah, wie es sein Kämmerer hereinbrachte, sprach er: „Seht nur! Seht hier meine Freude und Wonne! Er gleicht seiner Mutter, und wenn er ihrem ersten Mann nachartet, dann wird er der ruhmvollste Held, und soll auch mächtig werden, wie ich selbst. Denn ich gebe ihm zwölf Reiche, die ich durch manchen heißen Kampf gewonnen habe. Wenn er größer ist, bringe ich ihn zu euch über den Rhein, dass er adlige Sitte und Kampfspiele erlerne.“ Alle Helden bewunderten das liebliche Knäblein, aber da ergriff Hagen das Wort und sprach: „Ich werde wohl niemals mit ihm zu Hofe gehen, denn das Büblein dünkt mich gar schwach, kläglich und einem frühen Tod verfallen.“ Unmutig und zornig wandten sich alle Augen nach dem kühnen Helden von Tronje. Zugleich vernahm man von außerhalb wüstes Getöse, Geheul, Waffenklirren und schallende Schwertstreiche.
Denn bevor die Helden zum Festmahl in die Königshalle schritten, sprach die Königin heimlich mit dem König von Bern. „Du wünschst, kühner Held“, sprach sie, „dein Amelungenland wiederzugewinnen. Ich will schaffen, dass dir Etzel mit seiner ganzen Macht Hilfe leistet, wenn du mir eine Bitte gewährst. Ich bin beraubt, gleich dir selbst, meines teuersten, einzigen Gutes durch schmachvollen Mord, beraubt meines Siegfrieds, des herrlichsten Helden. Räche ihn an Hagen, dem Mörder!“ - „Wolltest du, vieledle Königin, mir Amelungen- und Hünenland und die Kaiserkrone von Rom überantworten, so dürfte ich doch nicht Siegfrieds Rächer sein. Denn die Burgunden sind mir werte Freunde, und sie sind auf Treue hierhergekommen.“ So sprach Dietrich und verließ die Königin, die ungetröstet zurückblieb. Da kam Blödelin, Etzels Bruder, hastig und voll Zorn. Er erzählte ihr von dem Übermut der Nibelungen und wie Volker einen vornehmen Fürsten im Turnierspiel ermordet habe. Da sprach sie auch zu ihm von dem noch ungesühnten Tod Siegfrieds und verhieß ihm einen reichen Schatz an Silber und Gold. Doch er weigerte sich aus Furcht vor Etzels Zorn. Daraufhin bot ihm Kriemhild noch ein Markgraftum mit Burgen und Städten und dazu eine gar schöne Frau, die Witwe von Nudung (dem erschlagenen Sohn von Rüdiger), die seine Liebe bisher verschmäht hatte. Sie versprach ihm ihren wonniglichen Leib genießen zu können, und mit diesem Versprechen gewann sie den Recken der Hünen. Darauf versprach er, einen Streit zu veranlassen, und wenn Hagen herbeieile, zu schlichten, werde er ihn von seinen Mannen niederwerfen lassen und gebunden der Königin überliefern.
Nach dieser Verabredung begab sich Kriemhild in ihre Kammer, wo Vorhänge von indischer Seide nur ein mildes Dämmerlicht hereinließen. Hier überdachte sie, was geschehen war, und wie der schwache Mensch niemals die Folgen einer Absicht und Tat voraussehen könne. Da fielen ihr die Worte ihrer Mutter Ute ein: „Frauen vergießen oft mehr Blut mit ihrer Zunge und schlagen tiefere Wunden, als Männer mit ihren Schwertern.“ Sie wollte sich erheben und Blödelin zurückhalten, aber da stieg vor ihr das Bild einer Totenbahre auf, und darauf ruhte der geliebte Held mit der Todeswunde in der Brust. Er richtete sich empor und breitete die Arme nach ihr aus. Sie eilte auf ihn zu, aber da zerrann das wesenlose Bild. Dies schien ihr eine Rachemahnung, und nun war sie fest entschlossen. Sie schritt in den Königssaal und setzte sich an Etzels Seite, aber nahm an den Reden der Helden nicht teil. In ihrer Seele wogten die Gedanken auf und nieder: „Ob ich selbst, ob mein liebes Söhnchen, ob Etzel das Leben lassen sollte, ob diese Burg und das Reich der Hünen über mir in Trümmer zusammenbrächen, wenn ich nur den Mörder mit mir in die Grube ziehe, dann sterbe ich gern.“ Das waren ihre Gedanken, als sie das Knäblein Ortlieb holen ließ, und es hereingebracht wurde.
Blödelin hatte indessen seine Mannen aufgeboten und ihnen befohlen, sich zu wappnen und schweren Streites gewärtig zu sein, weil er die übermütigen Nibelungen zu züchtigen gedenke. Das war allen eine frohe Kunde, und sie folgten ihm willig in die Halle, wo Dankwart als Marschall die Knechte behütete. Der Held erhob sich vom Sessel, den fürstlichen Recken zu begrüßen, aber dieser rief ihm zu: „Bereite dich zu sterben! Die Königin begehrt blutige Sühne für den Tod des starken Siegfried.“ - „Ich bitte dich, wie soll ich Buße geben für einen Mord, an dem ich nicht beteiligt war?“ - „Es muss so geschehen!“, rief der Hüne: „Die Schwerter meiner Mannen kehren nicht unblutig in die Scheide zurück.“ - „So gereut mich mein Bitten, und ich gebe dir mit blanker Waffe Antwort.“ Damit zückte Dankwart sein Schwert und traf den Recken so kraftvoll durch den Halsschutz, dass sein Haupt ihm zu Füßen fiel.
Wildes Getümmel, wütendes Geschrei erhob sich im Saal, Speere sausten und Schwerter blitzten. Die ungerüsteten Knechte ergriffen Trümmer von Tischen und Bänken und zerschmetterten Helme und Schilde, Köpfe, Arme und Beine, doch erlag ihrer noch eine größere Zahl. Der kühne Dankwart stritt wohlgerüstet dem Gesinde voran und bahnte sich mit dem Rest der Knechte einen Weg ins Freie. Aber hier fielen noch weitere Tausende über sie her, so dass die kleine Schar den mörderischen Waffen erlag. Nur der kühne Dankwart stand noch hoch aufgerichtet und unerschüttert. Schauer von Speeren rasselten ihm auf Helm und Rüstung. Er wünschte nur einen Boten, der seine Sorgen den Königen und seinem Bruder kundtue. „Der Bote sollst du selber sein“, riefen die Knechte der Hünen, „wenn wir dich tot in den Saal tragen.“ Doch der starke Held gab sich noch nicht verloren. Wohin sein Schwert traf, da sank auch ein Hünen-Knecht. So schritt er herrlich, wie ein Sieger, durch die Menge, erreichte die Treppe, die zum Königssaal führte, und trat blutüberströmt in die große Halle. „Auf, Bruder Hagen!“, rief er: „Rette mich vor den ungetreuen Hünen! Herr Blödelin griff mich und das Gesinde an, um Siegfrieds Tod zu rächen. Er liegt von meiner Hand erschlagen. Aber auch unsere Knechte sind alle tot. Nur ich entrann den Mörderhänden.“
Da erhob sich Hagen und sprach voller Grimm: „Sage mir, Bruder Dankwart, wie bist du so blutüberströmt?“ - „Noch bin ich vor den ungetreuen Hünen genesen!“, antwortete der kühne Mann: „Es ist das Blut der Recken, die mein Breitschwert gefällt hat. Nur davon ist mein Sturmgewand vom Blut überströmt.“ - „So sei hier Türhüter, dass niemand herein- oder hinausdringe!“, sprach der Tronjer Held: „Jetzt halten wir hier Gericht.
Ich hörte schon lange · von Kriemhilden sagen,
Dass sie nicht ungerochen · ihr Herzeleid wolle tragen.
Nun trinken wir die Liebe · und zahlen Etzels Wein:
Der junge Vogt der Heunen · muss hier der allererste sein.“
Darauf zückte er sein Schwert und schlug dem Kindlein Ortlieb das Haupt ab, dass es Kriemhild in den Schoß fiel. Dann traf er den Kämmerer des Kindes zu Tode und schlug des Spielmanns Werbelin rechte Hand ab, indem er spottend hinzufügte: „Das ist für deine ungetreue Botschaft über den Rhein!“ Die Recken der Hünen erhoben sich sogleich, Speere sausten und Schwerter blitzten. Da sprang König Gunther in den Streit, suchte zu schlichten und die entbrannten Kämpfer zu scheiden. Umsonst, er selbst musste die blanke Waffe ziehen, um sich der Hünen zu erwehren. So taten auch der starke Gernot und der junge Giselher. Indessen kam Dankwart in Not, denn er wurde von außen und innen hart bedrängt. Deshalb forderte Hagen den Spielmann zum Beistand auf, und bald war die Tür durch die Schwerter zweier Recken gut verschlossen.
Sorgenvoll saßen Etzel und die Königin in dem entsetzlichen Getümmel. Auch Dietrich und Rüdiger, die am Kampf keinen Anteil nahmen, waren in Sorge. Da erhob sich der Berner Held und rief laut: „Hört mich, ihr Nibelungen! Vernehmt mein Wort, ihr Freunde von Burgund! Gewährt mir Frieden, dass ich mit meinen Mannen und dem Markgrafen Rüdiger ungeschädigt zur Herberge gehe.“ Die Stimme kannte König Gunther, und er rief zu Dietrich: „Hat dich von meinen Recken einer geschädigt, vieledler König von Bern, dann will ich Buße und Sühne leisten.“ - „Mir hat niemand ein Leid getan“, antwortete der Held, „aber ich bitte, dass ihr uns freien Ausgang gestattet.“ - „Was braucht es viel der Bitte?!“, rief Wolfhart, der kühne Mann von Dietrich: „Wir haben scharfe Schlüssel, die wohl jede Tür aufschließen, auch wenn hundert Pfortenhüter sie verwahren.“ - „Still, stolzer Geselle“, antwortete Dietrich, „du redest ohne Weisheit.“ Zugleich befahl König Gunther den Seinen, mit Streiten einzuhalten und ihre Reihen zu öffnen. Sofort zog im Frieden durch die Reihen der zornigen Burgunden der König von Bern, an einem Arm die Königin, am andern König Etzel führend, und mit ihm sechshundert seiner Recken. Dann folgte Rüdiger mit vierhundert Mannen. Ihm rief Giselher zu: „Grüße die junge Markgräfin und sage ihr, dass ich ihrer noch sterbend gedenken werde.“ Manche Hünen versuchten, mit König Etzel zu entweichen, aber jeden, der es wagte, traf alsbald des Spielmanns Schwert.
Im Saal begann nach dem Abzug Dietrichs und Rüdigers das entsetzliche Gemetzel aufs neue, und die Waffen ruhten nicht eher, bis alle Hünen tot oder sterbend in ihrem Blut lagen. Nun rasteten die Burgunden von der schrecklichen Arbeit, und mancher setzte sich auf einen Leichnam, wenn ihm ein anderer Sitz fehlte. Aber Hagen rief sie auf und gebot, dass man die Toten die Treppe hinunterwerfe, um Raum für die bevorstehenden Kämpfe zu gewinnen. Man befolgte den Rat, und mancher Recke, der wohl von seinen Wunden genesen wäre, fand durch den Sturz von der hohen Treppe seinen Tod.
„Warum pflegen denn die zagen Recken nicht ihre wunden Freunde?“, rief der kühne Volker spottend. Ein Markgraf, der einen noch lebenden Verwandten unter den Toten liegen sah, eilte hinzu und schloss ihn in die Arme, um ihn in seine Herberge zu tragen. Aber der Spielmann schwang einen scharfen Speer und traf ihn durch Rücken und Brust, dass er tot über den wunden Mann fiel. So hüteten die Gesellen Hagen und Volker der Pforte und riefen den Hünen manches höhnende Wort zu. Etzel klagte über den Fall seiner Getreuen, wurde von Hagen und Volker mit Hohn herausgefordert und wollte schon selbst zur Waffe greifen. Doch er wurde von seinen Hünen und Kriemhild zurückgehalten, die viele Tränen vergoss und einen Schild vollbeladen mit Gold und Kleinodien dem anbot, der ihren Todfeind Hagen fälle.
Wohl hörten kühne Männer die Worte der Königin, aber nur einer trat aus der Menge hervor und vermaß sich, den Preis zu erwerben. Es war Graf Iring von Dänenland, Herwards Mann. „Habe ich doch“, sprach er, „in Dänenland manchen Kampf gekämpft und manchen tüchtigen Helden gefällt, so will ich auch mit den übermütigen Burgunden ganz allein den Kampf wagen.“ So rief er laut, dass Hagen es vernahm. Darauf ließ er sich wappnen. Aber sein Lehnsherr Herward und Irnfried von Thüringen wollten ihn nicht allein den furchtbaren Feinden preisgeben. Sie kamen mit tausend gerüsteten Männern, um den Recken zu beschirmen. Als aber Hagen, die Menge der Bewaffneten erblickend, des Helden spottete, hieß dieser die Freunde zurückweichen und stürmte allein gegen die Burgunden. Zuerst versuchte er es mit dem Tronjer. Er stieß ihm den Speer durch den Schild und achtete es nicht, dass auch sein Schild von der Waffe des Gegners durchbrochen wurde. Darauf griffen beide Helden zu den Schwertern und schlugen mit großer Kraft, dass es durch das Haus scholl. Als Iring den starken Hagen nicht verwunden konnte, lief er Volker an, und dann König Gunther, denn er war schnell im Lauf und Sprung. Er traf endlich auch Giselher, und der gab ihm einen so gewaltigen Schlag auf den Helm, dass er sogleich besinnungslos in das strömende Blut fiel, das überall den Boden bedeckte. Die Recken hielten ihn für tot, aber er sprang plötzlich wieder auf, griff Hagen an und hieb ihm durch den Helm eine Wunde. Nach diesen Kämpfen sprang der Held die Treppe hinab zurück zu den Seinen.
Man erachtete ihn als den tüchtigsten Helden, und die Königin wollte ihm viel Gold reichen. Doch er weigerte sich und sagte, er werde noch einmal den Tronjer versuchen, und wenn er ihn fälle, des Lohnes der vieledlen Frau wohl mit Ehre genießen. Für solche Tat verhieß ihm Kriemhild ein freies Markgraftum mit Burgen und Städten. Dann reichte sie ihm einen guten Schild, da der seine zerhauen war, und band ihm selbst den Helm aufs Haupt. Nun ging er kühnen Mutes gegen die Burgunden. Da rief ihm Hagen zu: „Der Schaden, den du mir angetan hast, ist gar klein, nur eine Ritze. Und die Tropfen Blutes, die meine Rüstung röten, wecken erst recht meinen grimmigen Mut.“ Damit lief er dem Recken Iring entgegen, und die Schwertschläge hagelten von beiden Seiten. Endlich aber führte der Burgunde einen so furchtbaren Streich, dass Balmung durch Schild und Rüstung drang und Iring eine Wunde schlug, von er nicht wieder genesen konnte. Der Held von Dänenland wandte sich zurück zu den Freunden, aber der grimmige Hagen ergriff einen scharfen Speer, der vor ihm lag, und schoss ihm denselben durch den Helm ins Haupt, dass die Stange darin haftete. Dennoch entrann der Held bis zu Kriemhilds Fenster, wo er sterbend niedersank.
Die Königin weinte viel, als sie die Wunden des kühnen Recken sah, aber er sprach sterbend: „Klage nicht um mich, vieledle Königin! Mein Leben ist vergangen und wird durch Weinen nicht erhalten. Ich habe dir und Könige Etzel in guter Treue bis an den Tod gedient, und das ist im Sterben des Helden Trost.“ Als man darauf das Helmband löste und den Speer aus der Wunde zog, starb der treue Mann in den Armen seiner Herrin.
Den gefallenen Helden zu rächen, wappneten sich Herward und Irnfried mit allen ihren Mannen und stürmten gegen die übermütigen Nibelungen. An der Treppe erhob sich der Kampf mit den Wächtern der Pforte. Aber Irnfried, der Landgraf, fiel zuerst unter dem Schwert des Spielmanns, dann der kühne Held von Dänenland, von Hagen gefällt. Doch die Männer von Dänenland und Thüringen, zu allen Zeiten als tüchtige Kriegsleute bekannt, wichen nicht zurück. Mit wütendem Geschrei drängten sie die Wächter der Treppe aufwärts, auch wenn mancher Helm und mancher Schildrand gespalten wurde. Da rief der Held von Tronje den Burgunden zu: „Gebt Raum! Lasst sie eingehen durch die Pforte, denn es ist die Pforte des Todes, aus der sie nimmer den Rückweg finden. Volker wird ihnen ein Schlaflied fiedeln, und der Klang unserer Schwerter soll ihnen ein Nachgeläut dünken zur langen Rast.“ So öffneten die Nibelungen ihre Reihen, so dass die Helden von Dänenland und Thüringen in den blutgetränkten Saal drangen. Dort erhob sich wieder das Mordgetümmel, und mancher kühne Burgunde fiel vom Speer durchbohrt oder vom Schwert zerhauen in die Blutlachen des Saales, doch von den Angreifern entrann nicht einer dem Tod.
Abermals war das Kampfgetöse verhallt und Stille zurückgekehrt. Die stürmenden Recken entlasteten sich der Schilde und Rüstungen, denn Hagen und sein Geselle Volker hielten treue Wache. Draußen aber war viel Unruhe, da auf Etzels Gebot beständig neue Scharen gerüsteter Hünen einrückten. Wohl zwanzigtausend streitbare Männer sammelten sich vor dem Palast. Da sprachen die Burgunden untereinander: „Was hilft all unser Kämpfen, was nützt es, dass wir Tausende erschlagen haben? Ein jäher Tod wäre besser, als dass wir so lange Pein erdulden und doch endlich sterben müssen.“ Der Meinung waren auch die Könige, und sie traten hinaus vor die Menge und begehrten, dass man Botschaft an König Etzel und die Königin sende, damit sie mit ihnen über Frieden und Sühne redeten. Darauf riefen die Hünen: „Euer strömendes Blut wird die Sühne sein, und Frieden wird man euch gönnen, wenn ihr zerhauen auf dem Anger liegt, den Aaren und Wölfen zum Fraß!“ Doch einige Männer bestellten die Botschaft.
Etzel und Kriemhild erschienen sofort vor dem Saal. Als aber König Etzel von Sühne und Frieden reden hörte, fragte er, ob sie meinten, den Mord seines Söhnchens, den Tod von Tausenden seiner Verwandten und Mannen mit schnödem Gold zu büßen? Umsonst sprach Gunther, wie man ihn und die Seinen in Lieb und Freundschaft eingeladen, wie man darauf all ihr Gesinde erschlagen und sie selbst angegriffen, wie die Not sie zur Gegenwehr gezwungen habe. Etzel forderte unbedingte Unterwerfung. Als sich darauf Giselher erhob und meinte, er habe doch niemand Übles zugefügt, riefen die Hünen, von seiner „Güte“ sei die ganze Burg voll, und das Weinen der Frauen um Männer und Söhne bezeugten seine Wohltat. Der junge König wandte sich nun an seine Schwester und erinnerte sie daran, wie er niemals an den Ratschlägen gegen Siegfried und sie Anteil genommen, wie er sie getröstet, und wie sie selbst bei ihm gar oftmals Rat und auch die Liebe gesucht habe, die ihr andere versagten. Diese Rede leuchtete wie ein lichter Stern in die verfinsterte Seele der edlen Frau. Sie hätte den Bruder gern in die Arme geschlossen und vor dem Schicksal bewahrt, das die anderen Burgunden erwartete. Da sprach sie nach kurzem Bedenken: „Du bist mein lieber Bruder, der mich niemals gekränkt hat. Um deinetwillen sollen auch die anderen Brüder und ihre Verwandten und Mannen aus Burgundenland Frieden haben, doch nur wenn sie uns den Mordstifter Hagen als Geisel überantworten, auf dass wir mit ihm verfahren, wie er verdient.“ - Darauf sprach Gernot: „Das verhüte Gott im Himmel! Und wären wir tausend deiner Verwandten, wir wollten alle tot vor dir liegen, eh wir nur einen Mann zur Geisel gäben. Das wird niemals getan!“ So rief auch Giselher: „Wir müssen doch alle irgendwann sterben! Aber von Heldenehre und ritterlicher Wehr soll uns niemand scheiden. Wir sind auch weiterhin zum Kampf bereit. Ich werde nie die Treue an einem Freund verraten!“ Und der kühne Dankwart sprach: „Noch steht mein Bruder Hagen nicht alleine hier. Die uns den Frieden verweigern, werden es noch schwer beklagen. Das sollt ihr wahrlich erfahren!“
Erzürnt über den Trotz der Nibelungen, forderte die Königin alle Hünen auf, jene in das Haus zurückzutreiben. Da erhob sich ein Sturm von Geschossen. Pfeilschauer und Speere flogen in solcher Menge, dass die Helden in den Saal zurückweichen mussten. Die edle Kriemhild kannte nun kein Erbarmen mehr. Sie befahl, das obere Geschoß des Hauses, das von Holz gezimmert war, in Brand zu stecken. Bald zischten Feuerpfeile durch die Luft und hafteten im Gebälk. Sofort erhoben sich lodernde Flammen aus dem Giebel des Hauses. - Der lange Sonnenwendetag war vergangen, und die Sonne sank rotglühend unter den Horizont. Von dort beleuchtete sie noch die Rauchwolken, die aus dem Haus emporwirbelten, bis die Nacht ihre Schatten ausbreitete. Aber der Brand erhellte weithin Burg und Land. Bald brach krachend der obere Bau zusammen, und lautes Johlen und Jubeln der Menge verkündigte, dass das Werk der Rache vollendet sei. Kriemhild wähnte durch das Getümmel das Ächzen der vom Rauch Erstickten und das Jammern der in den Flammen Sterbenden zu hören. Sie verweilte nicht länger, sondern begab sich mit Etzel in ihre Herberge. Da stand sie am offenen Fenster und blickte nach der Brandstätte, aus der noch immer Flammen hervorzüngelten. Dann gedachte sie der Vergangenheit, wie sie als zarte Jungfrau der Jagd auf das Getier des Waldes nicht beiwohnen wollte, und jetzt war Menschenmord ihre Lust. Sie gedachte ihres ersten jungfräulichen Grußes: „Sei willkommen, Herr Siegfried“, ihrer Wonne, als der strahlende Held ihre Hand ergriff und sie küsste. Dann kam ihr in den Sinn, wie sie so froh und ohne Harm in Niederland an seiner Seite lebte, und schließlich der entsetzliche Mord und der Hohn des Mörders. Ja, das unentrinnbare Schicksal und die Tücke der Menschen hatten das alles gefügt, dass ihr Herz so hart wurde, dass sie nun Blutströme fließen und die Brüder in den Flammen sterben sehen konnte.
Auch die müden Helden in der leichenvollen Halle sahen am Abend des Sommertages die Sonne untergehen. Wäre sie doch ein Bote, der ihnen durch Zauberkraft in der kurzen Nacht hilfreiche Freunde aus Burgund zuführte! Sie blickten durch die Fenster, ob nicht der gute Rüdiger oder der Berner Held mit ihren Mannen zum Beistand heranzögen, aber da grinsten ihnen überall nur barbarische Hünen entgegen. Bald sahen sie Feuerpfeile und Brände fliegen und erkannten wohl, dass man sie dem Flammentod überliefere. Hitze und Qualm peinigten die kühnen Männer und nahmen immer mehr überhand. Nur einen Tropfen Labung wünschten sie von den Bächen und Wiesenquellen der Heimat. Da mahnte Hagen, sie sollten in dieser Not das Blut der Erschlagenen trinken, das stärke den Leib mehr als Speise und Trank. Erst folgte ein einzelner seinem Rat, und da sich derselbe davon gekräftigt fühlte und dem Tronjer Dank sagte, folgten mehrere und endlich alle seinem Beispiel.
„Nun lohn' euch Gott, Herr Hagen“ · sprach der müde Mann,
„Dass ich von eurer Lehre · so guten Trunk gewann!
Man schenkte mir selten · noch einen bessern Wein.
Solang' ich leben bleibe · will ich euch stets gewogen sein.“
Das Krachen des einstürzenden Oberbaues erfüllte sie mit neuem Schrecken, aber die hohe Wölbung des Saales, gestützt durch mächtige Säulen, brach nicht. Sie barst nur hin und wieder von der Glut, so dass Brände durch die Risse fielen, die auf Hagens Geheiß in das Blut getreten wurden. Wie wünschten die gequälten Recken den Morgen herbei, der, wie sie hofften, kühle Winde bringe. Endlich ging der Morgenstern auf, und bald folgte die Tagbestrahlerin, und frische Lüfte wehten den Helden Kühlung zu. Der Tronjer gebot, man solle sich ganz ruhig verhalten, sich in die inneren Räume zurückziehen, damit die Feinde meinten, sie seien dem Feuer erlegen. Das geschah, und in der Tat drangen die Hünen mit neuem Mut die Treppe herauf, aber sie stürzten noch schneller wieder hinunter, als die Burgunden hervorbrachen und mit Speer und Schwert unter sie schlugen. Denn es waren noch sechshundert kühne Recken in dem Saal, die sich durch den Bluttrank gekräftigt hatten.
Die Königin vernahm mit Staunen die Botschaft, dass die Nibelungen noch am Leben und zu neuem Streit gerüstet seien. Wie sie auf neuen Rat sann, rief ein Führer der Hünen, sie solle doch den Markgrafen von Bechelaren herbeirufen, der vom großen König Burgen, Städte und viel Reichtum zum Lehen trage, oder den Berner Dietrich, der als Flüchtling schon so lange des Königs Huld genieße. Das dünkte der Königin eine kluge Rede, und sie schickte Botschaft an Rüdiger.
Der edle Markgraf folgte ohne Verzug dem Boten nach der Königsburg und trat vor König Etzel und dessen Gemahlin, die ihn erwarteten. Da sprach ein Hüne zu ihm: „Nun seht, wie traurig der Held hier steht, den König und Königin vor allen anderen mit Burgen und Reichtümern erhöht hat, aber in diesem Kampf noch keinen löblichen Schlag getan hat! Ich denke, ihn kümmert wenig, was mit uns hier geschieht, solange er in Fülle lebt. Man rühmt wohl seine Kühnheit, aber davon konnten wir bisher nichts sehen.“ Darauf erzürnte Rüdiger über diese lautstarke Rede vor allen Hünen am Hofe, fühlte seine Ehre verletzt, griff mit geballter Faust an und schlug den Kühnen mit solchen Kräften nieder, dass er tot zu Boden stürzte.
Das vermehrte noch die Not des Königs, und er sprach von dem schweren Leid, das ihm bereits widerfahren war, wie die Gäste vom Rhein sein Söhnchen und fast alle seine Verwandten und Mannen erschlagen und das ganze Land in Trauer versetzt hätten. Darauf erinnerte er den tüchtigen Helden daran, wie er voreinst, aus seinem Vatererbe vertrieben, mit wenigen Mannen zu ihm gekommen sei, das reichste Markgraftum und große Reichtümer und Ehren empfangen und dafür treue Hilfe und Dienste bisher geleistet habe. Nun aber, fuhr Etzel fort, sei die Zeit gekommen, dass er seine Treue erweise, indem er die Nibelungen für den großen Schaden, den sie getan, und für alles Leid, das sie dem königlichen Hause und dem Lande zugefügt haben, mit dem Schwert bestrafe. „Mein Herr und mein König“, sprach der gute Held bekümmert, „was du sprichst, ist sicherlich wahr, und ich bin dafür zu jedem Dienst bereit, sollte es auch mein Leben kosten. Nur begehre nicht, dass ich jenen die Treue breche, die ich ihnen gelobt habe, als sie bei mir Herberge nahmen und ich sie persönlich auf dein Gebot nach Etzelburg geleitete. Sie haben mir voller Liebe vertraut, und der junge Giselher hat mein Töchterlein auserwählt, dass sie mit ihm in Burgund die Krone tragen solle. Ich meine, es wäre übelgetan, gegen solche Freunde das Schwert zu erheben.“ Als ihn darauf der König an seinen Lehnseid erinnerte, fuhr er fort: „Nimm alle meine Burgen und Städte zurück, allen Reichtum, womit deine Gnade mich begabte, dazu die Habe, die ich selbst erwarb. Am Bettelstab will ich mit Frau und Kind in die freudlose Fremde ziehen, aber meine beste Habe, die Ehre und Treue, die nehme ich mit mir in die Fremde.“
„Ehre und Treue nimmst du nicht mit dir, edler Markgraf“, sprach die Königin, „deren beraubst du dich selbst, wenn du dich des Gehorsams verweigerst. Gedenke der Zeit, als du nach Burgund kamst, um mich für Etzel zu werben. Mir schien es übelgetan, ohne Freund und Helfer zu den heidnischen Hünen zu fahren. Da gelobtest du mit teurem Eid, mir Helfer zu sein gegen jedweden Widersacher, nur nicht gegen deinen Lehnsherrn. Die mir gelobte Treue ist älter, als die du den Nibelungen schuldest. Wenn du sie brichst, dann verlierst du die Ehre!“ Rüdiger stand lange Zeit stumm vor der hohen Königin, dann sprach er: „Nimm mein Haupt, berufe einen deiner Beilträger, dass er es mir abschlage und dir zu Füßen lege. Ich werde nicht mit den Augen zucken. Aber erlasse mir, was ich nicht leisten darf.“ - „Dein Haupt begehr ich nicht“, antwortete Kriemhild, „sondern dein Schwert, und das fordern dein Lehnsherr, dein Eid und deine Ehre.“ Wiederum blieb der kühne Held stumm, wurde bald bleich, bald rot, und schließlich rief er: „So muss denn geschehen, was ich niemals gedacht habe.“ Mit diesen Worten nahm er Abschied und ging, sich zum Streit zu rüsten. Er berief seine Mannen und gebot ihnen, sich zu wappnen, um in den Kampf gegen die Burgunden zu ziehen. Einerseits war es ihnen lieb, sich mit den kühnsten Helden zu versuchen, anderseits auch leid, weil sie zu Bechelaren mit ihnen in Liebe und Frieden gewesen waren.
Die Nibelungen erfreuten sich noch der kühlen Morgenluft und spähten umher, ob nicht etwa eine unerwartete Hilfe komme. Da rief Giselher frohlockend: „Er naht, der treue Helfer in der Not, der edle Markgraf mit seinen Mannen! Oh, wir werden Bechelaren, wir werden den Rhein wiedersehen! Seid nur getrost, werte Freunde, denn auch der Berner Held wird uns nicht verlassen.“ - „Ich denke, dass werte Freunde nicht mit erhobenen Schilden und gezückten Schwertern kommen“, sprach der Spielmann, „ich denke, sie wollen uns angreifen.“ Er hatte kaum die Worte gesprochen, so stand schon Rüdiger mit seinen Mannen vor dem Saal, setzte den Schild zur Erde und rief: „Ihr edlen Nibelungen, gedenkt der Gegenwehr. Wie harmvoll ich darum bin, ich muss mit euch, den werten Freunden, zum Streite gehn.“ - „Das wolle Gott verhüten“, sprach König Gunther, „dass du uns das Leben nähmst, da du uns doch so gute Herberge gegönnt und jedem reiche Gabe verliehen hast.“ - „Ach, wäre ich doch längst im Sturm der Schlacht mit Feinden erstorben“, rief Rüdiger, „dann müsste ich jetzt nicht gegen die lieben Freunde kämpfen. Aber der Eid, den ich einst Etzels Frau gelobt, zwingt mich zum blutigen Werk, auch wenn ich nicht will.“ - „Wie gern, edler Markgraf“, sprach da Gernot, „wie gern möchte ich dir mit diesem Schwert dienen, das ich aus deiner Hand empfing, wäre mir die Heimkehr vergönnt. Es ist mir treugeblieben in den schweren Kämpfen. Doch wenn du mir die Freunde erschlägst, dann wirst du selbst seine Schärfe fühlen.“ - „Wollte Gott es so fügen“, antwortete der Held, „dass du die Waffe über den Rhein trägst und ich hier tot läge. Und wenn das so geschieht, dann nimm meine traute Frau und mein verwaistes Kind in deinen Schutz.“ - „Wie kannst du so reden?“, sprach Giselher, der Junge: „Sie alle, die hier stehen, sind deine Verwandten, dieweil du mir deine Tochter verlobt hast. Willst du dein einziges Kind so früh zur Witwe machen? Wie habe ich dir vor allen Helden so fest vertraut, als ich um deine schöne Tochter warb?!“ - „Gedenke deiner Treue, du, den ich schon Sohn nenne! Wenn dich und deine Verwandten Gottes Gnade heimwärts senden, dann lass die Jungfrau nicht entgelten, was ihr Vater aus Not hier tut.“ - „Sei nur getrost, guter Held“, antwortete Giselher, „die Liebe in meinem Herzen wankt nicht, solange ich lebe. Nur der Tod scheidet mich von dir und der lieblichen Jungfrau, wenn wir alle vor dir sterben.“ Darauf sprach Hagen: „Vergönn auch mir ein Wort, edler Markgraf! Meinen Schild, den mir Frau Gotlinde zu Bechelaren gab und den ich treulich nach Etzelburg trug, haben mir die Hünen zerhauen. Trüge ich einen so guten Schild wie du, dann bedürfte ich keiner anderen Waffe.“ - „Wie gern wollte ich ihn dir bieten“, sprach der Markgraf, „dürfte ich nur vor Kriemhilden. Und doch, da nimm ihn hin, Freund Hagen! Hei, möchtest du ihn bis nach Burgund tragen!“
Als Rüdiger dem Recken die werte Gabe so willig bot, glänzte in manchem Auge eine Träne und mancher Burgunde sprach, ein Held wie Rüdiger sei und werde in der weiten Welt nicht mehr geboren. War es doch vielleicht die letzte Gabe, die er im Leben verlieh. Wie grimmigen Mutes auch Hagen immer war, das drang ihm zu Herzen und erweichte seinen Sinn. Er sprach: „Nun lohne dir Gott, dass du mich so rüstest. Ich aber gebe dir Frieden, auch wenn du alle meine Verwandten und Mannen aus Burgundenland erschlägst, auch wenn mich selbst dein Schwert bedrohte, diese Hand sei verflucht, wenn ich sie gegen dich erhebe.“ - „Den gleichen Frieden biete ich dir“, sprach der kühne Volker, „und siehe hier diese roten Spangen, die ich aus Gotlindes Hand empfing: Die lege in mein Grab, wenn wir Burgunden im Kampf fallen, und sage der edlen Markgräfin, wie ich ihre Gabe bis in den Tod bewahrt habe.“
Die Männer von Bechelaren, begierig, Siegesruhm an den unbezwinglichen Nibelungen zu erwerben, drängten zum Kampf, der erst lässig, aber bald immer heftiger entbrannte. Man sah einen Freund fallen, und man suchte zu rächen. Das strömende Blut nährte und vermehrte die Kampfeslust, gleichwie das Öl die Flamme mächtiger anfacht. Auch der edle Rüdiger wurde in den sinnberauschenden Strudel fortgerissen und stürmte wie der Engel des Verderbens durch die Reihen der Burgunden, während sich Giselher, Hagen, Volker und auch Dankwart schier wie fluchtbereite Recken zurückhielten. Als aber der Markgraf, rot vom Blut gefällter Männer, daher schritt und einen werten Verwandten der Könige erschlug, konnte es Gernot nicht mehr ertragen und rief ihn zum Kampf auf, indem er ihn mit seiner eigenen Gabe bedrohte. Das Wort war kaum gesprochen, so traf ihn schon Rüdigers Schwert, dass der Helm zerbarst und ein Blutstrom hervorquoll. Aber der todwunde Held erhob mit letzter Kraft das Breitschwert und schlug ihm durch Schild und Helm die Todeswunde. Alle, die diese kühnen Männer fallen sahen, schrieen laut auf, denn es war, als habe ein jeder einen Bruder verloren. König Gunther sprach: „Wir haben nun den größten Schaden genommen. Zwei Männer, die uns die liebsten waren, sind hier erlegen, jedweder durch des anderen Hand. Nun wird keiner mehr von uns genesen.“
Hoch schwang er Rüdigers Gabe · die in der Hand ihm lag;
Wie wund er war zum Tode · er schlug ihm einen Schlag
Auf des Helmes Bänder · und durch den festen Schild,
Davon ersterben musste · der gute Rüdiger mild.
So reicher Gabe übler · gelohnt ward nimmermehr.
Da fielen beide erschlagen · Gernot und Rüdiger,
Im Sturm gleichermaßen · von beider Kämpfer Hand.
Da erst ergrimmte Hagen · als er den großen Schaden fand.
„Lasst euer Klagen und Weinen bleiben!“, rief der Held von Tronje: „Wie harmvoll wir sind, so stehen wir noch in Wehr und müssen des Kampfes gedenken.“ Schon drangen die Recken von Bechelaren zornigen Mutes heran, den werten Herrn zu rächen. Doch obwohl auch mancher Burgunde unter ihren Schwertern fiel, sie konnten die starken Helden nicht bestehen. Gunther und Giselher, Hagen, Volker und Dankwart ließen keinen genesen. Wohl zweihundert Nibelungen, aber auch alle Mannen von Bechelaren fielen in diesem entsetzlichen Kampf. Die noch am Leben waren, saßen zum Sterben müde oder lehnten an den Wänden und atmeten die Kühlung, die durch Fenster und Tür in den Saal drang. Das war die einzige Erquickung.
Die Helden schwiegen alle in dem weiten Saal, weil sie trotz ihres Sieges voller Sorgen waren. Da vernahm Volker, wie draußen vor dem Haus mancherlei geredet wurde. Er erkannte die Stimme der Königin die unmutig sprach: „Nun siehst du, König Etzel, wie uns der werte Held von Bechelaren in Untreue dient und es übel lohnt, dass wir ihm Burgen und Reichtum verliehen haben. Er hat Sühne und Bund mit den Nibelungen geschlossen und wird sie bald aus Hünenland geleiten.“ - „Lasst die Sorge schwinden“, rief der Spielmann dagegen, „der gute Held hat euch gedient bis in den Tod. Da erst wurde die Sühne geschlossen.“ Er ließ darauf den zerhauenen Leib des Markgrafen emporheben, dass der König, die Königin und alle Hünen ihn erblickten.
Da sie den Markgrafen · tot sahn vor sich tragen,
Da vermocht' euch kein Schreiber · zu schildern noch zu sagen,
Die ungebärdige Klage · so von Weib als Mann,
Die sich aus Herzensjammer · da zu erzeigen begann.
König Etzels Jammern · war so stark und voll,
Wie eines Löwen Stimme · dem reichen König scholl
Der Wehruf der Klage · Auch ihr schuf's große Not;
Sie weinten übermäßig · um des guten Rüdiger Tod.
Der Palast und der Hof ringsum hallten vom Weinen und Klagen um den Helden von Bechelaren wider. Das vernahm einer der Männer Dietrichs und ging eilends zur Herberge, wo sich der König von Bern mit seinen Gesellen befand. Dort erzählte er ihm, was er vernommen hatte. Das dünkte aber dem Berner wenig glaubhaft, und er forderte einen Boten, der ihm gewissere Kunde bringe. „Der Bote will ich sein!“, rief der kühne Wolfhart: „Ich will die Burgunden selbst befragen, ob sie noch nicht Blut genug vergossen haben.“ - „Du bist ein zorngemuter Recke und würdest alsbald mit dem Schwert in der Hand die Freunde aus Burgund befragen. Mich dünkt, der Recke Helfrich wird ein besserer Bote sein.“ - Sofort ging Helfrich nach dem Palast und kehrte bald mit der traurigen Botschaft zurück, dass die Burgunden den guten Rüdiger erschlagen hätten. Darauf entsandte Dietrich den alten Meister Hildebrand zu den Nibelungen, um zu erforschen, wie und warum sie das üble Werk getan hätten.
Der Meister wollte ohne Waffe und Rüstung die Botschaft bringen, aber Wolfhart, der ihm begegnete, tadelte ihn, weil er ungerüstet zu den Gerüsteten gehen wolle, und fragte ihn, ob er wohl vermeine, die Spott- und Stachelreden Hagens und Volkers leichter zu ertragen, wenn er im Lammfell vor den Wölfen stehe? Dem Meister dünkte die Rede gut. Er kehrte um und legte seine stahlfeste Rüstung an. Als er auf dem Weg war, sah er, wie ihm alle Mannen Dietrichs unter Wolfharts Führung in voller Rüstung folgten. Er wies den zornmutigen Neffen mit Scheltworten zurück, aber der beharrte darauf, er müsse den werten Oheim vor Schmach behüten, und die Recken sprachen alle, solches müsse ihnen unverwehrt sein. Als nun die kühnen Helden, wohl fünfhundert Mann, vor das Haus kamen, fragte Meister Hildebrand, den Schild vor sich niedersetzend, ob es wahr sei, was man vom Tod des allgeliebten Markgrafen berichte. „Obwohl wir wohl alle wünschten, der Bote habe euch getäuscht“, antwortete Hagen, „so ist doch die Kunde ungelogen, denn uns zwang des Streites Not.“ Laut klagten die Amelungen um den werten Freund, und Wolfhart hätte am liebsten sogleich zum Schwert gegriffen. Doch der Meister hielt ihn zurück, indem er ihn mit dem Zorn Dietrichs drohte. Zu den Nibelungen gewandt, bat er im Namen seines Herrn, sie möchten ihnen den Leib des erschlagenen Helden ausliefern, damit sie ihm die letzte Ehre erweisen könnten. „Das zeugt von Liebe und Treue“, sprach König Gunther, „dass ihr dem die letzte Ehre geben wollt, der ihrer, wie kein anderer, würdig ist.“
„Wie lange lasst ihr uns wie Bettler hier stehen?“, rief der ungestüme Wolfhart: „Lasst uns den Toten von hinnen tragen, den ihr erschlagen habt.“ - „So holt ihn doch selber aus dem Saal!“, rief der kühne Spielmann: „Uns kampfesmüden Recken dünkt das Geschäft schwer. Ihr aber leistet dann dem Freund den Dienst in vollem Maße.“ - „Du solltest uns nicht reizen“, antwortete Wolfhart, „da wir von euren Händen so großes Leid erfahren haben. Dürfte ich nur vor meinem Herrn, so kämt ihr in Not.“ - „Die Angst ist wohl zu groß!“, rief Volker: „Wer alles unterlässt, was man ihm verbietet, ist nicht als ein kühner Held zu achten.“ - „Das sollst du wohl erfahren!“, sprach Wolfhart: „Ich verstimme dir die Saiten, dass du die rechten Töne niemals wiederfindest.“ - „Verwirrst du mir die Saiten“, sprach der Spielmann, „dann trübe ich dir des Helmes Schein mit meinem scharfen Fiedelbogen.“ Gleich wollte der zornige Held auf den Spielmann losstürzen, aber sein Oheim hielt ihn fest. „Ich wähne“, sprach er, „du willst toben mit deinem dummen Zorn und unseres Herrn Huld auf immer verlieren. Er hat uns den Streit verboten.“ - „Lasst ihn nur los, den wilden Löwen, Meister!“, sprach der Fideleur: „Er ist gar grimmigen Mutes. Aber ich will ihm die Zähne wohl zerschlagen, dass er auch ein Kindlein nicht mehr beißen soll.“ Da riss sich der Recke vom Oheim los und stürmte gegen die Helden aus Burgund, und die Amelungen drängten nach in den Saal mit schallendem Kriegsruf, und Meister Hildebrand, fortgerissen im wilden Sturm, war bald voran, als der Kampf begann.
Da stritten nun mit den müden Nibelungen die kühnen Helden aus Amelungenland, die mit ihrem Herrn in der Völkerschlacht von Raben und in den Schlachten der Hünen gegen die Wilkinen und Reußen gefochten hatten, die erprobten Gesellen Dietrichs im Glück wie im Unglück. Da waren der starke Siegstab, Herzog von Bern, der unverzagte Helfrich, die kühnen Helden Wolfwin, Wolfbrand, Helmnot, Ritschart und andere, die alle den Tod Rüdigers zu rächen suchten. Das Getümmel war groß, so dass sich oft die nicht finden konnten, die sich suchten. So wurden Volker und Wolfhart im heißen Kampf voneinander getrennt. Der Spielmann stürzte auf Siegstab, der viele Burgunden gefällt hatte, und gab ihm durch Schild und Rüstung den Todesstreich. Dagegen traf ihn der alte Hildebrand, dass alles Helmgespänge zersplittert umherstob, und so der kühnste Kämpfer sein Ende fand. Dankwart fiel unter Helfrichs Schwert. Noch mehr der burgundischen Recken fällte der wütende Wolfhart, bis ihm Giselher entgegentrat. Nach schwerem Kampf hieb ihm der junge König durch Schild und Rüstung tief in die Brust, aber sterbend fasste er mit beiden Händen das Schwert und spaltete dem Gegner Helm und Haupt.
Der alte Hildebrand sah den Fall seines Neffen Wolfhart und eilte, über Waffentrümmer und Leichen schreitend, zu ihm. Er hob ihn aus dem Blutstrom und wollte ihn aus der Mordhalle tragen, aber er war zu schwer. Da schlug der wunde Held noch einmal die Augen auf und sprach mit matter Stimme: „Oheim, sage unseren Verwandten und Freunden, sie sollen um mich nicht weinen, ich sei von der Hand eines edlen Königs erschlagen worden, wie er von der meinen. Nun ist mein wildes Blut ganz ruhig geworden, und ich liege in des treuesten Mannes Armen friedlich, wie ein Kind an der Mutterbrust, und entschlafe sanft. Mich dünkt, ich werde genesen.“ Es waren die letzten Worte des stürmischen Recken, der nun im Tode Ruhe gefunden hatte. Wie Wolfhart, so lagen bald auch die anderen Berner Helden außer Hildebrand auf dem blutigen Grund zur langen Rast gebettet, und mit ihnen die Burgunden, von denen nur noch Hagen und König Gunther aufrecht standen.
„Wie nun, Meister Hildebrand?“, rief eine raue Stimme: „Jetzt zahlst du mir die Buße für meinen Heergesellen Volker!“ - Es war Hagen, der so den Alten anrief und zugleich mit mörderischen Schlägen überfiel. Der Meister wehrte sich tüchtig, aber Hagen war kraftvoll und grimmig und Balmung scharf. Ein furchtbarer Streich zerschnitt Hildebrands Rüstung, dass reichlich Blut hervorquoll. Als der Alte die Wunde fühlte und dem Recken in das grimmig-schreckliche Antlitz blickte, ergriff ihn zum ersten Mal in seinem langen Leben Furcht, und er entrann, den Schild auf den Rücken geworfen, wie ein Feigling.
Mit zerhauener Rüstung und rot von eignem und fremdem Blut trat der Alte vor seinen Herrn. Als ihn derselbe fragte, ob er mit den Nibelungen gekämpft und darum so nass vom Blut sei, berichtete er zuerst, wie die Burgunden den guten Rüdiger erschlagen und sich geweigert hätten, auch nur den toten Leib zur Bestattung herauszugeben. Das war dem Berner ein großer Harm, so dass er nicht weiterfragte, wie sich das schwere Leid begeben habe. Er bat darauf den Alten, dass er seinen Mannen gebieten solle, sich zu bewaffnen. „Wem soll ich denn gebieten?“, sprach der Meister: „Die Helden von Bern stehen alle hier, du selbst, oh Herr, und ich. Und auch die Nibelungen bestehen nur noch aus Hagen und König Gunther.“ Dietrich begriff erst nicht die Rede, als er aber die Geschichte recht vernahm, da klagte er laut um seine Freunde und Gesellen. „Wie konnten nur die kühnen Männer den streitmüden Recken erlegen sein?! Wer soll mir nun helfen, dass ich Amelungenland wiedergewinne?“ So rief er in seinem Harm. Aber der Held, der schon viel erduldet hatte, erhob sich endlich wieder in seiner Kraft und schritt wohlgewappnet mit Hildebrand nach dem Haus, wo Gunther und Hagen, auf ihre Schwerter gestützt, einsam unter Blut und Leichen saßen. Sie sahen ihn kommen und ahnten, was er zu werben gedenke.
Dietrich warf ihnen vor, wie sie ihm für alle Freundschaft das schwerste Leid zugefügt hätten, und forderte sie auf, sich ihm zu Geiseln zu ergeben. Dagegen meinte Hagen, wenn sich zwei kühne Helden in voller Rüstung ihm ergeben wollten, dann wäre das so lästerlich wie des alten Meisters Flucht. Er habe nie geglaubt, fügte er hinzu, dass Hildebrand mit fluchtfertigen Beinen ihm so eilends entrinnen werde. Dagegen sprach Hildebrand, der Tronjer habe einst nicht minder lästerlich auf seinem Schild sitzend am Wasgenstein zugesehen, wie Walther von Spanien seine wertesten Freunde erschlagen habe. Dietrich verwies beiden, dass sie wie alte Weiber zankten und schmähten, und forderte zum Kampf. Zuerst sprang Hagen heraus, und wohl klang Balmung in seiner starken Hand und brachte den Berner in Not. Aber dieser verstand, sich zu schirmen und den gewaltigen Streichen auszuweichen. Als er den kühnen Mann ermüdet sah, unterlief er ihn unversehens, warf ihn zu Boden und band ihn. Den Gefangenen führte er vor Kriemhild und empfahl ihn ihrer Gnade, da er, wie er sagte, der tüchtigste und kühnste Recke in allen Landen sei. Er vernahm den Dank und das Lob seiner Tapferkeit aus ihrem Mund, aber sah nicht den Strahl von Freude, der über ihr finsteres Angesicht glitt, noch hörte er das Aufjauchzen ihres Herzens, das sie nicht lautwerden ließ. Er eilte fort zum letzten Kampf mit König Gunther.
Kriemhild sah sich am Ziel. Über die Leichen der edelsten Helden, durch Ströme von Blut war sie gewandelt, und jetzt stand sie dem gefangenen Todfeind gegenüber. Er erkannte wohl sein Schicksal in ihren Blicken, aber bewahrte seinen Trotz, wie ein gebundener Tiger, der noch mit glühenden Augen seinem Überwinder entgegenstarrt. Da gedachte sie noch einmal, dem feindlichen Mann das Geheimnis des geraubten Nibelungenschatzes zu entreißen. Sie sprach ihn daher mit freundlichen Worten an und verhieß ihm sichere Heimkehr, wenn er ihr mit Wahrheit antworte. Diese Milde schien den Helden zu rühren, und er sagte, er wolle ihr das Geheimnis gern entdecken, aber er habe mit teurem Eid gelobt, den Ort des Schatzes nicht zu verraten, solange noch einer der Könige am Leben sei. Sie versicherte ihm nochmals auf das Bestimmteste, dass sie ihr Versprechen halten werde, wenn er nach ihrem Willen tue. Darauf ließ sie ihn in sicheres Gewahrsam bringen. „Lüge um Lüge, Trug um Trug“, sprach er bei sich, als er fortgeführt wurde.
Bald erschien nach einem letzten harten Kampf der Berner Held mit dem gebundenen König Gunther, den man sofort gleichfalls, aber in einen abgesonderten Kerker brachte. Kriemhild sann, was nun weiter geschehen solle. Siegfrieds Mörder waren in ihren Händen. Der eine hatte die Untat gestiftet und mit arger List meuchlerisch ausgeführt, der andere sie mit seinem königlichen Wort genehmigt, besiegelt und dem Meuchler vergönnt, Hohn und Kränkung auf sie zu häufen, statt ihrer Klage ein williges Ohr zu leihen. Er und der Mordgeselle mussten ihrer Rache zum Opfer fallen.
„Ich bring' es zu Ende“ · sprach das edle Weib.
Dem Bruder ließ sie nehmen · Leben da und Leib.
Man schlug das Haupt ihm nieder · bei den Haaren sie es trug
Vor den Helden von Tronje · da gewann er Leids genug.
Da wurde dem König das Haupt abgeschlagen und Hagen vor die Füße gelegt, um ihn zu überzeugen, dass der letzte König von Burgund zu leben aufgehört habe. Doch der Held stieß das Haupt verächtlich von sich. „Du bist es nicht mehr“, sagte er, „dem ich Treue gelobte, dessen Krone ich frei von Makel erhalten wollte. Das Königshaus von Burgund, dem ich angehöre, ist verödet, sein Glanz vergangen. Was liegt nun an der Lebensspanne, die noch übrig ist?!“
In der Nacht, die auf den sturmbewegten Tag folgte, hatte Kriemhild einen glücklichen Traum. Es erschien ihr Siegfried hoch und herrlich, wie zur Zeit ihrer frohen Vereinigung. Er winkte ihr, breitete die Arme aus, sie zu umfangen, und verschwand: Der aufdämmernde Morgen hatte das Traumbild verscheucht.
In königlichem Schmuck saß Kriemhild neben König Etzel auf dem Hochsitz. Auch der trauernde Dietrich und Meister Hildebrand waren zugegen. Auf das Gebot der fürstlichen Frau wurde der Held von Tronje entwaffnet und gebunden in den Saal geführt. Sie wiederholte ihre Frage nach dem Schatz. Er sah mit dem gewohnten Trotz und Hohn zu ihr auf und sprach: „Dein Witz ist dir entronnen, Hagedise (Hexe), dass du wähnst, du habest den Recken von Tronje bezwungen und wie ein Lamm gezähmt. Nun sind die Könige tot, Gunther, Gernot und Giselher, die des Schatzes kundig waren. Nun weiß niemand als Gott und ich, wo das Gold im tiefen Rhein versenkt ewig ruht. Von mir aber wird dir niemals kundgetan, wo du ihn suchen und finden kannst.“
Kriemhild stieg schweigend von dem Hochsitz herunter und ergriff Balmung, das gute Schwert, das bei Hagens Rüstung lag. „Das Gold“, sagte sie, „das du als Räuber mir entwendet, hast du verborgen. Aber ein anderes Gut, das du mit frecher Hand geraubt, halte ich hier in Händen. Das trug mein holder Siegfried, als ich ihn zum letzten Mal sah, bevor er durch deine Mörderhand den Tod fand. Nun will ich versuchen, ob es seinen edlen Herrn zu rächen tüchtig ist.“ Sie hatte das Schwert aus der Scheide gezogen, schwang es mit ihren beiden Händen, und das Haupt des kühnen Hagen flog vom Rumpf und rollte zu den Füßen des alten Hildebrand.
Ein Schrei des Entsetzens hallte durch den Saal, dann war alles still. Kriemhild stieß die blutige Klinge in die Scheide zurück und sprach: „Das Blut soll man nicht von der Schneide tilgen. Man soll Balmung, wie es jetzt ist, nach Worms bringen und in Siegfrieds Gruft niederlegen. Vielleicht vernimmt er, seine Frau habe ihn treu geliebt und seinen Mörder gestraft. Mein Leben war Liebe und Rache, nun ist die Arbeit getan.“
„Wunder!“, sprach Hildebrand, Hagens Haupt anstarrend: „Wie ist doch der kühnste Held in allen Landen durch Frauenhand gefallen! Doch wenn er mich auch lebend schwer geschädigt hat an Leib und Ehre, so will ich doch, was mir auch darum geschieht, sein Rächer sein.“ Mit diesen Worten zog der alte Waffenmeister sein Schwert und traf die Königin zu Tode. Etzel schrie laut auf, kniete zu der geliebten Gattin nieder, aber ihre Farbe war erblichen. Sie sprach noch mit schwacher Stimme: „Niemand strafe den alten Meister!“ Dann nahm der Tod seinen Raub dahin.
Die größte Ehre ging nieder in den Tod,
Und alle Leute hatten Jammer und Not.
Mit Leid ging zu Ende des Königs Hochzeit,
Wie doch jede Freude zuletzt Leid verleiht.
Ich kann euch nicht berichten, was nachher geschah,
Als dass man Recken und Frauen weinen sah,
Dazu die edlen Knechte, deren Freunde waren tot,
Da hat die Mär' ein Ende: Das ist der Nibelungen Not.
Wie groß das Leid auch war, das alles Volk und zumeist das Königshaus betroffen hatte, so musste man doch an die Bestattung der Toten denken. König Etzel war so harmvoll, dass er keine Anordnungen treffen konnte. Der Held von Bern und Hildebrand, beide gehärtet durch manche Schläge des Schicksals, gaben Befehl und legten selbst Hand an das traurige Werk. Der Saal, eine Mordkammer, wie keine auf Erden, musste geräumt, die Erschlagenen mussten herausgeschafft und aufgebahrt, und eine würdige Totenfeier hergerichtet werden. Dietrich wusch jedem seiner Gesellen Blut, Staub und Todesschweiß vom Angesicht, und manchen erblichenen Lippen gab er den letzten Kuss. Der alte Meister hob seinen Neffen, den kühnen Wolfhart, aus der Blutlache. Eine Träne rann ihm über die Wange in den grauen Bart, als er, der greise Held, den einst so kraftvollen Jüngling kalt und starr vor sich liegen sah. Der Tote hielt noch das Schwert in der Faust, und die umklammernden Finger mussten mit Gewalt aufgebrochen werden, um die Waffe herauszunehmen. Jetzt war kein grimmiger Hagen mehr da, der den Meister hinderte, dem Neffen die letzte Pflicht zu erweisen.
Auch die Nibelungen verwehrten jetzt nicht mehr, den Leib des allgeliebten Rüdiger aufzubahren und in die königliche Gruft zu bringen, die ihn aufnehmen sollte. Nibelungen, Hünen, die Helden von Bechelaren und die von Amelungenland waren jetzt alle gleich, alle versöhnt und aus dem wilden Kampf des Lebens zur Ruhe des Todes gekommen.
Viele Frauen und Jungfrauen, Greise und Kinder suchten ihre Geliebten in der grässlichen Mordkammer. Sie überwanden ihre Scheu vor dem entsetzlichen Blutdunst, der die Halle erfüllte. Sie wühlten unter Leichen und geronnenem Blut, denn die Liebe machte sie stark, auch Scheu und Ekel zu bezwingen. Sooft aber ein Freund gefunden wurde, erhob sich lauter die Klage, die bei dem traurigen Geschäft niemals schwieg. Man fand auch den Körper des kleinen Ortlieb und das abgeschlagene Haupt des Kindes, das einst die reichste Krone hatte tragen sollen und stattdessen durch frevelhafte Gewalttat eine Beute des Todes geworden war. Man legte beides, Leib und Haupt, zu der zerhauenen Leiche seiner Mutter. Etzel hatte viel gejammert und geklagt, doch nun schien die Quelle seiner Tränen versiegt, er weinte nicht mehr, wohnte der Totenfeier ohne Klage bei und folgte endlich dem Zug, der seine zweite Frau und ihr Kind in die Königsgruft brachte, wo sie neben der guten Frau Helche ihre Ruhestätte fanden. Dahin trug man auch, wie schon bemerkt, den Leichnam des guten Rüdiger. Er, der treueste und ruhmvollste Diener seines Königs, sollte auch bei den Königen ruhen. Eine große Volksmenge folgte dem Trauerzug, denn der Markgraf hatte jedem, der bedürftig oder sonst in Leid war, hilfreich die Hand geboten.
Anders war es mit dem Helden von Tronje. Als man die Könige und Recken von Burgund zu Grabe brachte, gedachte man seiner nicht. Schon waren die Totenhügel gefüllt und geschlossen, da mahnte der alte Meister an den kühnen Recken, dass man auch ihm eine Ruhestätte bereite. Also wurde für ihn ein abgesondertes Grab hergestellt, in welches man den Leichnam samt seiner Rüstung legte. Aber man gab ihm nicht Balmung mit in den Sarg, denn das gute Schwert sollte nach Kriemhilds Wunsch über den Rhein in Siegfrieds Gruft gebracht werden. Viele Hünen gingen mit dem Leichenzug, aber weinten und klagten nicht, denn sie schmähten den Mörder Ortliebs, den Stifter des Unheils, den Schlächter so vieler tüchtiger Männer. Als im nächsten Frühling liebliche Blumen die anderen Totenhügel bekleideten, da wuchsen auf Hagens Grab Disteln und Dornen, und eine giftige Natter kroch darin herum. Die Männer, welche das Gewürm näher beschauten, erzählten, es habe nur ein funkelndes Auge gehabt, wie der Tronjer, und sei sein Geist gewesen.
Dietrich und Hildebrand konnten um die Toten nicht weitere Sorge tragen, denn die Lebenden, die Freunde und Verwandten der Erschlagenen, machten ihnen Kummer. Sie meinten, es sei wohlgetan, die Waffen und Rüstungen der kühnen Recken nach Bechelaren und über den Rhein zu senden und dazu Boten auszuwählen, die mit kluger Vorsicht die Kunde von dem großen Leid überbrächten. Sie erwählten dazu den edlen Spielmann Swemmelin, denn der wusste mit holdseliger Rede die von Kummer beschwerten Herzen zu trösten. Der gute Held übernahm willig die Botschaft. Gern hätte er seinen Gesellen Werbelin zum Gefährten auf der Reise gehabt, aber der war noch krank von der Wunde, die Hagens Schwert ihm geschlagen hatte, und konnte niemals wieder die süßen Töne greifen, womit er sonst seinen Herrn und dessen Gäste ergötzte.
Der getreue Swemmelin fuhr mit großem Gefolge und vielen Lasttieren, welche die Rüstungen der erschlagenen Helden trugen, auf wohlbekannter Straße nach Bechelaren. Da war aber in dem Zug ein stolzes Ross, das wieherte nicht dem aufsteigenden Morgen entgegen, sondern blieb oft stehen und wandte den Kopf zurück, als erwarte es seinen Herrn, den es zu tragen gewohnt war. Sonst pflegte es mit seinem Reiter dem Zug voranzuschreiten, jetzt war es unter den Trägern schier das letzte. Es war Rüdigers edler Hengst, der seinen Herrn liebte, und der nunmehr nicht ihn, sondern nur seine Rüstung heimwärts trug. „Du gutes Ross“, sprach Swemmelin, „du möchtest auch den Helden wiedersehen, aber er kehrt nicht zurück.“ Das Pferd sah ihn so traurig an, dass er wähnte, es frage ihn, wo sein Herr geblieben sei. Er wischte sich eine Träne aus den Augen und setzte seinen Weg fort.
Zu Bechelaren saßen die Markgräfin und ihre Tochter am offenen Fenster in traulichem Gespräch. Die Sonne war am Morgen glutrot aufgegangen, doch düstere Wolken hatten von Osten kommend die Königin des Tages bald umhüllt und allmählich den ganzen Himmel überzogen, und grauer Nebel verbreitete sich über die Gegend, so dass man nicht weit sehen konnte. „Ich wähne“, sprach Gotlinde, „es stehe uns ein Leid bevor, es sei unserem lieben Herrn ein großer Schaden widerfahren. Freudig, wie die Morgensonne, fuhr er mit den werten Gästen zu den Hünen. Und nun fürchte ich, er kehrt leidvoll zurück, und Giselher, der junge Held, der dich vor allen Jungfrauen auserwählt hat…“ - „Um Gottes Willen, Mutter“, rief Dietlinde, „du ängstigst mich!“ - „Ich kann es nun einmal nicht verbergen“, sprach die Mutter, „und es ist gut, wenn man sich im Glück auf ein kommendes Unglück vorbereitet. Ich war heute Nacht im Traum am königlichen Hoflager bei den Hünen. Da sah ich die gute Frau Helche, die uns während ihrer Lebenszeit so wertgehalten hatte. Auch die Burgunden und viele andere Recken standen in Waffen und schienen kampfbereit. Die Königin sprach, sie wolle alle diese Helden bei sich versammeln. Sie nahm deinen Vater und Giselher bei der Hand und führte sie mit sich, und die anderen folgten nach. Ich wollte auch folgen, aber sie winkte mich zurück. Dann verschwanden alle in einen grauen Nebel, wie er sich jetzt vor uns ausbreitet. Nur ein Hügel stieg daraus hervor, und das war…“
Sie konnte nicht weiterreden, denn man hörte Hufschlag und Stimmen, und darauf wurde der Trauerzug unter Swemmelins Führung sichtbar. Die Markgräfin erkannte Rüdigers Ross und seine Rüstung. Da wurde ihr die Bedeutung des Traumes klar, und der Harm um den lieben Gatten, den treuen Lebensgefährten, nahm ihr schier die Besinnung. Indessen suchte sie sich um der Tochter willen zu fassen, die bleich vor Schrecken an ihrer Seite saß.
Jetzt trat der Spielmann bei den Frauen ein. Die Markgräfin begrüßte ihn, dann fuhr sie fort: „Es bedarf nicht langer Rede, guter Held, um uns eine schlimme Botschaft anzusagen. Deine Augen reden und das treue Ross und die zerhauene Rüstung. Ja, dieses Haus ist verwaist und das ganze Land, und du, liebe Tochter, bist nun eine Waise.“ So klagte die edle Markgräfin, und Dietlinde weinte mit der Mutter. Als der erste Schrecken vorüber war, wurde Swemmelin weiter befragt. Er griff in die Saiten seiner Harfe und sang ein Lied von den Helden, die Treue gehalten und die Kämpfe des Lebens überwunden haben, wie sie zu Wodan (Odin) kommen und zu Freya, wie sie über Land und Meer ziehen und im Hauch des Windes, im Rauschen der Blätter mit den Freunden reden und ihnen Trost bringen. Die süßen Töne stillten wohl den Schmerz auf kurze Zeit. Aber als sie verhallten, wurde die Klage wieder laut, und auch die Frage, wie sich alles begeben habe. Im Laufe des Tages vernahmen die Frauen die Geschichte von der Rache Kriemhilds, von Hagens mörderischen Taten bis zum Untergang der Helden. Vergebens redete der Bote vom Schutz Etzels und der Hilfe, die der Berner Held den Frauen verheißen habe, er konnte die Jammervollen nicht trösten.
Am folgenden Tag musste er seine Reise fortsetzen. Die Frauen blieben in ihrem Gram zurück und der zehrte wie ein Giftwurm am Leben der guten Frau Gotlinde, so dass sie siech wurde und nach wenigen Wochen starb. Die Jungfrau, in der Fülle der Jugend, ertrug das schwere Leid, und obwohl sie auch viel um Vater, Mutter und um den ihr verlobten Giselher weinte, blieb sie doch vor Siechtum verschont. Als später der kühne Held Dietrich sein Amelungenland wiedergewann, nahm er sich der Waise zu Bechelaren an, und seine Gattin, die edle Herrat, berief sie an ihren Hof zu Bern, wo ein tüchtiger Held ihre Liebe gewann und sie heimführte.
Als Swemmelin nach Worms kam, saß die alte Frau Ute in ihrer Kammer und spann nach alter Sitte. Sie summte manchmal eine seltsame Weise, wenn die Spindel vor ihr tanzte, aber sie sprach selten. Bei ihr saß die Königin Brünhild, mit Sticken beschäftigt, und es war der Tod Balders, den sie nach alten Mustern auf den Teppich stickte. Der lichtvolle Gott war indessen dem auf der Vorlage nicht ähnlich, sondern er glich dem Helden Siegfried. „Sieh nur, Mutter Ute“, sagte sie, „nun ist das Bild wieder gegen meinen Willen dem kühnen Helden gleich geworden, wie er war, als er auf die verhängnisvolle Jagd ritt. Ich will dir eine Geschichte erzählen, die sich auf Isenland begeben hat: Da wohnte einst ein großer König, der hieß Angantyr. Er hatte ein sehr gutes Schwert, Tyrfing genannt, von dem man sagte, dass es in jeder Schneide die Kraft von zwölf Männern trage. Doch fiel der kühne Recke endlich im Kampf und wurde mit Schwert und Rüstung im Hügel begraben. Seine zauberkundige Tochter Hervör zwang ihn durch ihre mächtigen Sprüche, das Tyrfing-Schwert herauszugeben, und achtete es gering, dass er ihr verkündigte, die Waffe werde ihr ganzes Geschlecht vertilgen, bis er sie wieder in seine Grabkammer zurückerhalte. Indessen ging das alles in Erfüllung, Hervör wurde eine große Königin, da sie selbst in den Schlachten als Kriegerin das Tyrfing führte. Aber ihre Söhne ermordeten einander um der guten Waffe willen bis auf den jüngsten, der das Schwert dem Ahnherrn zurückgab.
Nun habe ich dir, Mutter Ute, nicht verheimlicht, dass ich dem Nibelungenhelden in keuscher Liebe zugetan war und ich den Mord nur wegen der Unehre begehrte. Ich wähnte immer, der Tote werde mein Blut zur Sühne fordern, und ging deswegen manche Nacht in die Grabkammer. Er stieg auch oftmals aus dem goldenen Sarg auf, aber nicht als grässliches Nachtgespenst, sondern wie ehemals im Leben, und sprach: „Gib mir das Schwert Balmung wieder, oder die Burgunden fallen alle durch dieses Schwert.“ Ich denke, der grimmige Hagen sollte die geraubte Waffe zurückerstatten, wenn er mit den Königen und den anderen Recken an den Rhein heimkehrt.“ - „Sie werden nicht in das Haus heimkehren, auf welchem der Fluch ungesühnter Blutschuld ruht.“, sagte Mutter Ute, und summte wieder zum Tanz der Spindel. Die Weise klang recht schauerlich, bald wie Totenrufe um Mitternacht, bald wie Wehklage, obgleich man die Worte nicht verstand.
Während die Frauen noch mit ihrer Arbeit beschäftigt waren, kam Swemmelin mit dem langen Trauerzug und der üblen Botschaft. Die ledigen Rosse der Helden und ihre blutigen Rüstungen ließen das Gesinde und die zusammenströmende Menge üble Nachrichten erwarten. Man fragte nach den Königen Gunther, Gernot und Giselher, nach Hagen, Volker, Dankwart und anderen Recken, aber der Bote gab keine Antwort, denn er wollte zuerst mit den Königinnen reden und wurde zu ihnen gewiesen. Er sprach von der Reise zu den Hünen, von der gastlichen Aufnahme der Burgunden bei König Etzel, dann von dem entbrannten Kampf und dem traurigen Ausgang. Kein Weinen und Klagen, auch keine Frage unterbrach den Spielmann. Als er zu Ende war, sagte Frau Ute: „Es ist ein großes Leid, wenn die Alten zurückbleiben und die Jugend hinunter zu den Toten geht. Aber es musste so geschehen, denn viel Blut der Helden ist nötig, um den Fluch des Mordes von diesem Haus zu lösen.“ Auch Brünhild weinte nicht, sie ging mit Swemmelin in den Hof des Palastes, wo das Gefolge mit den Lastrossen harrte. Hier ordnete sie die Pflege der Gäste an und ließ sich darauf das gute Schwert Balmung reichen. Während sie die Blutspuren auf der blanken Klinge betrachtete, sprach sie: „Der grimmige Hagen raubte die Waffe aus der Totengruft. Nun will ich sie mit dem Blut des Mörders dem Helden zurückbringen, damit er in seiner Kammer ruhig schlafe.“ Sie begab sich mit dem Schwert in den Hügel und kehrte denselben Tag und die Nacht nicht zurück. Als man sie dann aufsuchte, fand man sie tot neben Siegfrieds Sarg, auf den sie Balmung gelegt hatte.
Frau Ute spann noch manchen Tag und summte dazu ein Lied vom Schlangen-Drachen und seiner Brut, die sich selbst erwürgen.
Die burgundischen Edelleute und alles Volk wehklagten viel, dass ihr ruhmvolles Königshaus verwaist, und die Blüte der Helden gefallen war. Als aber das Land wieder einen König brauchte, vereinigte man sich und erhob Siegfried, das unmündige Söhnchen von Gunther und Brünhild, auf den Thron und bestellte tüchtige Männer, die, so lange der König noch ein Kind war, an seiner Statt des Reiches und des Volkes mit Gerechtigkeit pflegten.
Unsere Klage kann
Nicht mehr helfen und versöhnen. Man lasse nun nur krönen
Das junge Königskind, dem wir treu ergeben sind.
Man gab das größte, beste und herrlichste der Feste,
Und Worms, der weite Raum, fasste die Gäste kaum.
Da konnte man herrlich sehn gekrönt den jungen König stehn,
Von dem die Reichen und Geringen auf's Neue Lehn empfingen.
Man sah da zum Teil neue Freud' und neues Heil.
Denn sein Schmerz war so mannichfach, dass er selten sprach.
Er war weder hier noch dort, für seinen Schmerz fand er kein Wort;
Er war nicht tot, doch lebt' er kaum und schwebte wie im Traum.
Wie große Macht er auch besaß, man ließ ihn und vergaß
Den Stillen, Freudenlosen, obwohl Mächtigen und Großen.
Mit aller seiner Macht ließ man ihn außer acht.
Wir haben nie vernommen, wie's mit ihm gekommen,
Da jeder ihn vermied, seit Dietrich von ihm schied,
Dass niemand sagen kann, was er seitdem getan.
(Nibelungenklage, Von der Hagen, 1852)
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