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Märchentext der Gebrüder Grimm [1857]
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2018]
Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wußte gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet, und weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: »Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiß nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Ecken herum.« - »Ich will schon alles gut machen,« sagte Rotkäppchen zur Mutter, und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf.
Kaum ein Märchen ist von der reinen Handlung her so schräg und unlogisch wie das vom Rotkäppchen. Warum kennt das Mädchen den Wolf, begrüßt ihn mit Namen und weiß dennoch nicht, daß er gefährlich ist? Warum fragt der Wolf nach dem Wohnort der Oma, wo doch schon das Rotkäppchen weiß, daß er ihn genau kennt? Warum verspeist er nicht gleich das Mädchen und danach die Großmutter? Wie kann ein Wolf einen ganzen Menschen verschlucken und immer noch nicht satt sein? Warum überhaupt diese seltsame Verkleidung für das Rotkäppchen? Warum wacht der Wolf nicht auf, wenn ihm der Bauch aufgeschnitten wird und fällt von ein paar Steinen im Leib gleich tot um...? So viele Ungereimtheiten, und doch ist es eins der berühmtesten und bekanntesten Märchen, welches die Menschen bis heute bewahren und erzählen. Da muß doch was Sinnvolles dahinterstecken! Genau das ist die Faszination unserer Märchen. Durch solche Fragen führen sie uns zu immer tieferen Ebenen. Schon für die kleinsten Kinder ist Rotkäppchen eine gute Lehre, der Mutter zu folgen und im Wald, wo die wilden Tiere leben, vorsichtig zu sein und nicht vom Weg abzukommen, aber auch das Vertrauen zu finden, daß es immer eine Hilfe gibt und am Ende alles gut wird. Auf einer mittleren Ebene kann man wieder das Spiel der Jahreszeiten sehen, wie der Wolf als Symbol für den Winter die wärmende Sonne und die grünende Natur verschluckt, die dann im Frühling wieder hervorkommen. Aber richtig interessant wird die tiefere Ebene:
Daß die Großmutter im Wald wohnt, erinnert uns an die Große Mutter, die Natur. Und wen hat die Natur so lieb, daß sie ihm alles Gewünschte schenkt? Es ist die lebendige Seele, die von Anfang an mit Liebe bedacht wird. Sogar eine Persönlichkeit verleiht die Natur, hier in Form einer Kappe in der Farbe der Liebe und Tätigkeit, mit der die kleine Seele etwas Besonderes wird, sich damit identifiziert und sogar einen Namen davon erhält. Nur wohnt die Seele im Dorf und die Große Mutter im Wald, die beiden sind also getrennt, obwohl sie sich sehr lieb haben und aneinander hängen. Das macht die Natur schwach und krank, was die Mutter, also die Weisheit, wohl erkennt. Sie sorgt dafür, daß die beiden wieder zusammenkommen und die Seele sogar eine Gabe, also Nahrung für die Natur mitbringt. Auch ermahnt die Weisheit das reine, also in weltlichen Machenschaften unerfahrene Seelchen, nicht vom rechten Pfad abzukommen, geradewegs zum Wesen der Natur vorzudringen und sich dabei nicht ablenken zu lassen, denn das Rotkäppchen soll nicht neugierig in die Ecken schauen. Auch soll sie die Opfergabe für die Natur sorgsam behüten, also die Flasche nicht aus Unachtsamkeit zerbrechen.
Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber, wußte nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. »Guten Tag, Rotkäppchen«, sprach er. »Schönen Dank, Wolf.« - »Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?« - »Zur Großmutter.« - »Was trägst du unter der Schürze?« - »Kuchen und Wein. Gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugut tun und sich damit stärken.« - »Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?« - »Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken, das wirst du ja wissen,« sagte Rotkäppchen.
Der Kuchen war früher ein besonderes Nahrungsmittel. Nicht einfach herzustellen und mit vielen, kostbaren Zutaten versehen: Honig als das erste und oft einzige Süßungsmittel, Trockenfrüchte und Nüsse für Gehalt und noch mehr Süße, Mehl, Fettigkeit und wertvolle, auch heilende Gewürze - mit anderen Worten, in einen Kuchen wurde der ganze Reichtum der Natur hineingebacken. Auch Wein entsteht durch einen Gärungsprozeß, der nicht einfach zu beherrschen ist. Er verspricht eine andere Art von Süße und gewährt in kleinen Mengen genossen Kraft, in großen eher Rausch. Stehen hier Süße und Rausch für körperliche und geistige Wonne und Stärke, die Sinnbilder der gebenden Natur? Die Großmutter wohnt unter Eichen und Haselnußsträuchern. Die Eiche ist seit jeher ein heiliger Baum, der für Kraft und Stärke steht. Und die Haselnuß gewährt Fruchtbarkeit. Auch dies sind Grundeigenschaften der Großen Mutter Natur: Kraft und Fruchtbarkeit.
Der Wolf dachte bei sich: »Das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte. Du mußt es listig anfangen, damit du beide erschnappst.« Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: »Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald«. Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, dachte es »wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, daß ich doch zu rechter Zeit ankomme,« lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief darnach, und geriet immer tiefer in den Wald hinein.
Wofür steht der Wolf in diesem Märchen? Wohl für den unersättlichen Hunger, einen Dämon, der unweigerlich Habgier und damit Bosheit nach sich zieht. Mit List erweckt er in der noch unerfahrenen Seele erst Leidenschaft und dann sogar Begierde. Obwohl das Rotkäppchen meint, etwas Gutes für die Großmutter zu tun, ist ihre wahre Motivation die Begierde. Und treffender kann man die Begierde wohl nicht beschreiben: Sie läßt uns nach den schönen Blumen laufen, und die wir eben gepflückt haben, ist uns nicht genug, denn die nächste, die wir noch nicht haben, scheint uns jetzt viel schöner... Und so laufen wir und laufen unseren Wünschen hinterher und kriegen nie genug. Dabei kommen wir immer weiter vom Pfad der Mäßigung und Tugend ab. Das macht den Wolfshunger erst richtig stark.
Doch warum muß der erst die Großmutter verschlingen, bevor er sich das Mädchen schnappen kann? Die Große Mutter wird uns immer beschützen. Dafür gibt es am Ende dieses Märchens noch eine Erweiterung, in der das deutlich wird. Hier geht das Rotkäppchen ein anderes Mal zur Großmutter, wird wieder von einem Wolf bedroht, bleibt aber auf dem rechten Pfad und schafft es unbeschadet bis ins Haus der Großmutter. Dort handelt die Seele, also das Rotkäppchen, nach dem Rat der Großen Mutter, und der Wolf, der das Haus belagert, wird besiegt, ohne daß er einer der beiden zu nahe hätten kommen können.
Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter, und klopfte an die Türe. »Wer ist draußen?« »Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf.« »Drück nur auf die Klinke,« rief die Großmutter, »ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.« Der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann tat er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.
Ohne die achtsame lebendige Seele, die hier gerade abgelenkt der Leidenschaft frönt, ist das Haus unbeschützt, und die schwache Natur kann vom gierigen Hungerdämon verschlungen werden, geistig und körperlich. Wie auch schon so viele Pflanzen und Tiere unter unseren gierigen und rabiaten Methoden von Ackerbau und Viehzucht von unserer Erde im Bauch des Wolfes verschwunden sind. Die Habgier verkleidet sich sogar als Natur, um nur immer weiter zu leben und zu fressen und dabei ja nicht erkannt zu werden. Sie versteckt sich in unserer menschlichen Natur mit all den körperlichen Sinnes- und Handlungsorganen bis tief in die Gedanken.
Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen, und als es so viel zusammen hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, daß die Türe aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, daß dachte: »Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir’s heute zumut, und ich bin sonst so gerne bei der Großmutter!« Es rief: »Guten Morgen,« bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück. Da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. »Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!« - »Daß ich dich besser hören kann.« - »Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!« - »Daß ich dich besser sehen kann.« - »Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!« - »Daß ich dich besser packen kann.« - »Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!« - »Daß ich dich besser fressen kann.« Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.
Erst, wenn wir es nicht mehr ertragen können, hören wir auf, mit Leidenschaft alles anzusammeln, was uns begehrenswert erscheint. Denn schon das Wort „Leidenschaft“ zeigt deutlich das Wesen dieses Charakterzugs: nach dem kurzen Genuß schafft sie Leiden. Also hört auch unser Rotkäppchen erst mit Blumenpflücken auf, als es den Strauß nicht mehr tragen kann. In der Nähe der Großen Mutter wird es wieder bewußter, denn nun ist die Ablenkung vorerst vorüber. Und warum kann es den Wolf im Schafspelz doch nicht erkennen? Weil es mehr den Sinnen verhaftet ist und nicht dem Verstand. Es fragt nach Augen, Ohren, Mund und Händen, weil man mit denen besonders gut etwas empfangen und festhalten kann - da ist wieder die Begierde im Vordergrund. Nur weil dieser gierige Wolf zuvor die Natur mit den Sinnes- und Handlungsorganen verschlungen hat, kann er auch das reine Seelchen verschlingen, sonst hätte er keine Gewalt über sie.
Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: »Wie die alte Frau schnarcht! Du mußt doch sehen, ob ihr etwas fehlt.« Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er, daß der Wolf darin lag. »Finde ich dich hier, du alter Sünder,« sagte er, »ich habe dich lange gesucht.« Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten: schoß nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief: »Ach wie war ich erschrocken, wie war’s so dunkel in dem Wolf seinem Leib!« Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich totfiel.
Wer kommt als Retter, wenn die Natur in Not ist? Das Bewußtsein. Steht das Weibliche für die Natur, dann steht das Männliche für den Geist, wobei beide immer zusammen gehören. Bisher waren wir nur von weiblichen Wesen umgeben, so stellt sich nun das Gleichgewicht wieder ein, indem der Jäger erscheint. Und was ist die Aufgabe des Bewußtseins? Es soll achtsam ins Innere schauen, erkennen und lenkend eingreifen. Das tut unser Jäger, indem er den Wolf nicht erschießt, sondern aufschneidet. Als erstes sieht er im Inneren das rote Käppchen. Das ist die erste Schicht, die man erkennen kann, wenn man nach innen schaut. Es ist die Persönlichkeit, das Ichbewußtsein. Schaut man tiefer, kommt die Seele selbst zum Vorschein, und noch tiefer das Wesen der Natur. Indem man sie schaut, ohne sie zu werten, befreit man sie. So springen also Rotkäppchen und Großmutter lebendig wieder heraus, denn sterben können sie eigentlich nicht, nur zeitweilig verschwinden. Warum stirbt aber der Wolf, also der gierige Hunger, von ein paar Steinen im Bauch? Nun, vielleicht weil er nicht mehr mit Leben erfüllt wird, und ohne Leben kann er keine Wirkung entfalten. Außerdem braucht die Habgier passende Nahrung, ansonsten stirbt sie. Und das ist wohl auch praktisch der Weg, wie wir den gierigen Hungerdämon im Leben besiegen können. Er lebt von vergänglichen Dingen, und solange er damit versorgt wird, bleibt er stark und gefräßig. Doch was sind das für Steine, die dem gierigen Dämon zwar den Bauch füllen, aber völlig unverdaulich sind? Das müßte etwas Ewiges und Unvergängliches sein. Das wäre die Lösung. Aber es ist sehr schwer, dieses Ewige in unserer vergänglichen Welt zu finden. Trotzdem spricht es unser Märchen klar aus: Es ist die Aufgabe der Seele, die schweren Steine zu holen, sich zu plagen, den gierigen Hunger mit Hilfe des Jägers zu überwinden und die Mutter Natur zu bewahren.
Da waren alle drei vergnügt. Der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab und ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte: »Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir’s die Mutter verboten hat.«
Wenn die Habgier besiegt ist, ist das wahrlich ein Grund zur Freude. Geschafft wurde es in Zusammenarbeit von Natur und Geist, Mann und Weib - so wie alles in dieser Zusammenarbeit geschafft werden kann. Da die Seele nun endlich bei der Großen Mutter Natur angekommen ist, können die mitgebrachten Gaben sie auch wieder stärken und gesunden lassen. Und die Seele hat endgültig gelernt, der gütigen Mutter Weisheit zu folgen, auch wenn jederzeit allerhand Verlockungen im Dschungel der Welt auftauchen. Na, das ist doch mal ein Happy-End.
Es wird auch erzählt, daß einmal, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebackenes brachte, ein anderer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen. Rotkäppchen aber hütete sich und ging gerade fort seines Wegs und sagte der Großmutter, daß es dem Wolf begegnet wäre, der ihm guten Tag gewünscht, aber so bös aus den Augen geguckt hätte: »Wenn’s nicht auf offner Straße gewesen wäre, er hätte mich gefressen.« - »Komm«, sagte die Großmutter, »wir wollen die Türe verschließen, daß er nicht herein kann.« Bald darnach klopfte der Wolf an und rief: »Mach auf, Großmutter, ich bin das Rotkäppchen, ich bring dir Gebackenes.« Sie schwiegen aber still und machten die Türe nicht auf. Da schlich der Graukopf etlichemal um das Haus, sprang endlich aufs Dach und wollte warten, bis Rotkäppchen abends nach Hause ginge, dann wollte er ihm nachschleichen und wollt’s in der Dunkelheit fressen. Aber die Großmutter merkte, was er im Sinn hatte. Nun stand vor dem Haus ein großer Steintrog, da sprach sie zu dem Kind: »Nimm den Eimer, Rotkäppchen, gestern hab ich Würste gekocht, da trag das Wasser, worin sie gekocht sind, in den Trog.« Rotkäppchen trug so lange, bis der große, große Trog ganz voll war. Da stieg der Geruch von den Würsten dem Wolf in die Nase, er schnupperte und guckte hinab, endlich machte er den Hals so lang, daß er sich nicht mehr halten konnte und anfing, zu rutschen: so rutschte er vom Dach herab, gerade in den großen Trog hinein, und ertrank. Rotkäppchen aber ging fröhlich nach Haus, und tat ihm niemand etwas zuleid.
Von dieser Ergänzung des Märchens hatten wir bereits gesprochen. Hier wird noch einmal die Achtsamkeit deutlich, mit der man das körperliche Haus beschützen sollte, damit uns die Begierde nicht überwältigen kann. Es ist auch gut zu erkennen, wie uns die Große Mutter dabei behilflich ist. So gibt es am Ende ein doppeltes Happy-End. Und man sieht: Jedes Märchen geht immer gut aus. Und falls es mal nicht gut geht, dann ist das Märchen noch nicht zu Ende. So geschieht es auch mit den Geschichten in unserem Leben, und darauf kann man vertrauen.
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[1857] Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 7. Auflage, Berlin 1857 |