Die geistige Botschaft unserer alten Märchen

Der Spielhansl

Märchentext der Gebrüder Grimm [1857]
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2019]

Es war einmal ein Mann, der hat nichts anderes getan als gespielt. Da haben ihn die Leute nur den Spielhansl genannt, und weil er gar nicht aufhörte zu spielen, so hat er sein Haus und alles verspielt. Jetzt, eben am letzten Tag, bevor ihm die Gläubiger sein Haus wegnehmen wollten, sind unser Herrgott und der heilige Petrus gekommen und haben gesagt, er solle sie über Nacht bei sich behalten. Da hat der Spielhansl geantwortet: »Wegen mir könnt ihr dableiben zur Nacht. Aber ich kann euch kein Bett und nichts zu essen geben.«

Nachdem wir im letzten Märchen vom Armen und Reichen über Tugend und Verdienst gelesen haben und dort die Fronten relativ klar erschienen, so möchten wir nun auch dieses Märchen etwas näher untersuchen, das die gleiche Thematik aus einer anderen Perspektive behandelt und zunächst wie eine Parodie auf die üblichen Ideale von Gott und Tugend erscheint. Sicherlich wissen wir bereits aus dem eigenen Leben, daß die Frage nach wahrer Tugend praktisch nicht so einfach ist, denn unsere menschlichen Tugenden erstarren schnell zu äußeren Idealen, und der tiefere Sinn geht verloren. So wird hier zunächst von einem notorischen Spieler gesprochen, der an ein lasterhaftes Leben erinnert, indem jegliche Vernunft schwindet, und der Mensch gewöhnlich in Sünde und Sucht verfällt. Doch als unser Spielhansl alles verloren hatte, sogar sein Haus, womit auch sein Körper gemeint sein könnte, kam Gott mit dem heiligen Petrus zu ihm. Nach damaligen Verständnis hätte man vermutet, daß nun der Teufel bei ihm einzieht und nicht Gott. So müssen wir doch annehmen, daß er ein ehrlicher Mensch war, der ohne jeden Betrug gespielt hat. Und wenn man es tiefer betrachtet, ist hier bereits eine große Wahrheit versteckt: Denn wer in dieser Welt wirklich ehrlich spielt, der verliert allen persönlichen Besitz soweit sein Egoismus verschwindet und gewinnt das Göttliche. Das ist der Segen der Wahrhaftigkeit.

Doch was hat das Spielen mit Wahrhaftigkeit zu tun? Sehr viel, denn im Grunde spielen wir ein Leben lang, nur wollen erwachsene Menschen ihre mühevoll betonierten Sandburgen von Eigenheim, Auto, Karriere etc. nicht mehr als Spiel betrachten. Dann wird persönlicher Besitz zur Wahrheit, und wir verlieren uns in Illusion. Und doch ist es nur ein Spiel, das die Natur mit uns treibt. Denn am Ende geht sogar unser eigener Körper wieder in den Kreislauf der Natur zurück, und das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen. Dieser wahren Armut kann man sich bewußt werden, wie es vermutlich auch unserem Spielhansl geschah, und damit macht es schon Sinn, das Gott zu ihm kam, an seine Tür klopfte, und er den Einlaß nicht verwehrte. Damit ließ er sozusagen das göttliche Licht in seine innere Nacht.

Eine ähnliche Symbolik mit drei Personen oder Prinzipien finden wir in vielen alten Kulturen und Religionen. Die hier benutzte Dreierbeziehung von Gott, Petrus und Spielhansl kann man auch als Spielfeld, Spiel und Spieler betrachten, als Vater, Geist und Sohn, oder als Sonne, Mond und Erde. Und was früher mit diesen symbolischen Mitteln relativ volkstümlich erklärt wurde, wird heute auf ähnliche Weise in physikalischen Systemen beschrieben, wie Feld, Welle und Teilchen, oder in mathematischen Formeln, wie E=½v²m oder E=c²m. So kommen auch in diesem Märchen natürliche Prinzipien zum Ausdruck, welche der Mensch offenbar schon lange Zeit beobachtet, und das nicht nur in der materiellen Natur, sondern auch in der geistigen. Und soweit man heute die Energie oder das Feld als etwas Grundlegendes und Bestimmendes betrachtet, soweit bezeichnete man früher auch Gott als den Vater oder Herrn von Allem.

Da hat unser Herrgott gesagt, er solle sie nur aufnehmen, und sie wollten sich selbst etwas zu essen kaufen. Das ist dem Spielhansl recht gewesen. Da hat ihm der heilige Petrus drei Groschen gegeben, und damit sollte er zum Bäcker gehen und ein Brot holen. So ist der Spielhansl halt gegangen. Wie er aber zu dem Haus kam, wo die andern Spiellumpen waren, die ihm alles abgewonnen hatten, haben sie gerufen und geschrien: »Hansl, komm nur herein!« - »Ja,« hat er gesagt, »wollt’s mir die drei Groschen auch noch abgewinnen!?« Sie haben aber nicht lockergelassen. So ist er halt hinein und hat die drei Groschen auch noch verspielt.

Wer sich dieser wahren Armut wirklich bewußt ist, der bekommt im Leben alles geschenkt, sogar das tägliche Brot. Aber wir müssen uns darum bemühen und das Gegebene achten und nicht veruntreuen. Doch wie ist das nun mit den drei Groschen, die Gott gehören? Wenn jemand kommt und uns auffordert „Gib mir!“, sollten wir dann sagen „Bitte nimm, es ist nicht mein.“, oder sollten wir die Gabe verwehren? Unser Spielhansl hat die Aufforderung angenommen und alles gegeben, obwohl er bereits wußte, daß er alles verlieren würde. Eine ähnliche Geschichte finden wir als Rahmenhandlung im alten indischen Epos Mahabharata [MHB 2.59]. Hier wird Yudhishthira von einem berüchtigten Falschspieler zum Würfelspiel gefordert und verliert alles, Reichtum, Königreich, Brüder, sich selbst und sogar seine Ehefrau. Er spielte, obwohl er wußte, daß er alles verlieren würde. Und auch hier liest man gelegentlich Interpretationen, die behaupten, daß Yudhishthira der Spielsucht verfiel, obwohl er in diesem Epos das göttliche Dharma der Tugend und Gerechtigkeit verkörperte. In ähnlicher Weise könnte man auch unseren Spielhansl verdächtigen.

Der heilige Petrus und unser Herrgott aber haben immer gewartet, und wie er lange nicht gekommen war, sind sie ihm entgegengegangen. Der Spielhansl aber, wie er sie hat kommen sehen, hat so getan, als wären ihm die drei Groschen in eine Pfütze gefallen, und hat eifrig darin herumgestochert. Aber unser Herrgott hat schon gewußt, daß er sie verspielt hatte. Da hat ihm der heilige Petrus noch einmal drei Groschen gegeben. Jetzt hat er sich aber nicht mehr verführen lassen und hat ihnen das Brot gebracht.

Ganz so sündig war unser Spielhansl offensichtlich nicht gewesen, sonst wäre ihm Gott nicht auch noch entgegen gegangen. Und vermutlich hat er sogar gelächelt, als der Spielhansl so spielte, als wären ihm die drei Groschen in die trübe Pfütze dieser Welt gefallen, wo wir gern herumstochern, um große Reichtümer zu finden. So wiederholte sich das Spiel noch einmal, und diesmal holte er mit den drei Groschen vom heiligen Petrus das Brot. Angesichts des Weins, der im folgenden behandelt wird, erinnert uns dieses Brot an den mystischen Leib Christi. Diesen Leib im Abendmahl von Gott zu empfangen, ist nach christlicher Symbolik der große Weg in den Himmel, und nicht umsonst gilt auch der heilige Petrus als Hüter der Himmelstür, der ihm hier vermutlich in Form der drei Groschen, die wieder an die heilige Dreieinigkeit erinnern, den Schlüssel gibt.

Da fragte ihn unser Herrgott, ob er keinen Wein hat. Darauf sprach er: »O Herr, die Fässer sind alle leer.« Da hat unser Herrgott gesagt, er solle nur in den Keller hinabgehen, es sei noch der beste Wein drunten. Er hat’s lange nicht glauben wollen, aber zuletzt hat er gesagt: »Ich will doch hinuntergehen, obwohl ich weiß, daß keiner drunten ist.« Wie er aber das Faß angezapft hat, ist der beste Wein herausgekommen. So hat er ihnen den Wein gebracht und die zwei sind über Nacht geblieben.

Der Wein steht in der christlichen Symbolik für das Blut Christi, und diesen Nektar des ewigen Lebens finden wir tief in unserem Innern, auch wenn wir es gewöhnlich nicht glauben wollen und irgendwo im Äußeren danach suchen.

Am andern Tag, in der Frühe, hat unser Herrgott zum Spielhansl gesagt, er solle sich drei Gnaden ausbitten. Er hat gemeint, er würde sich den Himmel ausbitten, aber der Spielhansl hat um Karten gebeten, mit denen er alles gewinnt, und um Würfel, mit denen er alles gewinnt, und um einen Baum, auf dem alles Obst wächst, und wenn einer hinaufsteigt, daß er nicht mehr herab kann, bis er es ihm befiehlt. So hat ihm unser Herrgott alles gegeben, was er verlangt hat, und ist mit dem heiligen Petrus wieder fort.

Wer diese innerliche Tiefe erreicht und den Nektar trinkt, bekommt natürlich auch die berühmten drei Wünsche erfüllt. Und was wünscht sich unser Spielhansl? Das ewige Leben und die unvergänglichen Früchte, nur nicht auf geistiger Ebene als ewige Glückseligkeit, sondern auf weltlicher Ebene, so daß er in der Welt nie wieder verlieren muß und keiner ihm die Früchte vom Baum stehlen kann. Das ist natürlich ein Wunsch, den wir alle gern hegen. Und eigentlich kann man dagegen nichts einwenden, denn auch unsere äußere Welt ist im Grunde nur eine geistige Welt. Aber irgendwie scheint das kein guter Weg zu sein, und so werden wir im folgenden lesen, wie sich unser Spielhansl entwickelt:

Aber jetzt hat der Spielhansl erst recht zu spielen angefangen und hätte bald die halbe Welt zusammengewonnen. Da hat der heilige Petrus zu unserem Herrgott gesagt: »Herr, das Ding tut nicht gut; er gewinnt schließlich noch die ganze Welt. Wir müssen ihm den Tod schicken.« Und da haben sie ihm den Tod geschickt. Wie der Tod kam, hat der Spielhansl natürlich beim Spiel gesessen. Da hat der Tod gesagt: »Hansl, komm mal ein bissel heraus!« Der Spielhansl aber sagte: »Wart nur ein bissel, bis das Spiel aus ist, und steig derweil auf den Baum da draußen und brich uns ein bissel was ab, damit wir auf dem Wege was zu naschen haben.« So ist also der Tod auf den Baum gestiegen, und wie er wieder herunterwollte, hat er es nicht gekonnt, und der Spielhansl hat ihn sieben Jahre droben gelassen, und derweil ist kein Mensch mehr gestorben.

Über dieses diffizile Thema, wie man in dieser Welt ewig leben und alles gewinnen kann, haben die Menschen schon sehr lange nachgedacht. Und bis heute geistert dieses Thema nicht nur in den Köpfen der großen Konzernchefs und Staatspolitiker. Sogar führende Mediziner forschen ernsthaft an einer Unsterblichkeitspille, die das Altern und Sterben unseres Körpers verhindern soll. Doch der heilige Petrus sagt in unserem Märchen als Wächter des Himmels: „Das geht nicht gut!“ Das wußten die Menschen früher, und es gibt in der ganzen Welt viele alte Überlieferungen, die sagen, daß diese kosmische Ordnung, in der wir leben, kein dummer Zufall ist, sondern eine gewisse Genialität oder auch Intelligenz hat. Es heißt sogar, diese Ordnung ist Gott selbst. Praktisch können wir das ganze Universum als einen großen und intelligenten Organismus erfahren, der sich ähnlich unserem eigenen Körper selbst erhält, organisiert, reguliert und optimiert. Und darin gibt es natürlich viele Kräfte, die gegeneinander kämpfen, um das System stabil zu halten. Diese Kräfte hatte man sich früher als lebendige, feinstoffliche Wesen vorgestellt, die man zum Beispiel Engel und Teufel, Feen und Hexen oder auch Götter und Dämonen nannte. Jede Kraft hat ihren Platz in diesem Organismus, und so erfüllt auch der Tod seine Aufgabe als Ausgleich zur Geburt. Es ist sicherlich nicht einfach, diesen großen Organismus, der sich über unvorstellbare Zeiträume gebildet und optimiert hat, zu verstehen. Doch schon immer hat sich der Mensch daran versucht und tiefgründige Erkenntnisse gefunden, die früher in symbolischen Geschichten ausgedrückt wurden und heute die systematischen Modelle, Definitionen und Formeln unserer Wissenschaft sind. Je tiefgründiger man diesen Organismus versteht, desto besser kann man sich hier als Mensch einordnen und zum Guten wirken. Daß wir heutzutage so viel Unheil in der Natur anrichten, ist sicherlich ein Hinweis, daß wir auf unseren wissenschaftlichen Wegen noch einiges lernen müssen. Deshalb lesen wir nun, wie es dem Spielhansl auf seinem Weg ergeht:

Da hat der heilige Petrus zu unserem Herrgott gesagt: »Herr, das Ding tut nicht gut; es stirbt ja kein Mensch mehr. Wir müssen uns schon selber aufmachen.« So sind sie also schon selber gekommen, und da hat unser Herrgott dem Spielhansl befohlen, daß er den Tod herunterlassen sollte. Da ist er nun gleich gegangen und hat zum Tod gesagt: »Geh herunter!« Und der hat ihn gleich genommen und erwürgt. Da sind sie nun miteinander fort und kamen in die andere Welt. Dort ist nun mein Spielhansl zum Himmelstor gegangen und hat da angeklopft. »Wer ist draußen?« - »Der Spielhansl.« - »Ach, den brauchen wir nicht, geh nur wieder fort.« Da ist er zum Fegefeuer gegangen und hat wieder angeklopft. »Wer ist draußen?« - »Der Spielhansl.« - »Ach, es ist schon Jammer und Not genug bei uns, wir wollen nicht spielen. Geh nur wieder fort.«

Wie würde heute ein ehrgeiziger Wissenschaftler, der mit Atomenergie, Gentechnik, giftigen Chemikalien und ähnlichem spielt, reagieren, wenn er im inneren die Stimme hört: „Tue das nicht, das geht nicht gut!“? Unser Spielhansl folgte dem Gebot und hat ohne Protest sogar den Tod über sich ergehen lassen. Diese Folgsamkeit bringt immer noch eine gewisse Reinheit zum Ausdruck, die ihn sogar vor das Himmelstor führt. Damals stellte man sich die Seele noch vor, wie sie nach dem Tod entsprechend ihrer Taten direkt zum Himmel aufstieg oder erst durch das reinigende Fegefeuer in den Himmel kam oder auch hinab in die Hölle sinken mußte. Aber unser Spielhansl wollte doch eigentlich in der Welt weiterspielen und hat sogar den Segen dafür bekommen. Was sollte also der Himmel mit ihm anfangen? Oder das Fegefeuer, wo es nun wirklich nicht lustig zugeht? Interessant ist hier die Frage: „Wer ist draußen?“ Das bedeutet, seine Seele ist immer noch in der ‚äußeren Welt‘, und er behält sogar seinen Namen. Damit geht er schließlich auch zur Hölle:

Da ist er zum Höllentor gegangen, und da haben sie ihn hereingelassen. Es war aber niemand daheimgewesen als der alte Luzifer und ein paar krumme Teufel, denn die geraden haben auf der Welt zu tun gehabt. Da hat er sich gleich niedergesetzt und hat wieder zu spielen angefangen. Weil aber der Luzifer nichts anderes hatte als seine krummen Teufel, so hatte sie ihm der Spielhansl abgewonnen, weil er mit seinen Karten alles hat gewinnen müssen. So ist der Spielhansl mit seinen krummen Teufeln fort. Dann sind sie nach Hohenfürt und haben die Hopfenstangen ausgerissen und sind damit zum Himmel hinauf und haben zu stoßen angefangen, daß der Himmel schon krachte.

Nun, zumindest in der Hölle bzw. Unterwelt war der alte Teufel zum Spielen bereit, denn die Hölle ist wohl noch am nächsten mit unserer normalen Welt verwandt. Die geraden und krummen Teufel könnten darauf anspielen, daß wir die schönen Teufel gern in unserer Welt beschäftigen und die häßlichen in die Hölle verbannen. So gewinnt der Spielhansl auch die häßlichen Teufel und spielt weiter in der Welt. Die Hopfenstangen in Hohenfürt (bzw. Hohenfurth) könnten auf ein Männerkloster in Südböhmen deuten, das 1259 gegründet wurde und wo man vermutlich viel Hopfen zum Bierbrauen angebaut hat. Das paßt zumindest zum deutschböhmischen Dialekt, in dem dieses Märchen ursprünglich erzählt wurde. Die Symbolik erinnert an das seltsame Spiel, daß in den Klöstern oft viel Bier gebraut und auch gern getrunken wurde, so daß hier vermutlich auch der Alkohol-Teufel zu Hause war. Chronisten berichten von bis zu fünf Maß am Tag, also nach heutiger Umrechnung bis zu 4 Liter. Ähnlich wie das Bier sollen auch die gewonnenen Teufel den Spielhansl in den Himmel bringen und benutzen die Hopfenstangen, um den Himmel ‚auszuhebeln‘, das heißt wahrscheinlich, die begriffliche Vorstellung zu wandeln, die wir gewöhnlich vom Himmel haben, und wie wir uns das Leben dort vorstellen.

Da hat der heilige Petrus wieder gesagt: »Herr, das Ding tut nicht gut, wir müssen ihn hereinlassen, sonst wirft er uns den Himmel herab.« So haben sie ihn halt hereingelassen. Aber der Spielhansl hat gleich wieder zu spielen angefangen, und da ist dann ein solcher Lärm und so ein Getöse geworden, daß man sein eigenes Wort nicht mehr verstanden hat.

Das scheint auch soweit zu gelingen, der Spielhansl kommt in den Himmel und verwandelt ihn in ein Wirtshaus mit viel Bier, Spiel und Spaß. Warum auch nicht? Denn wenn wir ehrlich sind, ist das für viele Menschen der Inbegriff vom Himmel. Wer will schon friedlich auf einer Wolke ruhen und sich dort endlos langweilen?

Da sprach der heilige Petrus wieder: »Herr, das Ding tut nicht gut; wir müssen ihn hinauswerfen, er macht uns sonst den ganzen Himmel rebellisch.« So sind sie über ihn her und haben ihn hinausgeworfen. Und da hat sich seine Seele zerteilt und ist in all die Spiellumpen gefahren, die noch bis heute leben.

Aber auch das geht nicht lange gut und ist ein typischer Wunsch von uns Menschen, der nicht besonders weitsichtig ist. Es mag gut sein, wenn man in der Jugend solche Erfahrungen macht, aber in Alkohol und lauter Gesellschaft den Himmel und sogar den Sinn des Lebens zu suchen, ist sicherlich kein Zeichen von wachsender Vernunft und Weisheit, die doch unser großer Reichtum sein sollten.

Nun, hier endet unser Märchen abrupt, so daß wir unseren Kindern erstmal sagen: „Seht Ihr, das hat man nun davon, wenn man das Spielen übertreibt und nichts Ordentliches aus seinem Leben macht!“ Und das mag auch die Botschaft dieses Märchens sein, daß man in dieser Welt die höhere Ordnung bewahren und das Ewige und Unvergängliche nicht in den materiellen Dingen der äußeren Welt suchen sollte. Denn in dieser materiellen Welt zerteilt sich die geistige Einheit in die natürliche Vielfalt, die Illusion herrscht und damit auch Begierde und Haß. Das sind sicherlich beste Bedingungen, die uns antreiben sollen, nach dem ewigen Leben zu suchen, aber zum Finden benötigen wir auch die geistige Dimension des Lebens. Und so ist es sicherlich gut, falls uns doch irgendwann die berühmten drei Wünsche angeboten werden, nicht nur an unsere materielle Welt zu denken.

Damit wird unser Spielhansl aus dem Himmel geworfen und seine Seele, die dem Einen schon so nah war, wieder zerteilt und der Welt zum Lernen übergeben. Diese Symbolik erinnert sehr an die Bibel, wo auch Adam zuerst in Mann und Frau getrennt wurde, vom Baum der Erkenntnis aß und vom Zischeln der Illusion überwältigt mit seiner Eva aus dem Paradies geworfen wurde, um sich als Menschheit über die ganze Erde zu verteilen: „Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist, und trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens. [Bibel 1. Moses 3.22]“

Auch diese Symbolik sagt uns deutlich, daß der Baum des ewigen Lebens in einer höheren Welt steht, zu der man den Weg suchen und sich erheben sollte, damit man eingelassen wird. Dazu hilft uns das Feld dieser Welt sowie unser vergänglicher Körper mit allem Glück und Leid. Das geschieht praktisch in gleicher Weise, wie auch unsere Kinder im Spiel lernen und wichtige Erfahrungen für ihr künftiges Leben sammeln.

Zugegeben, solche Ansichten passen nur noch schwer in unsere moderne Weltanschauung. Doch es gab offensichtlich Zeiten, als die Menschen noch viel mehr in einer geistigen Welt lebten und ganz andere Ziele im Leben hatten als wir heutzutage. Unsere alten Märchen, die Bibel und viele andere alte Schriften in der ganzen Welt deuten darauf hin, daß es einst eine Weltanschauung gab, wo die geistige Dimension im Leben noch die Oberherrschaft hatte und die materielle Natur eine Wirkung des Geistes war, sozusagen seine Verkörperung. Deswegen konnte man sich auch ein Leben nach dem Tod vorstellen und ein Wandern der Seele unabhängig vom materiellen Körper. Mit unserer technischen Revolution hat sich dieses Weltbild praktisch umgekehrt, womit das Zeitalter der toten Maschinen begann. Die Oberherrschaft wurde der materiellen Natur übergegeben, so daß der lebendige Geist zu einer Wirkung der Materie degradiert wurde oder sogar ganz aus dem Weltbild verschwand. Deswegen können wir uns heutzutage keinen Geist mehr vorstellen, der ohne einen materiellen Körper leben könnte, und solche Märchen gelten als völlig unwissenschaftlich und oft sogar als Ausdruck der großen Dummheit unserer Vorfahren. Doch ganz so dumm waren sie offensichtlich nicht, denn gerade solche Märchen bestätigen, daß man sich dieser Entwicklung zum Materiellen bereits damals bewußt war. Entsprechend gleichen wir heutzutage dem Spielhansl, der nur in der materiellen Welt spielen und alles gewinnen will, den Himmel aushebelt und die Hölle bezwingt. Das ist vermutlich eine notwendige und folgerichtige Phase in der menschlichen Entwicklung. Wichtig wäre es, daß auch wir in diesem Spiel mit der Materie niemals unsere Ehrlichkeit verlieren und in Spielsucht, Laster und Illusion versinken. Denn damit könnte auch der klügste Wissenschaftler ähnlich erblinden und in Überheblichkeit enden wie einst der christliche Klerus seine Glaubwürdigkeit verloren hat. Sicherlich ist es nicht falsch, mit der Natur zu spielen, solange wir ehrlich spielen und bereit sind, daraus zu lernen.


Prof. Dr. Imre Koncsik ist ein deutscher Theologe, seit 2014 Professor an der Hochschule Heiligenkreuz und seit 2017 Leiter des Akademischen Instituts für Friedens- und Gerechtigkeitsforschung. Er forscht speziell im Bereich der Naturphilosophie, Quantenphysik und künstlicher Intelligenz. Damit gehört er zu den wenigen Wissenschaftlern, die heutzutage noch versuchen, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Quantenphysik mit unserer geistigen Welt zu verbinden, und darüber hinaus sogar den Mut haben, in der Öffentlichkeit über dieses Thema zu sprechen. Schade ist nur, daß er so viel Fachlatein verwendet.


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[1857] Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 7. Auflage, Berlin 1857
[Bibel] Luther Bibel, 1912
[MHB] www.mahabharata.pushpak.de
[2019] Text und Bilder von Undine & Jens / www.pushpak.de