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Märchentext der Gebrüder Grimm [1857]
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2020]
Einmal waren sieben Schwaben beisammen, der erste war der Herr Schulz, der zweite der Jackli (Jakob), der dritte der Marli, der vierte der Jergli (Georg), der fünfte der Michal (Michael), der sechste der Hans (Johannes) und der siebente der Veitli (Veit). Die hatten alle sieben sich vorgenommen, die Welt zu durchziehen, Abenteuer zu suchen und große Taten zu vollbringen. Damit sie aber auch mit bewaffneter Hand und sicher gingen, sahen sie es für gut an, daß sie sich zwar nur einen einzigen, aber recht starken und langen Spieß machen ließen.
Postkartenserie von Georg Mühlberg (1863-1925) Quelle: goethezeitportal.de
Diesen Spieß faßten sie alle sieben zusammen an, vorn ging der kühnste und männlichste, das mußte der Herr Schulz sein, und dann folgten die andern nach der Reihe, und der Veitli war der letzte. Nun geschah es, als sie im Heumonat (Juli) eines Tags einen weiten Weg gegangen waren, auch noch ein gut Stück bis in das Dorf hatten, wo sie über Nacht bleiben mußten, daß in der Dämmerung auf einer Wiese ein großer Roßkäfer (Mistkäfer) oder eine Hornisse nicht weit von ihnen hinter einer Staude vorbeiflog und feindlich brummelte. Der Herr Schulz erschrak, daß er fast den Spieß hätte fallenlassen und ihm der Angstschweiß am ganzen Leibe ausbrach. »Horcht, horcht!« rief er seinen Gesellen zu: »O Gott, ich höre eine Trommel!« Der Jackli, der hinter ihm den Spieß hielt, und dem ich weiß nicht was für ein Geruch in die Nase kam, sprach: »Etwas ist ohne Zweifel vorhanden, denn ich schmeck das Pulver und den Zündstrick.«
Bei diesen Worten hub der Herr Schulz an, die Flucht zu ergreifen, und sprang im Hui über einen Zaun. Weil er aber gerade auf die Zinken eines Rechens sprang, der vom Heumachen da liegengeblieben war, so fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und gab ihm einen ungewaschenen Schlag. »O Wei, o Wei!« schrie der Herr Schulz: »Nimm mich gefangen! Ich ergeb mich, ich ergeb mich!« Die andern sechs hüpften auch alle einer über den andern herzu und schrien: »Ergibst du dich, so ergeb ich mich auch! Ergibst du dich, so ergeb ich mich auch!« Endlich, wie kein Feind da war, der sie binden und fortführen wollte, merkten sie, daß sie betrogen waren: Und damit die Geschichte nicht unter die Leute käme, und sie nicht genarrt und gespottet würden, verschwuren sie sich untereinander, so lang davon stillzuschweigen, bis einer unverhofft das Maul auftäte.
Nun, für Kinderohren ist dieses Märchen ein lustiger Schwank, über den man zumindest lächeln kann und sich fragt: Wie können Menschen nur so dumm sein? Als Erwachsene schauen wir tiefer auf die Bedeutung, und so begegnen uns hier aus symbolischer Sicht wieder die sieben wundersamen Prinzipien, die sich durch so viele alte Märchen ziehen und nirgends klar beschrieben werden. So können wir auch hier nur vermuten, und erinnern uns angesichts vieler anderer Märchen an die sieben natürlichen Prinzipien, die man in jedem Menschen finden kann, nämlich die fünf Sinne mit dem Verstand und der Vernunft. Diese Sieben bewaffnen sich mit einem mächtigen Spieß, ein Werkzeug zum Kämpfen, Angreifen, Verteidigen und sogar Töten, eine Waffe, die Sicherheit versprechen soll und gleichzeitig viel Angst verbreitet. Und mit diesem Spieß werden alle Sieben verbunden, ähnlich dem kämpferischen Willen, der die Teile eines Organismus verbindet, um gewisse Ziele zu erreichen.
Herr Schulz steht an der Spitze. Der Name „Schulz“ stammt angeblich von „Schultheiß“, also ein kleiner Herrscher wie ein Dorfschulze, Gemeindevorsteher oder Bürgermeister. Damit erinnert uns diese Figur zunächst an den Verstand mit den kämpfenden Gedanken, die ein Ausdruck unseres Ichbewußtseins sind, das sich als Ego gegen andere verteidigen muß. Der letzte am Spieß ist Herr Veitli. Der Name „Veit“ stammt angeblich vom lateinischen Begriff „Vitus“ und erinnert an den Heiligen Vitus und an das Leben selbst („Vita“). Aus dieser Sicht denken wir an das Prinzip der Vernunft, das ein Ausdruck einer höheren Intelligenz ist und in diesem Märchen nicht umsonst ganz hinten steht. Dazwischen könnten wir uns die fünf Sinne vorstellen, die direkt auf den Verstand an der Spitze wirken und auch im Text beispielhaft angesprochen werden. Man könnte sich aber auch andere Prinzipien denken, die sich aus den biblisch geprägten Namen wie Jakob, Georg, Michael und Johannes ableiten ließen.
Auf diese Weise kann man die sieben Schwaben mit ihrem Spieß als Symbol eines ganzen Menschen verstehen, der sozusagen „durch diese Welt zieht, um Abenteuer zu suchen und große Taten zu vollbringen“. Und was nun im Märchen auf sarkastische Weise beschrieben wird, ist tiefste Psychologie, ein wunderbarer Blick in das Innere eines gewöhnlichen Menschen, in dem durch Unwissenheit viele Ängste und Leiden entstehen. Das kann so weit gehen, daß man überall nur noch Feinde sieht und eine psychotische Angst entwickelt. In dieser Angst kennt man keine vernünftigen Grenzen mehr, man überspringt panisch die sinnvollen Zäune und schafft sich entsprechend viel Leiden, wie es im Märchen deutlich beschrieben wird.
Das liegt natürlich vor allem an einer schwachen Vernunft, so daß der Verstand fast ausschließlich die Führung übernimmt. Doch der Verstand stützt sich vor allem auf die Gedanken, die durch die Sinneseindrücke geprägt werden, und baut sich damit eine gedankliche Welt, in der jede Phantasie zur Wahrheit werden kann. Auf diese Weise entsteht eine sehr verzerrte „Wirklichkeit“, die oft unwichtige Dinge überbewertet und wichtige Dinge unterbewertet oder völlig ignoriert. Auf diese Weise entwickelt sich auch der Egoismus, der sich natürlich als Person überbewertet. Und wie es am Ende des obigen Abschnitts im Märchen treffend heißt, wird die Illusion solange aufrechterhalten, bis es gar nicht mehr anders geht. Das erinnert uns sehr an die berühmte Geschichte „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen.
Wunderbar! Was hier fehlt bzw. nicht funktioniert, ist die Vernunft, die höhere Intelligenz, die eine ganzheitliche Sicht gewährt und die oberflächlichen Dinge sozusagen durchschauen kann, um das Wesentliche zu erkennen. Das ist der große Unterschied zwischen Verstand und Vernunft: Der Verstand zergliedert und betrachtet die Teilaspekte, die Vernunft vereint und sieht das Ganze und Wesentliche. Das ist es, was uns heute am meisten fehlt, was von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nicht gefördert wird und durch keinen materiellen Reichtum ersetzbar ist. Denn solange man das Wesentliche im Leben nicht erkennt, bleibt die Welt voller Gefahren, alles ist vergänglich und die schrecklichste Gefahr ist der eigene Tod:
Hierauf zogen sie weiter. Die zweite Gefährlichkeit, die sie erlebten, kann aber mit der ersten nicht verglichen werden. Nach etlichen Tagen trug sie ihr Weg durch ein Brachfeld, da saß ein Hase in der Sonne und schlief, streckte die Ohren in die Höhe, und hatte die großen gläsernen Augen starr aufstehen. Da erschraken sie bei dem Anblick des grausamen und wilden Tieres insgesamt und hielten Rat, was zu tun das wenigst Gefährliche wäre. Denn so sie fliehen wollten, war zu befürchten, das Ungeheuer setzte ihnen nach und verschlänge sie alle mit Haut und Haar. Also sprachen sie: »Wir müssen einen großen und gefährlichen Kampf bestehen, frisch gewagt ist halb gewonnen!«
Dann faßten sie alle sieben den Spieß an, der Herr Schulz vorn und der Veitli hinten. Der Herr Schulz wollte den Spieß noch immer anhalten (bzw. zurückhalten), der Veitli aber war hinten ganz mutig geworden, wollte losbrechen und rief:
»Stoß zu in aller Schwaben Namen,
sonst wünsch ich, daß ihr möcht erlahmen!«
Aber der Hans wußte ihn zu treffen und sprach:
»Beim Element, du hast gut schwätzen,
bist stets der letzte beim Drachenhetzen!«
Der Michal rief:
»Es wird nicht fehlen um ein Haar,
so ist es wohl der Teufel gar?!«
Drauf kam an den Jergli die Reihe, der sprach:
»Ist er es nicht, so ist‘s seine Mutter,
oder des Teufels Stiefbruder.«
Der Marli hatte da einen guten Gedanken und sagte zum Veitli:
»Geh Veitli! Geh, du mußt vorangehen,
ich will dahinter vor dir stehen!«
Der Veitli hörte aber nicht drauf, und der Jackli sagte:
»Der Schulz, der muß der Erste sein,
denn ihm gebührt die Ehre allein.«
Da nahm sich der Herr Schulz ein Herz und sprach gravitätisch (gewichtig):
»So zieht denn herzhaft in den Streit,
hieran erkennt man tapfere Leut!«
Da gingen sie insgesamt auf den Drachen los. Der Herr Schulz segnete sich und rief Gott um Beistand an: Wie aber das alles nicht helfen wollte und er dem Feind immer näher kam, schrie er in großer Angst: »Hau, hurlehau! Hau! Hauhau!« Davon erwachte der Hase, erschrak und sprang eilig davon. Als ihn der Herr Schulz so feldflüchtig sah, da rief er voller Freude:
»Potz, Veitli! Schau, schau, was ist denn das?
Das Ungeheuer ist ein Has.«
Der Hase als neue große Gefahr ist hier sicherlich ein Symbol, über das man lange nachdenken kann. Zum einen gilt der Hase als Inbegriff für ein überängstliches Wesen, der berühmte „Angsthase“, der sich von allem bedroht fühlt und schnell die Flucht ergreift. Zum anderen heißt es, daß Hasen mit offenen Augen schlafen, was uns an die bereits erwähnte Gedankenwelt erinnert, in der man auch im Wachzustand noch träumen kann. Diese wahnhafte Angst, die vor allem von Gedanken ernährt wird, in uns selbst zu erkennen, ist sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg der geistigen Entwicklung. Und daß sie als ein gefährliches und wildes Tier erscheint, ähnlich einem feuerspeienden Drachen, ist gar nicht so weit hergeholt, weil die Angst sehr eng mit unserem tierhaften Wesen verbunden ist, daß sich gewöhnlich in einem aggressiven Ego ausdrückt. Mit diesem tierhaften Wesen in unserem Innern den Kampf zu führen, ist sicherlich eine der größten Herausforderungen im menschlichen Leben.
Interessanterweise macht hier Herr Schulz als Verstand zunächst einen Rückzieher, weil er eigentlich ein Freund des ängstlichen Egos ist, und Veitli wird als Vernunft mutig und will angreifen. Das ist eine wichtige Botschaft, denn praktisch kann nur die höhere Vernunft mit ganzheitlicher Sicht das ängstliche Tierwesen in uns besiegen und nicht das Ego mit dem zergliedernden Verstand. Doch dazu müßte die Vernunft kraftvoll sein und am vorderen Teil des Spießes stehen, um als König die Entscheidungen über die Gedanken und fünf Sinne zu treffen. Aber in unserem Märchen ist die Vernunft schwach, wird von den Argumenten der Sinne überwältigt, und so versucht Herr Schulz als Verstand und Ego das Angstwesen zu bekämpfen, das er selbst geschaffen hat. Nun, was passiert? Die Angst entflieht, versteckt sich wieder irgendwo, und der Verstand glaubt voller Freude an seinen Sieg, der natürlich nur ein verstandesmäßiger bzw. begrifflicher Sieg sein kann, indem er versteht: „Das Ungeheuer ist ein Hase!“ Wunderbar! Viel besser wäre ein wesentlicher Sieg der Vernunft über den tierischen Egoismus, der ein Hauptgrund für alle unsere Ängste ist, aber davon ist das Märchen offenbar noch weit entfernt.
Ein anderer Aspekt, der in der obigen Diskussion anklingt, ist der Teufel: Denn wo die Angst regiert, ist der Teufel nicht weit, der als Feind an die Wand (der Gedanken) gemalt wird. Und wenn es nicht der Teufel ist, dann seine Mutter oder sein Stiefbruder, womit vermutlich die Ängste vor der Natur und dem Tod gemeint sind. Denn mit Teufel, Natur und Tod kann man jede Menge Angst bis zur Hysterie und Panik schüren, und das ist nichts Neues in der Politik, denn ein Volk voller Angst läßt sich zu allem mißbrauchen, weil die Menschen nicht mehr fähig sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Dann muß man die Angst nur auf ein entsprechendes Ziel lenken, und schon kann man größte Kriege gegen eingebildete Feinde führen oder größte Geschäfte mit eingebildeten Begierden machen. Welches Glück erhoffen wir uns in einer Welt, die bald nur noch von Ängsten regiert wird? Auch hier liegt das Problem im Verstand, der gedanklich manipuliert und geprägt werden kann, weil die ganzheitliche Sicht der Vernunft fehlt. Und was passiert, wenn die Vernunft fehlt, die doch der größte Reichtum des Menschen sein sollte, das kann man heute überall in der Welt beobachten, und entsprechend geht auch unser Märchen weiter:
Der Schwabenbund suchte aber weitere Abenteuer und kam an die Mosel, ein mooriges, stilles und tiefes Wasser, darüber nicht viele Brücken sind, sondern man an mehreren Orten sich muß in Schiffen überfahren lassen. Weil die sieben Schwaben dessen unberichtet (unwissend) waren, riefen sie einem Mann, der jenseits des Wassers seine Arbeit vollbrachte, zu, wie man doch hinüberkommen könnte. Der Mann verstand wegen der Weite und wegen ihrer Sprache nicht, was sie wollten, und fragte auf seiner Mundart: »Wat? Wat!« Da meinte der Herr Schulz, er spräche nicht anders als »Wate, wate durchs Wasser!« und hub an, weil er der vorderste war, sich auf den Weg zu machen und in die Mosel hineinzugehen. Nicht lang, so versank er in den Schlamm und in die antreibenden tiefen Wellen, seinen Hut aber jagte der Wind hinüber an das jenseitige Ufer, und ein Frosch setzte sich dabei und quakte: »Wat, wat, wat!« Die sechs andern hörten das drüben und sprachen: »Unser Gesell, der Herr Schulz, ruft uns: Kann er hinüberwaten, warum wir nicht auch?« Sprangen darum eilig alle zusammen in das Wasser und ertranken, also daß ein Frosch ihrer sechse ums Leben brachte, und niemand von dem Schwabenbund wieder nach Haus kam.
So nimmt nun das Märchen seinen Lauf, und als dritte große Herausforderung erscheint ein großer Fluß. Dieses Symbol erinnert uns an den Fluß des Lebens zwischen Geburt und Tod, den es im Leben zu überqueren gilt, um das heimatliche Ufer sicher zu erreichen, ohne im Sumpf der Welt zu versinken. Dazu gibt es eine wunderbare Belehrung von Buddha im Palikanon (Majjhima Nikaya 22):
Als Floß, ihr Mönche, will ich euch die Lehre weisen, zum Entrinnen tauglich, nicht zum Festhalten. Das hört, und achtet wohl auf meine Rede... Gleichwie, ihr Mönche, wenn ein Mann, auf der Reise, an ein ungeheures Wasser käme, das diesseitige Ufer voller Gefahren und Schrecken, das jenseitige Ufer sicher, frei von Schrecken, und es wäre kein Schiff da zur Überfuhr, keine Brücke diesseits, um das jenseitige Ufer zu erreichen. Da würde dieser Mann denken: „Das ist ja ein ungeheures Wasser, das diesseitige Ufer voller Gefahren und Schrecken, das jenseitige Ufer sicher, frei von Schrecken, und kein Schiff ist da zur Überfuhr, keine Brücke diesseits, um jenseits hinüberzugelangen. Wie, wenn ich nun Röhricht und Stämme, Reisig und Blätter sammelte, ein Floß zusammenfügte und mittels dieses Floßes, mit Händen und Füßen arbeitend, heil zum jenseitigen Ufer hinübersetzte?!“ Und der Mann, ihr Mönche, sammelte nun Röhricht und Stämme, Reisig und Blätter, fügte ein Floß zusammen und setzte mittels dieses Floßes, mit Händen und Füßen arbeitend, heil ans jenseitige Ufer hinüber. Und, gerettet, hinübergelangt, würde er also denken: „Hochteuer ist mir wahrlich dieses Floß, mittels dieses Floßes bin ich, mit Händen und Füßen arbeitend, heil ans jenseitige Ufer gelangt: Wie, wenn ich nun dieses Floß auf den Kopf heben oder auf die Schultern laden würde und hinginge, wohin ich will?“ Was haltet ihr davon, Mönche? Würde wohl dieser Mann durch solches Tun das Floß richtig behandeln? „Gewiß nicht, o Herr!“ Was hätte also, ihr Mönche, der Mann zu tun, damit er das Floß richtig behandelte? Da würde, ihr Mönche, dieser Mann, gerettet, hinübergelangt, also erwägen: „Hochteuer ist mir wahrlich dieses Floß, mittels dieses Floßes bin ich, mit Händen und Füßen arbeitend, heil an das jenseitige Ufer hinübergelangt. Wie, wenn ich nun dieses Floß ans Ufer legte oder in die Flut senkte und hinginge, wohin ich will?“ Durch solches Tun, wahrlich, ihr Mönche, würde dieser Mann das Floß richtig behandeln. Ebenso nun auch, ihr Mönche, habe ich die Lehre als Floß dargestellt, zum Entrinnen tauglich, nicht zum Festhalten.
Was ist das für eine Lehre, die als Floß dienen kann? Es geht darum, eine höhere Vernunft zu entwickeln. Dafür sollte man den Verstand mit den Gedanken gebrauchen, nicht um jede Menge begriffliches Wissen anzusammeln und daran festzuhalten, sondern um das Wissen zu benutzen und eine höhere Einsicht zu entwickeln. Doch unser Schwabenbund wußte davon nichts, und so mußte Herr Schulz mit Verstand und Ego im zähen Schlamm der Welt versinken und zog alle anderen natürlichen Prinzipien inklusive der Vernunft mit sich hinab. Nun, so etwas kann uns im Kleinen und im Großen geschehen.
Und warum geschah das? Weil sie zuerst die Stimme der Natur und danach die Stimme des Lebens in Gestalt des Frosches mißverstanden haben. Das ist eine wunderbare Symbolik, denn die lebendige Natur spricht ständig zu uns und antwortet auch immer, wenn wir sie fragen. Doch verstehen wir ihre Botschaft? Oder hören wir nur, was das Ego mittels Verstand hören will? Solange wir die Stimme der Natur nur durch den gedanklichen Verstand vernehmen, wird sie immer verzerrt und einseitig erklingen. Meßinstrumente, Statistiken, Formeln und Zahlen können uns hier nicht zum sicheren Ufer führen. Die Wissenschaft hat uns wirklich viel Verstand gebracht, aber kaum Vernunft. Um die wahre Stimme der Natur zu hören, brauchen wir wieder eine direkte Verbindung zur Natur, nicht nur eine gedanklich-wissenschaftliche.
Zusammenfassend kann man sagen, daß dieses Märchen drei große Entwicklungsstufen im Menschen anspricht, die man auch als Jugend, Erwachsen und Alter betrachten könnte:
1) Erkenntnis des natürlichen Wesens der Dinge, so daß die Angst vor den äußeren Dingen verschwindet.
2) Erkenntnis und Sieg über das tierhafte Wesen in uns, so daß der Egoismus verschwindet.
3) Erreichen des sicheren Ufers, ohne im Sumpf der Welt zu versinken, so daß alle Ängste und Schrecken verschwinden.
Jeder dieser Stufen kann man nur erreichen, wenn die vorhergehende gemeistert wurde. Das ist die wahre Herausforderung der Natur. Wir sollten nicht denken, daß die Natur so schwach ist, wie sie erscheint, und unsere Hilfe braucht. Sie fordert uns stets mit ihren eigenen Waffen heraus, und das vor allem, um uns zu helfen. Und auch hier ist die Vernunft sicherlich ein großes Ziel, denn ohne Vernunft nützt uns der ganze Verstand nichts. Denn im Verstand gibt es immer viele Argumente dafür und dagegen, wie Argumente für Krieg und Argumente für Frieden, für Aufrüstung und für Abrüstung, für chemische Gifte und für Umweltschutz, für und gegen Antibiotika und tonnenweise Medikamente, für und gegen Drogen, für und gegen Elektrosmog, für und gegen Atomstrom, für und gegen Windräder, für und gegen Elektroautos, für und gegen Urlaubsflieger und Autofahrer usw. Und wer gerade die besseren Argumente darlegt, die bessere Show bietet, mehr Werbung macht und am überzeugendsten erscheint, dem folgen die Leute wie Schafe. Drei Argumente für Toilettenpapier, und im ganzen Land ist das Toilettenpapier ausverkauft, als wäre es das Wichtigste im Leben (und das geschah wirklich während der Corona-Virus-Welle im März 2020). Wo soll das hinführen? Erst wurde dieses Land in ein großes Kaufhaus verwandelt, dann in ein großes Krankenhaus, und morgen soll es ein riesiges Pflegeheim werden...
Nun, das geschieht, wenn Menschen nicht mehr fähig sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen, und das nennt man: Im zähen Schlamm der Welt und den antreibenden Wellen versinken, wenn der Verstand mit Begierde oder Haß an äußerlichen Dingen kleben bleibt bzw. anhaftet. Denn der Verstand kann nur „unterscheiden“ und mehr oder weniger fanatisch eine Seite ergreifen. Die Vernunft kann „entscheiden“ und die scheinbaren Gegensätze auf heilsame Weise schlichten. Deshalb sollte in einem erwachsenen Menschen die Vernunft herrschen und nicht der Verstand. Vielleicht ist es langsam an der Zeit, die Botschaft der Natur ganzheitlich zu hören und in unseren Schulen neben all den Wissenschaften das Unterrichtsfach „Vernunft“ einzuführen?
„Die Reaktion der Politik ist unverhältnismäßig, sie ist autoritär, sie ist rechthaberisch, sie ist maßlos - keine Frage - und wir würden als Bürger doch eher erwarten, wissensbasiert, vernünftig und maßvoll unterrichtet und behandelt zu werden...“ Und er sagt zum Schluß: „Nicht das Virus macht uns krank, die Angst davor macht uns krank.“
(Quelle: Interview auf RS2 am 24.03.2020)
Der weise Abubekr Ben Sacharja Al Rasi ritt nach Bagdad, als er mit Schrecken bemerkte, daß sich hinter ihm eine greuliche Gestalt auf das Tier schwang. „Wer bist Du, Fremdling?“ fragte er. „Ich bin die Cholera und muß in die Stadt, um fünf Tausend Menschen sterben zu lassen. Wenn Du mich mitnimmst, so sollst Du mit den Deinen verschont bleiben.“
Abubekr gedachte in seinem Sinne, die Cholera zur Milde zu bewegen und handelte mit ihr. Von fünf Tausend ging sie auf drei Tausend, dann auf Tausend, auf fünf Hundert und zuletzt auf Hundert herab. Als der Weise seine Bitten noch immer fortsetzte, rief sie: „Gut, es sollen nur Fünfzig sterben; aber nun sei auch zufrieden, sonst bist Du der Erste, den ich nehme.“
Jetzt erlaubte er ihr, mitzukommen, bereute aber schon nach einer Woche seine Güte, denn es starben mehr als zehn Tausend Menschen an der tödlichen Krankheit.Als er nach einiger Zeit nach Damaskus ritt, begegnete ihm die Cholera wieder und er machte ihr Vorwürfe, daß sie ihr Wort so schlecht gehalten habe. Doch sie antwortete: „Beim Barte des Propheten, ich habe Dich nicht belogen! Ich habe nur fünfzig getötet! Die Anderen sind nicht von meinem Hauche, sondern von ihrer unnötigen Angst gestorben.“
(Quelle: Karl Friedrich May, Schacht und Hütte, Blätter zur Unterhaltung und Belehrung, Nr. 11, 1875/1876)
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[1857] Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 7. Auflage, Berlin 1857 |