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Sagentext nach Wilhelm Wägner und anderen Quellen
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2025]
Manches Jahr floß friedlich im Strom der Zeit dahin. Der Bauer streute harmlos seine Saaten und erntete die nährende Frucht ohne Furcht vor feindlichem Überfall. Die Fürsten und Burgmannen pflegten das Weidwerk oder zogen in ferne Länder, wo Kampf und Abenteuer die Schwerter nicht in der Scheide rosten ließen.
So funktioniert nun Walhall wieder, die Kampfhalle der natürlichen Welt, denn das Wesen der Zerstörung und des Todes als Sackgasse der Entwicklung wurde in der Welthalle besiegt. Dadurch lassen sich die Probleme im Fluß der Generationen lösen, denn sie werden kontinuierlich immer weitervererbt, bis sie gelöst sind. Damit gilt nun sozusagen das Gesetz der Energieerhaltung in der Natur, und der Tod ist keine Endstation mehr. Gott und Mensch sind wieder versöhnt, Geist und Natur sind wieder Freunde, der Blick zum göttlichen Himmel ist wieder frei, das heile Paradies ist wieder möglich. Aus dieser Sicht sind auch die beiden Brüder von Hygelak als „Spiel des Verstandes“ nicht völlig tot. Die Vernunft kann wieder auferstehen und lebendig werden, und sogar das Ego hat seinen lebendigen Platz in dieser Welt. Ja, sogar deren Schwester, die Mutter von Beowulf, kann als reine Seele der Natur immer lebendig sein. Dann macht es auch Sinn, nicht nur mit dem begrifflichen Verstand um die Erhaltung des eigenen Körpers zu kämpfen, sondern mit der ganzheitlichen Vernunft um die Ganzheit bzw. Gottheit. Damit ist nun der große Weg bereitet, um auch die geistige Ursache für Raub, Zerstörung und Tod im Menschenreich zu besiegen:
Da geschah es, daß wieder schwedische Raubfahrer verwüstend einbrachen und Burgen und Höfe niederbrannten. Sie standen jetzt unter der Herrschaft von Ohthere, dem Sohn von Ongentheow, und auf schnellen Drachenschiffen entrannen sie der Züchtigung, die König Hygelak ihnen zugedacht hatte. Da beschloß der ergrimmte Herrscher, mit so vielen Schiffen und Mannschaft, wie gerade in Bereitschaft waren, in das Land der Schweden einzufallen, um für die Raubtaten Rache zu nehmen. Beowulf riet, die Fahrt aufzuschieben, bis man besser gerüstet sei, aber Hygelak, des Rates nicht achtend, gebot den Aufbruch. Die Landung an der feindlichen Küste geschah ohne Widerstand, und manche Burg wurde mit stürmender Hand genommen, mancher Hof und Weiler verheert. Aber die Schweden waren streitbare Leute, die im Kampf geübt waren, und jetzt galt es, ihre Heimat zu verteidigen. Da säumten sie nicht, sich zu rüsten. Ihr gesamter Heerbann trat unter die Waffen und rückte dem Feind entgegen. Es folgte eine mörderische Schlacht. Wohl kämpften die Goten mit unverzagtem Mut, wohl stand Hygelak mit seinen Getreuen unerschütterlich im Sturm der Speere und Schwerter und fällte die Feinde zur Rechten und Linken, aber die Schweden drangen todesmutig immer kühner vor. Endlich sank der König der Goten, von einer Schleuderwaffe getroffen. Sein Volk floh nach den Schiffen, nur Beowulf mit den Edelsten des Heeres hielt stand, entriß, obgleich aus tödlicher Wunde blutend, den Leib seines Herrn den feindlichen Händen und deckte den Rückzug nach den Schiffen. So kehrten die Goten, ihres Königs und vieler tapferer Männer beraubt, in ihr Vaterland zurück.
Damit geht nun der Ego-Kampf in der Welt der Trennung und Gegensätze weiter. Doch warum rät Beowulf dem Verstandes-König vom Kampf gegen das feindliche Ego ab, „bis man besser gerüstet sei“? Nun, wie schwer der Kampf gegen den Ego-Drachen ist, haben wir schon in vielen Geschichten kennengelernt, denn das Ego lebt als trennendes Bewußtsein natürlich vom Kampf der Gegensätze und wird dadurch immer nur stärker. Dafür braucht es eine ganz andere Rüstung und Waffe. So kann der Verstand im fremden Reich diesen Kampf niemals gewinnen. Denn das Ego läßt sich schon prinzipiell nicht in „anderen“ besiegen, sondern nur in sich selbst. In diesem Sinne gibt es eigentlich nur ein Ego in dieser Welt, und das ist immer das eigene. Entsprechend stirbt auch der Verstandeskönig von der „Schleuderwaffe“, die wie ein Echo auf ihn zurückkam. Die Gedankenwelt der natürlichen bzw. weiblichen Vorstellungen ist nun ratlos, und ohne König erhebt sich Chaos im Menschen:
Die edle Königin Hygd, in tiefer Trauer um den erschlagenen Gatten, wußte dem verwaisten Volk keinen Rat. Erst als die Zeit ihr Leid milderte, gedachte sie ihrer Pflicht als Königin und Mutter. Unterdessen war das ganze Land in Aufruhr geraten, die Landherren befehdeten sich und übten ungestraft Frevel. Da entbot die königliche Witwe die Edelsten des Volkes zu sich und sprach in der Versammlung von dem üblen Zustand des Landes und wie ihr unmündiger Sohn Heardred nicht imstande sei, die eigenwilligen Landherren zu bändigen und auswärtigen Feinden zu wehren, wie dazu nur ein Mann im Reich die Kraft habe, und der sei kein anderer als der ruhmvolle Beowulf. Ein allgemeiner Jubelruf „Beowulf, König der Goten!“ folgte ihrer Rede. Der berufene Held trat vor die Versammelten und sprach: „Gotische Männer! Wähnt ihr, ich werde den Sohn meines Oheims und königlichen Freundes seiner Ehren und Rechte berauben? Das mögen die Götter, die Rächer allen Frevels, verhüten!“ Dann hob er den jungen Heardred auf seinen Schild und fuhr fort: „Hier ist unser König, und ich stehe ihm mit Rat und Schwert zur Seite, bis er mündig und selbst des Rates und Schwertes mächtig ist.“ So sprach der herrliche Held, und niemand wagte Widerspruch. Er aber tat nach seinen Worten. Im Namen seines Schützlings zwang er die gewalttätigen Landherren zum Gehorsam, feindselige Raubfahrer schlug er zu Wasser und zu Land mit der Schärfe des Schwertes und brachte dem Land die Segnungen des Friedens wieder. Unter seiner Leitung und unter der mütterlichen Pflege erwuchs der junge Heardred zum kräftigen Mann, der wohl befähigt war, mit Umsicht und fester Hand seines Volkes zu walten. Auch blieb ihm mit Rat und Tat der getreue Beowulf zur Seite. Offen und ohne Falsch, wie sein Führer, vertraute der König den Menschen, auch Fremdlingen, die er willig in seine gastliche Halle aufnahm.
So muß nun ein neuer Verstandeskönig heranwachsen, und Beowulf versucht natürlich als Seelenkraft des Bewußtseins auch diesen König zu fördern und zur Vernunft zu erheben. Doch warum ließ sich Beowulf nicht selbst zum König ernennen? Dazu könnte man sagen: Solange der Verstand ein Erbrecht auf die Königswürde hat, hält er sich natürlich zurück und dient auch dieser Entwicklungsstufe im Menschen. Denn das Lernen ist natürlich eine sehr wichtige Erfahrung, die der Mensch in Walhall als Kampfhalle der Welt machen sollte. Warum sonst gibt es diese Wege? Warum sonst opfert Odin als Allvater ein Auge für diese Schöpfung?
Der altenglische Name Heardred läßt sich von „heard“ als hart oder streng und „red“ als Rat ableiten und erinnert damit an den „strengen Ratgeber“ als Wesen des Verstandes, der Gut und Böse erkennen will. Doch gerade dieser „strenge Ratschlag“ wird ihm dann zum Verhängnis und trifft ihn selbst, wie die „Schleuderwaffe“ seinen Vater traf:
Einstmals kamen Eanmund und Eadgils, die Söhne Ohtheres, des Herrschers der Schweden, als Flüchtlinge zu ihm. Sie hatten sich im Übermut gegen ihren greisen Vater aufgelehnt und waren deshalb von ihm vertrieben worden. Heardred empfing sie gütig, wie er es stets gewohnt war. Indessen mahnte er sie oftmals zur Versöhnung mit ihrem Erzeuger. Als er dies eines Tages mit ernsten Worten wiederholte, meinte Eanmund, ein heftiger und zornmütiger Mann, der Gotenkönig sei noch zu jung, um schlachtgewohnten Recken Rat zu erteilen. Heardred verwies ihm mit scharfen Worten diese Rede. Darüber erbittert, zückte der grimmige Mann das Schwert und traf seinen königlichen Gastgeber in dessen eigenem Haus zu Tode. Weohstan, der kühne Held, fällte sogleich zur Sühne für den König den Mörder. Aber Eadgils entfloh und gelangte nach dem balderfolgten Tod seines Vaters zur Herrschaft über Schweden.
So lesen wir nun, wie sich der junge Verstandeskönig unter der Führung von Beowulf zum „vernünftigen Verstand“ erheben und alle Menschen und Wesen lieben will. Ein ähnliches Problem begegnete uns bereits in der Nibelungensage in der Rolle von Markgraf Rüdiger, als er Hagen und die Burgund-Könige gastlich in sein Haus aufnahm, ehrte und ernährte, durch die er dann schließlich getötet wurde. Hier sind es die Söhne des Egos Othere, die sich mit ihrem Vater zerstritten hatten, wie sich die Egos gern streiten. Der altenglische Name Othere erinnert an „gefürchteter Krieger“, Eadgils an „Geisel des Reichtums“ und Eanmund an „Schutz des Geborenen“. So ist es auch der „persönliche Schutz“ des geborenen bzw. verkörperten Egos, der im Grimm den Ratschlag mit seinem Schwert zurückschlägt und den vernünftigen Verstand tötet.
Über diese Symbolik kann man viel nachdenken, wie der vernünftige Verstand sozusagen im Dilemma der Zwickmühle steckt, die von jeder Seite zwickt, als Leiden im Spiel der Gegensätze: Kämpft er gegen das Ego, dann ernährt es sich vom Kampf und wird immer stärker und kampfgeübter. Befreundet er sich mit dem Ego, dann ernährt und stärkt er es durch seine Gaben und seinen Schutz. Was meinte wohl Christus als er gebot: „Liebt eure Feinde!“? Sollen wir sie in unserem Haus beschützen, ernähren und stärken?
Offenbar ist das tödlich für die wachsende Vernunft, denn das Ego wirkt als trennendes Bewußtsein und die Vernunft als ein ganzheitliches. Als Lösung erscheint nun hier ein neuer Held, zumindest mit neuem Namen: Weohstan läßt sich von altenglisch „weoh“ als heilig und „stan“ als Stein ableiten. Er bedeutet damit „heiliger Stein“ und erinnert an den berühmten „Stein der Weisen“, das beständige und unvergängliche Gewahrsein oder auch die Wahrheit selbst, sozusagen das, was war, bevor etwas wurde. Das ist natürlich die ganzheitliche Lösung für jedes Dilemma und jeden Gegensatz, weil darin alle begrifflichen Trennungen des Verstandes verschwinden. Nur damit wird die reine Liebe möglich, von der Christus spricht, die ganzheitliche bzw. göttliche All-Liebe, die alle Formen liebt, aber nicht, weil die Formen so oder so erscheinen, sondern weil sie durch alle Formen hindurch auf das reine Bewußtsein schaut und sich darin überall selbst erkennt. Damit könnte Weohstan die Seelenkraft des reinen Bewußtseins von Beowulf symbolisieren, die nun eine personifizierte Rolle in dieser Geschichte spielt. Später werden wir auch erkennen, warum. Zumindest löst Weohstan schon einmal die Hälfte des Problems, und Eanmund als „persönlicher Ego-Schutz“ fällt, was wir uns natürlich alles symbolisch innerhalb eines „gotischen bzw. göttlichen Menschen“ vorstellen können, wie er die Entwicklung zur ganzheitlichen Vernunft erfahren kann.
Nun könnte unser Verstand fragen: Wie kann der Stein der Weisen als reines Gewahrsein das Ego töten? Und was hat dieses Töten mit reiner Liebe zu tun? Dazu müßte man antworten: Er tötet nicht, denn er macht eigentlich gar nichts, was unser gewöhnlicher Verstand natürlich nicht begreifen kann. Vielleicht kann man es symbolisch andeuten: Der Stein der Weisen ist nur da, und wenn ein Ego dagegenläuft, dann tut das weh, und es kann sich verletzen oder sogar töten. So funktioniert die Welt der herrschenden Verstandes-Vorstellungen, die nun langsam untergeht:
Wiederum war das Gotenvolk ohne König. Das Allthing, die Versammlung der freien Männer, trat zusammen, den König zu wählen. Da war kein Zweifel, Beowulf, durch nahe Verwandtschaft mit dem erloschenen Königshaus und durch rühmliche Taten gleich würdig, wurde zum Oberhaupt gewählt und der Held weigerte sich nicht mehr, dem Willen der freien Männer Folge zu leisten. Hoch stand er in der Versammlung, die Krone auf dem Haupt, und gelobte, ein treuer Hüter des Volkes und seiner Güter zu sein.
Als sich die Kunde vom Tod des Königs verbreitete, fielen sogleich verwegene Raubfahrer von verschiedenen Seiten in das Land, doch büßten sie mit Gut und Leben für ihre Frevel. Beowulf war überall gegenwärtig, wo die Gefahr drängte. Oft hatte er nur eine Handvoll gerüsteter Kämpfer um sich versammelt, aber sein furchtbares Schwert ersetzte die Zahl und erfocht den Sieg. Die flüchtigen Raufbolde verfolgte er mit schnellen Schiffen auf dem Meer und ruhte nicht, bis er die arge Brut vertilgt hatte. Kaum war das Land gegen diese Seewölfe sichergestellt, so fiel Eadgils als König der Schweden mit großer Heeresmacht in das gotische Reich ein. Er wollte den Tod seines Bruders rächen, fand aber den Gegner wohlgerüstet. An der Spitze des Heerbannes begegnete ihm Beowulf. Die Schlacht war mörderisch, denn beide Völker kämpften unverzagt um Siegesruhm. Jedoch bestanden die Schweden nicht vor dem gewaltigen Helden der Goten: Die Blüte ihrer kühnen Recken und ihr König selbst fielen unter seinen Streichen, und nur schwache Trümmer ihrer Macht erreichten wieder den heimischen Boden, wohin sie die Nachricht von dem unwiderstehlichen König der Feinde trugen. Die Folge dieser Siege war ein dauernder Frieden, der nur selten durch kleine Fehden und Raubzüge gestört wurde. Da die räuberischen Eindringlinge stets schwere Züchtigung von der Hand des Helden erlitten, so wagten sie bald nicht mehr, das Land der Goten zu betreten.
So wird nun Beowulf als ganzheitliche Vernunft zum König, als kein Verstandes-König mehr Anspruch auf den Thron hatte. Damit übernimmt er als ganzheitliches Wesen im Menschen natürlich auch die Rolle der Seele, des Verstandes und sogar des Egos, die er nun untrennbar in sich vereint, denn er selbst verteidigt jetzt das körperliche Reich, dessen Volk und Besitz, aber alles unter der Herrschaft der Vernunft im Sinne der Ganzheit bzw. Gottheit. Damit wird der Mensch sozusagen zum „Einherier“ in Walhall, während Weohstan als „heiliger Stein“ das bleibt, was er ist. Dies ist wohl auch der erste Grund, warum nun Beowulf und Weohstan in dieser äußerlichen Geschichte symbolisch unterschiedliche Rollen spielen, sozusagen als Reiter und Pferd, obwohl sie im Grunde das gleiche Wesen haben. Damit löst nun auch Beowulf die andere Hälfte des Ego-Problems, indem er Edgils nicht außerhalb, sondern innerhalb seines Reiches besiegt. Man könnte also sagen: Eine Hälfte des Problems löst Gott, und die andere der Mensch. So fiel auch der letzte Erbe von Ongentheow, dem egoischen Menschen als „Diener der Trennung“, der um eigenwillige Trennung kämpfte und Raubbeute als persönlichen Reichtum begehrte. Und damit ist der große Sieg-Frieden unter der Herrschaft der Vernunft erreicht. Wunderbar, schon fast ein Happy-End!
Beowulf waltete nun seines Hüteramtes mit Weisheit und Gerechtigkeit. Kein Hilfeflehender ging ungetröstet von ihm, kein ungerechter Machthaber blieb ungestraft. So herrschte er im Frieden über ein glückliches Volk, das unter seinem Schutz fröhlich die Früchte seines Fleißes erntete. Wo er sich zeigte, begrüßte ihn die Menge jubelnd, und die Edlen neigten ehrfurchtsvoll die behelmten Häupter vor ihrem Schirmherrn. Wohl vierzig oder mehr Jahre währte diese gesegnete Zeit.
Ja, so ist unsere Verstandeswelt: Über 20 Jahre Kampf und Sorgen wird ein langes Buch geschrieben, doch für 40 Jahre Frieden und Glück gibt es nur einen kurzen Absatz, den man schnell überliest. Ist diese Zeit nicht interessant genug für unseren Verstand? Oder gibt es dafür auch gewichtige Gründe? Worüber erzählt man in Walhall?
Der Held saß noch als Greis in voller Kraft auf dem Thron der Goten, da erfuhr auch Beowulf, daß kein menschliches Glück von Dauer sei. Es brach nämlich ein Feind ein, gegen den Waffen und Heere vergeblich schienen. Dies geschah so: Ein ungetreuer Knecht, der aus Furcht vor verdienter Züchtigung seinem Herrn entlaufen war, kam in eine wüste Felsengegend und erblickte dort eine schauerliche Höhle, in welcher ein ungeheurer Drache schlafend ausgestreckt lag. Aus der Tiefe des unheimlichen Schlundes leuchteten unermeßliche Schätze von Gold, Silber und Edelgestein. Mit lüsternen Blicken betrachtete der Mann den Hort, indem er dachte, wenn er nur ein Stück von den Kostbarkeiten habe, dann werde er damit nicht nur die Gunst seines Herrn, sondern auch Befreiung von Leibeigenschaft erkaufen. Diese Erwägung überwand seine Furcht vor dem Untier. Er schlich leise in die Höhle und raubte eine goldene Met-Kanne, deren Deckel ein strahlender Karfunkel zierte. Er entkam damit glücklich und erlangte von seinem Herrn Gunst und Lösung. Aber keiner ahnte, welchen Schrecken sie dadurch über das Land brachten.
Nun gibt es wieder geballte Symbolik, über die man viel nachsinnen kann: Beowulf ist ein König der Menschen geworden, und alles, was entstanden ist, muß natürlich auch wieder vergehen. Was ist der Sinn der Vergänglichkeit aller Formen? Warum altert unser Körper in der Natur, so daß seine Kraft und Sinne schwinden? Geht es vielleicht am Ende nur darum, das egoische Ergreifen und Festhalten irgendwelcher Formen zu besiegen? Ist vielleicht der Sieg über den Ego-Drachen bzw. Lindwurm am Baum des Lebens das große Ziel der ganzen Schöpfung? Kann man auf diesem Weg im Vergänglichen das Unvergängliche und Ewige „entdecken“ und wiederfinden?
So wird nun von einem Knecht in „Leibeigenschaft“ gesprochen. Wer ist damit gemeint? Hier können wir symbolisch an den gewöhnlichen Menschen denken, der ein Knecht seines „eigenen Leibes“ ist und sich durch seine eigenen Taten viele Freuden, aber auch viele Leiden schafft. Das eine will er genießen und verzehren, das andere unterdrücken und verdrängen. Darin ist er Meister geworden, bis er das Leiden nicht mehr unterdrücken kann, und es unerträglich wird. Dann flieht er aus der äußerlichen Welt entweder in den Tod oder in sein Inneres und kommt in eine schauerliche Höhle, in die wir nur in schlimmster Not schauen wollen. Denn dort schläft der ungeheure Ego-Drache im eigenen Körper. Nicht der oberflächliche Ego-Verstand, den wir uns gewöhnlich zum Freund gemacht haben, sondern ein übermächtiges Wesen, daß sich die Menschheit über Jahrhunderte und Jahrtausende mit ihrer unersättlichen Gier nach Eigentum und „Leibeigenschaft“ geschaffen und immer weitervererbt hat. Und damit ist der Menschheit ein großer Schatz verlorengegangen, nämlich das Gold der Wahrheit, das nun in der dunklen Materie verborgen liegt, bewacht von eben dieser egoistischen Gier als ein Wesen des Ergreifens und Festhaltens.
Interessant ist auch das Symbol des goldenen Metkruges mit dem Karfunkel, den der Mensch in seinem Inneren finden kann. Der Karfunkel erinnert uns an Weohstan als heiliger Stein, und der goldene Metkrug an Beowulf als Vernunft-König im Dienst der Gottheit, soweit man den Met bzw. Honigwein als Symbol für den Göttertrank der Ganzheit sehen will, von dem sich die Götter ernähren und für den die „Wolf-Biene“ den Nektar aus den Blüten am Baum des Lebens gesammelt hat, damit Walhall wieder funktionieren kann. So wird in der goldenen Kanne der Met bereitet, und der Deckel bewahrt ihn, wie das Schild-Dach von Walhall. Ähnlich spricht auch Meister Eckhart:
Ich habe ein Wörtlein gesprochen, das kann man auf Sankt Augustinus anwenden und auf eine jegliche gute, heilige Seele: Wie die einem goldenen Gefäß gleichen, das da ist fest und beständig und die Kostbarkeit aller Edelsteine an sich trägt (Jes. Sir. 50, 10). Es liegt begründet im Adel der Heiligen, daß man sie mit nur einem Vergleich nicht kennzeichnen kann. Darum vergleicht man sie den Bäumen und der Sonne und dem Mond. Und so ist dann hier Sankt Augustinus einem goldenen Gefäß verglichen, das da ist fest und beständig und die Kostbarkeit aller Edelsteine an sich trägt. Und dies kann man wahrheitsgemäß von einer jeglichen guten, heiligen Seele sagen, die da alle Dinge gelassen hat und sie dort nimmt, wo sie ewig sind. Wer die Dinge läßt, wie sie Zufall sind, der besitzt sie dort, wo sie ein reines Sein und ewig sind. (Predigt 16)
Ja, diesen Schatz kann der „Leibeigene“ hier finden, wenn er sich in diese Höhle getraut, um sich damit „freizukaufen“. Dann trägt er auch keinen Namen mehr und ist ein Niemand, ein „Nobody“, der keine Spur hinterläßt, so daß ihn der Drache nicht finden kann. Denn nur, wer alles gibt, kann auch alles empfangen, weil dies ein gerechter Handel ist, um sich „freizukaufen“.
Wichtig ist wohl auch das „leise schleichen“, denn die Stille ist ein wichtiger Zugang für diese Höhle, wie wir auch vom Yoga-Weg der Meditation kennen. Denn diesen Drachen sollte nur aufwecken, wer dazu gerüstet ist. Und doch erwacht er irgendwann, wenn er sich angegriffen fühlt:
Der Drache, der Jahrhunderte hindurch über seinem Goldschatz geruht hatte, den gierige Krieger gehortet und in ihr dunkles Grab mitgenommen hatten, erwachte und witterte den Raub. Er fuhr, nach Rache begierig, des Nachts aus der finsteren Tiefe hervor, suchte witternd die Spur des Räubers, und als er sie nicht fand, brüllte er, daß die Erde bebte, und aus seinem Rachen strömten lodernde Flammen, davon ringsherum Felder und Höfe in Brand gerieten. Die Menschen, welche zu löschen versuchten, wurden seine Beute. Er zermalmte sie oder schleppte sie mit sich in die Höhle, bis der Morgen seinen Verwüstungen ein Ziel setzte. So tat er allnächtlich, und sogar die Burgen der Landherren und des Königs wurden ein Raub der Flammen. Das ganze Land schien dem Verderben verfallen. Wohl versuchten kühne Helden einzeln und in Menge, den Unhold zu bekämpfen, aber gegen den Feueratem halfen weder Schild noch Harnisch, alle fielen als Opfer ihres Mutes.
Was greift den Drachen in seiner Höhle am stärksten an und bedroht sein gehortetes Eigentum? Hier können wir wieder über die Macht der Wahrheit nachdenken: Auch unsere modernen Wissenschaftler haben in der Höhle der Materie nach Wahrheit gesucht und dort eine unvorstellbar große Menge an Energie gefunden, ein Feuer, aus dem Atombomben gebaut wurden, die ganze Städte und Landstriche verbrannten. So erhebt sich auch hier der Drache in der Nacht als Symbol der Unwissenheit (Nacht als „Nicht-Acht“) mit einem Feuer der Vernichtung und des Todes.
Eine ähnlich mächtige Energie kennen die Yogis im Inneren des Körpers als Kundalini-Schlange, die man sich zusammengerollt in der Tiefe an der Wurzel der Wirbelsäule vorstellt, im sogenannten Muladhara Chakra des Erdelements. Dort schläft sie gewöhnlich wie der Drache in seiner Höhle. Der Yoga-Weg des Erwachens zum göttlichen bzw. ganzheitlichen Bewußtsein wird dann in tantrischen Schriften symbolisch als das Erwecken dieser Schlangen-Energie in acht Schritten für acht Prinzipien bzw. Bewußtseinsebenen beschrieben. Dabei wird zuerst das verkörperte Erdelement mit dem Geruchssinn im Wasserelement aufgelöst, dann das Wasser mit dem Geschmackssinn im Feuerelement, das Feuer mit dem Sehsinn im Windelement, der Wind mit dem Gefühl im Raumelement, der Raum mit dem Gehör im Ichbewußtsein, das Ichbewußtsein mit dem Verstand in der universalen Intelligenz, die universale Intelligenz mit der Vernunft in der unentfalteten Natur als Meer der Ursachen, und die unentfaltete Natur mit der Verursachung im Höchsten der Gottheit. Damit befreit sich der Yogi von allen Bindungen. Auch dort kann man auf jeder Bewußtseinsebene Pferd und Reiter finden. Auf den unteren Ebenen sind es die natürlichen Elemente und die Sinne, die darauf reiten. Die Trennung zwischen ihnen löst sich nach oben hin immer mehr auf, bis im achten Prinzip Natur und Geist wieder vereint sind und alle Gegensätze verschwinden. (siehe z.B. Mahanirvana Tantra Kapitel 5.4) Auch im Tantra steht die Ehrung der Gottheit und die Verehrung der Götter und deren Gaben in der Schöpfung auf verschiedenen Bewußtseinsebenen im Mittelpunkt, um die Probleme im Leben zu lösen. Ähnlich wurden auch Beowulf acht Pferde gegeben, und ähnlich löste auch er die Probleme zuerst im Wasser der Natur und nun im Feuer des Geistes, um den Ego-Drachen des trennenden Ichbewußtseins zu besiegen und alle Gegensätze im Höchsten der Gottheit aufzulösen.
So erhebt sich nun die Energie der Vernichtung und droht, die ganze körperliche Welt zu verbrennen, nicht nur die Körperburg von Beowulf, sondern auch dessen Königreich und Volk. Was ist das für eine widersprüchliche Energie, die einerseits ihr Eigentum an der Wurzel der Verkörperung festhalten will und anderseits alles vernichten kann? Hier können wir an den Drachen als Schlange oder Lindwurm am Lebensbaum im Wellenspiel der Gegensätze denken, wie jedes Festhalten auch ein Vernichten bedingt und das Ergreifen zur Ursache der Vergänglichkeit wird, denn ohne Festhaltenwollen gäbe es auch kein Verlierenkönnen, und ohne Verlierenkönnen kein Festhaltenwollen. Wie auch Christus sagt: »Wer sein Leben festhalten will, der wird es verlieren.«

Eine ähnliche Symbolik finden wird in der Midgard-Schlange der nordischen Mythologie, die sich als trennendes Prinzip an der Wurzel der Schöpfung wie ein Gartenzaun um Midgard schlingt, den Garten der Menschenwelt, und sich dabei selbst verschlingt und immer wieder gebiert. Diese Umzäunung, altdeutsch Hag oder Gehege haben wir auch in der Nibelungensage in der Rolle von „Hagen“ als trennendes Ego-Bewußtsein kennengerlernt, der den Nibelungenschatz im Fluß des Lebens verborgen hatte und bis zu seinem Tod nicht wieder freigeben wollte. So finden wir auch in der Midgard-Schlange das Festhaltenwollen der Schöpfung im Inneren des Rings und nach außen das Vernichten im Kreislauf von Werden und Vergehen im Feuerrachen des Drachens:

Aus dieser Sicht ist es verständlich, daß die Midgard-Schlange eng mit dem Fenrir-Wolf des Weltuntergangs und der Totengöttin Hel verwandt ist. Sie wurden als Geschwister alle drei von Loki gezeugt, dem Geist des Gegensatzes als Beschluß der „Logik“ oder des „Log-Ich“. Entsprechend ist Loki auch gleichzeitig die Mutter von Sleipnir, dem achtbeinigen Pferd auf dem Odin als Allvater reitet.
So wird oben auch das gegensätzliche Spiel von Tag und Nacht erwähnt, im Sinne von Leben und Tod oder Sein und Nichtsein, und darum geht es natürlich auch in dieser Geschichte, nämlich um den Tod von Beowulf, der nun ein ganzheitliches Wesen geworden ist, aber doch sterben muß, weil er etwas geworden ist. Wenn nun ein ganzheitliches Wesen stirbt, geht dann auch die ganze Welt unter?
Dazu erzählen sich die Yogis eine niedliche Geschichte:
Einst lebte ein dummer Esel in der Nachbarschaft eines weisen Yogis. Eines Tages trat plötzlich eine Flut über die Ufer eines nahegelegenen Flusses und überschwemmte das ganze Land. Der weise Yogi rannte, da er weise war, auf die sichere Spitze eines Hügels, an dessen Fuß er in einer Höhle Tag und Nacht zu meditieren pflegte. Doch der Esel, der eselhaft, um nicht zu sagen unmeditativ war, wurde von den reißenden Fluten weggespült. „Oh je!“, rief er, „Die Welt geht unter!“ - „Sei kein Esel!“, tadelte ihn den Yogi verächtlich von der Hügelspitze: „Nur du gehst unter, nicht die ganze Welt.“ - „Aber Herr“, argumentierte der dumme Esel, „wenn ich selbst untergehe, wie kann ich dann sicher sein, daß die Welt überlebt?“ Der Yogi war tiefbetroffen und fragte sich zum ersten Mal, welche die größere Weisheit war, die menschliche oder die eselische!?“ (Sri Aurobindo came to me, Dilip Kumar Roy, 1964)
Tja, das ist schwer zu erklären. Wenn der Yogi die Ganzheit verwirklicht hatte und den Esel untergehen sieht, dann müßte doch mit ihm auch alles untergehen. So können wir uns auch hier fragen, wohin das schwedische Ego-Wesen von Ohthere und seinen Söhnen Eadgils und Eanmund untergegangen ist? Wurde es damals an der Ursache überwunden, oder nur oberflächlich, so daß die Welt einige Jahre in Ordnung schien? Aus dieser Sicht geht es wohl nun darum, den Ego-Drachen als Ursache des trennenden Bewußtseins auch an der Wurzel zu besiegen, um den Lindwurm zu überwinden, der sich im Spiel der Gegensätze um den Baum des Lebens schlängelt. Und dazu müssen natürlich auch beide Seiten besiegt werden, einerseits das Begierde-Feuer des Festhaltens an Formen und anderseits das Haß-Feuer der Vernichtung von Formen. Der erste Schritt war wohl mit Eadgils und Eanmund getan, und nun müßte der zweite folgen:
Der greise König hörte mit Schmerz den Jammerruf seines Volkes, und in seiner Seele reifte der Entschluß, selbst den Kampf mit dem Unhold zu versuchen. „Es ist für mein Volk, für den edlen Stamm der Goten“, sprach er, „da werden mir die Himmlischen hilfreich zur Seite stehen. Wehe dem Herrscher, der nicht, sei es auch mit Hingebung des vergänglichen Lebens, seines Hüteramtes in Treue waltet! Noch fühle ich Kraft in mir, wie in den Tagen der Jugend, als ich Grendel besiegte.“ So sprach der Held zu denen, welche ihm vom Kampf abraten wollten. Er verfuhr jedoch nicht unbedacht, sondern traf die zweckdienlichsten Vorkehrungen. Er ließ einen Schild von dreifachem Metall schmieden, groß genug, daß er den ganzen Mann deckte. Er legte Wielands Rüstung an und wählte zu Begleitern acht der kühnsten Recken, unter ihnen den unverzagten Weohstan, der einst Heardred gerächt hatte. Mit ihnen trat er den Gang nach der Drachenhöhle an. Auf dem Weg sprach er manches von den Taten seiner Jugendzeit und freute sich, daß er nun als Greis beim Abschluß seines Lebens zu einer großen Heldentat berufen sei. So kamen die Männer in die Nähe der Höhle, wo man das Schnaufen des Untiers hörte und die Glut seines Atems erblickte. Ringsum starrte wildes Gestein empor, aber aus der Höhle rauschte ein Bach, dessen Wasser vom Drachen-Feuer kochend heiß war.
Hier wird nun die Macht der Liebe angesprochen, die wohl für einen erfolgreichen Drachenkampf immer nötig ist. Oft geht es um die Liebe zu einer Jungfrau als Symbol der reinen Seele. Hier steht offenbar das Volk als Seele der Menschheit an dieser Stelle, zu der man auch die reine Liebe finden kann. Denn mit Begierde und Haß ist der Ego-Drachen logischerweise niemals zu besiegen, weil er davon lebt und sich ernährt. Dafür ist die göttliche All-Liebe nötig, die durch die äußerlichen Formen hindurchschaut und das ganzheitliche Wesen liebt, wozu Beowulf als ganzheitliche Vernunft fähig war. Und darin liegt wohl auch die Kraft, die er im Alter immer noch fühlt, weil sie mit dem vergänglichen Körper nicht vergeht. So kann man die reine Liebe als die mächtigste Kraft im Kampf zwischen Körper und Geist in dieser Welt betrachten. Dazu schreibt Meister Eckhart:
Damit man dem Geiste hier in dieser seiner Fremde zu Hilfe komme und man das Fleisch in diesem Kampfe etwas schwäche, auf daß es dem Geiste nicht obsiege, darum legt man ihm den Zaum der Bußübungen an, und darum unterdrückt man ihn, damit der Geist sich seiner erwehren könne. Wenn man ihm dies antut, um ihn gefangen zu halten, willst du ihn denn nun tausendmal besser fesseln und belasten, dann lege ihm den Zaum der Liebe an. Mit der Liebe überwindest du ihn am schnellsten, und mit der Liebe belastest du ihn am stärksten. Und darum hat Gott es bei uns auf nichts so sehr abgesehen wie auf die Liebe.
Dieses Zaum-Zeug der wahren Liebe erinnert uns an die acht Rosse mit dem goldenen Zaum-Zeug, die Beowulf damals von König Hrodgar bekam, nachdem er Grendel in der Hirschhalle besiegt hatte. Darüber ist er nun wieder König, und die acht Rosse haben in der Menschenwelt auch ihre Reiter gefunden, so daß er nun mit acht Begleitern in den letzten großen Kampf zieht. Im Urtext zogen sie zu Zwölft aus und der Dreizehnte war der namenlose Mensch, der den Drachen geweckt hatte und den Weg zur Drachenhöhle zeigen konnte. Wir haben daraus acht gemacht, bezüglich der acht Rosse als acht lebendige Prinzipien der körperlichen Schöpfung, die nun Beowulf in sich vereint hatte, wie auch Odin auf einem Pferd mit acht Beinen reitet und die Kundalini-Schlange in acht Schritten aufsteigt. Mit dieser kleinen Änderung geht in der Geschichte nichts Wesentliches verloren, aber wir können später noch einmal über das achte Prinzip als „Achtsamkeit“ nachdenken, die wir damals bei den acht Rossen bereits angesprochen hatten.
Ein erstes Symbol finden wir dazu in dem besonderen Schild aus dreifachem Metall aus der Verstandesschmiede, das dem Feuer der Vernichtung widerstehen kann, sozusagen das Schild der Achtsamkeit, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zur reinen „Gegenwärtigkeit“ vereint werden. Denn was läßt sich vernichten, wenn man nicht daran denkt, was früher gewesen war oder später noch werden kann? Das ist die Macht der reinen Gegenwärtigkeit, „The Power of Now“, wie es Eckhart Tolle ausdrückte, das reine und formlose Bewußtsein. Dazu legt Beowulf auch Wielands Rüstung aus der Verstandesschmiede an, die eine gewisse Vollkommenheit hat, soweit es der Verstand schaffen kann. Natürlich stehen dahinter auch die gesegneten Gaben, Schild und Rüstung, die er von König Hrodgar empfing. Doch nun kämpft er als gewordener König seines Volkes in der Menschenwelt, wo der Verstand alle Waffen schmiedet, und damit beginnt der große Kampf: Er nähert sich der Drachenhöhle und sieht, wie daraus das Wasser des Lebens fließt, aber zu verdampfen droht, was uns an das körperliche Sterben erinnert. So versucht er diesen lebensbedrohlichen Kampf zunächst allein, um seine Gesellen zu schützen, die er sozusagen am Zaum-Zeug mit der Macht der Liebe zügelt und zurückhält:
Beowulf hieß seine Gesellen in einiger Entfernung harren und sprach: „Laßt mich diesen Kampf am Ziel meines Lebens ganz allein gewinnen. Ihr sollt sehen, wer von uns die tödlichen Wunden besser ertragen kann. Es ist nicht euer Abenteuer, noch liegt es in der Macht von anderen Menschen, außer in meiner eigenen. Ich muß durch meinen Mut das Gold gewinnen, sonst wird der tödliche Kampf euren König dahinraffen.“ Darauf schritt er zur Höhle und rief das Ungeheuer an. Mächtig, wie sonst in der Schlacht, tönte sein Ruf, vom Echo vielfach wiederholt. Der Drache, der im gewundenen Ring lag, streckte sich aus, als er die Menschenstimme hörte, und schoß gierig auf den Helden los. Dieser rettete sich vor dem vernichtenden Feueratem hinter seinem eisernen Schild und traf ihn dann mit schmetterndem Schlag mitten auf den Kopf. Aber die scharfe Schwertschneide von Nägling biß nicht ein, und so entbrannte ein entsetzlicher Kampf.
Warum will Beowulf ganz allein kämpfen? Nun, wer die Trennung besiegen, die Ganzheit erreichen und das Gold der Wahrheit gewinnen möchte, kann natürlich nicht mit der Kraft von „anderen“ kämpfen. So ist es wohl auch im Sterbeprozeß, den der Mensch schließlich ganz allein erfährt, und zwar im wörtlichen Sinne von „ganz all-ein“, wenn sich die trennenden Bewußtseinsebenen langsam auflösen.
Warum hat er dann die Gesellen zum Kampf mitgenommen? Um ihnen den Auftrag zu geben: Einfach bewußt bleiben und sich nicht in die Handlung verstricken! Darin zeigt sich wieder die fundamentale Bedeutung des Bewußtseins, um das Höchste in dieser Welt zu erreichen.
Tue nichts und alles ist getan.
(Laotse)
Damit ist nun der vernünftige König im Menschen bestens gerüstet, um den schlafenden Drachen in seiner Höhle bewußt aufzuwecken. Der erste Kampf beginnt mit dem Schwert Nägling, das einst König Hredel gehörte, der mit der Bedeutung „Befreier“ als Stammvater des gotischen bzw. göttlichen Menschen genannt wird. Es ist sozusagen das Schwert der schmerzlichen Dornen, mit dem der weltliche König in seinem Reich um Ordnung kämpft. Doch die scharfe Schwertschneide der Unterscheidung und Trennung kann den Ego-Drachen natürlich nicht besiegen, denn auch er ist ein Wesen des trennenden Bewußtseins, das damit nur stärker wird, so daß auch der Kampf immer schrecklicher entbrannte und das Drachen-Feuer alles zu vernichten drohte:
Die Streiter waren in Flammen und Rauch gehüllt, von dem Brüllen und Heulen des Drachen bebten die Felsen, während die Schwertschläge gleich den Schlägen eines Riesenhammers unaufhörlich krachten, als sollte das wilde Gestein zersprengt werden. Ein Luftzug trieb Flammen und Rauch seitwärts, so daß die Gesellen Beowulfs erkennen konnten, was vorging. Sie sahen, wie der Drache, sich aufbäumend mit klafterweit gähnendem Rachen auf den König niederschoß. Diesen Anblick ertrugen die Männer nicht, sieben von ihnen entwichen und suchten sich im Wald zu verstecken, um ihr Leben zu retten. Aber der achte, der kühne Weohstan, stürmte mit gezückter Waffe seinem bedrängten Herrn zu Hilfe. Sein Schild aus Lindenholz verbrannte, und er mußte hinter dem eisernen des königlichen Kämpfers Schutz suchen.
So finden nun in diesem Kampf Beowulf und Weohstan wieder zusammen, die damals auch die beiden Ego-Söhne von Ohtheres besiegten. Die anderen sieben Gesellen bzw. geistigen Prinzipien der körperlichen Welt ziehen sich zurück, was uns auch an die Tantra-Beschreibung zum Aufstieg der Kundalini-Schlange erinnert. Schließlich kämpft nur die menschliche Vernunft zusammen mit dem göttlichen Gewahrsein hinter dem Schild der Gegenwärtigkeit. Denn alles Gewordene und Verkörperte verbrennt natürlich im Drachen-Feuer der Vernichtung. Starke Symbolik! Doch warum muß auch das Gewahrsein als heiliger Stein der Weisen oder die Wahrheit selbst von diesem Schild geschützt werden? Die Wahrheit verbrennt natürlich nicht, aber man kann sich ihrer nicht mehr bewußt sein, was der gewöhnliche Zustand unseres Verstandes ist. Und dafür ist das Schild der Gegenwärtigkeit nötig, damit das Bewußtsein in diesem Kampf nicht von der Vergangenheit oder Zukunft davongetragen wird und in irgendeine illusorische Geschichte fällt, wie es wohl den sieben Gesellen ging, die sich im Wald der Vorstellungen versteckten, um ihr Leben zu retten. Nur das achte Prinzip als reine „Achtsamkeit“ kennt keine Todesangst und kommt Beowulf hinter dem Schild der Gegenwärtigkeit automatisch zu Hilfe. Von diesem gegenwärtigen Bewußtsein auf einer hohen und ganzheitlichen Ebene wurde bereits im Kampf mit Grendel und seiner Mutter gesprochen. Auch hier ist es wieder das Entscheidende im Kampf, um vor dem Feuer der Vernichtung geschützt zu sein, wozu die anderen sieben Gesellen nicht fähig sind, die man als niedere Bewußtseinsebenen bis zum dunklen Unbewußtsein betrachten kann. Doch wie besiegt man nun das Wesen und die Ursache dieses Feuers?
Beide Helden schienen dem Unhold verfallen, denn er riß den Eisenschild herab und faßte den König mit den Zähnen, daß die Ringe des Halsbergs, obgleich von Wieland gefertigt, wie tönerne Scherben zerbrachen. In diesem Augenblick stürzte Weohstan hervor und stieß dem Untier die scharfe Klinge unter der Kinnlade tief in die Weiche des Halses, daß zwar seine Hand dabei verbrannte, aber der heiße Feuerschwall erlosch. Der Drache bäumte sich hoch auf und umschlang beide Kämpfer mit seinem Schweif. Wie er aber herabstürzend den Rachen aufriß, bohrte ihm Beowulf die Schwertspitze in den blutroten Schlund, daß sie auf der anderen Seite hervordrang. Die Sieger säumten nicht, mit Stößen und Hieben den grauenhaften Unhold vollends niederzustrecken. Dann ruhten sie, kampfmüde, von Gluthitze und Qualm fast erstickt, auf einer Felsplatte.
Warum muß das Schild fallen? Nun, um die Ganzheit bzw. Gottheit zu erreichen, muß natürlich auch jede Trennung fallen. Doch genau in diesem Moment der göttlichen Gegenwärtigkeit dringt das Schwert der Wahrheit tief in das Drachenwesen ein und vernichtet die Vernichtung, so daß das Feuer erlöscht. Daß dabei sogleich die Hand verbrennt, kann ein tiefgründiges Symbol sein, denn Weohstan als Stein der Weisen handelt natürlich nicht, wie wir schon erwähnt haben. Das heißt, die Handlung verbrennt sogleich, und kein Karma wird damit angesammelt, keine Welle der Wirkungen geschlagen, was unser Verstand wohl nicht verstehen kann. Die wirkende Handlung übernimmt dann wieder Beowulf und kann nun sein Schwert mit der Spitze in das Wesen bohren. Was uns wieder an Ortwin erinnert, den „Freund der Schwertspitze“ als Symbol der Einheit, denn nur damit läßt sich das trennende Bewußtsein des Ego-Drachens besiegen, und in der Ganzheit kann es keine Vernichtung mehr geben. Das ist dann auch die göttliche All-Liebe, die der Mensch wiederfinden soll, um diesen Sieg zu erreichen. Nun ruhen die Sieger auf dem unvergänglichen Stein der Weisen, bis sie wieder ins Bewußtsein der Menschenwelt zurückkehren.
Als sich die kühnen Männer erholt hatten und die Rüstungen lösten, sah Weohstan, wie unter dem zermalmten Halsberg seines Herrn Blutstropfen hervorquollen. Er wollte die kleine Ritze verbinden, aber Beowulf wehrte ihm. „Es ist vergeblich, guter Geselle“, sagte er, „die Wunde hat mir der Zahn des Drachen geschlagen. Schon fühle ich, wie das Gift in meine Adern gedrungen ist. Ich werde hier mein Leben lassen müssen. Aber ich gehe getrost zu meinen Ahnen, als der Letzte meines Stammes, da mir keine Gattin einen Sohn und Erben geschenkt hat. Ich kann auf die vergangene Zeit frohen Mutes zurückblicken: Keine Meintat, keine Ungerechtigkeit steht gegen mich auf. Ich habe Gerechtigkeit geübt, und durch Wohltat die langwierige Feindschaft mit den Scyldingen beendet. Ich habe mir ihren Dank erworben und sie zu Freunden gewonnen. Und nun habe ich um den Preis meines Lebens unser Volk von dem grimmigsten Feind errettet. Darum wird mein Andenken in Ehren bleiben. Du aber, treuer Weohstan, mein einziger Blutsfreund, gehe hin und verschaffe mir einen Trunk aus dem reinen Quell, der drüben am Berg rinnt, daß ich meine Zunge kühle. Dann hole aus dem Berg den Drachenschatz. Ich will ihn schauen, denn er ist die letzte Gabe, die ich unserem Volk erworben habe.“
Was ist das für ein Gift? Darin können wir symbolisch das Gift der Vergänglichkeit sehen. Ist das etwas Böses? Das deutsche Wort Gift ist ein seltsames Spiel. Ursprünglich bedeutete es „Gabe oder Geschenk“, wie es heute noch im Englischen zu finden ist. Für das Ego ist die Vergänglichkeit ein tödliches Gift, für die Vernunft das größte Geschenk dieser Welt, denn nur dadurch begibt sich der Mensch auf die Suche nach der Unvergänglichkeit. Doch wo ist sie zu finden? Die äußerlichen Formen sind irgendwie alle vergänglich, selbst Sterne und Galaxien, ja, sogar der Weltraum wird irgendwann vergehen, wie wir wissen. Denn alles was entstanden ist, muß logischerweise wieder vergehen. Doch unsere moderne Naturwissenschaft hat zum Beispiel das Licht selbst als etwas Ewiges gefunden, weil es für sich selbst weder Zeit noch Raum kennt. Seine Vergänglichkeit erscheint nur für einen Beobachter, der das Licht beobachtet, also durch Trennung zwischen Beobachter und Beobachteten, wenn der Beobachte nicht mehr das Licht selbst ist. Dies erinnert uns wieder an die Symbolik der beiden Augen von Odin, worüber man viel nachdenken kann, wie auch über das reine Bewußtsein selbst. Was bleibt am Ende eines körperlichen Lebens? Beowulf hatte die Zerstörung und den Tod als Grendel und dessen Mutter in der Natur besiegt, und nun auch den Drachen der Vernichtung im Geist. Was bleibt? Das reine Licht bleibt, in dem alle Bilder erscheinen, das reine Bewußtsein, das selbst formlos ist, aber alle Formen annehmen kann. Damit hatte er das Wasser des ewigen Lebens erlangt, das nun Weohstan aus der reinen Quelle holt, und er hatte das Gold der Wahrheit gefunden, das der Stein der Weisen mit dem Schild der Gegenwärtigkeit ins Licht des Bewußtseins trägt:

So kann er nun mit reinem Gewissen seine Körperlichkeit ablegen, denn sie hatte ihre Aufgabe erfüllt, weshalb auch keine weiteren körperlichen Nachkommen nötig waren. Er hatte das Festhaltenwollen sowie das Vernichtenkönnen besiegt. In der Natur wurde der Tod besiegt, und im Geist die Vernichtung. Das trennende Bewußtsein wurde überwunden, und die Ganzheit in der Gottheit wiedergefunden. Das ist das „Reich der Ahnen“, das man mit gegensätzlichen Gedanken nicht verstehen kann, wie der Name schon sagt, aber mit ganzheitlicher Vernunft erahnen.
Dazu werden hier Beowulf und Weohstan als Blutsfreunde bezeichnet, denn sie sind natürlich als ganzheitliche Vernunft und göttliches Gewahrsein von gleichem Blut, von gleicher Essenz, wie auch „Beo“ und „Weo“ gleich klingen. Im Urtext wird Wägmund als Stammvater von Weohstan genannt. Sein altenglischer Name läßt sich als „Weg-Beschützer“ übersetzen, denn der unvergängliche Stein der Weisen ist natürlich immer da, um den vergänglichen Wesen den Weg zur Unvergänglichkeit zu zeigen. Auch Ecgtheow, der Vater von Beowulf, könnte dort ein Sohn von Wägmund sein, so daß beide auch leiblich verwandt wären. Im Urtext hat Weohstan einen Sohn namens Wiglaf, was „Erbe des Kampfes“ bedeutet, der dann als junger Held anstatt seines Vaters zusammen mit Beowulf gegen den Drachen kämpft. Wilhelm Wägner hat das Ganze etwas vereinfacht, was wir genial finden, denn Weohstan ist natürlich als „heiliger Stein“ uralt und unsterblich und trägt auch das „Erbe des Kampfes“ in alle Ewigkeit weiter, wie er nun auch das Wasser des ewigen Lebens gibt und den Goldschatz der Wahrheit als das reine Bewußtsein, das jede Form annehmen kann, vor die Augen der Vernunft trägt:
Der schon ergraute Weohstan tat, was ihm sein König gebot. Er brachte den kühlenden Trunk und wusch auch die brennende Wunde. Darauf schleppte er den Schatz aus der Felshöhle: Kannen, Becher, köstliche Ringe und Spangen, alles von lauterem Gold, auch Schwerter und Rüstungen aus längst vergangener Zeit. Der sterbende Held betrachtete mit Wonne diese letzte Gabe, die er seinem Volk hinterließ. Dann sprach er zum Freund:
„Einen Hügel heiße die Helden mir erbauen,
Unfern vom Meer, sichtbar an der Brandung Felsen,
Zum Gedächtnis dem Volk das Denkmal rage,
Über der Walfischbucht hoch sich erhebe,
Daß die Seefahrer ihn schauen und sagen:
»Es ist Beowulfs Berg«, die ihre Schiffe führen
Von fern her durch die nebligen Fluten.“
Hier wird noch einmal klar gesagt, daß Beowulf das Höchste, was er in seinem Leben erreicht hatte, nämlich den Goldschatz der geistigen Wahrheit aus der Felsenhöhle der körperlichen Materie, seinem Volk hinterlassen wollte. Diesbezüglich erinnert er uns auch an Jesus Christus, der vor seiner Auferstehung durch die Hölle der Unterwelt gegangen war und dort den Tod und Teufel besiegt hat, wie es im Katechismus heißt:
636: Mit „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ bekennt das Glaubensbekenntnis, daß Jesus wirklich gestorben ist und durch seinen Tod für uns den Tod und den Teufel besiegt hat, der „die Gewalt über den Tod hat“.
Entsprechend wurde dann auch für Jesus ein äußerliches Denkmal errichtet, das die Wesen in den nebligen Wellen auf dem Meer der Ursachen erkennen können, um den sicheren Hafen der „Walfischbucht“ am „Fels in der Brandung“ als heiligen Stein der Weisen zu erreichen. Mag sich der Verstand über den „Walfisch“ beschweren, doch auch Menschen sind „Kampf-Fische“ im Wasser des Lebens…
Der herrliche König hatte vollendet, er ging zu seinen Ahnen. Lautlos, ohne Klage, stand Weohstan bei der teuren Leiche. War er doch selbst schon ein Greis und bereit, wenn die Himmlischen ihn beriefen, willig zu folgen, nachdem der teuerste Freund geschieden war. Noch verharrte er sinnend an der Stelle, da schlichen die verzagten Recken aus ihrem Versteck hinzu, weil sie gewahrten, daß der Streit zu Ende war. Sie wollten laute Wehklage erheben, aber Weohstan gebot ihnen Stille. Sie sollten lieber ihre Feigheit beweinen, sagte er, als ihn, der als Sieger gestorben sei. Sie sollten bis in die neunte Welt fliehen, denn im gotischen Land und soweit der Name des ruhmvollen Königs lebendig bleibt, würde man sie vertreiben, wenn man von ihrem verräterischen Wesen Kunde erhalte. Schamvoll entfernten sich die unseligen Männer. Sie verloren Habe und Land und entgingen der Strafe, nicht aber der Schmach, die ihnen bis ins Grab nachfolgte.
So steht nun wieder eine große Frage: Was wird aus den anderen sieben Prinzipien als Pferde und Reiter, die in diesem Sterbeprozeß der Auflösung geflohen waren, wie es auch beim Kundalini-Aufstieg beschrieben wird? Sie sollten eigentlich bewußt bleiben, um sich in diesem Prozeß zu transformieren und zum reinen Bewußtsein zu erheben, was sie aus Sicht von Beowulf sicherlich auch getan haben, der das Bewußtsein der Trennung überwunden hatte. Doch in der Menschenwelt sind sie nun plötzlich wieder da und werden vom achten Prinzip angeklagt, das über allen steht. In der altindischen Philosophie werden diese Prinzipien oder Bewußtseinsebenen oft als konzentrische Kreise dargestellt, die nach Innen immer kleiner werden, und das achte Prinzip ist das Ganze, in dem alles enthalten ist, die Wahrheit und Gottheit selbst.
Auch im Urtext werden sie der „Feigheit“ bezichtigt, ein Begriff, der ursprünglich „dem Tode verfallen, unselig, verdammt“ bedeutet haben soll. So sollte sie auch jeder edle Mensch, der wie Beowulf die Wahrheit erkennt, als Verräter „enteignen“ und „vertreiben“, um die Ganzheit und Gottheit zu erreichen. Aber wohin? Am einfachsten könnte man von Illusion sprechen, die sich einfach auflöst, denn aus Sicht der Ganzheit ist natürlich jede Trennung Illusion. Doch gerade diese Illusionskraft ist auch die Schöpferkraft der ganzen Schöpfung. So läßt sie Wägner in die „neunte Welt“ fliehen. Darunter kann man nach der nordischen Mythologie die tiefste Hölle der Dunkelheit verstehen, oder auch eine „neue Welt“ des ewigen Werdens, die man sich als Neubeginn durch das achte Prinzip der reinen „Achtsamkeit“ und Ganzheit vorstellen kann. Denn dort haben diese Prinzipien natürlich ihre Aufgabe im Entwicklungsprozeß. Und der Geist hat immer wieder die Freiheit, wohin er sich richtet, zur Trennung oder zur Ganzheit, ob er Teufel oder Gott folgt. Diese geistige Freiheit darf natürlich niemals verschwinden. So beschreibt auch die Bibel, das sogar im Paradies diese Freiheit da ist.
Zum Zahlenspiel von Acht und Neun als Vollendung und Neubeginn können wir auch an das Symbol von Draupnir aus der Edda denken, der „Tröpfler“ im „Ring-Kampf“ der Auflösung und Schöpfung, der goldene Zauberring Odins, von dem in jeder neunten Nacht acht „gleich schwere Ringe abtropfen“ oder „gleichgewichtige Ringe entschwellen“, wie es in der Edda nach Wilhelm Jordan heißt:
Ich reiche dir auch den Ring noch, der einst lag in der Lohe mit dem Lieblingssohn Odins (im Feuer mit Balder). Acht entschwellen ihm, ebenso schwere, jede neunte Nacht.
Auch hier klingt die Zauberkraft der Illusions- und Schöpferkraft an. Und so geht auch diese Geschichte nach dem Sterben von Beowulf weiter, und die Prinzipien der Verkörperung sind nicht verschwunden:
Ein Wehruf ging durch das ganze Land, als man vernahm, der allgeliebte Herrscher sei im Kampf mit dem Drachen gefallen. Doch erweckte ihn keine Klage aus dem Todesschlummer, und man mußte nach seinem Gebot den Leichenbrand herrichten.
Warum beklagen sie den Tod und feiern nicht den großen Sieg über den Drachen, das Höchste, was ein Mensch erreichen kann? Zumindest versuchen sie, seinen letzten Worten zu folgen und das „Denkmal“ zu errichten:
Auf der Höhe über der Walfischbucht wurde der mächtige Holzstoß, geschmückt mit Schilden und blanken Rüstungen, aufgeschichtet. Ein goldenes Banner erhob sich über der Leiche und flatterte, vom Wind bewegt, noch lange, als schon die Flammen emporlodernd weit über Land und Meer leuchteten. Sie verkündigten dem umher versammelten Gotenvolk, daß die sterbliche Hülle des Königs nun Asche sei. Zwölf ruhmvolle Edelinge sammelten diesen teuren Überrest in einen Krug von reinem Gold und führten denselben in den aufgetürmten Hügel, den manche Träne benetzte. Darauf bestiegen die Goten ihre Rosse, umritten das Totenmal und klagten ihren Kummer. Um den König trauernd, erhoben sie ihren Hochgesang, den Helden zu preisen, wie sinnvolle Sitte und Gesetz es fordern: Daß man den Geliebten im Lied noch ehre und im Herzen ihn hege, wenn er hingeschieden ist. So beklagten die kühnen Kämpfer des Gotenlandes ihres Königs Hingang, seine Hausgenossen, den Mann voll Milde und hohen Mutes, wenn das Schwert er schwang im Grauen der Schlacht.
Das goldene Banner erinnert uns an die wahre Botschaft, der Wind und die Flammen an den heiligen Geist, der die Gegensätze auflöst, das Licht über Land und Meer an das reine Bewußtsein, die Asche im goldenen Krug an die Essenz des Körpers im Gold der Wahrheit, die Zwölf Edelinge an den Ring der Vollkommenheit, und der Gesang an die Schöpfung der Welt durch das Wort.
Als der Gesang vollendet war, wurde der unermeßliche Schatz aus der Drachenhöhle in den Hügel gebracht, denn die Goten wollten das Gold nicht behalten, das mit dem Leben ihres Herrschers erkauft war. So ruhte es wieder im Schoß der Erde, wie vordem, als es der Unhold bewachte, unnütz den Menschen, wie’s immer gewesen. So war Beowulf der größte Held, der am höchsten von allen Herrschern der Erde stand, der Freigiebigste, Wohltätigste, Ruhmreichste und Beste aller Beschützer.
Damit schließt sich der Kreis der Geschichte wieder zum Anfang, zum Scyld als Schutzschild und Sohn der Gottheit, denn die Ganzheit ist natürlich der beste Schutz. So wird der Mensch zum Einherier im „Heer der Einheit“ in Walhall und kann das Höchste erreichen. Solange sein Ruhm lebendig bewahrt wird, solange lebt er auch in unserer Welt. Das ist das „Denkmal“, das auch wir nun mit dieser Geschichte verehren, wenn wir versuchen, die Buchstaben zum Leben zu erwecken und in Erinnerung zu halten. Happy-End!
Und doch geht die Welt weiter, und das Gold der Wahrheit, das Beowulf seinem Volk geben wollte, wird wieder vergraben, wie auch das Nibelungenlied endete und der Nibelungenschatz versteckt blieb. Wurde damit wieder ein Drache geschaffen, der in seiner dunklen Höhle die Wahrheit verbirgt? Muß sich dann wieder ein Mensch auf die Suche begeben, um sich mit diesem Schatz aus der Leibeigenschaft freizukaufen? Muß er damit wieder den Drachen wecken? Welchen Sinn hat es dann, wenn ein einzelner Mensch wie Beowulf, Buddha oder Jesus das Höchste erreicht und die Ganzheit bzw. Gottheit in der Einheit verwirklicht? Das fragt uns natürlich der begriffliche Verstand, der diese Einheit niemals begreifen kann, sondern überall getrennte Wesen sieht. Aber auch dieser Verstand gehört zur Ganzheit dazu, und der Geist wird immer die Freiheit haben, in einer solchen Welt der Trennung zu leben, sonst wäre der Geist nicht frei, und das reine Bewußtsein könnte nicht jede Form annehmen. In diesem Sinne wird die Welt niemals besser oder schlechter. Sie ist, was sie ist, sozusagen ewiges Bewußtsein, das sich selbst nicht verändert. Nur der Verstand schöpft die Formen, wie Mimir aus dem Auge Odins, und der Allvater schaut zu und bringt sein Opfer dar. In Ewigkeit, Amen, OM…
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