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Sagentext nach Wilhelm Wägner und anderen Quellen
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2025]
Dietmar, der zweite Sohn Hugdietrichs, erhielt seine Herrschaft zu Bern (heute Verona im Nordosten Italiens, nicht weit vom Gardasee) mit starker Hand aufrecht und duldete keine Abhängigkeit von seinem älteren Bruder Ermenrich, noch von irgendeinem anderen König. Sein Arm war stark und sein Schwert scharf. Daher schlug er mit siegender Gewalt alle Angriffe zurück, woher sie auch kamen. Er war furchtbar im Kampf, so daß ihm bald kein feindlicher Recke mehr ins Angesicht zu blicken wagte. Wenn er aber in der heimischen Burg war, bewies er sich gar sanft und liebreich, besonders zu seiner Ehefrau Odilia, die Tochter von Elsung. Besondere Freude hatte er an seinem Sohn Dietrich, denn der wuchs gar kräftig heran, so daß er in seinem zwölften Jahr schon die Kraft eines starken Recken hatte. Blondes Haar fiel ihm in Locken auf die Schultern herab, ein mächtiger Nacken, Arme, hart und stark wie ein Eichenstamm, ein wohlgeformtes Angesicht, das aber, wenn er zornig wurde, grimmig und schrecklich erschien: Das alles verriet früh den löwenmütigen Helden, der im Streit unbezwinglich war. Man sagte aber auch, sein Atem war oft wie Feuerglut, wenn er in heftigen Zorn geriet, und das schrieb man seiner dämonischen Abkunft zu, von der mancherlei Märchen im Volksmund umgingen.
Der Name seines Großvaters war Hugdietrich und bedeutet „geistiger Reichtum der Menschen“. Der Name des Vaters war Dietmar und bedeutet „Ruhm oder Ehre des Menschen“. Und doch war auch ein dämonischer Anteil dabei, der in „mar“ für Mahr oder Nachtalb anklingt und an die Gruselmärchen über Dietrichs Urgroßvater Wolfdietrich erinnert, die der hinterlistige Sabene damals erzählte. Nach dem obigen Bericht erinnert uns Dietrichs Vater auch an den Ego-Verstand, der seinen Körper nach außen mit aller Gewalt und allen Mitteln verteidigt, um innerlich mit seiner Ehefrau Odilia (althochdeutsch „Erbgut“ oder „Erbin“) Frieden und Liebe zu suchen. Und sicherlich, der Ego-Verstand kann ein dämonischer Alptraum sein.
Der ältere Bruder seines Vaters trug den Namen Ermenrich, der auf das germanische „ermana“ als groß und allumfassend zurückgeht und uns damit an die ganzheitliche Vernunft erinnert, die eigentlich über alles herrschen sollte. Entsprechend werden wir ihn noch als Kaiser kennenlernen. Nun kann man hier schon tiefer nachdenken, was es bedeutet, wenn der Mensch mit seinem begrifflichen Ego-Verstand „unabhängig“ vom Kaiser leben will, und diese vermeintliche „Freiheit“ mit Gewalt verteidigt. So wehrt sich wohl jedes eigenwillige Ego gegen die ganzheitliche Vernunft.
Damit hatte natürlich auch Dietrich den innerlichen Ego-Drachen geerbt, der ihn in seinem Leben immer wieder einholt. Doch zunächst wird er als Kind ganz normal und natürlich mit dem Verstand zusammengebracht, der ihn als Kämpfer ausbildet und auch lebenslänglich bei ihm bleibt:
Als Dietrich fünf Jahre alt war, kam an seines Vaters Hof ein schon durch manche kühne Tat rühmlich bekannter Held, nämlich Hildebrand, der Sohn Herbrands und Enkel des treuen Berchtung. Herbrand besaß zu Lehen die schöne Burg Garden, hatte seinen Sohn wohl gepflegt und ihm schon in seinem fünfzehnten Jahr Schwert und Rüstung gegeben. Jetzt war derselbe ein vollendeter Recke und ebenso durch Einsicht und klugen Rat, wie durch Mut und schlagfertige Faust ausgezeichnet. Dietmar nahm ihn daher mit großen Ehren auf und ernannte ihn zum Pfleger seines Sohnes. Einen treueren hätte er nicht finden können, denn zwischen dem Meister und seinem Pflegling entstand ein Liebes- und Freundschaftsbund, der sich erst mit dem Tod wieder löste.
Der Name Berchtung erinnert an den „hell Glänzenden“, Herbrand an den „Feueratem des Kriegers“ und Hildebrand an den „feurigen Kampf mit dem Schwert“. So wird der kämpfende Verstand zunächst zum Meister über den jungen Dietrich in einem Land bzw. Körper, wo es offenbar noch keinen „Sieg-Frieden“ gibt:
In Dietmars Land geschah viel Unfug, Mord, Raub und Plünderung, ohne daß er Hilfe schaffen konnte, denn die Räuber brachen wie Feuerflammen hervor und waren nach verübten Greueltaten alsbald wieder verschwunden. Der König zog mit seinen Mannen vergeblich aus. Er fand wohl niedergebrannte Wohnungen und erschlagene Menschen, sowohl wehrloses Landvolk als auch gerüstete Recken, aber nicht die, welche solche Untaten verübten. Indessen erfuhr man doch durch Flüchtlinge, daß zwei Riesen, ein Mann und ein Weib, die frechen Übeltäter seien. Aber wie sehr man auch nach ihnen fahndete, ihre Raubhöhle fand man nicht. Gleichwie der König selbst, so grämten sich auch der junge Dietrich und sein Meister. Sie brannten vor Begierde, die Bösewichter zu bekämpfen und durchstreiften die wilden Berge, doch war alles nur verlorene Mühe.
Auch diese Symbolik ist aus geistiger Sicht gut gewählt, denn zuerst sehen wir die Wirkungen wie Unruhe, Krankheit, Zerstörung und Verluste in der äußerlichen Welt, ohne die Ursache zu erkennen. Dann gehen wir immer wieder mit dem Verstand auf die Suche, die für manche Menschen ein Leben lang erfolglos bleibt.
Einstmals ritten die beiden Genossen mit Habichten und Hunden auf die Jagd. Sie kamen in einen großen Wald und fanden daselbst einen grünen Anger, wo sie viel Wild im hohen Gras vermuteten. Nachdem die Hunde gelöst waren, ritten sie, der eine rechts, der andere links, um den Wiesengrund und hielten ihre Waffen in Bereitschaft. Wie nun Dietrich sorgsam spähend dahintrabte, sprang ein Zwerg dicht vor ihm über den Weg. Er haschte ihn im Sprung und setze das Männlein vor sich auf den Hals des Rosses. Der Gefangene zeterte so laut und kläglich, daß ihn Meister Hildebrand auf der anderen Seite hörte und quer über den Anger heransprengte. „He, holla!“, rief er dem jungen Recken zu: „Halte den Wicht fest, denn er kennt alle Wege auf und unter der Erde. Es ist Elbegast, der Meisterdieb, und er steht sicherlich mit den Räubern im Bunde.“ Da jammerte der Zwerg noch lauter als zuvor und versicherte, er habe von dem Riesen Grim und dessen Schwester Hilde, die all die schrecklichen Greueltaten im Lande verübten, große Drangsal erduldet. Er habe ihnen das gute Schwert Nagelring und den stahlfesten Helm Hildegrim schmieden und die verborgenen Wege zu Raub und Mord zeigen und bahnen müssen. Nun wolle er den Recken behilflich sein, die unholden Geschwister zu bekämpfen.
Ja, in der äußerlichen Natur werden wir die Ursachen nicht finden. Doch hier können uns die Zwerge der Naturgeister helfen, die überall in der Natur wirken und gewöhnlich für uns unsichtbar sind. Siegfried besiegte diese Naturgeister in der Nebelwelt in Gestalt des Zwergenkönigs Alberich, der ihm daraufhin die Treue schwur und den Nibelungenschatz der inneren Natur übergab. So zeigt sich auch hier auf der achtsamen Jagd in der äußerlichen Natur mit „Spürnasen und Habichtsaugen“ ein Zwerg, den der Hildebrand-Verstand als Meisterdieb und Verbündeten der Räuber erkennt, und der sich selbst als Ursache für die übermäßige Macht zweier Riesen bezeichnet, unter denen er nun selbst leiden muß. So will er Dietrich und Hildebrand helfen, die beiden Unholde zu besiegen. Das ist die erste Herausforderung für die wachsende und sich entwickelnde Vernunft, ob sie solche Ungleichgewichte und Übermächte in der Natur ausgleichen kann, und die Natur selbst stellt die nötigen Mittel und Werkzeuge dafür bereit.
Der „Meisterdieb“ erinnert uns dabei an das Wesen der Natur, die alle Formen und Mittel gibt, aber auch wieder nimmt, zumindest, wie es der Verstand erkennt. Und in diesem Entstehen und Vergehen hat sie unschlagbare Meisterschaft, wie auch der Name Elbegast bzw. Albgast als Naturgeist an einen Gast erinnert, der wie in einem Alb-Traum kommt und geht und nicht festzuhalten ist.
Auf diese Zusicherung wurde das Männlein in Freiheit gesetzt. Es atmete tief auf und sagte: „Nun könntet ihr mich nicht wieder ergreifen, wenn ich entwischen wollte. Aber ich gedenke, euch treulich beizustehen, um von der schlimmen Dienstbarkeit loszukommen. Seid morgen vor Tagesgrauen wieder an dieser Stelle. Da übergebe ich euch das Schwert Nagelring, ohne welches der schreckliche Riese nicht überwunden werden kann. Ich entwende es ihm, so wahr ich Elbegast, der Meisterdieb, bin, auch wenn er mit seinem Stierhaupt darauf läge. Dann zeige ich euch seine Spur im Tau des Grases, so daß ihr in seine Berghöhle gelangt, wo ihr, wenn es euch gelingt, den Grim samt seiner unholden Schwester Hilde totzuschlagen, großen Reichtum finden werdet.“ Als der Zwerg diese Worte gesprochen hatte, verschwand er vor den Augen der Männer, die vergebens mit den Händen nach ihm tasteten.
Das Grim-Hilde Pärchen erinnert uns bezüglich ihres Namens an Kriemhild aus dem Nibelungenlied und versinnbildlicht auch hier die große Macht der Seele als das Prinzip der Verursachung in der Natur. Doch es ist natürlich noch nicht die reine Seele, die Siegfried fand, denn einerseits zeigt sich in ihnen die Trennung von Bruder und Schwester als Geist und Natur, und anderseits ist mit ihnen noch ein mächtiger Ego-Riese als tiefere Ursache der Trennung verbunden, den wir später noch kennenlernen werden.
Der Name des Schwertes Nagelring deutet bereits auf den Ring der Ganzheit im Reich der Nägel bzw. Dornen der leidvollen Gegensätze hin. Und dieses Schwert der ganzheitlichen Weisheit wird nun zur Waffe von Dietrich, die ihm lange Zeit dienen wird. Die große Frage ist, wie man sie richtig gebraucht bzw. verwirklicht.
Ein schwach gerötetes Wölkchen verriet, daß sich der strahlende Sonnengott den Armen der Mutter Nacht entzogen hatte. Da standen der Meister und sein Pflegling wiederum am Rand des grünen Angers. Sie sprachen hin und her von der Falschheit der Bergkobolde und meinten, der diebische Elbegast werde wohl sein Wort nicht halten. Ein helles Klingen und Klirren unterbrach ihr Gespräch, und es war der Zwerg, der mühsam das gewaltige Schwert herbeischleppte. Dietrich ergriff es freudig, zog es aus der Scheide und schwang es so leicht, wie etwa ein Schulmeister seine Birkenrute. „Hei!“, rief Elbegast: „Du hast nun Zwölfmännerstärke und bist dem Unhold an Kräften gleich. Nun seht ihr hier im Tau die Spuren von seinen Schuhen eingedrückt. Ich mußte sie ihm aus Eisen anfertigen, weil er geizig und das Leder heutzutage teuer ist. Wenn ihr der Spur nachgeht, dann werdet ihr an den Eingang zu des Riesen Höhle gelangen. Ich aber kann euch nicht weiter begleiten.“ So verschwand er wieder vor den Augen der Helden, und diese verfolgten des Riesen Fährte, wie der Zwerg geraten hatte.
Zwerg Elbegast mit dem leuchtenden Edelstein des Bewußtseins auf der Brust raubt in der Körperhöhle dem räuberischen Unhold-Geist im Schlaf das Schwert der Weisheit. Im Hintergrund der innerliche Goldschatz der Geist-Natur mit dem Helm Hildegrim. Im Vordergrund die giftige Ego-Schlange und das Symbol des Todes neben dem Wasser des Lebens.
Sie gelangten auch in der Tat an eine mächtige Steinwand, aber da war nirgends eine Pforte zu sehen. Nur einzelne Risse und Spalten waren sichtbar, durch welche wohl Eidechsen und vielleicht Zwerge schlüpfen konnten, aber keine gerüsteten Männer und noch weniger Riesen. Indessen meinte der vielerfahrene Hildebrand, es möge vielleicht ein Felsstück als Tür eingefügt sein. Er fing an, da und dort mit aller Kraft zu rütteln, und nicht vergebens, ein ungeheurer Felsblock geriet in Bewegung und stürzte, als Dietrich zu Hilfe kam, polternd ins Tal. Die Strahlen der aufgehenden Sonne leuchteten in eine tiefe Höhle, in deren Hintergrund ein großes Feuer brannte. Daselbst ruhte Grim auf einem Lager von Bären- und Wolfsfellen. Aufgeweckt durch den stürzenden Felsen, hatte er sich halb emporgerichtet, und als er dann die Schritte der Bewaffneten hörte, erhob er sich in seiner ganzen Länge, tastete nach seinem Schwert und ergriff, weil er es nicht fand, einen brennenden Holzkloben. Mit dieser Waffe stürzte er sich auf Dietrich, der voranschritt. Seine Streiche schallten wie Donnerschläge, fielen hageldicht, und nur ungemeine Gewandtheit rettete dem jungen Recken das Leben. Derselbe sprang bald rechts, bald links, um den Keulenschlägen auszuweichen, während ihn zugleich Dampf und sprühende Funken in Gefahr brachten. „Ehrliches Spiel! Einer gegen Einen!“, rief der Held seinem Pfleger zu, der ihm zu Hilfe kommen wollte. Allein dieser geriet auch selbst in Bedrängnis, denn aus einer Seitenhöhle stürzte die entsetzliche Schwester des Riesen hervor und schloß den Meister Hildebrand kräftig in die Arme. Es war aber keine Liebesumarmung, sondern eine Umarmung auf Leben und Tod. Der Recke konnte schier nicht mehr atmen, und rang umsonst, sich aus der Umstrickung loszumachen oder sein Schwert oder Dolchmesser zu zücken. Er stürzte rücklings zu Boden, und die Unholdin preßte seine Arme und Hände wie mit Zangen oder Daumschrauben, daß Blut aus den Nägeln sprang. Sie sah sich nach einem Strick um, womit sie ihn knebeln und aufhängen wollte, und in dieser Not rief Hildebrand seinen Gesellen um Hilfe an. Dietrich, der die Bedrängnis seines lieben Meisters sah, tat einen verzweifelten Sprung über die niederschmetternde Keule hinweg und führte zugleich, mit beiden Händen das Schwert fassend, einen furchtbaren Streich, und schlug dem Riesen den Kopf ab. Hildebrand war dem Ersticken nahe, da die Riesin ihm in Ermangelung eines Strickes mit den eisenfesten Händen die Kehle zuschnürte. Jetzt schaffte ihm Dietrich Luft, indem er die Unholdin mit dem Schwert in zwei Stücke spaltete. Sie war aber so zauberkundig und von solcher Trollnatur, daß ihre Hälften wieder zusammenliefen, als wenn sie ganz wäre. Das fand Dietrich höchst wunderlich und schlug zum zweiten Mal auf ihren Leib. Doch es ging ebenso wie vorher. Da riet ihm Hildebrand: „Tritt mit deinen Füßen zwischen Haupt und Körper, dann wirst du dieses Trollweib kleinkriegen.“ Zum dritten Mal hieb er sie in zwei Stücke und stellte sich zwischen ihre Hälften. Da blieb das untere Stück tot, aber der Kopfteil sprach: „Hätte dich Grim so unter die Knie gezwungen wie ich Hildebrand, dann hätten wir den Sieg errungen.“ Damit fielen die Hälften nach beiden Seiten zu Tode, und er sandte sie ihrem Bruder in die Hölle nach.
Das ist nun wieder Symbolik vom Feinsten, über die man lange nachdenken kann! Der Weg führt ins Innere der Materie bzw. des Körpers. Dort wird die Vernunft von einem leidenschaftlich-grimmigen Geist herausgefordert, den sie aufweckt, und übt sich in Gewandtheit und Beweglichkeit, was einer ganzheitlichen Vernunft wesenhaft ist, die nicht an Vorstellungen hängt oder auf Standpunkten feststeht, während der Verstand durch die „Begriffe“ von der Natur gebunden wird. Um den Verstand lebendig zu bewahren, schlägt die Vernunft dem feindlich umherschlagenden Unhold-Geist den Kopf mit dem Schwert der Weisheit ab. Aber was mit dem männlichen Geist gelingt, daß man den Kopf vom Körper, die Quelle vom Fluß oder die Ursache von der Wirkung abschlagen kann, das gelingt mit der weiblichen Natur nicht. Hier zeigt sich nun das innerliche Wesen der Kriemhild als Seele der Natur, die für die Bindung von Ursache und Wirkung sorgt, so daß sich Kopf und Körper immer wieder verbinden, und die Teile sich nicht töten lassen, um sie unwirksam zu machen. Hier hat nun der Verstand die Idee, daß sich die Vernunft selbst zwischen die Teile stellen sollte, um die Natur durch Trennung zu töten, denn Tod ist ein Prinzip der Trennung. Durch diese Trennung entstehen sozusagen Kriemhild und Brünhild. Die eine kämpft mit dem Kriem bzw. Helm um den Kopf und die andere mit der Brünne bzw. dem Brustpanzer um den Körper, sozusagen als innere und äußere Natur, die dann beide ihr Leben verlieren, weil sie getrennt voneinander nicht leben können. Diese Trennung ist eine typische Verstandes-Idee, die zwar ein Problem kurzfristig töten, aber nicht an der Wurzel bzw. Ursache lösen kann. Ja, beides läßt sich mit dem Schwert der Weisheit tun, Töten und Beleben, entweder mit der scharfen Schneide oder der ganzheitlichen Spitze. Die wachsende Vernunft benutzt hier noch mehr die Schneide, und so erholt sich der Verstand wieder, aber beginnt, seinen eigenen Meister zu erkennen:
Meister Hildebrand richtete sich mühsam auf. Er war rot vom Blut des teuflischen Weibes und von dem eigenen, das ihm aus Mund und Nase und aus den Fingerspitzen floß. „Junger Herr“, sagte er, „heute bist du mein Meister gewesen, denn die Teufelin hat mir übler mitgespielt, als irgendein Recke oder Riese in allen meinen Kämpfen. Nun fort aus dem Höllenloch! Aber zuvor wollen wir einpacken, was die Brut bisher gestohlen hat.“ Auf Dietrich gestützt hinkte er in eine Seitenhöhle, wo viel Gold und Silber und manches köstliche Geschmeide aufgehäuft waren. Diese Schätze nahmen die Recken als Siegesbeute mit, zusammen mit dem stahlfesten Helm Hildegrim („Kampf-Helm“), der vom Zwerg Elbegast geschmiedet worden war und nun Dietrich diente, und kehrten nach Bern zurück.
König Dietmar hatte große Freude am Ruhm seines heldenmütigen Sohnes, dessen Name in allen Ländern mit Bewunderung genannt wurde. Indessen war ihm keine lange Zeit mehr vergönnt, sich des Sohnes und der Herrschaft zu erfreuen. Nach kurzem Siechtum wurde er zu seinen Vätern versammelt, und die Sorge für das Reich ging auf Dietrich über. Hildebrand blieb dem jungen König unvermindert treu, auch als sich der Waffenmeister eine Ehefrau nahm, die edle und hochherzige Ute (Uote).
Das heißt, die wachsende und sich entwickelnde Vernunft beginnt nun, die königliche Herrschaft zu übernehmen, und wird zum König, der in seinem Waffenmeister den nötigen Verstand findet. Denn es ist sozusagen „vernünftiger Verstand“, der sich mit Ute als seiner Seele verheiratet. Ihren Namen kann man als „Erbin“ deuten, die uns an die schicksalhafte „Erbsünde“ als Trennung von Gott bzw. der Ganzheit erinnert, ein Grundproblem, das in unserem weltlichen Leben gelöst werden sollte und eng mit der „teuflischen Schlange“ oder dem „Ego-Drachen“ zusammenhängt.
Das heißt aus geistiger Sicht: Der Verstand hat ein Problem geheiratet und dient nun der Vernunft, um es zu lösen. Das macht auch Sinn, denn würde die Vernunft ein Problem heiraten, dann müßte sie sterben und zum Verstand werden. Deshalb sollte die Vernunft nur die reine und sündlose Seele heiraten.
Bald nachdem Grim und Hilde in ihrer Höhle dem Schwert Dietrichs erlegen waren, schritt durch den finsteren Tannenwald ihr Neffe, der gewaltige Siegnot, ein Riese, der im nördlichen Hochgebirge (der Alpen bzw. im „Reich der Alben“) über viele dienstbare Zwerge herrschte. Er wollte seine Verwandten besuchen, aber er fand nur ihre zerhauenen Leichen. Da heulte er vor Wut und Zorn und schnaubte Rache gegen ihre Mörder. Als ihm ein herbeigerufener vielkundiger Zwerg von dem Kampf der Verwandten mit Dietrich und Hildebrand erzählte, maß er dem Bericht keinen Glauben bei, sondern beharrte vielmehr auf seiner Meinung, die Recken hätten beide Riesen im Schlaf überfallen und also meuchelmörderisch erschlagen, um sich ihres Schatzes zu bemächtigen. Seitdem lauerte er nun auf Wegen und Stegen, denn er hoffte, die Recken würden ihm wohl einmal begegnen. Er zog auch nicht, wie seine Verwandten, auf Mord und Raub aus, da die Zwerge ihm nicht nur Gold und Silber, sondern auch Gemsen und anderes Wild zum Schmaus und edlen Wein zum Trank in Fülle liefern mußten. Kamen sie seinem Gebot nicht nach, dann schlug er auch wohl ein Zwerglein tot und röstete es am Feuer zum Fraß. Dasselbe tat ein bezwungener, untertäniger Riese, denn wie der Herr, so der Knecht.
Nach einiger Zeit saßen die Helden in der Halle zu Bern bei vollem Becher und pflegten der Rede, die der feurige Südwein belebte. „Meister“, sagte König Dietrich, „niemals habe ich ein liebendes Weib einen Recken so brünstig umarmen sehen, als dort in Grims Felsenhöhle geschah. Mich dünkt, Frau Ute würde dir nimmer wieder hold werden, wenn sie gesehen hätte, wie Hilde, die wundersame Maid, dich küßte. Sie hätte dir schier Arme und Beine zerbrochen.“ - „Eine Unholdin, wie nur jemals ein Scheusal aus der Hölle hervorgegangen ist“, sagte Hildebrand schaudernd, „aber du hast mich mit starkem Arm von ihr befreit.“ - „Freilich“, versetzte der König, „ich vergalt nicht Gleiches mit Gleichem. Manchen Rutenschlag mußte ich in jungen Jahren von dir erdulden und doch überließ ich dich nicht den Liebesschlägen der Frau Hilde, sondern löste ihre Umarmung mit dem Schwert. Gestehe, daß ich großmütig bin!“ - „Das tue ich gern“, versicherte der Meister, „aber sei nicht hochmütig, denn in den Bergen lauert seitdem der Riese Siegnot als Grims Rächer auf uns, und den kann kein sterblicher Mensch bezwingen, ja nicht einmal ganze Kriegsheere.“ - „Hei, das ist eine neue Geschichte!“, rief der Berner: „Und der Rächer Grims hält sich wirklich in unseren Bergen auf? Und niemand hat mir von ihm berichtet? Gleich morgen ziehe ich aus, mein Reich von dem neuen Unhold zu befreien.“
„In Vino Veritas!“ Wie sich nun die wachsende Vernunft über den Verstand lustig macht, daß er von der Natur so fest gebunden wurde, so fordert der Verstand wiederum die Vernunft heraus, die mit dem Tod der beiden Riesen den eigentlichen Unhold und Übeltäter noch nicht besiegt, ja, noch nicht einmal gefunden hatte. Obwohl der Verstand seine Rede gleich wieder bereut und dieser Herausforderung ausweichen will, weil ihm dieser Sieg unmöglich erscheint:
„Um Gottes Willen! - Gegen den Riesen! - Den mordgewohnten Siegnot!“, riefen die Gäste durcheinander. „Höre mich, Sohn Dietmars, mein Pflegling“, sprach Hildebrand feierlich, „der ist kein Held, sondern ein Wagehals, der Unmögliches unternimmt, und es ist unmöglich, den eisenfesten Riesen zu überwältigen.“ - „Höre, lieber Meister, mein Pfleger“, erwiderte Dietrich, „was du mich selbst gelehrt hast: Der ist ein Held, der scheinbar Unmögliches unternimmt, weil er auf seine Kraft und auf die Gerechtigkeit seiner Sache vertraut. Er ist ein Held, mag ihm der Sieg oder der Tod den Ehrenkranz reichen. Meine Sache aber ist gerecht, denn ich will mein Reich und mein Volk gegen den Unhold sicherstellen.“ - „König!“, rief Hildebrand: „Du bist nicht mehr mein Pflegling, sondern mein König, und als dein Geselle ziehe ich mit dir in den entsetzlichen Streit.“ Nach kurzem Bedenken sagte der kühne Held: „Mein Pfleger sprach dereinst zu mir: Einer gegen Einen, das ist die Weise der Recken. Zwei gegen Einen ist der Feiglinge Brauch. Daher gedenke ich, die Fahrt allein zu unternehmen.“ - „Kehrst du aber nicht binnen acht Tagen heim“, sagte der Meister, „dann reite ich dir nach und werde dein Befreier, dein Rächer oder dein Geselle im Tode.“ - „Wozu das Weinen und Winseln!“, rief Wolfhart: „Der Berner schlägt den Riesen tot, oder Oheim Hildebrand tut es, und wenn es den beiden mißlingt, dann komme ich selbst als dritter Mann, und ich setze mein Haupt zum Pfand: Ich führe ihn am Strick wie einen Bären hierher in die Burg und hänge ihn an eine Mauerzinne, wo er baumeln mag, bis ihn sein Gevatter (als Teufel und Tod) in die dunkle Hölle heimholt.“
Dietrich ritt drei Tage des Weges, den ihm Hildebrand beim Abschied beschrieben hatte. Er schlief des Nachts unter Bäumen und speiste und trank von den reichlichen Vorräten, womit er versehen war, während sein edles Roß im saftigen Gras sich gütlich tat. Am dritten Tag lagerte er im Angesicht des Hochgebirges.
Da glänzen die Gipfel im Silberschein
Und rufen dem Wandrer: Oh komm' herein
In unsere Mitte, zu atmen die Luft,
Der wonnigen Blumen erquickenden Duft,
Das stählt die mutige Heldenbrust
Und erfüllt sie freudig mit Siegeslust.
Es war ihm so wohl zumute, und er fühlte sich so kräftig, daß er mit allen Riesen der Welt den Kampf gewagt hätte. Wie er noch wachend in glückliche Träume versunken war, trabte ein stattlicher Elch vorbei. „Halloh! Falke, mein edles Roß“, rief er, „laß sehen, ob du den wilden Elch überholst.“ Sofort sprang er auf den Hengst und spornte dem Edelwild in stürmischer Eile nach. Falke griff mächtig aus, und fort brauste die wilde Jagd über Berg und Tal. Er kam dem Elch näher und näher. Als aber dieser den Verfolger dicht hinter sich bemerkte, jagte er schnell wie der Wind voran. Doch auch Falke bot nun alle Kraft auf, den Siegespreis zu gewinnen, und endlich war der Jäger in gleicher Linie mit dem Wild. Da stieß er demselben von oben herab das gezückte Schwert gerade in den Nacken, so daß es nach wenigen Sprüngen verendet niederstürzte. Dietrich sprang von dem schäumenden Hengst, der freudig wieherte, und klopfte ihm den Hals, indem er sagte: „Schön, edler Falke, nun sollst du mich in ernster Feldschlacht tragen, und weder ein Recke noch ein Riese wird flüchtigen Fußes uns entrinnen.“ Er zündete darauf ein Feuer an, schnitt mit dem scharfen Dolchmesser ein fettes Hüftenstück von seiner Jagdbeute, briet und verzehrte es mit Wohlbehagen, indem er zugleich von Zeit zu Zeit einen Becher feurigen Weins aus einem Schlauch füllte und leerte, der am Sattel befestigt war.
Diese Episode könnte verdeutlichen, wie der Geist auf der Jagd durch die äußerliche Welt sein Pferd bzw. seine Körperlichkeit liebenlernt, und wie sich dann die Körperlichkeit von anderen Körpern sowie vom feurigen Wein der Leidenschaft ernährt. Zumindest sagt uns das der Verstand, daß unser Körper andere Körper töten muß, um davon zu leben. Und so erscheint dann auch ein entsprechend bedrohliches Wesen:
Ein Zetergeschrei störte ihn in seiner löblichen Beschäftigung mit der Leibespflege. Er sah auf und erblickte einen ungeschlachten, ganz nackten und mit stacheligen Borsten bedeckten Mann von riesenhafter Größe, der an seiner Eisenkeule ein fest angebundenes Zwerglein trug. Das Männlein zeterte kläglich und rief, als es den Recken erblickte, dessen Hilfe an. „Hilf mir, tapferer Held!“, jammerte es: „Hilf mir vor dem Unhold, der mich bei lebendigem Leib verspeisen will.“ Dietrich trat sogleich dem wilden Mann in den Weg und bot ihm einen Tausch an. Er solle den Elch für den Zwerg nehmen, sagte er, da er daran einen fetteren Bissen habe, als an dem mageren Grubenmann. „Aus dem Weg, Hundeknecht!“, brüllte der Wilde: „Aus dem Weg, oder ich röste dich selbst an deinem Feuer und verspeise dich samt deiner Eisenrüstung.“ Da entbrannte der Zorn des Helden. Er zückte Nagelring, während der Riese das Wichtlein von seiner Keule wie eine Schneeflocke abstreifte. Die Kämpfer schlugen beide aufeinander, daß es schallte, als ob hundert Holzhauer einen Wald fällten. Hildegrim deckte den Recken gut, aber auch dessen wuchtige Streiche glitten an den hornfesten Borsten des Unholds ab, ohne ihn im Mindesten zu verletzen.
Das Gefecht währte lange Zeit, bis beide Kämpfer ermüdet ihre Waffen senkten. Während des Waffenstillstandes geiferte der Wilde immer fort, wie er dennoch den geharnischten Wicht zu Scherben schlagen und seinem Gebieter Siegnot, dem Herrn des Gebirges, den Schädel des Hundesohnes als Trinkbecher überbringen werde. Da bot ihm der König nochmals Frieden an, weil er ausgezogen sei, nicht mit dem Knecht, sondern mit dem Herrn zu kämpfen. Ein Hohngelächter war die Antwort. „Krötenbein!“, rief er, und die Bäume zitterten, „Eidechsenschwanz! Gegen Siegnot willst du ankämpfen? Der bindet dich an seine Stange, wie ich das Wichtlein, und läßt dich zu Tode zappeln.“ - Der Kampf begann von neuem. Mittlerweile hatte der Zwerg die Riemen, mit welchen er gebunden war, gelöst und stand immer hinter dem Helden, indem er ihm, als ob er des Gegners Schläge errate, die Wendungen angab, durch welche er sie vermeiden konnte. „Triff ihn mit dem Schwertknauf ans Ohr“, raunte er, „gegen die Schneide und Spitze ist er fest.“ Dietrich folgte dem guten Rat. Als des Riesen mächtige Stange bei einem Fehlschlag in die Erde fuhr, unterlief er ihn und stieß ihm hoch aufgerichtet den Knauf in das Gehörorgan. Der Unhold fiel sogleich zappelnd zur Erde, denn der Knauf war tief in seinen Schädel eingedrungen. Ein zweiter und dritter Stoß machte seinem Leben ein Ende.
Was ist das für ein unschlagbarer Riese, der Siegnot genannt wird? Hier können wir wieder an das Ego denken, das im Kampf nicht geschlagen werden kann, weil es als trennendes Bewußtsein vom Kampf lebt. Denn sobald man gegen das Ego kämpft, erscheint eine Trennung, und dann kämpft Ego gegen Ego. Wer wird wohl gewinnen? Und doch sagt schon der Name Siegnot, daß für die Vernunft dieser Sieg nötig ist. Aber wie? Ja, um diese Frage dreht sich die ganze lange Sage und vielleicht auch unser ganzes Leben.
Der starke Knecht des Ego-Riesen erinnert an den egobeherrschten Verstand, der nicht weniger leicht zu besiegen ist, und hier symbolisch mit dem Knauf vom Schwert der Ganzheit in das Ohr getroffen wird. Damit könnte gemeint sein, daß die Ganzheit in den Verstand kommt, wie er auch von dem lebt, was er hört bzw. allgemein über die Sinne wahrnimmt. Doch das Schwert der Weisheit kann mit der ganzheitlichen Vernunft niemals direkt in den begrifflichen Verstand eindringen, sondern nur der „Griff des Schwertes“ als ein Begriff ganzheitlicher Weisheit. Das wäre dann hier genial versinnbildlicht, denn die Vernunft kann dieses Schwert natürlich auch ohne Griff bzw. Begriff an der Schneide fassen und führen, und schneidet bzw. zertrennt sich dabei nicht. Auf diese Weise kann sich der begriffliche Ego-Verstand in der Ganzheit auflösen:
Die Leiche gewährte einen schrecklichen Anblick, denn sie wurde ganz schwarz und ging sogleich in Verwesung über. „Nun fort!“, rief der Zwerg, „ehe Siegnot kommt, der Herr des Gebirges, sonst sind wir beide verloren.“ - Stolz über seinen Sieg erklärte ihm Dietrich wie zuvor dem Wilden den Zweck seiner Heldenfahrt. „Edler Held“, sagte das Männlein, „du wirst deinem Schicksal nicht entrinnen. Aber falls du durch ein Wunder glücklich bist, dann sind wir armen bedrückten Zwerge mit all unserer Kunst und Habe dir zu eigen. Unser Vater Alberich übergab mir, seinem ältesten Sohn Baldung, die Herrschaft hier über Tausende von kunstverständigen Zwergen. Aber der furchtbare Siegnot hat uns trotz unserer Tarnkappen und Zauberkunst gänzlich unterjocht und zu so schwerem Dienst gezwungen, daß schon viele Hunderte unter der harten Tyrannei umgekommen, andere aber von seinem borstigen Knecht verzehrt worden sind.“ - „Wohlan“, sprach der Berner, „erweise dich dankbar, indem du mir den Weg zu Siegnot zeigst.“ - „Dort siehst du den Berg mit dem Scheitel von Schnee.“, versetzte Baldung: „Kommst du dahin, dann brauchst du nicht lange zu suchen. Denn da lauert der entsetzliche Mann schon lange auf dich und Hildebrand, um Rache zu nehmen für den Tod seiner Verwandten Grim und Hilde. Verleiht dir Gott den Sieg, dann gebiete über alle unsere Schätze: Schmuck oder Rüstung, nichts sei dir versagt.“ Nach diesen Worten schenkte er ihm zum Dank noch einen Edelstein aus dem Schatz, der ihm Kraft geben sollte, im Kampf auszudauern und Hunger und Durst zu ertragen. Dann zog er seine Tarnkappe über die Ohren und war verschwunden.
So will ich euch doch geben
Einen Stein und der ist tugendhaft.
Er dient zu eurer Manneskraft,
Mag euch fristen euer Leben,
Daß euch weder hungert noch dürstet.
(Sigenot, Oskar Schade, 1854)
Was ist das für ein Schatz, den hier der Sohn des Zwergenkönigs Alberich verspricht, der über das Reich der Alben im Hochgebirge herrscht? Es ist ein Schatz, den die Naturgeister in der Erde bewachen und bewahren, und dem versprechen, der die Räuber besiegt, die diesen Schatz rauben und sich persönlich aneignen wollen. Ein Schatz, den Siegfried in der Nibelungenwelt gewann. Ein Schatz, den man zwar gewinnen, aber nicht festhalten und sich aneignen kann, weil man dann zum Räuber wird. Nun, hier können wir über die Wahrheit selbst nachdenken, die noch niemand festhalten konnte: Das Licht des Bewußtseins, das festgehalten zur Dunkelheit wird, die Energiewelle, die festgehalten zum Teilchen wird, und das Leben, das festgehalten zum Tod wird, wie eine Quelle, die festgehalten ihren Fluß verliert. Wie es auch in der Bibel heißt: »Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. (Matth. 16.25)«
So erinnert auch der Namen Baldung einerseits über das germanische Adjektiv „bald“ für „mutig und kühn“ an jemanden, der Mut und Kühnheit verleiht, und anderseits an den germanischen Lichtgott Balder, der getötet wurde und in die Dunkelheit versank, was eigentlich unmöglich erschien.
Dietrich sah den weißglänzenden Berg vor sich, aber der Weg schien ihm sehr weit. So blieb er die Nacht über auf seinem behaglichen Ruheplatz, aß des Morgens noch von seinem Elchbraten und trank den Rest seines Schlauches. Darauf bestieg er sein Pferd und trabte in der bezeichneten Richtung wohlgemut durch den wilden Tann. Gegen Mittag kam er auf eine Lichtung, wo er den Berggipfel nahe vor sich sah. Ein Gletscher zog sich von der Höhe in den Talgrund herab, Gestein und Felsen starrten überall empor, wie der Recke in jener Richtung weitertrabte. Die Tannen, nicht mehr hoch emporstrebend, senkten hier ihre Äste herab und langes Moos hing daran, das die Stämme bis zur Wurzel verhüllte. Ein dichter Nebel stieg auf, der dem Helden Berg und Gletscher verbarg. Plötzlich teilte sich der Nebel, die grauen Massen schoben sich wie ein Vorhang auseinander, und vor dem Berner stand eine Lichterscheinung, ein wundersames Frauenbild in schneeweißem Gewand, das Haupt umschlossen von einem funkelnden, mit Edelsteinen verzierten Goldreif, die Brust geschmückt mit Geschmeide, das wie die Sterne des Himmels leuchtete. Sie erhob warnend den Finger und sagte: „Sporne dein Roß eilends zurück, Berner Held, oder du bist verloren. Der Verderber lauert auf dich.“ Sie glitt unhörbar vorüber, und der Held sah, wie sie nach dem Gletscher schwebte, in welchem sie vor seinen Augen verschwand. „Ist die himmlische Freya zur Erde herabgestiegen?“, rief er überrascht: „Will sie einen sterblichen Menschen beglücken? Aber warum versucht sie, mich von meinem Vorhaben abzubringen? Oder ist es die Elfenkönigin Virginal, von der die Sage geht, daß sie verborgene Schätze hütet?“
Warum wollen ihn die Naturgeister von seinem Vorhaben abbringen? Nun, sein Waffenmeister als Verstand hat zwar schon die Liebe zu seiner Seele gefunden und geheiratet, aber Dietrich als Vernunft noch nicht. Und wir wissen ja, daß der Ego-Drachen nur durch die wahre Liebe zu einer reinen Jungfrau besiegt werden kann, die sich nun hier als „Elfenkönigin Virginal“ zeigt und den Schatz der Liebe hütet, der ihm noch verborgen ist. Diese Vision prägt sich zwar tief ein und wird nicht wirkungslos vorrübergehen, aber kann den Lauf der Geschichte nicht aufhalten:
Er konnte sich die schöne Erscheinung nicht aus dem Sinn schlagen, bis ihn ein schallendes Jauchzen aufschreckte. Es war ein Krieger von riesenhafter Gestalt, der durch den Tann auf ihn zustürmte. Er war wie ein Recke mit Helm, Brünne und Schild gerüstet, aber statt des Schwertes schwang er nach Riesenart eine mächtige Eisenkeule. „Endlich kommst du, mir dein Haupt für den Mord zu bieten, den du an Grim und Hilde hinterlistig verübtest. Ich habe dich sogleich an deinem geraubten Helm Hildegrim erkannt!“ So rief er dem Berner zu, indem er ihn unverzüglich angriff. Sofort wurden sie handgreiflich, und die schmetternden Streiche der Keule schallten wie Wetterschläge. Der Held deckte sich mit dem Schild und benutzte auch die Bäume zur Deckung. Er führte mit großer Kraft gewaltige Hiebe auf den Gegner, aber dessen Rüstung war fest wie Hildegrim. So erkannte er wohl, daß er den furchtbaren Siegnot zum Gegner hatte.
Eine Schlange, die des Riesen Fuß verletzte, schnellte auf, aber ihr giftiger Biß drang nicht durch die Eisenrüstung, und der Kämpfer zerschlug ihr den Kopf mit dem Knauf der Keule. Diesen Augenblick benutzte Dietrich zu einem verzweifelten Streich mit beiden Händen: Nagelring schwirrte durch die Luft, aber die Klinge traf einen überhängenden Ast und haftete darin. Wie sie der Held mit Macht herauszureißen versuchte, zerbrach der spröde Stahl. Ein Keulenschlag streckte den königlichen Helden zu Boden. Der gute Helm war zwar unverletzt, doch die Wucht des Streiches war so gewaltig, daß der mutige Kämpfer die Besinnung verlor. Sogleich fiel der Riese über ihn her, knebelte ihm Hände und Füße und schleppte ihn fort in seine finstere Behausung. Dort nahm er dem armen Dietrich Helm, Rüstung und Schild ab und warf ihn in eine tiefe Grube hinab, den grausigen Schlangen und Würmern zum Fraß. Dietrich wurde von diesem Fall wenig geschädigt, aber seine Fesseln waren so locker geworden, daß er sie mit geringer Mühe abstreifen konnte. Die Schlangen und Würmer taten ihm nichts zuleide, sondern flohen scheu zurück, und auch sein Mut und seine Stärke wichen ihm nicht in der dumpfigen Höhle. Das kam aber alles von der Kraft des Steins, den ihm der dankbare Zwerg gegeben hatte. Der edle Held war dadurch so gut geschützt und gekräftigt, daß er unverzagt in dem schaurigen Aufenthalt verbleiben und sogar in der Nacht Schlaf finden konnte.
So ergeht es nun der Vernunft, wenn sie versucht, das Ego im Kampf zu töten. Die erschlagene Giftschlange könnte bereits andeuten, daß hier Ego gegen Ego kämpft und dabei einen Sieg zu gewinnen glaubt. Doch das Schwert der Weisheit wird von der Natur zurückgehalten und zerbrochen, der Ego-Riese wird nur noch stärker, und die Vernunft verliert ihr ganzheitliches Bewußtsein. Sie wird gebunden und in eine Schlangengrube geworfen, die uns an das Unterbewußtsein erinnert, wo die giftigen Schlangen der Gegensätze hausen. Doch ihn beschützt der Edelstein, der uns hier an den edlen Stein der Weisen erinnert, als ein unvergängliches reines Bewußtsein, das weder Hunger noch Durst kennt und auch niemals seine Macht verliert. Und doch ist er nun in dieser dunklen Höhle gebunden. Wer kann helfen?
Meister Hildebrand wartete mit Ungeduld acht Tage, wie verabredet war, dann aber war seines Bleibens nicht mehr zu Bern. Frau Ute mußte ihm das Streitgewand festschnüren und das Schwert umgürten. Sie brach nicht in Klagen aus, aber manche Träne fiel auf die blanke Rüstung und beim Abschiedskuß auf die Wangen des Gatten. „Bist meine liebe Frau“, sagte er, auf den Hengst steigend: „Komme ich nicht wieder, dann denke, daß ich tat, was ich als ehrlicher Geselle meines königlichen Herrn tun mußte.“ Er sprengte fort, und nun weinte sie viel und lange.
Der Waffenmeister ritt getrosten Mutes die ihm bekannten Wege, wie ein Mann und Krieger, der entschlossen ist, seine Pflicht zu tun, und der in diesem Bewußtsein kühn dem Tod ins bleiche Antlitz blickt. Er wußte gut Bescheid, fand den Anger, wo der modernde Elch an der Feuerstätte lag und unfern davon die verweste Leiche des borstigen Knechtes. Das waren deutliche Spuren von seinem Herrn, und er trabte durch den Tannenwald, dem silberglänzenden Berg zu. So gelangte er über die Waldblöße, und da weidete Falke. Er rief den Hengst, und der trabte herbei und sah ihn mit seinen klaren Augen so traurig an, als wolle er ihm Kunde vom Schicksal seines Herrn geben. Weiterhin fand der Recke die Bruchstücke des Schwertes, und er konnte nun nicht mehr am Tod des Königs zweifeln. Ihm blieb nur die Rache, nicht mehr die Rettung übrig. Ein Zwerglein lief über den Weg, blieb aber stehen, als es ihn sah. Es war Baldung. Er winkte dem Meister umzukehren und rief ihm zu, als er nicht darauf achtete: „Zurück, Meister Hildebrand, oder es ergeht dir wie dem guten Dietrich.“ Doch der unverzagte Meister spornte sein Roß vorwärts. „Und wenn es in die Hölle ginge“, sagte er, „so will ich meinen König rächen, oder sterben.“ Sogleich sah er den Riesen heranstürmen, sprang vom Roß und machte sich kampffertig. Er vermied klug und gewandt die Keulenschläge, doch wurde ihm der Schildrand zerschmettert, und er zog sich tiefer in den Tann zurück. Hier gewährten ihm zwar die Bäume einigen Schutz, aber Siegnot, des langen, vergeblichen Kampfes müde, riß Dornhecken, Sträucher und selbst Bäume aus und warf sie auf und um den Helden. Wie derselbe einen Ausweg suchte, traf ihn, wie früher seinen Herrn, ein Keulenschlag, der ihn niederstreckte.
Jauchzend rief Siegnot: „Nun haben wir den anderen Mörder, und Hilde und Grim sind gerächt. Fort, Langbart, in das Wurmverließ!“ Er schnürte dem gefällten Recken Hände und Füße zusammen, ergriff ihn bei seinem Bart, warf ihn über die Schultern und schritt mit seiner Last singend und pfeifend dem hohlen Berg zu, wo er hauste.
Die Barthaare erinnern auch hier, wie in vielen Märchen, an die wachsenden Gedanken aus dem Kopf, an denen man natürlich den Verstand ergreifen und binden kann, um ihn in die Dunkelheit bzw. Unwissenheit zu werfen.
Es war ein weiter, hochgewölbter Raum, der dem schrecklichen Siegnot zur Wohnung diente. Mächtige Steinpfeiler stützten die Decke, ein strahlender Karfunkel hing an der Wölbung und verbreitete ein angenehmes Dämmerlicht, und im Hintergrund herrschte tiefes, schauerliches Dunkel. Der Riese warf am Eingang seine Bürde so schonungslos auf den Felsboden, daß der Meister meinte, alle Glieder seien ihm gebrochen. Darauf ging er in eine Seitenhalle, um eiserne Fesseln zu holen. „Ruhe dich aus, armer Knirps“, rief er ihm höhnisch zu, „gleich kommst du in das Wurmverließ, wo du im Schlangenbauch mit deinem Herrn wieder zusammentreffen wirst.“ Er ging, und der Gefangene blieb eine kurze Zeit sich selbst überlassen.
Wenn die Wogen der Not über den Häuptern der vergänglichen Kinder der Erde zusammenschlagen, dann jammert und wehklagt der Schwächling und murrt über das harte, unbeugsame Schicksal und überläßt sich rat- und tatenlos der wilden Strömung, welche ihn dem klaffenden Abgrund zutreibt. Der starke, sich selbst vertrauende Kämpfer dagegen bleibt unter den zermalmenden Schlägen des Verhängnisses ohne feige Klage, ruhig und gefaßt, und blickt umher nach einem Rettungsboot, nach einem Trümmerstück, woran er sich klammern und aus dem Umsturz erretten kann. So tat Hildebrand, als er, ein gebundener und verlorener Mann, in der grausigen Felsenhöhle lag. Wie er umherspähte, sah er sein gutes Schwert, das der Riese als Beutestück mitgenommen hatte, in einem entfernten Winkel liegen. Wenn es ihm gelang, die Stricke zu lösen, die ihm ins Fleisch schnitten, dann konnte er noch einmal den Waffengang versuchen. Er lag an einem scharfkantigen Pfeiler, und daran rieb er mit aller Kraft die Fesseln der Hände. Der Versuch gelang, er hatte die Hände frei und löste nun auch die Bande an den Füßen. Schnell ergriff er sein Schwert und verbarg sich kampfbereit hinter dem Pfeiler, weil ihm der Schild fehlte, der auf dem Kampfplatz im Wald zurückgeblieben war.
Siegnot erschien wieder mit schweren Eisenketten und sah sich verwundert nach seinem Gefangenen um. Wie er aber hinter den Pfeiler blickte, führte der Held mit beiden Händen einen Streich auf des Riesen Haupt, daß derselbe zurücktaumelte. Ehe er jedoch einen zweiten Hieb tun konnte, hatte der Gegner wieder seine Keule gefaßt, und nun fielen seine Schläge wie früher hageldicht. Der Meister wich ihnen aus von einem Pfeiler zum andern, bis in den dunkeln Hintergrund der Höhle. Der Boden zitterte, und die Felsen hallten von dem Kampfgetöse wider. Da hörte der Held aus der Tiefe seinen Namen rufen. Er erkannte die Stimme des Königs, und der Gedanke „Er lebt!“ gab ihm neue Kraft. Hinter dem letzten Pfeiler hervorspringend, versetzte er dem Gegner von unten herauf einen Stich mit der spitzen Klinge, der durch die Beinrüstung in den Unterleib drang. Mit fürchterlichem Gebrüll verdoppelte Siegnot seine Schläge. Einer derselben streifte des Meisters Helm und schlug ein großes Felsstück aus dem Pfeiler. Indessen war die Keule in eine Spalte gedrungen, und ehe der Unhold sie herausziehen konnte, erhielt er einen zweiten Stich, der ihn zu Boden streckte.
Wunderbare Symbolik! So kommt nun der Verstand zur Hilfe, um die Vernunft zu retten. Ja, das ist wohl auch seine eigentliche Aufgabe in dieser Welt der Körperlichkeit, mit seinem ganzen Leben der Vernunft zu dienen und nicht dem Ego. Manche sagen sogar, daß diese ganze Verstandeswelt der Körperlichkeit nur dafür da ist, um die Vernunft wiederzugewinnen. Und eigentlich ist auch nur der Verstand dazu fähig, das räuberische Ego zu töten, denn der Tod ist ein gegensätzlicher Begriff, den nur der Verstand kennen kann. Und so gelingt in der Höhle bzw. im Körper auch der Sieg, der natürlich ein vorläufiger Verstandes-Sieg „unter der Gürtellinie“ ist, auch wenn er durch die Spitze seines Schwertes gelang, die bereits auf die Ganzheit hindeutet. Doch die Geschichte vom Sieg über das Ego ist damit noch lange nicht zu Ende.
Und was wäre geschehen, wenn der Verstand nicht gesiegt hätte, sondern vom Ego-Riesen mit „schweren Eisenketten“ gebunden und beherrscht würde? Nun, die dritte Möglichkeit wurde oben mit vorzüglicher Symbolik angedeutet: Wenn Vernunft und Verstand nicht zurückkehren, dann kommt Wolfhart mit der Art des starken Wolfes bzw. tierhaften Körpers als ein Verwandter von Hildebrand und bindet das Ego in der Körperburg, bis es mit dem Körper stirbt und „vom Tod als sein Gevatter in die dunkle Hölle heimgeholt wird“, wie es oben heißt. Das wäre dann schließlich die „Notbremse der Natur“, sozusagen der Körper-Sieg, der noch ehrloser, trügerischer und weniger wahrhaftig ist als der Verstandes-Sieg unter der Gürtellinie, und die Probleme werden nur an die nächste Generation weitervererbt. Interessanterweise wollen wir heutzutage in unserer Welt vor allem diesen Sieg erringen und versuchen, die geistigen Probleme körperlich zu lösen. Das heißt: Flugzeuge, Autos und Eisenbahnen anstatt geistiger Beweglichkeit, materieller anstatt geistiger Reichtum, körperliche anstatt geistige Heilung, und unser ganzes Gesundheitssystem richtet sich vor allem auf die körperlichen Wirkungen anstatt auf die geistigen Ursachen.
Da war wohl die Welt von Dietrich damals schon viel weiter, denn hier siegte wenigstens noch der Verstand, um die Vernunft zu retten:
Der Sieg war gewonnen, und Hildebrand hieb dem gefällten Unhold den Kopf ab. Er selbst war aber so erschöpft, daß er in das strömende Blut niedersank. Sein Helm war an der Seite, wo ihn der letzte Keulenschlag gestreift hatte, zerschmettert, sein Kopf schmerzte ihn, und er mußte eine kurze Weile ausruhen. Da hörte er wieder Dietrichs Stimme aus der Tiefe: „Hildebrand, lieber Meister!“ Er raffte sich auf, trat an den Rand des Abgrunds und tat dem geliebten Freunde seinen schwererfochtenen Sieg kund. „Hilf mir heraus aus dem Wurmverließ! Sonst werde ich noch zum Futter für die Würmer und Schlangen.“
Es galt jetzt, dem königlichen Helden heraufzuhelfen, aber der Abgrund war sehr tief und weder eine Leiter noch ein Strick vorhanden. Der Meister fand Rat, er zerschnitt mit dem Dolchmesser das Gewand des Riesen und einen Teil des seinigen, knüpfte die Stücke zusammen und ließ sie in die Tiefe hinab. Dieses Gebände reichte bis auf den Grund des Verlieses. Dietrich klammerte sich daran fest, aber wie der Meister ihn eine Strecke heraufgezogen hatte, zerriß der falsche Strick, und Dietrich tat einen schweren Fall. Der Meister durchirrte alle Räume der Felsenkluft, um ein taugliches Mittel zu finden. Verzweifelnd kehrte er in die große Halle zurück. Da stand das Zwerglein Baldung und hielt das gewaltige Haupt des Riesen in den Händen. Er pries laut den herrlichen Sieg des tapferen Helden, den er seinen und seiner Gehilfen Befreier nannte. Er lud ihn ein, ihm in den Berg zu folgen, wo er reichlich Erquickung und große Schätze finden werde. Als er hörte, daß Dietrich noch lebe und im Verließ schmachte, brachte er eine lederne Leiter herbei, die gar kurz erschien, aber sich nach Bedürfnis verlängerte, so daß man daran, wie er sagte, bis in die Hölle hinabsteigen könne. Mittels dieser Leiter kam der König wieder an das Tageslicht. „Hildebrand“, sagte er aufatmend, „du bist nicht mein Geselle, du bist in Wahrheit mein Meister.“ Er küßte ihn, wie ein Sohn seinen Vater, und folgte dann dem freundlichen Zwerg in seine unterirdische Welt, wo die kleinen Leute ihre Befreier mit köstlichen Speisen und Getränken labten, ihnen ihre Schätze und Kunstwerke zur Auswahl öffneten und Hilfe und Beistand in allen Gefahren versprachen. Das edelste Geschenk, das Dietrich annahm, war sein Schwert Nagelring, neu geschmiedet, gehärtet und mit Gold und Edelsteinen verziert, so daß es schöner und fester war als zuvor.
Wie kommt nun die Vernunft wieder ins helle Licht des Bewußtseins? Der begriffliche Strick aus den Kleidern von Ego und Verstand reicht dazu wohl nicht aus. Hier hilft der Zwergenkönig Baldung als Naturgeist mit einer wunderlichen Leiter, mit der man in die dunkle Hölle hinab- und wieder heraufsteigen kann. Sie gehört offenbar zu den Schätzen, welche die Naturgeister beschützen, und erinnert uns an das Symbol der christlichen Himmelsleiter oder die germanische Regenbogenbrücke. Hier geht es wohl darum, das Bewußtsein entsprechend zu erhöhen und zu erweitern und zum reinen Licht zu öffnen. Ähnlich erscheint uns auch das eigene Bewußtsein gewöhnlich engbegrenzt, aber kann doch bis in die tiefste Hölle und in den höchsten Himmel reichen. Damit kommt die Vernunft wieder ans Licht, findet zusammen mit dem Verstand viele Schätze im Reich der Naturgeister, und das Schwert der Weisheit wird dort wieder ganzgemacht und mit dem Gold der Wahrheit und dem edlen Stein der Weisen vervollkommnet. Damit kehren Vernunft und Verstand in die äußere Welt zurück.
Froh der Rettung und des Sieges kehrten die Helden nach Bern zurück, wo sie mit Jubel empfangen wurden.
Die Geschichte, daß die Vernunft den Verstand als ihren Meister erkennt und sagt „du bist nicht mein Geselle, sondern in Wahrheit mein Meister“, zieht sich noch lange hin, bis auch Dietrich die Vernunft und den Verstand mit allen anderen Kräften der Sinne und des Körpers untrennbar in sich selbst vereinen kann, wie es Siegfried gelang, und wie es auch zum „Sieg-Frieden“ nötig ist. Zumindest weiß der Verstand bereits, wer sein wahrer König ist, und hält ihm diese Treue auch bis zum Schluß, so daß man von einem vernünftigen Verstand sprechen kann, im Gegensatz zum egoischen oder egobeherrschten Verstand. An manchen Stellen wird er auch „Waffenmeister“ genannt, was den Verstand als Meister über die Armee der Gedanken und aller sinnlichen Mächte und körperlichen Kräfte im Lebenskampf recht gut bezeichnet, die wir nun im Folgenden noch ausführlicher kennenlernen werden.
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