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Märchentext der Gebrüder Grimm [1857]
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2025]
Auch dieses Märchen dreht sich um das weibliche Wasserwesen einer „Nixe“. Und wir wollen versuchen, die umfangreich verwendete Symbolik etwas tiefer zu verstehen, auch wenn wir mit unseren Worten nie auf den Grund gelangen. Mögen sie zumindest dazu inspirieren, mit unserem Feuerwesen des Geistes tiefer in das Wasserwesen der Natur einzutauchen.
Was ist das, was wir „Wasser“ nennen?
Es war einmal ein Müller, der führte mit seiner Frau ein vergnügtes Leben. Sie hatten Geld und Gut, und ihr Wohlstand nahm von Jahr zu Jahr noch zu. Aber Unglück kommt über Nacht: Wie ihr Reichtum gewachsen war, so schwand er von Jahr zu Jahr wieder hin, und zuletzt konnte der Müller kaum noch die Mühle, in der er saß, sein Eigentum nennen. Er war voll Kummer, und wenn er sich nach der Arbeit des Tages niederlegte, so fand er keine Ruhe, sondern wälzte sich voll Sorgen in seinem Bett. Eines Morgens stand er schon vor Tagesanbruch auf, ging hinaus ins Freie und dachte, es sollte ihm leichter ums Herz werden. Als er über dem Mühldamm dahinschritt, brach eben der erste Sonnenstrahl hervor, und er hörte in dem Weiher etwas rauschen. Er wandte sich um und erblickte ein schönes Weib, das sich langsam aus dem Wasser erhob. Ihre langen Haare, die sie über den Schultern mit ihren zarten Händen gefaßt hatte, flossen an beiden Seiten herab und bedeckten ihren weißen Leib. Er sah wohl, daß es die Nixe des Teiches war und wußte vor Furcht nicht, ob er davongehen oder stehenbleiben sollte.
Wasser ist Welle, Kraft und Arbeit.
Das Märchen beginnt mit einem Müller, der mit seiner Frau in einer Mühle wohnte, deren Kraft aus dem Wasser gewonnen wurde, das am Mühldamm zu einem Teich angestaut war. Darin können wir auch unsere Körperlichkeit wiederkennen, die sich im Fluß des Lebens angestaut hat, weil wir das Wasser festhalten wollen, um mit dieser Kraft zu arbeiten. Aus diesem Festhalten und Arbeiten entsteht unser Reichtum als Eigentum, und solange er anwächst, fühlt sich der Müller als Ego-Verstand gut, der als männlicher Geist mit seiner weiblichen Natur in dieser Mühle zusammenlebt. Und was arbeitet er? Er verarbeitet getrocknete Samenkörner zu Mehl, von dem er sich selbst und andere ernährt. Hier könnte man an die Karma-Samen angesammelter Taten und Probleme denken. Und vielleicht ist es wirklich unsere wichtigste Aufgabe in dieser Welt, diese Samen der unverarbeiteten Taten und ungelösten Probleme von unseren Vorfahren und uns selber zu verarbeiten und zu erlösen, natürlich am besten, ohne neue anzusammeln. In diesem Sinne könnte man den Körper als eine „Problemverarbeitungsmühle“ betrachten, um die verhärteten Karma-Samen zu verarbeiten und zwischen zwei Mühlsteinen im Spiel der Gegensätze zu Staub zu zermahlen, damit sie nicht mehr keimen können. Diese Symbolik zeigt ebenfalls, daß der Müller diesen Prozeß nur beginnt, den dann die Mühle mit Wasserkraft vollbringt. Und dafür sollte auch unser angesammelter Reichtum und unsere angestaute Körperlichkeit im Fluß des Lebens dienen.
Doch die Natur des Wassers ist die Welle, das heißt: Alles, was entsteht, muß wieder vergehen. Und so wächst und vergeht auch der Reichtum des Müllers, und „zuletzt konnte der Müller kaum noch die Mühle, in der er saß, sein Eigentum nennen“, muß also auch seinen Körper wieder verlieren, was man die Ego-Sorgen und Leiden dieser Welt nennt.
Wasser ist Quelle, Fluß und Meer.
So beginnt der Mensch natürlich nach den Ursachen seines Leidens zu suchen, und als die Sonne der Erkenntnis mit ihren ersten Stahlen aufging, erkannte er im Wasser, welches er im Fluß des Lebens zu einem Teich angestaut hatte, „ein schönes Weib, das sich langsam aus dem Wasser erhob“, wie aus unserem Unterbewußtsein. Die Hände erinnern an den begrifflichen Verstand, die langen Haare an unsere Gedankenketten, die in die Tiefe reichen, und der weiße Leib an die erwachende Weisheit. Unsere Vernunft möchte bei ihr stehenbleiben, während der Ego-Verstand davonlaufen will, weil er fürchtet, von ihr erkannt, ergriffen und ins Wasser gezogen und dort aufgelöst zu werden.
Wasser ist Verstand, Denken und Weisheit.
Aber die Nixe ließ ihre sanfte Stimme hören, nannte ihn beim Namen und fragte, warum er so traurig wäre. Der Müller war anfangs verstummt, als er sie aber so freundlich sprechen hörte, faßte er sich ein Herz und erzählte ihr, daß er sonst in Glück und Reichtum gelebt hätte, aber jetzt so arm wäre, daß er sich nicht zu raten wüßte. „Sei beruhigt“, antwortete die Nixe, „ich will dich reicher und glücklicher machen, als du je gewesen bist. Nur mußt du mir versprechen, daß du mir geben willst, was eben in deinem Haus jung geworden ist.“ - „Was kann das anderes sein“, dachte der Müller, „als ein junger Hund oder ein junges Kätzchen?“, und sagte ihr zu, was sie verlangte. Die Nixe stieg wieder in das Wasser hinab, und er eilte getröstet und guten Mutes nach seiner Mühle. Noch hatte er sie nicht erreicht, da trat die Magd aus der Haustür und rief ihm zu, er sollte sich freuen, seine Frau hätte ihm einen kleinen Knaben geboren. Der Müller stand wie vom Blitz gerührt, er sah wohl, daß die tückische Nixe das gewußt und ihn betrogen hatte. Mit gesenktem Haupt trat er zu dem Bett seiner Frau, und als sie ihn fragte „Warum freust du dich nicht über den schönen Knaben?“, da erzählte er ihr, was ihm begegnet war und was für ein Versprechen er der Nixe gegeben hatte. „Was hilft mir Glück und Reichtum“, fügte er hinzu, „wenn ich mein Kind verlieren soll? Aber was kann ich tun?“ Auch die Verwandten, die herbeigekommen waren, Glück zu wünschen, wußten keinen Rat.
Nun, der Müller faßte Vertrauen zur Nixe, klagte ihr sein Leid, und sie versprach ihre Gaben, aber nur im Austausch für eine Gegengabe. Hier können wir uns wieder an das Spiel von Natur und Geist erinnern: Die Natur gibt die Formen, und der Geist gibt das Leben. Der Müller wünschte den äußerlichen Reichtum in der Welt der Formen, und die Nixe das innerliche Leben im Fluß der Welt, symbolisch als das neugeborene Kind des Müllers, welches das Leben in der Welt weiterführen soll. So sollte wohl der Müller erkennen, daß all sein Reichtum und weltliches Glück aus dem Wasserwesen der Natur kommen, und er dafür das Feuerwesen des Geistes geben muß, damit es ein „fließendes Wasser des Lebens“ bleibt. Doch diese große Erkenntnis der Einheit von Geist und Natur, die auch die gegenseitigen Wellen zur Vollkommenheit ausgleichen würde, konnte der Müller offenbar nicht erreichen. Im Gegenteil, er fühlte sich von der Natur betrogen, begehrte den Gewinn allein und fürchtete sich vor Verlust, worin sich das Grundproblem der Trennung zeigt. Und weil es gelöst werden will, muß diese Geschichte noch weitergehen.
Wasser ist Erkenntnis, Lösung und Heilung.
Indessen kehrte das Glück in das Haus des Müllers wieder ein. Was er unternahm gelang, es war als ob Kisten und Kasten von selbst sich füllten, und das Geld im Schrank über Nacht sich mehrte. Es dauerte nicht lange, so war sein Reichtum größer als je zuvor. Aber er konnte sich nicht ungestört darüber freuen, denn die Zusage, die er der Nixe getan hatte, quälte sein Herz. So oft er an dem Teich vorbeikam, fürchtete er, sie könnte auftauchen und ihn an seine Schuld mahnen. Den Knaben selbst ließ er nicht in die Nähe des Wassers: „Hüte dich!“, sagte er zu ihm, „wenn du das Wasser berührst, dann kommt eine Hand heraus, hascht dich und zieht dich hinab.“ Doch als Jahr auf Jahr verging und die Nixe sich nicht wieder zeigte, so fing der Müller an sich zu beruhigen.
Der Knabe wuchs zum Jüngling heran und kam bei einem Jäger in die Lehre. Als er ausgelernt hatte und ein tüchtiger Jäger geworden war, nahm ihn der Herr des Dorfes in seine Dienste. In dem Dorf war ein schönes und treues Mädchen, das gefiel dem Jäger, und als sein Herr das bemerkte, schenkte er ihm ein kleines Haus. Die beiden hielten Hochzeit, lebten ruhig und glücklich und liebten sich von Herzen.
So erzählt uns nun das Märchen, wie die Nixe des Teiches ihr Versprechen erfüllt, aber der Müller versucht, seine Schuld zu vergessen und ihr auszuweichen, und wie die ungelösten Probleme und karmischen Schulden von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden. Darin können wir erkennen, wie diese „Problemverarbeitungsmühle“ der Körperlichkeit auch im Großen und Ganzen funktioniert: Jeder unverarbeitete Karma-Samen ist eine Schuld, die sich solange in der Mühle der Welt dreht, das heißt, immer wieder keimen und sich manifestieren bzw. verkörpern muß, bis sie erkannt, verarbeitet und gelöst wird. Entsprechend könnte man die Verkörperungen dieser ungelösten Probleme als eine Art Schauspieler betrachten. Damit meinen wir aber keine Frauen, die Frauen spielen, Männer, die Männer spielen, Kinder, die Kinder spielen, oder Alte, die Alte spielen, sondern einen wahren „Schauspieler“, der selbst keine Form hat, aber jede Form annehmen kann. Wenn man diesem Formlosen einen Namen geben will, könnte man von Bewußtsein als „bewegtes Wissen im Sein“ oder auch von Information als „innerliche Formgebung“ sprechen.
Wasser ist Bewegung, Verkörperung und Lösung.
So verkörpern sich nun die angesammelten Probleme, vor allem das Grundproblem der Trennung, um gelöst zu werden: Der Sohn des Müllers verläßt das Vaterhaus, lernt nicht den Beruf des Müllers, sondern den eines Jägers, wie ein Fluß aus der Quelle fließt und die Quelle verlassen muß, wenn er ein eigener Fluß werden will. Was bedeutet dieser „Beruf“ des Jägers? Nun, der Weg ins innerliche Leben wurde dem Sohn vom Vater verboten und mit Todesangst versperrt. So wird er kein Müller, sondern jagt nach dem äußerlichen Leben, wie es viele Eltern ihren Kindern vorleben, obwohl doch der Müller das Wasserwesen als tiefe Weisheit erkannt hatte, von dem er all seinen Reichtum bekam. Und wie die Nixe als Wasserwesen der Natur nach dem Leben jagt, so jagt nun auch der Jäger nach dem Leben, aber um es zu töten und sich und andere von den toten Körpern zu ernähren. Hier könnte man jetzt viel über den Unterschied zwischen dem Töten von Samenkörnern als Müller und von Tieren als Jäger nachdenken, was wie hier nicht weiter ausbauen wollen. Zumindest sagen die alten Lehren, daß man durch das Töten von Tieren viel leidvolles Karma ansammelt, weil sich das Konzept des Todes verstärkt…
So geht der Müllersohn in das Dorf der Welt und dient einem anderen Herrn als seinem Vater, heiratet ein Mädchen aus dem Dorf und bekommt ein Haus im Dorf. Damit erscheinen nun in dieser Geschichte wieder Mann und Frau als „Schauspieler“, die ihre Rollen in der Welt spielen. Die Frau spielt das weibliche Wesen der gebärenden Natur, und der Mann das männliche Wesen des bezeugenden Geistes, um das Problem der Trennung zu verkörpern, weil es gelöst werden will. Dazu heiraten sie in der Welt und versuchen sich körperlich zu vereinen und natürlich auch geistig zu finden, um das Grundproblem der Trennung zu lösen. So lebten sie einige Zeit „ruhig und glücklich und liebten sich von Herzen“. Aber dann zeigte sich natürlich wieder die Welle des Wasserwesens, denn keine Form ist beständig:
Einstmals verfolgte der Jäger ein Reh. Als das Tier aus dem Wald in das freie Feld ausbog, setzte er ihm nach und streckte es endlich mit einem Schuß nieder. Er bemerkte nicht, daß er sich in der Nähe des gefährlichen Weihers befand, und ging, nachdem er das Tier ausgeweidet hatte, zu dem Wasser, um seine mit Blut befleckten Hände zu waschen. Kaum aber hatte er sie hineingetaucht, als die Nixe emporstieg, lachend mit ihren nassen Armen ihn umschlang und so schnell hinabzog, daß die Wellen über ihm zusammenschlugen.
So wird der Müllersohn von der Schuld seines Vaters eingeholt, als er versuchte, seine eigene Blutschuld als Jäger abzuwaschen, und wird wieder in die Tiefe der innerlichen Natur gezogen. Man könnte auch sagen, er starb und sein Körper löste sich wieder auf, und dieses „Auflösen“ ist auch ein Wesen des Wassers.
Wasser ist Schöpfung, Erhaltung und Auflösung.
Und damit erscheint wieder das Grundproblem der Trennung, denn wir denken, wenn sich ein Körper auflöst, dann geht etwas verloren, und davor haben wir große Angst, vor allem der Ego-Verstand, der sich mit einem Körper identifiziert und diese Form als sein Eigentum betrachtet. Wie ein Schauspieler, der sich mit seiner langgespielten Rolle identifiziert und irgendwann glaubt, diese gespielte Person mit aufgesetzter Maske wirklich zu sein.
Als es Abend war und der Jäger nicht nach Hause kam, geriet seine Frau in Angst. Sie ging aus, ihn zu suchen, und da er ihr oft erzählt hatte, daß er sich vor den Nachstellungen der Nixe in Acht nehmen müßte und sich nicht in die Nähe des Weihers wagen dürfte, so ahnte sie schon, was geschehen war. Sie eilte zu dem Wasser, und als sie am Ufer seine Jägertasche liegen fand, da konnte sie nicht länger an dem Unglück zweifeln.
So spielt nun auch die Ehefrau ihre Rolle als Seele der Natur, die ihren Mann verlor, zumindest in der Form, wie sie ihn geheiratet hatte. Natürlich ahnte sie, wohin er gegangen war, denn im Grunde sind alle Schauspieler das gleiche Bewußtsein. Und so sucht sie ihn in der Tiefe des Wassers, wo sie am Ufer zur äußeren Welt auch die „Jägertasche“ findet, die an seine weltliche Schuld erinnert, wie wir auch alle so eine Tasche mit uns herumtragen. Man könnte hier auch vom Unterbewußtsein sprechen, wo sie ihn sucht, aber sie traut sich selbst nicht hinein, denn der Verstand sagt, dann müßte auch sie sterben. Ja, wie auch manche Eheleute nach inniger Liebe im hohen Alter oft kurz nacheinander sterben, denn sie haben erfahren, daß sich die Form des Körpers verändert und nicht so bleibt, wie man geheiratet hat, so daß sich ihre Liebe über die Körperlichkeit hinaus auf einen tieferen Grund stützen muß, und sie damit ihr gemeinsames Ziel erreichen.
Wehklagend und händeringend rief sie ihren Liebsten mit Namen, aber vergeblich: Sie eilte hinüber auf die andere Seite des Weihers, und rief ihn aufs neue. Sie schalt die Nixe mit harten Worten, aber keine Antwort erfolgte. Der Spiegel des Wassers blieb ruhig, nur das halbe Gesicht des Mondes blickte unbeweglich zu ihr herauf. Die arme Frau verließ den Teich nicht. Mit schnellen Schritten, ohne Rast und Ruhe, umkreiste sie ihn immer von neuem, manchmal still, manchmal einen heftigen Schrei ausstoßend, manchmal in leisem Wimmern.
Doch die Ehefrau des Müllersohnes hat dieses Ziel der innigen Liebe noch nicht erreicht. Sie liebt ihren Mann zu sehr in der äußerlichen Welt der Formen und sucht ihn auch dort, und so weint sie klagend um ihren Verlust und tadelt das Wasserwesen der Natur mit harten Worten. Aber anders als beim Müller antwortet und hilft die Wasserfrau nicht, und alles wird nun in gegenteiliger Art beschrieben, denn wie der Müller eine männliche Rolle des Geistes spielte, so spielt die Ehefrau eine weibliche Rolle als Seele der Natur.
Auf diese Weise wird das allgemeine Spiel der Gegensätze symbolisch dargestellt: Der Geist gibt das Leben und sucht die Formen, und die Natur gibt die Formen und sucht das Leben. Er klagte im Sonnenschein, und sie im Mondschein. Er findet die Hilfe und Weisheit im innerlichen Wasserwesen in der Tiefe, und sie im äußerlichen Erdwesen in der Höhe, wie wir noch lesen werden.
Wasser ist dunkle Tiefe, stiller Spiegel und lichte Höhe.
Deshalb „bleibt der Spiegel des Wassers ruhig“, denn die innerliche Wasserfrau ist zufrieden, weil die Schuld des Müllers beglichen wurde, und sie wieder mit dem Leben vereint ist. Doch die Ehefrau „sieht nur das halbe Gesicht des Mondes unbeweglich zu ihr heraufblicken“, und ist natürlich mit dieser unbeweglichen Stille nicht zufrieden, sondern sieht nun in der Wasserfrau eine Schuld und sucht die Bewegung und das Leben der Wellen, denn auch die äußerliche Natur braucht das Leben und fürchtet dessen Verlust. Das liegt natürlich auch daran, daß sie nur „das halbe Gesicht des Mondes“ sieht. Eine wunderbare Symbolik! Ja, wir spiegeln uns alle im Wasser des Bewußtseins und sehen darin auch das Gesicht der Welt, aber eben nicht das Ganze, weil wir das Bewußtsein in der Tiefe selbst nicht sehen, das zwar alles sieht, aber nicht sichtbar ist. Und dieses Wasser können wir auch nie verlassen, wie auch die „arme Frau“ den angestauten Mühlteich nicht verlassen kann, sondern immer wieder mit Klagen, Kummer und Leiden umkreist, wie eine Bewußtseinsblase, in der ein Lebewesen lebt, in diesem Fall ihr Ehemann, und im gleichen Prinzip auch sie selbst.
Endlich waren ihre Kräfte zu Ende, sie sank zur Erde nieder und verfiel in einen tiefen Schlaf. Bald überkam sie ein Traum:
Sie stieg zwischen großen Felsblöcken angstvoll aufwärts. Dornen und Ranken hakten sich an ihre Füße, der Regen schlug ihr ins Gesicht, und der Wind zauste ihr langes Haar. Als sie die Anhöhe erreicht hatte, bot sich ein ganz anderer Anblick dar: Der Himmel war blau, die Luft mild, der Boden senkte sich sanft hinab, und auf einer grünen, bunt beblümten Wiese stand eine reinliche Hütte. Sie ging darauf zu und öffnete die Tür, da saß eine Alte mit weißen Haaren, die ihr freundlich winkte.
Als nun die eigenen Kräfte der Ehefrau schwanden, fand auch sie eine Hilfe aus dem Unterbewußtsein, nämlich einen Weg in die Welt der Berge aus Materie im Kampf der Elemente. Doch am Ende dieses Weges erreicht sie eine stille Sicht aus der Höhe auf eine harmonische Natur und findet in einer reinen Hütte bzw. reinen Körperlichkeit eine uralte Mutter mit weißen Haaren bzw. Gedanken der Weisheit. Darin können wir im Gegensatz zum innerlichen Wasserwesen das äußerliche Erdwesen der Natur erkennen. Und was zuerst ein Traum war, muß sie natürlich als Seele der Natur auch körperlich verwirklichen. Das heißt, nicht im Mondlicht der Nacht, sondern im Sonnenlicht des Tages:
In dem Augenblick erwachte die arme Frau. Der Tag war schon angebrochen, und sie entschloß sich, gleich dem Traum Folge zu leisten. Sie stieg mühsam den Berg hinauf, und es war alles so, wie sie es in der Nacht gesehen hatte. Die Alte empfing sie freundlich und zeigte ihr einen Stuhl, auf den sie sich setzen sollte. „Du mußt ein Unglück erlebt haben“, sagte sie, „weil du meine einsame Hütte aufsuchst.“ Die Frau erzählte ihr unter Tränen, was ihr begegnet war. „Tröste dich“, sagte die Alte, „ich will dir helfen: Da hast du einen goldenen Kamm. Harre bis der Vollmond aufgestiegen ist, dann geh zu dem Weiher, setze dich am Rand nieder und strähle dein langes schwarzes Haar mit diesem Kamm. Wenn du aber fertig bist, dann lege ihn am Ufer nieder, und du wirst sehen was geschieht.“
Die Frau kehrte zurück, aber die Zeit bis zum Vollmond verstrich ihr langsam. Endlich erschien die leuchtende Scheibe am Himmel, da ging sie hinaus an den Weiher, setzte sich nieder und kämmte ihre langen schwarzen Haare mit dem goldenen Kamm, und als sie fertig war, legte sie ihn an den Rand des Wassers nieder. Nicht lange, so brauste es aus der Tiefe, eine Welle erhob sich, rollte an das Ufer und führte den Kamm mit sich fort. Es dauerte nicht länger als der Kamm nötig hatte, auf den Grund zu sinken, so teilte sich der Wasserspiegel und der Kopf des Jägers stieg in die Höhe. Er sprach nicht, schaute aber seine Frau mit traurigen Blicken an. In demselben Augenblick kam eine zweite Welle herangerauscht und bedeckte das Haupt des Mannes. Alles war verschwunden, der Weiher lag so ruhig wie zuvor, und nur das Gesicht des Vollmondes glänzte darauf.
So beginnt nun die Seele ihren weiten und leidvollen Weg der Formen, um sich unter dem Vollmond wieder mit dem Geist zu vereinen und das verlorene Leben in der Ganzheit zu finden, vielleicht sogar das ewige Leben, in dem alle Wellen ausgeglichen sind, so ruhig und glatt wie der Spiegel des reinen Bewußtseins.
Der Weg beginnt symbolisch mit einem „goldenen Kamm, mit dem sie die langen schwarzen Haare glätten soll“. Das Gold erinnert uns an die Wahrheit und die Haare an die Gedanken, die noch dunkel und verworren sind und mit der Wahrheit geordnet und geglättet werden sollen. Doch dazu sollen wir in der äußerlichen Welt mit dem Wachbewußtsein nur den Anfang machen und den Rest von der innerlichen Welt bzw. vom Unterbewußtsein erledigen lassen. Denn wir wissen ja, daß der Weg zur Ganzheit nicht vom Ego-Verstand vollendet werden kann, weil er ein trennendes Bewußtsein ist, das zwar den Weg beginnt, aber auf dem Weg verschwinden muß.
Wasser ist Ursache, Mittel und Wirkung.
Zumindest bewegt sich nun das stille Wasser wieder, eine Welle erscheint, die das Mittel annimmt, und der Kopf ihres Ehemannes wird im Wellenspiel sichtbar, der mit den Haaren bzw. Gedanken verbunden ist. Er schaut natürlich traurig zu seiner Frau, denn Trennung ist schmerzliches Leiden und ein wirklicher Grund zur Traurigkeit. Er muß aber wieder in den Wellen verschwinden, denn der Kopf reicht auch mit den wahrhaftigsten Gedanken noch nicht aus, um den Weg aus der Trennung zur Ganzheit zu verwirklichen.
Und was hier im Märchen sieben lange Tage bis zum Vollmond sind, die „ihr langsam verstrichen“, werden uns oft sieben Jahre, manchmal auch siebzig Jahre, sieben Leben oder sogar sieben Schöpfungstage. Denn auch der Vollmond erscheint in Wellen, nimmt ab und zu, geht auf und unter, und dreht sich wie die „Problemlösungsmühle“ im Kreis, bis das Grundproblem der Trennung gelöst ist. Also auf zur nächsten Runde:
Trostlos kehrte die Frau zurück, doch der Traum zeigte ihr die Hütte der Alten. Abermals machte sie sich am nächsten Morgen auf den Weg und klagte der weisen Frau ihr Leid. Die Alte gab ihr eine goldene Flöte und sprach: „Harre bis der Vollmond wiederkommt, dann nimm diese Flöte, setze dich an das Ufer, blas ein schönes Lied darauf, und wenn du damit fertig bist, so lege sie auf den Sand. Du wirst sehen, was geschieht.“
Die Frau tat wie die Alte gesagt hatte. Kaum lag die Flöte auf dem Sand, so brauste es aus der Tiefe: Eine Welle erhob sich, zog heran und führte die Flöte mit sich fort. Bald darauf teilte sich das Wasser, und nicht bloß der Kopf, auch der Mann bis zur Hälfte des Leibes stieg hervor. Er breitete voll Verlangen seine Arme nach ihr aus, aber eine zweite Welle rauschte heran, bedeckte ihn und zog ihn wieder hinab.
Die goldene Flöte erinnert uns an den Klang einer wahren Harmonie und auch an die Hirtenflöten, um die Tiere bzw. unser Tierwesen zu beruhigen, zu hüten und anzulocken. Diese wahre und reine Harmonie zielt natürlich auch darauf ab, die leidvolle Trennung zu überwinden und eine harmonische Ganzheit wiederzufinden. So erscheint auch der Geliebte in seinem Körper mit ausgebreiteten Armen voller Verlangen nach der Vereinigung mit seiner Geliebten, aber nur zur Hälfte, denn es fehlt noch das Leben und damit die freie Beweglichkeit. So reicht auch der Klang dieser Flöte als Sehnsucht nach der Harmonie nicht aus, um das Problem der Trennung zu lösen. Und wie der Körper in einer Welle aus dem Wasser erscheint, so wird er auch von einer Welle wieder in das Wasser bzw. Meer der Ursachen zurückgezogen, denn offenbar spielen innere und äußere Natur noch nicht das gleiche Lied.
Wasser ist Klang, Rhythmus und Harmonie.
Hier könnte man nun auch darüber nachdenken, wie es eigentlich möglich ist, aus dem Wasser eine Form wiederzubekommen, die sich darin aufgelöst hat? Wenn man zum Beispiel Salz im Wasser auflöst, so scheint es erst einmal zu verschwinden. Doch man kann es zurückgewinnen, wenn das Wasser verdampft wird. Natürlich ist es das gleiche Salz, aber sind es auch die gleichen Formen der Kristalle? Diesbezüglich kennt die moderne Wissenschaft den Energieerhaltungssatz, der besagt, daß Energie nie verlorengehen kann, sondern sich immer nur verwandelt, also verschiedene Formen annimmt. Ähnlich spricht man auch von einem Informationserhaltungssatz, aber hier ist man sich noch nicht sicher, was wohl auch daran lieg, daß keiner genau sagen kann, was eigentlich Information ist.
So ist nun das Grundproblem der Trennung in den Wellen von Entstehen und Vergehen immer noch nicht gelöst, und die Ehefrau klagt als Seele der Natur:
„Ach, was hilft es mir“, sagte die Unglückliche, „daß ich meinen Liebsten nur erblicke, um ihn wieder zu verlieren.“ Der Gram erfüllte aufs neue ihr Herz, aber der Traum führte sie zum dritten Mal in das Haus der Alten. Sie machte sich auf den Weg, und die weise Frau gab ihr ein goldenes Spinnrad, tröstete sie und sprach: „Es ist noch nicht alles vollbracht. Harre bis der Vollmond kommt, dann nimm das Spinnrad, setze dich an das Ufer und spinn die Spule voll, und wenn du fertig bist, so stelle das Spinnrad nahe an das Wasser, und du wirst sehen, was geschieht.“
Die Frau befolgte alles genau. Sobald der Vollmond sich zeigte, trug sie das goldene Spinnrad an das Ufer und spann emsig, bis der Flachs zu Ende und die Spule mit dem Faden ganz angefüllt war. Kaum aber stand das Rad am Ufer, so brauste es noch heftiger als sonst in der Tiefe des Wassers, eine mächtige Welle eilte herbei und trug das Rad mit sich fort. Alsbald stiegen mit einem Wasserstrahl der Kopf und der ganze Leib des Mannes in die Höhe. Schnell sprang er ans Ufer, faßte seine Frau an der Hand und entfloh.
Nun gibt die alte Mutter der Erde als Wesen der äußerlichen Natur auch ein drittes Mittel, um an das innere Wasserwesen zu kommen, nämlich ein goldenes Spinnrad. Das erinnert uns an die Seelenfäden von Ursachen und Wirkungen, die in der Welt der Formen gesponnen werden, und nun als ein goldenes Mittel der äußerlichen Natur auch eine gewisse Wahrheit bzw. Wirklichkeit erreichen sollten. Und dieses Mittel ist dann auch erfolgreich, natürlich zusammen mit den beiden vorhergehenden, und aus den Wellen auf dem Meer der Ursachen erscheint ein lebendiger Körper, der die Seele der Natur erfaßt und mit dieser Seele aus der innerlichen Natur in eine äußerliche fliehen will.
Wasser ist formlose Quelle von Formen durch Ursache und Wirkung.
Was war das für eine Form, die aus den Seelenfäden zusammengesponnen wurde? Sicherlich hatte diese körperliche Form durch die Seelenfäden aus Ursache und Wirkung eine enge Verbindung zum vergangenen Körper des Jägers und Ehemannes. Doch es gab auch Ursachen, weshalb sich dieser Körper aufgelöst hatte, und so kann auch diese Form nicht beständig sein:
Aber kaum hatten sie sich eine kleine Strecke entfernt, so erhob sich mit entsetzlichem Brausen der ganze Weiher und strömte mit reißender Gewalt in das weite Feld hinein. Schon sahen die Fliehenden ihren Tod vor Augen, da rief die Frau in ihrer Angst die Hilfe der Alten an, und in dem Augenblick waren sie verwandelt, sie in eine Kröte, er in einen Frosch. Die Flut, die sie erreicht hatte, konnte sie nicht töten, aber sie riß sie beide voneinander und führte sie weit weg.
So wurde auch mit dem goldenen Spinnrad das Problem der Wellen des Entstehens und Vergehens nicht gelöst, und die Welle der innerlichen Natur bzw. des Unterbewußtseins folgt ihnen nach, und diesmal sogar bedrohlich. So fürchtet der Fluß, der von seiner Quelle hinaus in die Welt durch Zeit und Raum fließen will, daß er wieder vergehen und in das Meer zurückfließen muß, wo er seine Form als Fluß im tiefen Meer der Ursachen verliert, auch wenn es seine ursprüngliche Quelle war. Über diese Symbolik kann man viel und lange nachdenken, und wir werden hier mit unseren Worten den Grund nicht erreichen.
Wasser ist Einheit, Leben und Vielfalt.
Eine ähnlich symbolische Geschichte kennen wir aus den indischen Überlieferungen. Auch hier geht es um eine Schuld, die an die Nachkommen vererbt wurde. Nur kommt die Wasserflut nicht aus der Tiefe, sondern aus der Höhe, indem die ganze Milchstraße unserer Galaxie zum Fluß der himmlischen Ganga wird, um die Asche der Ahnen reinzuwaschen und zu erlösen, welche die Gottheit einst nicht erkannt hatten. Auch hier spielen die Haare eine wichtige Rolle, um die Wasserflut zu zügeln und zu ordnen. Und auch hier macht der Mensch nur den Anfang, damit es die Gottheit vollbringen kann. Denn diese reinigende Wasserflut, die sich auf die Erde herabstürzt, kann nur von einer Gottheit aufgefangen werden, von Shiva, dem Gott der Auflösung bzw. der innerlichen Natur, der auch das Mondsymbol trägt:
Mit schrecklicher Gewalt stürzte sie sich aus ihren himmlischen Kanälen in einem gigantischen Sturm von riesiger Größe auf Shivas heiliges Haupt. „Er ruft mich“, schrie sie in ihrer Wut, „und all meine Fluten sollen ihn davonspülen und mit überwältigender Kraft in die tiefste Unterwelt wirbeln.“ (Ramayana ab 1.42 oder Mahabharata ab 3.107)
Man könnte hier auch an die biblische Sintflut denken, in der sich alles Lebendige auflöste, aber doch in einer kleinen Arche „überlebte“, und die Welt wieder so entstand, wie sie versunken war.
So bleibt auch in unserem Märchen die Schöpfung als äußerliche Welt erhalten, denn die Seele bittet die weise Mutter der äußerlichen Natur um Hilfe, und so verwandelt sich das weibliche Wesen in eine Kröte, die gern in der Erde lebt, und das männliche Wesen in einen Frosch, der gern im Wasser lebt, obwohl doch beide im Wasser geboren werden. So kann sie die Wasserflut nicht auflösen bzw. erlösen, weil sie noch an der äußerlichen Welt festhalten, um ihre Rolle zu spielen und das Problem der Trennung zu lösen, das sich nun weiterhin verkörpert:
Als das Wasser sich verlaufen hatte und beide wieder den trocknen Boden berührten, so kam ihre menschliche Gestalt zurück. Aber keiner wußte, wo der andere geblieben war. Sie befanden sich unter fremden Menschen, die ihre Heimat nicht kannten. Hohe Berge und tiefe Täler lagen zwischen ihnen. Um sich das Leben zu erhalten, mußten beide die Schafe hüten. Sie trieben lange Jahre ihre Herden durch Feld und Wald und waren voll Trauer und Sehnsucht.
Wasser ist Welle mit Berg und Tal.
Das ist nun das Schicksal und auch die Herausforderung der Menschen. Sie erheben sich aus der Tierwelt aber erkennen weder sich selbst noch ihre wahre Heimat, denn die körperlichen und materiellen Schranken liegen zwischen ihnen wie hohe Berge und Täler. Um ihr Leben zu erhalten, müssen sie das Tierwesen ihres eigenen Körpers und auch anderer hüten, und leben auf dem Feld und im Wald der Welt lange Zeit voll trauriger Sehnsucht, ohne eigentlich zu wissen wonach. So gilt der Beruf des Hirten als einer der ersten und auch als uraltes Symbol für die menschliche Vernunft, die als ganzheitliche bzw. göttliche Vernunft über den begrifflichen Verstand des Tierwesens herrschen soll. Diese Symbolik finden wir in Christus als Schafhirte mit dem Hirtenstab wieder, wie auch in Krishna als Kuhhirte mit der Hirtenflöte. Und auf wunderbare Weise finden wir hier im Märchen ein seltenes Gleichgewicht zwischen einer Hirtin und einem Hirten, die ihre Rollen als Natur und Geist spielen und im Grunde die gleiche Aufgabe in dieser Welt haben, um sich selbst im anderen wiederzufinden:
Als wieder einmal der Frühling aus der Erde hervorgebrochen war, zogen beide an einem Tag mit ihren Herden aus, und der Zufall wollte, daß sie einander entgegenzogen. Er erblickte an einem fernen Bergesabhang eine Herde und trieb seine Schafe nach der Gegend hin. Sie kamen in einem Tal zusammen, aber sie erkannten sich nicht, doch freuten sich, daß sie nicht mehr so einsam waren.
So fließen die Flüsse aus ihrer Quelle an den Abhängen der weltlichen Berge aus Zu- und Abneigung durch die Welt und finden sich gern im Tal wieder, um als Natur und Geist „nebeneinander“ zu leben:
Von nun an trieben sie jeden Tag ihre Herde nebeneinander: Sie sprachen nicht viel, aber sie fühlten sich getröstet. Eines Abends, als der Vollmond am Himmel schien und die Schafe schon ruhten, holte der Schäfer die Flöte aus seiner Tasche und blies ein schönes, aber trauriges Lied. Als er fertig war, bemerkte er, daß die Schäferin bitterlich weinte. „Warum weinst du?“, fragte er. „Ach“, antwortete sie, „so schien auch der Vollmond, als ich zum letztenmal dieses Lied auf der Flöte blies und das Haupt meines Liebsten aus dem Wasser hervorkam.“ Er sah sie an und es war ihm, als fiele eine Decke von den Augen. Er erkannte seine liebste Frau, und als sie ihn anschaute und der Mond auf sein Gesicht schien, erkannte sie ihn auch. Sie umarmten und küßten sich, und ob sie glückselig waren braucht keiner zu fragen.
Ja, dieses Wiederfinden hat nicht viel mit der äußerlichen Sprache äußerlicher Begriffe zu tun, sondern ist ein innerliches Fühlen oder „Empfinden“. Und aus dieser Tiefe kommt auch der harmonische Klang der goldenen Flöte, ein trauriges Lied über die Trennung und voller Sehnsucht nach der harmonischen Ganzheit, das natürlich unter dem Vollmond eine ganz besondere Wirkung entfalten kann. Dieser Vollmond war mittlerweile schon unzählige Male aufgegangen, doch nun konnte er sein Ziel erreichen. Im Klang der Harmonie erkennen sie sich beide in diesem ganzheitlichen Mondlicht wieder, die Illusion ihrer getrennten Körperlichkeit verschwindet vor ihren Augen, Mann und Frau, Geist und Natur sehen sich nun auch innerlich im reinen Licht bzw. Bewußtsein und feiern damit ihre geistige Hochzeit auch jenseits der Körperlichkeit in der Tiefe ihres wahren Wesens. So finden sich Geist und Natur wieder, die sich doch im Grunde nie verlieren können. Weder kann die äußerliche Natur ihr Leben verlieren, noch das innerliche Leben seine Natur der Formen. Ja, so sollte der Geist die Natur lieben, und die Natur den Geist, denn wahre Liebe kann jede Trennung überwinden. Wie sonst könnte man die Glückseligkeit finden?
Wasser ist Liebe, Licht und ewiges Leben.
Wenn also unsere moderne Wissenschaft von einem toten Universum spricht, wo das Leben nur ein „Grenzphänomen“ ist, dann liegt es vor allem daran, daß sie einen sehr engen Begriff vom „Leben“ hat, und es deshalb nicht überall erkennen kann. Aus diesem Grund haben wir heutzutage mehr Angst als je zuvor, unser Leben zu verlieren, und unternehmen seltsame Dinge, um es festzuhalten, doch vor allem nur als körperliche Natur. Und wenn ein Naturwissenschaftler unvorsichtigerweise von Geist spricht, droht ihm sogleich die Inquisition und der „Scheiterhaufen“. Deshalb getrauen sich das nur wenige, und meistens erst im Ruhestand als „abgesicherte Rentner“. Ja, das ist schon eine seltsame Weltanschauung, die viele Extreme fördert, die wir gegenwärtig auch erleben, vor allem einen extremen Materialismus. Aber auch das sind alles verkörperte Rollen, die wir in der Welt spielen, um doch schließlich das Ganze bzw. Göttliche wiederzufinden.
Diesbezüglich könnte man auch über das biblische Gleichnis von der Trennung Adams in Mann und Frau nachdenken. Dort heißt es: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. (1.Mose 2.18)« Und mit „allein“ ist hier wohl nicht das All-Eine gemeint, sondern ein abgetrenntes Wesen, was der Mensch als „Ebenbild Gottes“ nicht sein sollte. Und die „Hilfe“ sind die verkörperten Wesen, die ihm gegenüberstehen, und in denen er sich als ganzheitliches bzw. göttliches Wesen wiedererkennen sollte: »Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, daß er sähe, wie er sie nennte.« Doch er gab ihnen nur äußerliche Namen mit äußerlichen Begriffen, ohne ihr innerliches göttliches Wesen zu erkennen. »Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloß die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch…« Und in diesem „Schlafzustand“ des äußerlichen und körperlichen Bewußtseins sind wir heute immer noch, und all die Verkörperungen der Tiere und Menschen als Mann und Frau spielen immer noch ihre Rollen, um sich irgendwann auch innerlich zu erkennen, als reines Bewußtsein im ganzheitlichen Licht des großen Erwachens. Dann wird es im Fluß des Lebens weder eine Angst vor dem Tod noch eine Angst vor irgendwelchen Formen geben. Amen - OM
Wasser ist Heilung, Weisheit und Seligkeit.
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[1857] Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 7. Auflage, 1857 |