Die geistige Botschaft unserer alten Märchen

Der Petrusschlüssel

Märchentext von Undine & Jens [2025]
Interpretation von Undine & Jens in Grün [2025]

Nachdem wir nun in den letzten Märchen vor allem die weibliche Seite des Wasserwesens als Wassernatur näher betrachtet haben, gingen wir auf die Suche nach der männlichen Seite, sozusagen nach dem Wassergeist, und fanden den tschechischen Märchenfilm „Der Petrusschlüssel“ von 2023/24, den wir hier aus unserer Sicht freizügig nacherzählen wollen. Die Symbolik ist wundervoll genial und tiefgründig, aber auch umfangreich, und so ist auch unser Märchen etwas länger geworden:

Es war einmal ein guter König, der mit der Zeit alt, grau, müde und krank geworden war. Er hatte eine schöne und tugendhafte Tochter, aber auch einen Minister, der wie seine Ehefrau weniger tugendhaft war, so daß die beiden die Prinzessin weit weg in ein Kloster schickten, damit sie dort etwas lerne. Doch eigentlich wollten sie nur ungestört ihre Macht als Ratgeber des Königs mißbrauchen, für eigene Interessen die Herrschaft und viel Reichtum an sich raffen, und so leerten sie nach und nach hinter dem Rücken des alten Königs die Schatzkammer des Reiches. Trotzdem bekamen die beiden nie genug, mußten sich immer ums Geld streiten, und konnten weder miteinander, noch ohne einander leben. Als die Prinzessin die Klosterschule beendet hatte und ins heiratsfähige Alter gekommen war, kehrte sie ins väterliche Schloß zurück, und der Minister überlegte mit seiner Frau, wie man sie schnell wieder loswerden konnte, denn die tugendhafte Prinzessin ahnte schon bald, daß der alte König von ihnen hintergangen wurde. Der einfachste Weg erschien in einer alsbaldigen Verheiratung, und am besten so weit weg wie möglich, damit sie wieder ungestört ihre eigenen Interessen im Königreich verfolgen konnten, um vielleicht sogar selbst König und Königin zu werden, wenn der alte König starb. Gedacht, getan, der kränkliche König war schnell überzeugt, denn auch er wünschte sich alsbald einen würdigen Nachfolger, und so wurden alle Heiratswilligen aus der Umgebung zur Brautwerbung eingeladen.

Neben dem Königsschloß lag eine kleine Stadt. Auf dem Markplatz stand gerade ein tugendhafter Spielmann und sang sein moralisches Lied gegen Lügner und Diebe:

Wer viel lügt, hat kurze Beine,
Und bleibt ein Leben lang alleine,
Drum rate ich, bleibt ehrlich und redlich,
Sonst sucht ihr die Liebe tagtäglich, vergeblich.

Liebe Herren und liebe Frauen,
So höret auf, euch zu beklauen,
Denn eines Tages, das könnt ihr mir glauben,
Wachet ihr auf mit Tränen in den Augen.

Ein alter und bärtiger Mann trat heran, warf eine Münze in den Hut und sprach: „Sehr schön!“ Dann ging er zum Mittagsmahl in die Gaststätte am Marktplatz. Doch nicht umsonst sang der Spielmann sein Lied, denn hinter dem Rücken des alten Königs hatte die Untugend seines gierigen Ministers schon viele Nachahmer im Reich hervorgebracht, und auch in der Gaststätte trieb ein listiger Dieb sein Unwesen. Nachdem er schon manchen Zinnbecher und wohlgefüllten Geldbeutel gestohlen hatte, erblickte er am Gürtel des alten Mannes einen großen goldstrahlenden Schlüssel. Schnell verwickelte er ihn in ein Gespräch und stahl hintenherum den Schlüssel, der sich aber in seiner Hand in dunkles Eisen verwandelte. Trotzdem steckt er den „Diebstahl“ in seinen Sack und verließ die Gaststätte. Das diebische Treiben hatte aus einer stillen Ecke ein listiges Mädchen beobachtet, das nun zu einigen Soldaten ging und ihnen etwas zuflüsterte. Dann lief sie dem jungen Dieb hinterher und warnte ihn vor den Soldaten, die ihn gleich verfolgen würden. Eine Flucht sei unmöglich, und sie bot ihm an, den Sack mit dem Diebesgut in Sicherheit zu bringen, damit sie bei ihm nichts finden. Als die Soldaten direkt auf ihn zukamen, nahm er das Angebot gern an, und das Mädchen verschwand mit dem Sack hinter der nächsten Hausecke. Doch die Soldaten wollten ihn nur fragen, ob er wirklich in die Armee eintreten wollte, wie ihnen das Mädchen berichtet hatte. Da erkannte er die Lügnerin, sagte den Soldaten schnell ab und verfolgte das listige Mädchen.

Die Verfolgung ging hin und her durch die ganze Stadt, und das Schicksal wollte es, daß das Mädchen mit dem tugendhaften Spielmann zusammenprallte, und der gestohlene Schlüssel aus dem Sack fiel. Sie rannte schnell weiter, der Spielmann hob den Schlüssel auf und rannte nun seinerseits dem Mädchen nach, um ihr das Verlorene wiederzugeben, denn Ehrlichkeit war sein höchstes Gut. Doch wie er selbst gesungen hatte, daß „Lügen kurze Beine haben“, so endete auch diese wilde Jagd am Stadtrand an einem See, wo sich Dieb und Lügnerin am Ende eines Steges um den Sack mit dem Diebesgut rauften und dabei zusammen ins Wasser plumpsten. Der Spielman kam mittlerweile auch dazu, überlegte und zögerte, aber dann legte er den Schlüssel am Ufer nieder und sprang den beiden hinterher, um sie zu retten. Aber alle drei konnten nicht schwimmen und versanken mit dem Diebesgut in der Tiefe des Sees.

Ja, der See war nicht sehr groß, aber um so tiefer, und in der Tiefe lebte ein Wassermann, der alle Seelen liebte, mit denen er seinen See beseelen und lebendig machen konnte. So ergriff er auch diese drei Seelen und brachte sie in seinen Wasserpalast, wo er sie in kleine Wassergläser steckte, um sie an das Wasserleben zu gewöhnen und dann irgendwann wieder als Fische, Frösche, Kröten oder andere Tiere zu entlassen, die im Wasser geboren werden und einen Körper bekommen. Ja, so liebte er die lebendigen Seelen, doch seine größte Liebe tief im Herzen war die tugendhafte Prinzessin vom Königsschloß, die schon als Kind gern in seinem See gebadet hatte, aber nie weit hineinging, weil sie nicht schwimmen konnte. In sie hatte er sich vernarrt, weil sie nicht nur äußerlich eine Schönheit war, sondern auch innerlich. So hoffte er, mit ihr seinen Wasserpalast lebendig erleuchten zu können, der ihm oft dunkel, kühl und einsam war.

Als er dann kurz darauf von ihrer Brautwerbung erfuhr und daß sie verheiratet werden sollte, war er ganz aufgeregt, wollte unbedingt teilnehmen und durchwühlte seine Truhen, um einen würdigen Anzug zu finden, der der Prinzessin gefallen könnte. Dabei stieß er aus Versehen und unbemerkt das Wasserglas der drei Seelen um, die nun auf wunderbare Weise ganz leicht, glücklich und frei wie drei Lichter im Freudentanz nach oben stiegen, immer weiter und weiter ins Licht, bis sie an der Himmelspforte standen, wo sie den heiligen Petrus erblickten. Er war niemand anderes als der alte bärtige Mann aus der Stadt, doch ohne seinen Himmelsschlüssel konnte er sie natürlich nicht hineinlassen. Als er sie erkannte, sprach er zornig mit donnernder Stimme: „Wo habt ihr meinen Schlüssel? Wenn ihr mir diesen nicht innerhalb von sechs Tagen zurückgebt, werdet ihr in der Hölle enden! Solange gewähre ich euch noch Zeit auf Erden.“ Gleichzeitig erhob sich hinter ihnen ein schreckliches Feuermeer, das sie zu vernichten drohte. Da half kein Bitten und Betteln, die Drei mußten mit Tränen in den Augen auf die Erde zurückkehren. Und das war wirklich eine schreckliche Erfahrung, als sie sich aus der Weite und Leichtigkeit des himmlischen Lichtes plötzlich wieder in ihren alten, engen und dunklen Körpern wiederfanden. So erwachten sie am Ufer des Sees zwischen Wasser und Erde. Weit über ihnen lachte die goldstrahlende Sonne von einem tiefblauen Himmel, und sie waren zumindest froh, noch eine Chance zu haben. Die Turmuhr schlug gerade 12 Uhr mittags, und sie wußten, wenn die Glocke in sechs Tagen wieder so schlägt und sie den Himmelsschlüssel nicht zurückgeben können, werden sie noch tiefer fallen und in der Hölle enden.

Der Spielmann erinnerte sich und gestand, daß er den Schlüssel zuletzt in den Händen gehabt und am Ufer niedergelegt hatte, um die beiden aus dem Wasser zu retten. So suchten sie zuerst am Ufer, aber fanden keinen Schlüssel. Doch ein alter Fischer erzählte ihnen, daß der König mit seinem Hund hiergewesen war, der einen großen Schlüssel fand, ihn für einen Knochen hielt, auf dem er kauen konnte, und mit sich fortgetragen hatte. Schnell eilten sie zum Königsschloß, aber die strenge Wache ließ sie nicht herein. Da half kein Bitten und Flehen, nicht einmal der Spielmann durfte hinein, geschweige denn Dieb und Lügnerin. Wie sollten sie nun in das königliche Schloß kommen? Da erfuhren sie zufällig von der morgigen Brautwerbung im Schloß und beschlossen, diese Chance zu nutzen und sich entsprechend zu verkleiden. Die Lügnerin hatte die Idee, der Dieb beschaffte das Geld, und der Spielmann spielte den Brautwerber. Und doch hatten alle Drei kein gutes Gefühl dabei, denn sie kannten nun die Hölle im schrecklichen Feuer und die Himmelspforte im reinen Licht, und wußten, wo die Untugend von Diebstahl und Lüge hinführt. Da reichten sie sich die Hände und schworen, alles nur noch dafür zu tun, um den Schlüssel wiederzufinden.

Als dann am nächsten Tag die Glocke zwölf Uhr schlug, wurden die Bewerber ins Schloß gelassen, und die Drei fanden auch bald die Gemächer des alten Königs, wo der Hund in seinem Körbchen lag und auf dem Schlüssel kaute. Das Gesuchte war nun so nah, aber wer kann einem königlichen Hund seinen Knochen wegnehmen? Selbst der listige Dieb vermochte das nicht, und unter dem zornigen Knurren des Hundes kam bald der alte König mit der Prinzessin, und die Drei versteckten sich schnell in einem Schrank. Kurz danach erschien der Minister mit seiner Frau, und sie erklärten der Prinzessin, daß es ihrem Vater sehr schlecht ginge und sie bei ihm bleiben sollte, weil es seine letzte Stunde sein könnte. Dann gaben sie ihm einen Schlaftrunk und verließen das königliche Gemach, um sich ungestört um die Brautbewerber zu kümmern. Da war nun viel Geduld gefordert, die Prinzessin saß und hielt die Hand des schlafenden Königs, während der Hund genüßlich auf dem Schlüssel kaute. So hörten sie manche Stunde lang dem Weinen und Klagen der Prinzessin zu, die ihre Mutter schon lange verloren hatte, und nun lag auch ihr Vater im Sterben.

In der Zwischenzeit befragte der Minister mit seiner Frau die Bewerber, und sie strichen jeden von der Liste, der mit der Prinzessin gern im väterlichen Schloß wohnen wollte. Nur einer blieb übrig, und das war der Wassermann, der auch als Brautwerber gekommen war, und den beiden erklärte, daß ihm dieses Schloß viel zu trocken sei und er mit der Prinzessin in seinem Wasserschloß wohnen wollte. Das gefiel dem Minister und seiner Frau, doch der Wassermann mußte ihnen versprechen, niemandem zu sagen, wer er ist, nicht einmal der Prinzessin, weil sich die Menschen vor Wassermännern sehr fürchten. Dann wurde im Namen des Königs verkündet, daß die Brautwerbung beendet sei, und nur einer für würdig befunden worden war. Die anderen Bewerber murrten zwar wegen der abschätzigen Behandlung und weil sie nicht einmal die Braut sehen durften, aber verließen schließlich enttäuscht das Schloß.

Als der König ausgeschlafen hatte, fühlte er sich gar nicht mehr so schlecht, und verließ mit der Prinzessin und seinem Hund, der immer noch auf dem Schlüssel kaute, die Gemächer, um nach den Brautwerbern zu sehen. Die Drei folgten ihnen mit einigem Abstand, aber wurden von der Palastwache entdeckt. Nun mußte die Lügnerin ihre Geschichte erzählen, daß der Herr Baron ein Brautwerber war, sie seine Schwester und der dritte im Bunde ihr Diener. Die Wache verneigte sich und führte die Drei in den Schloßhof, wo die Prinzessin erfreut war, daß es nun wenigstens zwei Bewerber waren, der Wassermann und der Spielmann, namentlich als Herzog und Baron. Beide wurden an die königliche Tafel gebeten, um gemeinsam zu speisen und sich etwas kennenzulernen. Der Spielmann war bestürzt, denn er wollte doch gar keine Prinzessin heiraten. Aber als sie an der Tafel miteinander sprachen, regte sich plötzlich eine tiefe Zuneigung in ihm, denn Tugend hatte Tugend gefunden. Die achtsame Lügnerin bemerkte das sogleich, stieß ihn mit dem Ellenbogen an und flüsterte: „Wach auf, und schlag dir die Prinzessin aus dem Kopf! Es geht nur um den Schlüssel!“ Der Spielmann gab sein Bestes, die Rolle zu spielen, wie auch der Wassermann, und der eine erzählte von schönen Städten, Dörfern, Wäldern und Feldern, und der andere von schönen Seen, Flüssen, Bächen und Quellen.

Gegen Abend kam der Küchenjunge, um das Essen für den königlichen Hund zu bringen, der ihm freudig hinaus auf den Gang entgegenrannte, den Schlüssel fallenließ und dafür einen fetten Knochen bekam. Der Küchenjunge hob neugierig den Schlüssel auf und versuchte damit, auf dem langen Gang eine Tür zu öffnen. Doch was für ein Wunder! Als der Schlüssel das Schloß nur berührte, erglühte der Schlüsselbart in goldenem Licht, und das Schloß öffnete sich ganz von selbst. Und nicht nur dieses, sondern alle Schlösser, die er damit berührte. Lustig und voller Lebensfreude sprang er durch den ganzen Palast, und alle Türen öffneten sich vor ihm, wie vor einem König, bis er dann plötzlich im Gemach des Ministers und seiner Frau stand, die sich wieder einmal verbittert um ihr Geld stritten. Sie starrten ihn mit großen Augen an, und fragten, wie er die verschlossene Tür geöffnet habe? Da erzählte er vom Schlüssel und seiner Wunderkraft. Sofort erwachte die Gier in den beiden, sie nahmen ihm den Schlüssel weg, und er mußte schwören, niemandem davon zu erzählen. Nun gab es kein Halten mehr. Gegen Mitternacht gingen die beiden Gierschlunde in die Stadt und konnten unbemerkt viele Türen und Schatztruhen öffnen, um einen ganzen Sack voller Goldtaler zu erbeuten. Niemand bemerkte sie dabei, nur ein alter und bärtiger Mann begegnete ihnen auf den dunklen Gassen der Stadt. Doch nicht, daß sie damit die ausgeleerte Schatzkammer des Königs auffüllen wollten, nein, dieser Goldschatz sollte nur ihnen allein gehören. Für die Schatzkammer dachten sie sich einen anderen listigen Plan aus.

Am anderen Morgen gingen sie zum König, und weil sich die Prinzessin noch nicht entschieden hatte, machten sie ihm den Vorschlag, den beiden Bewerbern eine Aufgabe zu stellen, um ihre Fähigkeit als königliche Nachfolger zu prüfen. Der König war einverstanden, und gegen Mittag versammelten sie alle auf dem Königshof, um die Prüfung zu verkünden. Auch die Drei kamen und bemerkten sogleich, daß der Hund nicht mehr den Schlüssel, sondern einen normalen Knochen im Maul trug. Den gesuchten Schlüssel erblickte der achtsame Dieb am Gürtel des Ministers unter seinem Umhang, als dieser sich mit seiner Frau übertrieben theatralisch vor dem König verneigte. Da erschrak er zutiefst, weil diese beiden eine noch größere Herausforderung als der königliche Hund waren, und offenbar noch größere Diebe und Lügner als sie selbst. Entsprechend vernahmen sie dann auch die Aufgabe, die sie als königliche Prüfung zu erfüllen hatten: „Die Hand der Prinzessin gewinnt, wer bis morgen mittag das meiste Gold heranschaffen kann. Denn ein König sollte fähig sein, seine Schatztruhe zu füllen, natürlich, um das Königreich zu unterhalten und den Bedürftigen zu helfen.“

Der Wassermann zog sich in seinen Wasserpalast zurück und füllte einen ganzen Sack voll Gold aus den Schätzen, die sich mit der Zeit auf dem Grund des Sees angesammelt hatten. Die Drei berieten sich, und der Dieb sagte klar und deutlich, daß er kein Gold mehr klaut, sondern nur noch den Schlüssel sucht. Und weil sie wußten, daß er nun in der Hand des Ministers war, drangen sie gegen Mitternacht in dessen Gemach ein und durchsuchten alles. Der Schlüssel war nirgends zu finden, aber ein Sack voller Gold in einer Schatztruhe, die sie mit einem Dietrich öffneten. Der Dieb kämpfte mit sich, aber dachte an die Hölle und suchte im Sack nur nach dem Schlüssel. Als die Goldtaler klingelten, drohte die Frau des Ministers aufzuwachen, und die Drei flüchteten. Doch der Spielmann ergriff spontan den ganzen Sack und nahm ihn mit. Als sie wieder sicher auf ihrem Zimmer waren, warf ihm die Lügnerin vor: „Du hast das Gold aus Liebe zur Prinzessin geklaut!“ Er wurde schamrot und antwortete: „Ja, und damit wir morgen nicht aus dem Palast geworfen werden, sondern weiter nach dem Schlüssel suchen können.“

Als dann am dritten Tag ihrer Frist die Uhr Zwölf schlug, standen Spielmann und Wassermann jeweils mit einer großen Schüssel voller Gold vor dem König. Der Minister wog beide Schüsseln und mußte erschrocken feststellen, daß sie gleichschwer waren. Noch schlimmer war, daß ihr eigener Schatz in der Schüssel des Barons lag, und der Minister sich nirgends beschweren konnte, weil er dann fürchtete, selbst als Dieb dazustehen. Er dachte sich, daß wohl der alte Mann, den sie in der dunklen Gasse antrafen, ihn an den Baron verraten hatte, zumal sich mittlerweile auf dem Königshof auch eine Gruppe von Bürgern versammelt hatten, die sich lautstark über den nächtlichen Diebstahl in der Stadt beschwerten. Daraufhin machte der Spielmann den Vorschlag, den bestohlenen Bürgern mit dem Gold zu helfen, wie es ja auch der Minister scheinheilig vorgegeben hatte. Die Prinzessin lobte den Vorschlag, und der König stimmte zu und befahl, die Bürger zu entschädigen. Das traf natürlich den Minister noch härter, als er seinen Schatz wieder an die Bürger verteilen mußte, und dazu noch feststellte, daß viele von ihnen mehr forderten, als er ihnen gestohlen hatte, so daß auch das Gold des Wassermanns dahinschwand. Doch bei wem sollte er sich beschweren? Die Bürger waren zufrieden und verließen den Schloßhof. Der Minister und seine Frau standen verzweifelt, wollten nun unbedingt den Baron loswerden, und überlegten sich auf listige Weise eine zweite Aufgabe, die nur der Wassermann erfüllen konnte.

Sie sprachen: „Weil die erste Aufgabe unentschieden ausging, stellen wir nun eine zweite. Wer uns den goldenen Fisch bringt, der jeden Wunsch erfüllen kann, der soll die Prinzessin heiraten, denn nur das ist auch ein weiser Bräutigam.“ Damit wollten sie den Baron loswerden und sich gleichzeitig noch viel Reichtum herbeiwünschen. Der Herzog jubelte und rief, daß er wisse, wo dieser Fisch zu finden ist. Und die Drei berieten sich, was nun zu tun sei. Die kluge Lügnerin machte den Vorschlag, dem Herzog zu folgen und den goldenen Fisch zu bitten, ihnen den Schlüssel zu beschaffen. Gesagt, getan, sie folgten dem Wassermann und beobachteten mit einigem Abstand, wie er mit einem Eimer in den nächsten Wald spazierte, wo die Quelle für seinen See lag. Dort lockte er mit einem mystischen Gesang den goldenen Fisch hervor und schöpfte ihn in seinen Eimer. Der Fisch bat: „Bitte laß mich wieder frei!“ Doch der Wassermann antwortete: „Das würde ich gern, aber dann bekomme ich die Prinzessin nicht.“ Damit begab er sich auf den Rückweg, der ihm mit dem gefüllten Wassereimer immer beschwerlicher wurde, und die Drei fanden keine Gelegenheit, mit dem Fisch zu sprechen.

Zum Anbruch der Nacht kam der Wassermann an den Rand des Waldes, wo am Weg die alte Schmiede stand. Doch das Schmiedefeuer war aus dem engen Ofen ausgebrochen, und das ganze Haus loderte in einem Flammenmeer. Verzweifelt versuchten einige Bauern, das Feuer mit Wassereimern zu löschen, vor allem weil der Schmied mit seiner ganzen Familie noch in den Flammen eingeschlossen war. Der Wassermann wollte sich am Feuer vorbeischleppen, aber wurde gerade hier in der Hitze immer schwächer und brach schließlich zusammen. Die Drei versuchten zuerst, beim Löschen zu helfen, doch das Feuer loderte immer höher und erinnerte sie an das schreckliche Höllenfeuer. Dann erblickten sie den goldenen Fisch im Eimer neben dem ohnmächtigen Herzog, und der Spielmann hatte so großes Mitgefühl mit dem Schmied und seiner Familie, daß er den Fisch bat, das Feuer zu löschen und die Menschen zu retten. Dieb und Lügnerin wollten ihn zwar noch zurückhalten, aber stimmten dann doch zu, daß es hier wichtiger war, das Leben zu retten, als nur an ihren Schlüssel zu denken. Daraufhin verwandelte sich das goldene Fischlein in eine goldschimmernde magische Wasserwelle, die sich über das lodernde Feuer ergoß. Die Schmiede stand sogleich unversehrt wie zuvor, und der Schmied trat mit seiner Familie unverletzt aus dem Haus. Mit dem restlichen Wasser im Eimer benetzten sie den ohnmächtigen Herzog, der wieder zu sich kam, den leeren Eimer sah und zu dem Schmied sprach, der das unglaubliche Wunder nicht fassen konnte: „Bedankt euch bei den Drein dort! Sie haben euch gerettet, und auch mich.“ Voller Dankbarkeit verneigte sich der Schmied vor ihnen und bot seine Hilfe an, wann immer er helfen könne.

Am nächsten Tag, als die Turmuhr Zwölf schlug, versammelten sich alle auf dem Schloßhof, und keiner der beiden Bewerber konnte den goldenen Fisch übergeben, doch sie lächelten sich gegenseitig an. Im Gegensatz zum Minister und seiner Frau, die sich wütend anstarrten und bereits über eine dritte Aufgabe grübelten, um den Baron endlich loszuwerden. Währenddessen hatte der königliche Hund seinen Knochen zerkaut und schaute hungrig umher. Als sich dann der Minister wieder theatralisch vor dem König verneigte, um sich einzuschmeicheln, erblickte er seinen unvergänglichen Knochen unter dem Mantel, sprang sogleich heran und riß ihn vom Gürtel. Dann rannte er mit dem Schlüssel im Maul davon, und der Minister eilte mit seiner Frau schreiend und fluchend hinterher, gefolgt von den Drein, die ihren Schlüssel davonlaufen sahen. Der Hund verließ das Schloß, rannte hinunter zum See, sprang hinein und schwamm unter den verzweifelten Blicken seiner Verfolger davon. Plötzlich kam eine Welle über ihn, er schnappte nach Luft, und der Schlüssel sank in die Tiefe des Sees hinab.

Als alle wieder im Schloßhof waren, war nun auch die dritte Aufgabe klar, und der Minister verkündete: „Morgen Mittag findet ein Wettauchen im See statt. Der Bessere gewinnt die Hand der Prinzessin, denn der Bräutigam müsse auch seine körperlichen Fähigkeiten beweisen.“ Der Herzog jubilierte, und der Baron war verzweifelt, denn er wußte, daß er nicht schwimmen konnte. Da hatte die kluge Lügnerin eine Idee, und der achtsame Dieb fertigte eine Zeichnung des Schlüssels an. Damit ging der Baron zum Schmied, den sie am Waldrand aus dem Feuer gerettet hatten, und ließ sich über Nacht einen ähnlichen Schlüssel schmieden. Am nächsten Mittag versammelten sich alle am Ufer des Sees, und der Minister stellte den beiden Bewerbern die Aufgabe, den verlorenen Schlüssel im See wiederzufinden. Der Herzog lobte seine Fähigkeiten als Schwimmer und Taucher, und der Baron wurde von seinem Diener an ein langes Seil gebunden, um sich im Notfall herausziehen zu lassen. Der Minister gab das Zeichen, und beide sprangen gleichzeitig ins Wasser. Der Spielmann holte unter Wasser den Eisenschlüssel aus seiner Tasche und ließ ihn auf den Grund sinken, wo ihn der Wassermann natürlich schnell fand und in kürzester Zeit mit dem Schlüssel in der Hand wieder auftauchte. Der Spielmann war lange nicht zu sehen, kämpfte verzweifelt um sein Auftauchen, und der Diener mußte mit dem Seil nachhelfen.

Der Minister und seine Frau jubelten, griffen gierig nach dem Schlüssel und gratulierten dem Herzog zum großen Sieg. Der Herzog machte der Prinzessin einen Heiratsantrag, und der Baron gestand ihr mit schwerem Herzen: „Vergib mir! Ich bin nur ein armer Spielmann, und meine Freunde sind ehemalige Lügner und Diebe. Eigentlich sind wir schon gestorben und haben das alles nur getan, um nicht in die Hölle zu fallen, sondern in den Himmel zu kommen.“ Die Prinzessin stand wie erstarrt und konnte es nicht glauben. Doch der Minister jubelte nach diesen Worten noch mehr und rief: „Ja, das sind nur Betrüger! Verschwindet von hier, und laßt euch nie wieder sehen!“

Gesagt, getan, und nun hatten die Drei noch einen Tag Zeit, den wahren Schlüssel im See zu finden. Aber wie, ohne schwimmen zu können? Sie gingen in die Stadt, verkauften ihren Schmuck und die edlen Gewänder und kleideten sich wie arme Fischer. Vom übrigen Geld mieteten sie sich ein kleines Ruderboot, und am anderen Morgen ruderten sie auf den See hinaus und begannen, den Schlüssel dort zu suchen, wo ihn der Hund verloren hatte. Dazu banden sie den Spielmann wieder an das Seil, und er tauchte tief hinab auf den Grund, wühlte im Schlamm, und sie zogen ihn wieder herauf. Das ging einige Stunden so, die Hoffnung schwand, und irgendwann umarmten sich Dieb und Lügnerin im Boot mit einer Liebe, die sie bisher nicht kannten, und trösteten sich, daß sie wenigstens zusammen in die Hölle kämen, wenn sie den Himmelsschlüssel nicht finden würden. Mittlerweile konnte der Spielmann immer besser tauchen und schwimmen und brauchte schließlich nicht einmal mehr das Seil. Noch bevor die Turmuhr Zwölf schlug, tauchte er plötzlich auf, jubelte und hielt den Schlüssel in der Hand.

Die Drei waren überglücklich, ruderten ans Ufer, setzten sich nieder und ergriffen gemeinsam den Schlüssel. Was für ein Wunder! Der ganze Schlüssel begann wieder golden zu leuchten, wie er damals am Gürtel des alten bärtigen Mannes im Gasthaus gestrahlt hatte. Und als die Uhr Zwölf schlug, stand Petrus vor ihnen und sprach: „Gratulation! Ihr habt den Schlüssel wiedergefunden und euch grundlegend gebessert. So leuchtet er in euren Händen, ohne daß er ein irdisches Schloß berührt. Das heißt, die Himmelspforte ist für euch geöffnet, und ihr könnt nun in den Himmel eingehen. Was hält euch jetzt noch auf Erden?“ Da wollten sie ihm den goldenen Schlüssel übergeben, doch der Spielmann zögerte und fragte: „Was wird aus der Prinzessin?“ Darauf berichtete Petrus: „Nun, in Wahrheit hat euch der Herzog dreimal besiegt, ohne Diebstahl und Lüge. Denn er ist niemand anderes als der Wassermann von diesem See, der die schöne Seele der Prinzessin schon lange liebt. Er wird sie nun in sein Reich mitnehmen, und wie es den Seelen im Wasserpalast ergeht, habt ihr ja selbst erfahren.“ Der Spielmann erschrak, zog den goldenen Schlüssel zurück und rief: „Nein, das darf nicht sein! Wir müssen die Prinzessin warnen!“

Mittlerweile verbrachte der Wassermann den Morgen im Schloß bei der Prinzessin. Und nachdem sie an der königlichen Tafel lange und gut gespeist hatten, schlug der Minister eine Bootsfahrt auf dem See für das junge Paar vor, und bot sich mit seiner Frau an, die Ruder zu führen. Der König war einverstanden, denn er war vom langen Sitzen müde, und der Minister hoffte, daß nun der Wassermann sein Versprechen erfüllen und die Prinzessin mit in sein Reich nehmen würde. So begaben sie sich zum See und bestiegen das königliche Boot. Der Herzog saß neben der Prinzessin unter einem Baldachin, und der Minister ergriff mit seiner Frau die Ruder, um sie weit hinaus auf den See zu fahren. Dann sprach der Herzog zur Prinzessin: „Vergib mir, denn ich bin der Wassermann von diesem See. Ich liebe dich über alles, und aus Liebe werde ich dich nun mit in mein Reich führen.“ Die Prinzessin war zutiefst erschrocken, starrte den Wassermann ungläubig an und rief verzweifelt: „Das kann doch nicht sein! Bin ich denn nur von Betrügern umgeben?!“ Der Wassermann wurde schamrot, wachte auf und erkannte seine vernarrte Dummheit. Sogleich sprang er ohne die Prinzessin ins Wasser und verschwand unter den wütenden Blicken des Ministers, der nun seinerseits rief: „Alles müssen wir selber machen!“ Sogleich packte er zusammen mit seiner Frau die Prinzessin, um sie ins Wasser zu stoßen, die nun endgültig erkannte, wie betrügerisch und skrupellos die beiden waren. Sie wehrte sich, so gut sie konnte, und schließlich stürzten alle drei zusammen in die Tiefe des Sees.

Als am Ufer der zwölfte Schlag der Turmuhr verhallte, erblickten die Drei das königliche Boot draußen auf dem See mit der Prinzessin und dem Wassermann. Ohne weiter nachzudenken liefen sie zu ihrem Ruderboot und ruderten mit aller Kraft hinaus auf den See. Dort wurden sie Zeugen, wie der Wassermann vom Boot sprang, die Drei miteinander kämpften und ebenfalls ins Wasser fielen. So schnell wie möglich fuhren sie heran, der Spielmann sprang mutig ins Wasser und verschwand in der Tiefe. Bange Sekunden vergingen, seine beiden Freunde starrten gespannt ins dunkle Wasser, doch dann wurde es Licht und der Spielmann tauchte mit der Prinzessin im Arm wieder auf. Alle jubelten, sie zogen beide zurück ins Boot und ruderten ans Ufer, wo sich Prinzessin und Spielmann langsam erholten.

Mittlerweile wurde auch der König von seinen Wachen alarmiert und eilte zum See, so schnell es in seinem Alter noch ging, um dort glücklich seine Tochter zu umarmen und dem Spielmann zu danken, der sie gerettet hatte. Da kam nun auch Petrus dazu, und die Drei übergaben ihm endgültig den goldenen Schlüssel, worauf er sprach: „Wohlgegeben! Nur wer gibt, kann auch empfangen. Gott selbst hat diesen Schlüssel allen Geschöpfen gegeben, um jegliche Türen bis zur höchsten Himmelspforte zu öffnen. Aber keiner sollte ihn als Dieb und Lügner besitzen, denn das ist der Weg in die Hölle.“ Alle hörten achtsam zu, und sogar der königliche Hund knurrte nicht mehr, als er den goldenen Schlüssel in der Hand von Petrus erblickte. Dann fragten die Drei, was nun aus ihnen werden solle? Und Petrus sprach: „In den Himmel könnt ihr jetzt nicht, denn ihr habt die Frist verpaßt. Aber in die Hölle auch nicht, weil ihr euch gebessert habt. So bleibt euch nur diese Erde übrig, und ich denke, der Spielmann könnte ein guter König werden, denn er ist mutig und hat ein tugendhaftes Herz. Und seine beiden Freunde wären ihm gute Berater, denn sie haben das Leben der Diebe und Lügner kennengelernt und wissen, wie man diese Laster überwindet. So führt nun ein tugendhaftes Leben, dann wird euch die Himmelspforte immer offenstehen.“ Die Prinzessin und der Spielmann waren überglücklich, als sie diese Worte hörten und fielen sich liebevoll um den Hals, wie auch seine beiden Freunde, der ehemalige Dieb und die ehemalige Lügnerin. Und der alte König jubelte, daß er nun einen würdigen Nachfolger gefunden hatte, den sogar Petrus lobte, und er endlich die mühsamen Regierungsgeschäfte abgeben konnte.

Damit verschwand Petrus wieder im himmlischen Licht, und aus dem See tauchte der Wassermann auf, trat ans Ufer und wünsche dem jungen Brautpaar alles Gute. Dann bat er den alten König um Vergebung für seine närrische Liebe und sprach: „Jetzt weiß ich: Was man wahrhaftig liebt, muß man nicht festhalten. Warum sollte ich eine so tugendhafte Seele wie deine Tochter in das Reich der Elemente hinabziehen?“ Der König antwortete: „Wohlgegeben! Und was wird aus meinen bisherigen Beratern?“ Da lächelte der Wassermann und sprach: „So ein unzufriedenes Paar kann ich im See gut gebrauchen, denn sie streiten sich ständig und können sogar aus ihrem Wasserglas wunderbare Wellen schlagen, die einem See nützlich sind. Sie haben einen kleinen rostigen Schlüssel bei sich und versuchen damit immer wieder, ihr Wasserglas zu öffnen. Doch es gelingt ihnen nicht, und ich werde sie wohl noch lange behalten.“ Damit tauchte er wieder in die Tiefe des Sees, alle kehrten in das königliche Schloß zurück, und bald darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Die Hochzeitsfahrt fand unter dem Jubel des Volkes im königlichen Boot auf dem See statt, begleitet vom Tanz der Wellen. Die liebe Sonne lachte von einem tiefblauen Himmel, und man sagte, das ganze Wasser schimmerte in einem goldenen Licht. Danach genoß der alte König seinen Ruhestand, und im Königreich begann wieder eine goldene Zeit der Tugenden in Glück und Frieden.

Nach dem langen Märchentext möchten wir unsere Interpretation kurz fassen und aus geistiger Sicht nur einige Prinzipien andeuten. Wenn man die ganze Geschichte in einen Menschen projiziert, kann man gleich zu Beginn das Generationsproblem erkennen, wie die ungelösten Probleme der Eltern auf die Kinder und Nachkommen vererbt werden. So finden wir eine alt, krank und schwach gewordene Vernunft als König, der offenbar seine Königin als Einheit mit der Natur verloren hatte, so daß der Ego-Verstand die eigennützige Herrschaft ergreifen konnte, der Verstand als Minister und das Ego als seine Frau. Die beiden gehören natürlich immer zusammen, doch können nie zufrieden miteinander leben, weil sie die Prinzipien der Trennung und Gegensätze verkörpern. Ein scheinheiliges Paar, das auch im Märchenfilm treffend dargestellt wird. Die tugendhafte Tochter des alten Königs wäre dann die reine Seele der Natur, die der Ego-Verstand vom menschlichen Geist der Vernunft fernhalten will, um sein trennendes Wesen und seine eigennützigen Ziele auszuleben.

Im restlichen Märchen wird dann beschrieben, wie die reine Seele ihren reinen Geist wiederfindet, damit die ganzheitliche Vernunft wieder herrschen kann. Der „Schlüssel“ zu allem ist natürlich das reine Bewußtsein, das alle Türen öffnen und sich bis in den höchsten Himmel erweitern kann, aber auch fähig ist, sich selbst zu verbrennen und zur dunkelsten Hölle zusammenzuziehen. Im Spielmann können wir die erwachende Vernunft finden, im Dieb das sich entwickelnde Ego, und in der Lügnerin den sich entwickelnden Verstand. Der Verstand erzählt die Lüge von Eigenschaften und hilfreichem Eigentum, das Ego greift danach und will es festhalten, und dann sorgt wiederum die Lüge für die Vergänglichkeit, so daß alles Gewonnene wieder verlorengeht. Die erwachende Vernunft erkennt und tadelt die beiden, aber ist doch nicht frei von ihnen, denn sie gehören zum Menschsein dazu. Praktisch ist es sogar die Vernunft, die ihnen das Bewußtsein gibt und diesen Schlüssel hinterherträgt, den sich das Ego auf Diebesweise so gern aneignen will, der aber dabei sein Gold der reinen Wahrheit verliert. Schließlich versinkt und ertrink dann auch die Vernunft, wenn sie versucht, den Ego-Verstand zu retten und am Leben zu erhalten.

Danach folgt eine einschneidende Erfahrung, die man als Nahtoderlebnis bezeichnen könnte, so daß sich ihr Leben grundlegend ändert und sie plötzlich eine gemeinsame Aufgabe haben, nämlich den Schlüssel zum Himmel zu finden. Dazu gibt es eine Frist, die symbolisch an die sechs biblischen Schöpfungstage erinnert, die vielleicht auch nur dafür da sind, um diesen Schlüssel des reinen Bewußtseins wiederzufinden. Den findet man natürlich zuerst in unserer Körperlichkeit, die als tierhafter Körper daran kaut, wie ein Hund auf seinem Knochen. Dazu muß man aber in das Innere des Körpers kommen, der wie ein königliches Schloß von den Sinnen und Gedanken bewacht wird, welche das innere Eigentum vor der äußerlichen Welt beschützen sollen. An diesen Wachen kommt man vorbei, wenn man sich um die innere Seele bewirbt. Denn ohne die Einheit mit der Seele kann es auch keine ganzheitliche Vernunft geben, um den Ego-Verstand zu beherrschen. Dort lernt man zunächst die Seele mit ihrem Trennungsschmerz kennen, und dann ist viel Geduld und achtsames Beobachten gefordert, denn so einfach gibt die Körperlichkeit das Bewußtsein nicht frei, wie der Hund seinen Knochen.

Danach folgt ein interessantes Zwischenspiel mit einem Küchenjungen, in dem wir die Entwicklung eines Kindes sehen können, das voller Lebensfreude mit Hilfe des Bewußtseins viele Türen in sich selbst und in der Welt öffnen kann, bis dann dieser Schlüssel vom Ego-Verstand ergriffen und mißbraucht wird. Was auch im Märchenfilm sehr schön dargestellt wird.

In den beiden Bewerbern für die Seele als Fluß von Ursachen und Wirkungen kann man zwei geistige Prinzipien finden: Der Wassermann für die innere Welt als Quelle der Formen, und der Spielmann für die äußere Welt als Spiel der Formen. Der Ego-Verstand bevorzugt natürlich den Wassermann, weil er in seiner Welt selber über Ursache und Wirkung herrschen will, so wie heute noch Wissenschaft und Wirtschaft die lebendige Seele in eine tote Natur verbannen wollen, um ungestört herrschen zu können.

Dann gibt es drei Prüfungen, in denen wir drei Qualitäten der Tugend sehen können, nämlich Hingabe, Mitgefühl und Weisheit, natürlich immer mit dem Gold der Wahrheit verbunden. Zuerst muß man den Ego-Verstand enteignen und mit Hingabe bzw. Vergebung die Schulden begleichen. Dann geht es darum, die Quelle des Lebens zu finden, und damit aus reiner Liebe und Mitgefühl das ausgebrochene Feuer der Leidenschaft zu löschen, ohne das Leben zu töten. Hier finden wir das Prinzip des Höllenfeuers wieder, das wir heute nur anders nennen, wie zum Beispiel „Burnout“. Drittens muß man schließlich den goldenen Schlüssel des reinen Bewußtseins auf dem Grund der inneren Welt finden und dazu die Fähigkeit entwickeln, im Meer der Ursachen zu schwimmen und aus der Oberflächenwelt hinabzutauchen, zuerst am Band der Illusion und dann frei, was auch Weisheit genannt wird. Der Wassermann ist natürlich mit seiner inneren Welt viel näher an der Wahrheit und kann diese Prüfungen ohne Diebstahl und Lüge bestehen. Der Spielmann braucht in der äußeren Welt die Hilfe der Illusion dafür, die er in seinen beiden Freunden findet, denn im Grunde geht es ihm gar nicht darum, die Seele als Fluß von Ursache und Wirkung zu gewinnen, sondern den Himmelsschlüssel des reinen Bewußtseins.

Sehr interessant ist auch die Rolle von Petrus, dem als heiliger Mann bzw. Geist der Himmelschlüssel gegeben wurde, was verständlich ist, denn nur ein heiliger und ganzheitlicher Geist kann das Bewußtsein ohne Egoismus in seiner Reinheit bewahren. Petrus selbst hat in der biblischen Geschichte ähnliche Erfahrungen gemacht, war zuerst ein einfacher Fischer namens Simon, versuchte wie Jesus übers Wasser zu gehen, aber versank darin und wurde von Christus gerettet, so daß er später den Schlüssel zum Himmel bekam und „Grundstein und Fels“ genannt wurde („Petra / Petros“). Deshalb ist es auch im Märchen so wichtig, ihm den Schlüssel zurückzugeben, um nicht als getrenntlebender Ego-Verstand, sondern als ganzheitliche Vernunft das reine Bewußtsein in der Wahrheit und Ganzheit zu empfangen. Als Petrus aber schließlich vom Ego-Verstand danach gefragt wurde, verleugnete er Christus als das reine Bewußtsein und sprach: „Ich bin's nicht.“ Seitdem lebt er, zumindest in unserem Märchen, immer noch als heiliger, alter und bärtiger Mann auf der Erde und gleichzeitig auch im Himmel, was unser gewöhnlicher Ego-Verstand nicht verstehen kann. So hat sich auch der Spielmann als erwachte Vernunft entschieden, auf der Erde zu bleiben und die Seele zu heiraten. Gott sei Dank! Denn wer geht in den Himmel? Und wohin?

Ähnlich heißt es auch im Buddhismus:
Mit gefalteten Händen bitte ich all jene, die die Absicht haben, ihren Eingang ins Nirwana zu zeigen und die Welt zu verlassen, für so viele Zeitalter, wie es in den Welten Teilchen gibt, hier zu verweilen, um allen im Daseinskreislauf Wandernden zu helfen und ihnen Glück zu bringen. (Sieben Zweige der Guten Lebensführung, Tsongkhapa, 1357-1419)

Ja, und alles andere erklärt sich eigentlich im Märchen selbst. Viel Spaß und Inspiration beim Nachsinnen…


Der Märchenfilm, der uns zu dieser freizügigen Nacherzählung inspiriert hat, ist in der ARD-Mediathek / KIKA verfügbar. Falls der Link des Bildes nicht mehr gültig ist, dann bitte in der Mediathek nach „Der Petrusschlüssel“ suchen.


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Lied und Textinspiration: Der Petrusschlüssel, 2024, ARD/Kika
Szenenbilder: YouTube Trailer: Klíč svatého Petra (2023) Štědrovečerní pohádka ČT
[2025] Text von Undine & Jens / www.pushpak.de
Veröffentlichung: